MariaDie weibliche Seite Gottes

Papst Franziskus reist nach Fatima, in München wird die „Patrona Bavariae“ gefeiert. So viel Maria wie in diesem Mai ist selten. Doch das Christentum, die monotheistischen Religionen überhaupt, müssten ihre weiblichen Grundlagen neu entdecken.

In der katholischen Kirche gilt der Mai als „Marienmonat“. Vielerorts gibt es Andachten, Wallfahrten, Feste. In diesem Jahr wird das alles noch verstärkt durch zwei Jubiläen. In München werden zehntausende Gläubige zu einem Gottesdienst auf dem Marienplatz erwartet. Hundert Jahre ist es her, dass Maria zur Schutzheiligen Bayerns erklärt wurde, zur „Patrona Bavariae“.

Und auch das portugiesische Fatima steht im Zeichen eines marianischen Jubiläums. Am 13. Mai 1917, also ebenfalls vor hundert Jahren, soll - so sagt es die kirchenamtlich bestätigte Tradition - die Gottesmutter dort drei Hirtenkindern erschienen sein. Zum „runden“ Jahrestag reist Papst Franziskus in den viel besuchten Wallfahrtsort. Er erklärt zwei der drei Seherkinder von damals zu Heiligen. Francesco und Jacinta Marto dürfen damit in der ganzen Weltkirche verehrt werden. Aufgegriffen wird das bereits in Österreich, wo es in allen Diözesen landesweit Fatima-Feiern geben soll.

Unzählige Menschen fühlen sich bis heute zu Maria hingezogen. Sie sei „unsere Schwester im Glauben“, sagte soeben der Vorsitzende der deutschen Bischofskonferenz, der Münchner Kardinal Reinhard Marx. Und sogar die evangelische Theologin Dorothee Sölle hat einmal ein zärtliches Buch über Maria geschrieben. Darin heißt es: „Die Bilder der Muttergottes erinnern uns an unsere eigenen Sehnsüchte nach einem anderen Leben. Ihre Schönheit zieht uns zu ihrer Wahrheit … Sie erinnern uns daran, wie innerhalb der religiösen Tradition Ängste und Wünsche einfacher Leute benennbar und darum heilbar wurden, so dass die Welt nicht nur ein unbegreiflich wirres ‚Getümmel‘ blieb, sondern ein Hinweis auf das Land der Freiheit, das wir Himmel nennen, wurde.“

Warum Maria?

Dennoch kann nicht jeder mit Marienfrömmigkeit etwas anfangen. Das ist nicht schlimm. Die Verehrung Marias steht in der Hierarchie der Glaubenswahrheiten nicht ganz oben. Aber auch einfach als „Phänomen“ ist diese Frömmigkeitsform interessant. Damit ist freilich nicht gemeint, nach der „Echtheit“ von Marien-Erscheinungen zu fragen. Oder nach dem, was eine von der Kirche offiziell anerkannte Wallfahrt wie Fatima von einem umstrittenen Ort wie dem bosnischen Medjugorje unterscheidet.

Viel spannender ist es, was im Hintergrund „mitschwingt“: Warum wurde Maria eigentlich so beliebt? Ist das vielleicht, zumindest teilweise, auch eine Reaktion auf das offiziell verkündigte Gottesbild, das von vielen als zu einseitig empfunden wird? Als zu männlich? Gehört es zum Menschen, auch nach einem weiblichen Gegenstück Gottes zu suchen? Wie stellen wir uns überhaupt Gott, das Göttliche vor? Und hat dies dann Auswirkungen darauf, wie die Geschlechter in der Kirche vorkommen - oder, im Fall von Frauen, als Geweihte, als ordinierte Geistliche, eben nicht vorkommen?

Die Bibel erzählt sehr zurückhaltend über Maria. Kein Wunder: Das Evangelium ist die Frohbotschaft Jesu Christi - nicht die seiner Mutter. Die wohl älteste Erwähnung Marias findet sich bei Paulus im Brief an die Galater: „Als aber die Zeit erfüllt war, sandte Gott seinen Sohn, geboren von einer Frau und dem Gesetz unterstellt“ (4,4). Maria wird nicht einmal namentlich erwähnt. Und auch später kommt sie nur so weit in den Blick, wie sie für die Heilsgeschichte von Bedeutung ist.

Mirjam als Himmelskönigin

Mit diesem spärlichen Zeugnis haben sich die Gläubigen bekanntlich nicht zufriedengegeben. Nachdem ihnen dieser Jesus von Nazaret wichtig geworden war, wollten sie möglichst alles über ihn wissen, alle Facetten seines Lebens durchleuchten. So interessierte man sich früh auch für die Mutter Jesu. Schon die jüngeren Evangelien, Matthäus und Lukas, erzählen mehr über sie als etwa Markus. Vor allem sind es dann aber die sogenannten apokryphen Texte, in denen steht, was die Evangelien offenließen. Bereits aus dem 2. Jahrhundert stammt etwa das „Protevangelium des Jakobus“, das sich ausführlich mit Marias Geburt und ihrer Kindheit befasst (vgl. CIG Nr. 52/2016, S. 573).

Die offizielle Theologie und die Kirche haben die Bewegung des gläubigen Volkes hin zu Maria nachvollzogen. Ihre dogmatischen Feststellungen sind gewissermaßen logische Schlussfolgerungen. Wenn zum Beispiel erklärt wurde, dass Jesus immer schon „eines Wesens“ mit dem Vater war (325, Konzil von Nicäa), musste das auch Folgen für die Stellung Marias haben. Sie konnte dann nicht einfach einen Menschen geboren haben, der später irgendwie erleuchtet wurde. Sondern Maria gilt seither als „Gottesgebärerin“ (431, Konzil von Ephesus). Die späteren Jahrhunderte fügten dem noch weitere Aussagen hinzu: Maria wurde „heilig, immer jungfräulich und makellos“ genannt. Es wurde festgehalten, dass sie ohne Erbsünde empfangen wurde. 1950 erklärte man die leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel zum Dogma. Noch bis in die Gegenwart gibt es Bestrebungen, sie offiziell als „Mit-Erlöserin“ zu bezeichnen. Hinter all diesen Ehrentiteln lässt sich das „arme Landmädchen“ Mirjam, das Maria einst war, kaum noch erkennen, wie Dorothee Sölle schrieb.

Zwar war für die Kirche stets klar, dass Maria - auch als „Himmelskönigin“ - ausdrücklich nicht als göttlich gilt. Doch die Grenze ist fließend. Marienverehrung war und bleibt eine Gratwanderung, wie manch theologisch fragwürdiges Marienlied zeigt. „Ist es wirklich notwendig, die marianische Frömmigkeit noch mehr zu fördern? Gibt es nicht schon genug Leute, die sie übertreiben?“, fragte einmal Karl Rahner, spöttelnd in der Rolle eines Marienkritikers.

Maria ist keine christliche Göttin. Dennoch wird „Unsere Liebe Frau“ von den Gläubigen oft noch stärker verehrt als die ferner und unnahbar gedachte Gottheit. Das beobachtet der Züricher Religionswis­sen­schaftler Christoph Uehlinger. Er schreibt dies im Katalog zur Ausstellung „Die weibliche Seite Gottes“ (bis 8. Oktober im Jüdischen Museum Hohenems, Vorarlberg / Österreich). Für die Verantwortlichen der Schau ist ein Phänomen wie die Marienverehrung der Hinweis darauf, dass zu einem vollständigen, „heiligen“ Gottesbild auch weibliche Züge gehören. Wenn diese nicht mehr vorhanden sind beziehungsweise unterdrückt werden, fehle etwas. Schlimmer noch: Ein solches Gottesbild diene Männern dazu, ihre Macht zu erhalten. Denn auch dadurch legitimieren es die drei monotheistischen Religionen Judentum, Christentum und Islam, dass sie Frauen von religiösen Ämtern und Funktionen weitestgehend ausschließen.

Tatsächlich waren Bilder vom Göttlichen ursprünglich immer auch mit dem Weiblichen verbunden. Der rumänische Religionswissenschaftler Mircea Eliade (1907-1986) wies in seinem Standardwerk, der „Geschichte der religiösen Ideen“, nach, dass die „Polarität männlich - weiblich“ seit jeher eine „zentrale Funktion“ in den religiösen Vorstellungen der Menschheit hat. Erste, „primitive“ religiöse Ideen haben sich demnach zwar rund um Werkzeuge, Waffen, Tiere und tote Stammesgenossen entwickelt. Doch schon bei den Menschen der Altsteinzeit spielte die weibliche Sakralität, spielten auch Göttinnen eine Rolle.

Erst zwei schaffen Leben

Spätestens beim Nachdenken über die Schöpfung kam das Weibliche in den Götterhimmel. Natürlich haben die Menschen damals noch nicht ausdrücklich mit Gottfried Wilhelm Leibniz gefragt: „Warum ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts?“ Aber als die Steinzeitjäger sesshaft geworden waren und den Ackerbau gelernt hatten, erfuhren sie, dass sie vom Werden und Vergehen der Natur abhängig waren. Das ließ sie nach den Hintergründen dieses Kreislaufs fragen und danach, wie sie ihn kultisch beeinflussen konnten. Und so wie man erkannt hatte, dass es Zwei braucht, damit menschliches Leben entstehen kann - so ging man dann in vielen Religionen von (mindestens) zwei göttlichen Prinzipien aus. „Wahrscheinlich bezog man sich auf dieses Komplementärprinzip, um sowohl die Welt zu organisieren als auch das Geheimnis der Schöpfung und ihrer periodischen Erneuerung zu erklären“, schrieb Mircea Eliade.

Götter treten deshalb oft paarweise auf. Das ist ein naheliegender, „natürlicher“ Gedanke, der in vielen religiösen Vorstellungen begegnet. Am Anfang des babylonischen Schöpfungsmythos etwa stehen mehrere Götterpaare, beginnend mit Apsu und Tiamat. Der Held des ebenfalls babylonischen Gilgamesch-Epos ist Sohn einer Göttin und eines Sterblichen. Man kann auch an die aufeinander bezogenen Kräfte Yin und Yang im Daoismus denken, an den bunten Götterhimmel der Griechen und Römer sowieso.

Ist der Gott der Bibel da wirklich eine Ausnahme? Das wäre unwahrscheinlich, sagen die Ausstellungsmacher. Im antiken östlichen Mittelmeerraum sei Vielgötterei, Polytheismus, „selbstverständlich“ gewesen, schreibt Christoph Uehlinger. Unter Bibelwissenschaftlern ist es tatsächlich unumstritten, dass sich der Ein-Gott-Glaube im Judentum erst nach und nach entwickelt hat. Zeitweise wurden neben Jahwe auch andere Götter und eben auch Göttinnen verehrt.

Eine besondere Rolle kam dabei wohl Aschera zu. 1976 wurden bei Ausgrabungen Inschriften mit Segenswünschen gefunden, in denen von „Jahwe und seiner Aschera“ (vgl. Foto erste Seite) die Rede ist. Handelt es sich dabei um die biblisch bezeugte Göttin Aschera aus den Königsbüchern? Galt sie den Menschen als Jahwes Frau?

Auch eigentümliche Formulierungen in der ersten Schöpfungserzählung im Buch Genesis ziehen die Ausstellungsmacher zum Beleg für ihre These heran. Da ist zunächst der rätselhafte Plural, die Mehrzahl, wenn Gott spricht: „Lasst uns Menschen machen“ (1,26). Wer ist „uns“? Etwa Gott und Göttin, ein Götterpaar? Und wenn dann der Mensch als Bild Gottes eben auch nicht nur ein einziger ist, sondern Mann und Frau (1,27)? Legt das nicht denselben Rückschluss auf den „Bildgeber“, auf Gott, nahe?

„Die Sache lässt sich bei derzeitigem Stand der Quellen nicht eindeutig entscheiden“, urteilt Christoph Uehlinger. Er gibt jedoch zu bedenken: „Ist es mehr als ein Zufall, wenn alternative Formen der Religion, die … gerne und leichter Hand als ‚Magie‘ klassifiziert, wenn nicht gar deklassiert werden, in verschiedensten Zeiten und Kontexten oft gerade von Frauen praktiziert und gepflegt wurden?“

Der Mehrgötterei wurde jedenfalls nach und nach der Garaus gemacht. Das zweite Buch der Könige erzählt, wie König Joschija befahl, „alle Gegenstände aus dem Tempel des Herrn hinauszuschaffen, die für den Baal, die Aschera und das ganze Heer des Himmels angefertigt worden waren“ (23,4).

Die weitere Geschichte ist bekannt. Gott wird vor allem männlich gedacht, als Herr, König, Vater und Bruder. Wie diese Entwicklung auf die Spitze getrieben wird, lässt sich zum Beispiel an einem Bild wie Michelangelos „Erschaffung Adams“ in der Sixtinischen Kapelle ablesen. Dort ist es ein bärtiger alter Schöpfer, der dem männlichen Körper Adams mit seiner Fingerspitze Leben gibt. Wie weit ist das entfernt von der biblischen Erzählung! Und wieviel weiter noch von der Vorstellung eines Götterpaares!

Mit einem solchen Gottesbild wurde jedenfalls auch die Vorrangstellung der Männer im Kult untermauert. Die Frau wurde allzu oft abgewertet. Erst in der Mystik und dann in jüngerer Vergangenheit durch die feministische Theologie wurden die weiblichen Eigenschaften und Seiten Gottes wiederentdeckt. Es ist ein Verdienst der Ausstellung, dass sie darstellt, wie dies alle drei monotheistischen Religionen als bleibende Aufgabe haben.

„Gott ist immer größer.“ Daran hat Ignatius von Loyola erinnert. Selbstverständlich ist Gott auch größer als alle menschlichen Bilder und Vorstellungen von ihm. Auch die Kategorien männlich und weiblich können ihn nicht fassen.

Christoph Uehlinger fragt im Katalog behutsam, durchaus zweifelnd: „Ist es erlaubt, eine … Gottheit zu denken, die ohne Gender Bias (Geschlechtstendenz; d. Red.) auskommen würde? Käme diese Gottheit dem Anspruch einer eigentlich ‚heiligen‘ näher? Oder wäre sie am Ende auch nicht mehr als eine zeitbedingte, ideologiekritisch allzu leicht dekonstruierbare Wunschprojektion?“

Klar ist: Menschen brauchen Bilder, um von Gott zu reden. Diese Bilder sind stets ungenügend. Man muss daher immer darum ringen, sie offen genug zu halten.

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