WeltbischofssynodeDie Synode auf Papier

Der Schlussbericht der römischen Weltbischofssynode liegt auf deutsch vor. Er ist nicht leicht zu lesen - aber aufschlussreich.

Was wurde nicht alles gesagt, geschrieben und gesendet! Vor der römischen Weltbischofssynode über Ehe und Familie schien es fast so, als sollte sich in diesen drei Wochen das Wohl und Wehe der Katholiken und ihrer Kirche entscheiden. Viele Veröffentlichungen vermittelten den Eindruck: Entweder die 270 in Rom versammelten Kardinäle, Bischöfe, Ordensoberen und wenigen Laien würden die richtigen Worte finden - oder aber man könnte die Tore der Kirche bald für immer zusperren.

Am Ende hatten sich die Synodalen mit Mühe auf ein Abschlusspapier geeinigt. Bei den besonders umstrittenen Themen - dem Umgang mit wiederverheirateten Geschiedenen und Homosexuellen - wurde um die erforderliche Zweidrittelmehrheit hart gerungen. Der Abschnitt, der bei Geschiedenen mehr Abwägung im Einzelfall vorschlägt, fand sogar nur eine Stimme mehr als nötig. Befürworter und Gegner von Veränderungen in der Seelsorge standen sich in den heiklen Punkten derart unversöhnlich gegenüber, dass es nur zu vagen Formulierungen reichte. Anders wäre die hohe Zustimmungsrate, die man sich als Zeichen der „Einmütigkeit“ wünschte, nicht zu erreichen gewesen.

Die unmittelbaren Reaktionen auf die Synode waren kurz und heftig. Beobachter klopften den Schlussbericht („Relatio Synodi“) allein auf die beiden großen Konfliktthemen hin ab. Selbst die Katholische Nachrichten-Agentur übersetzte zunächst nur die entsprechenden drei Abschnitte 84 bis 86 ins Deutsche, in denen es um die wiederverheirateten Geschiedenen geht. Das Urteil der meisten Medien fiel reserviert bis negativ aus. Die katholische Kirche bleibe wohl doch eher „reformunfähig“.

Was angesichts der überhitzten Diskussionen im Vorfeld verwundert: Nach dem großen medialen Echo eingangs war danach nicht mehr viel zu hören. Die meisten Berichterstatter, aber auch Seelsorger und Laien, haben die Synode innerlich anscheinend abgehakt. Dass das Sekretariat der deutschen Bischofskonferenz erst jetzt, etliche Wochen nach Abschluss, eine deutsche Arbeitsübersetzung des Schlussberichts vorgelegt hat, wurde praktisch nicht wahrgenommen. Selbst die kirchliche Öffentlichkeit - wenn sie das Thema überhaupt noch interessiert - wartet ab, bis Papst Franziskus seine Sicht der Dinge darlegen wird. Einen Veröffentlichungstermin für dieses nachsynodale Schreiben gibt es noch nicht.

Familie, Pornografie, E-Mails

Das Synodendokument jedoch einfach zur Seite zu legen, hieße aber, sich gerade gegen das synodale Prinzip zu stellen, das zu Recht eingefordert wird. Mit was also haben sich die Synodenmitglieder in den drei Wochen im Oktober in Rom eigentlich befasst? Zunächst: Das Abschlussdokument ist - selbst für geübte Leser kirchenamtlicher Schreiben - nicht leicht zugänglich. Die einzelnen Abschnitte sind extrem abwägend, oftmals sehr allgemein, weitschweifig formuliert, um Ausgleich bemüht. Hinzu kommt: Die Themenfülle ist erdrückend. Es geht um Biotechnologie und Fortpflanzungsmedizin genauso wie um die Nutzung von E-Mails. Der Text befasst sich mit Witwen, ehelos lebenden Menschen, er geht auf alte, behinderte Menschen ein. Angeprangert werden Pornografie und Prostitution ebenso wie sexuelle Ausbeutung von Kindern und Gewalt gegen Frauen.

Zudem hat vieles, was in dem Dokument diskutiert wird, keineswegs einen besonderen Bezug zum Familienthema. Der Zusammenhang erschließt sich nicht immer. Religiöser Fanatismus, „Euthanasie und assistierter Suizid“ (Nr. 20), die „Zunahme an Konflikten, der Rückgang der Ressourcen und die Migrationsbewegungen“ (9) sind ja Bedrohungen für die gesamte Menschheit, nicht nur für die Familien. Außerdem heißt es: „Einige gesellschaftliche und religiöse Gruppen finden sich überall an den Rändern der Gesellschaft: Migranten, Sinti und Roma, Obdachlose, Flüchtlinge und Asylsuchende, die nach dem Kastensystem Unberührbaren sowie diejenigen, die unter Krankheiten leiden, die mit einem gesellschaftlichen Stigma behaftet sind“ (15). Warum steht das hier zur Debatte? Die Antwort überzeugt nicht wirklich: „Auch die Heilige Familie von Nazareth hat die bittere Erfahrung der Ausgrenzung und der Ablehnung gemacht“.

Der Bericht gliedert sich in drei große Teile: „Die Kirche im Hören auf die Familie“, „Die Familie im Plan Gottes“ sowie „Die Sendung der Familie“. Wer will, kann darin den bewährten methodischen Dreischritt vom Sehen, Urteilen und Handeln erkennen. Allerdings wird diese Gliederung nicht durchgehalten: In allen Kapiteln gehen Beschreibungen und konkrete Forderungen munter durcheinander. Man ist also aufgefordert, „quer“ zu lesen, die Aussagen aus dem gesamten Dokument zusammenzutragen.

Dabei gibt es durchaus einiges zu entdecken, zum Beispiel zunächst viele positive, ja schöne Formulierungen über die Familie. Sie wird als „Grund und Lebenszelle der Gesellschaft“ (92) bezeichnet. Sie sei, so heißt es in Anlehnung an das Dokument „Gaudium et spes“ des Zweiten Vatikanischen Konzils über die Kirche in der Welt von heute, „die erste und grundlegende Schule der Menschlichkeit“ (2). Die Familie könne ein „liebevolles, tragfähiges und generationenübergreifendes Netzwerk“ (4) sein. „Die Stabilität familiärer Bindungen erhält weiterhin überall die Welt am Leben“ (5).

Die Hauskirche

Selbstverständlich belassen es die Synodenteilnehmer nicht bei innerweltlichen, soziologischen Beschreibungen der Familie. Sie ist in christlicher Sicht eben mehr als eine säkulare, rechtlich verfasste Institution. Sie gehört zur Sphäre Gottes. Familie sei ein „Geschenk Gottes“ (5), Ehe ein „heiliges Zeichen, in dem die Liebe Gottes für seine Kirche wirksam wird. Die christliche Familie ist daher Teil der gelebten Kirche: eine ‚Hauskirche‘“ (4). Die Synode sieht die Familie „als unverzichtbares Subjekt der Evangelisierung“ (2), sie habe eine „missio­narische Identität“ (3).

Deshalb wird auch bereits im Titel des Dokuments von der „Berufung und Sendung“ der Familie gesprochen. Die Rede vom Berufen-Sein im Zusammenhang mit Familie ist zwar nicht völlig neu. Schon vor mehr als dreißig Jahren beschrieb Papst Johannes Paul II. in seinem Apostolischen Schreiben „Familiaris consortio“ - auch das nach einer Familiensynode - die familiäre Gemeinschaft mit ähnlichen Worten. Trotzdem ist diese Redeweise, die man früher nur von den geistlichen Berufen kannte, immer noch ungewohnt.

Dabei macht das Dokument jederzeit klar, was die Kirche als Familie versteht - und was eben nicht. Familie ist demnach nicht einfach nur dort, wo Kinder sind, wie es in der Politik, inzwischen auch bei den „C“-Parteien, gerne heißt. Auch die „plurale Familienwirklichkeit“, von der beispielsweise das Zentralkomitee der deutschen Katholiken sprach, ist nicht der Bezugsrahmen der Synode. Die Familie gründet vielmehr auf dem verbindlichen „Bund zwischen Mann und Frau“ (52). Sie ist der „Ort der persönlichen Liebe, welche das Leben weitergibt“ (4). „Das Christentum verkündet, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen und sie gesegnet hat, auf dass sie ein Fleisch werden und das Leben weitergeben“ (58). Alle anderen Formen des menschlichen Zusammenlebens gelten demgegenüber zumindest als „unvollkommen“ (53).

Diese Familie ist nach Ansicht der Synodenteilnehmer gefährdet. Es gebe „Hindernisse, Verständnislosigkeit und Leiden“ (1), „Herausforderungen“ (4), „Abnutzungserscheinungen“ (11), ja sogar „Anzeichen einer Krise der Institution Familie“ (2).

Die Welt ist - negativ

Die Synodalen werfen einen sehr pessimistischen Blick auf die moderne Welt. Demnach leben wir „in einer von Individualismus und Hedonismus geprägten Zeit“ (34), in einer „überzogenen individualistischen Kultur des Besitzes und des Genusses“ (8). Dies „entstelle“ die familiären Bindungen (5). Es gebe ein „übersteigertes Streben nach sozialem Erfolg und wirtschaftlichem Wohlstand“ (6), eine „wachsende Vorherrschaft der Logik des Marktes, welche die Räume und Zeiten eines authentischen Familienlebens beschneidet“ (91). Während diese Kapitalismus- und Konsumkritik schon ausgesprochen düster klingt, wird die strukturelle Benachteiligung von Familien, etwa in der Wirtschafts- und Sozialpolitik, noch schärfer gebrandmarkt. Dabei handele es sich nämlich um eine „Veruntreuung von Ressourcen, die für die Familien bestimmt sind“ (9).

Beklagt wird auch, dass Jugendliche keine endgültigen Verpflichtungen mehr eingehen wollen (7). In vielen Teilen der Welt, „nicht nur im Westen“, verbreite sich „die Praxis des Zusammenlebens der Paare vor der Ehe oder auch das Zusammenleben ganz ohne die Absicht, eine institutio­nalisierte Bindung einzugehen“ (25). Die Bischöfe bedauern den Geburtenrückgang in den Industrieländern und machen dafür unter anderem „die sexuelle Revolution“ und „die Zunahme einer Verhütungs- und Abtreibungsmentalität“ verantwortlich. Auch „eine bestimmte Spielart des Feminismus“ wird kritisiert, weil sie „das Muttersein als einen Vorwand für die Ausbeutung der Frauen und ein Hindernis für ihre volle Verwirklichung anprangert“ (8). In diesem Zusammenhang verurteilen die Synodalen die „‚Gender‘-Ideologie“, da sie „die anthropologische Grundlage der Familie“ aushöhle (8). Negativ sehen die Synodenteilnehmer auch die „kontinuierliche Schwächung der erzieherischen Rolle der Eltern aufgrund der aufdringlichen Präsenz der Medien innerhalb der Familie und der Tendenz, anderen diese Aufgabe zu übertragen oder vorzubehalten“ (67). Im Nebensatz wird so die frühkindliche Erziehung in - auch katholischen - Tageseinrichtungen kritisiert.

Diese negative Sicht auf die Welt wird erstaunlicherweise von den allermeisten Synodenteilnehmern geteilt. Bei den entsprechenden Abschnitten gab es nur vereinzelt Gegenstimmen. Nach der Bestandsaufnahme der Situation der Familien legt die Synode im zweiten großen Teil die kirchliche Sicht von Ehe und Familie dar. Dieser Abschnitt bringt keine Überraschungen, aber positive Formulierungen. Etwa: „Mann und Frau setzen mit ihrer fruchtbaren, das Leben weitergebenden Liebe das Schöpfungswerk fort und wirken durch die Aufeinanderfolge der Generationen mit dem Schöpfer an der Heilsgeschichte mit“ (39). Wer eine Familie gründet, ist Mitarbeiter Gottes.

Der abschließende Teil erläutert, was zu tun sei - und beginnt wieder erst einmal mit negativen Einschätzungen. Leider würden die Menschen das „Evangelium der Familie“, also die kirchliche Lehre, nicht als „Antwort auf die tiefsten Erwartungen des Menschen“ auffassen. Vielfach werde „die Bedeutung von Worten wie Hingabe, eheliche Liebe, Treue, Fruchtbarkeit und Zeugung“ nicht mehr verstanden (56). Die beiden Umfragen im Vorfeld der Synoden hatten dies tatsächlich deutlich gezeigt.

Hauptaufgabe sei es also, den christlichen Sinn von Ehe und Familie den Menschen - auch den Katholiken - besser zu vermitteln. Es brauche eine „neue und angemessenere Sprache“ (56). Man müsse sich mehr um Ehevorbereitung, die Eheliturgie, die seelsorgliche Begleitung junger Paare und Familien bemühen.

Um zu unterstreichen, dass sich an der Lehre nichts ändert, erinnert das Schlussdokument an einige ethische Grundsätze der christlichen Sexualmoral. Dazu gehört die „vorbehaltlose Offenheit gegenüber dem Leben“, also das Verbot sogenannter künstlicher Empfängnisverhütung. In Erinnerung an die Enzyklika „Humanae vitae“ wird darauf verwiesen, dass zur Geburtenkontrolle lediglich erlaubt ist, den Geschlechtsverkehr auf die unfruchtbaren Tage im Zyklus der Frau zu beschränken (63). Vorangestellt - und einstimmig angenommen - heißt es übrigens: „Die Anwesenheit kinderreicher Familien in der Kirche ist ein Segen für die christliche Gemeinschaft und für die Gesellschaft“ (62).

Auch der Schlussteil spricht viele verschiedene Themen an, darunter, dass die Eltern sich um Priesternachwuchs aus ihrer Familie sorgen sollen. In diesem Teil des Dokuments kommen dann auch die Themen zur Sprache, auf die in Deutschland fast ausschließlich Bezug genommen wurde. Die Synodenteilnehmer verweisen zum Beispiel auf die jüngsten Vereinfachungen einer kirchlichen Eheannullierung (82).

Bei den wiederverheirateten Geschiedenen ringt sich die Synode zu der umständlichen Formulierung durch: „Für die christliche Gemeinschaft bedeutet es keine Schwächung ihres Glaubens und ihres Zeugnisses im Hinblick auf die Unauflöslichkeit der Ehe, sich um diese Menschen zu kümmern.“ Kümmern bedeutet: Sie müssen „als lebendige Glieder der Kirche leben“ dürfen. Freilich nicht mit allen Rechten, wäre da hinzuzufügen - also ohne Sakramentenempfang. Dennoch dürften sie „sich nicht … als exkommuniziert fühlen“ (84). Angemahnt wird etwa zu unterscheiden, wie eine Ehe auseinanderging, wer „Schuld“ hat. Hier scheint tatsächlich Spielraum für eine differenziertere Praxis als bisher zu sein.

Klar abgelehnt wird eine „Ehe für alle“, faktisch also eine eheähnliche Institutionalisierung gleichgeschlechtlicher Beziehungen. Es sei „vollkommen unannehmbar“, dass diesbezüglich - etwa von der Politik - auf die Ortskirchen Druck ausgeübt werde. Familien, in denen Menschen „mit homosexueller Orientierung“ leben, bräuchten allerdings die Begleitung durch die Kirche.

Ökumene kommt in dem gesamten Dokument fast nur negativ vor, als „Schwierigkeit“ (25) oder mit ihren „Problemen“ (72) und „kritischen Aspekten, die nicht einfach gelöst werden können“ (74). „In den Ländern, in denen die Präsenz der katholischen Kirche eine Minderheit darstellt, gibt es viele konfessions- und religionsverschiedene Ehen“, stellt die Synode lakonisch fest. Dies, so die Bischöfe weiter, berge die Gefahr des Relativismus oder der Gleichgültigkeit (25). Im Abschlussteil wird auch daran erinnert: „Obgleich den Gatten einer bekenntnisverschiedenen Ehe die Sakramente der Taufe und der Ehe gemeinsam sind, kann die gemeinsame Teilnahme an der Eucharistie nur im Ausnahmefall erfolgen“ (72).

Die „Wirklichkeiten“

Papst Franziskus hat rund um die Familien­synode mehr als einmal deutlich gemacht, wohin er die Kirche führen will. Nicht von ungefähr hat er zwischen den Synoden das heilige Jahr der Barmherzigkeit ausgerufen. Falls die Versammlung der Bischöfe ihm zeigen sollte, wie die lehramtliche Stimmungslage dazu ist, wie weit er gehen kann, ohne die Kirche zu zerreißen - dann fällt das Ergebnis ernüchternd aus. Wo die Bischöfe als Einheit etwas Innovatives wagen sollten, wird vielfach nur das Bekannte wiederholt.

Vielleicht liegt der größte Wert der Versammlung und des Schlussdokuments darin, dass etwas angestoßen wurde. Und dass sich zeigt, wie unterschiedlich die Situation der Familien weltweit ist. Die einen arbeiten sich an Polygamie oder arrangierten Ehen ab, für andere stellt sich eher die Frage nach Trennung und Wiederheirat. Man habe „versucht …, die Wirklichkeit, besser noch: die Wirklichkeiten von heute … zu sehen und zu deuten“, so der Papst in seiner Erklärung zum Ende der Beratungen. Es sei deutlich geworden, „dass das, was einem Bischof eines Kontinentes als normal erscheint, sich für den Bischof eines anderen Kontinents als seltsam, beinahe wie ein Skandal herausstellen kann“.

Vielleicht liegen in dieser Richtung auch die Lösungsmöglichkeiten, Spielräume für dezentrale Entscheidungen. Das Schlussdokument ist - gemessen an den geballten Debatten im Vorfeld - jedenfalls eine Enttäuschung. Aber vielleicht ist von Papieren auch weniger zu erwarten als vom Leben selbst, von den Familien also, die um den christlichen Glauben ringen und dabei nicht nachlassen.

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