Shoa-GedenkenDie letzten Gerechten

Ein ergreifendes Buch würdigt 17 „Gerechte unter den Völkern“ und setzt ihnen ein fotografisches Denkmal.

Helfen war für Maria Łopuszańska Née Jętkiewicz ein menschliches Bedürfnis. Mit 16 Jahren kümmerte sie sich allein um ein jüdisches Waisenkind. Die heute 97-Jährige gehört zu den letzten noch lebenden „Gerechten unter den Völkern“. Diesen Ehrentitel verleiht die Holocaust-Gedenkstätte Yad Vashem nicht-jüdischen Menschen, die während des Nationalsozialismus unter Lebensgefahr und uneigennützig Jüdinnen und Juden gerettet haben. Durch ihr Handeln sind sie bis heute Vorbilder der Menschlichkeit. „Wir haben getan, was jeder hätte tun müssen“, bringt es Rudolf Kosiba auf den Punkt. Mehr als 28000 Menschen erhielten den Titel „Gerechte unter den Völkern“, weniger als 100 sind heute noch am Leben. 17 von ihnen haben die beiden Fotografen Lydia Bergida und Marco Limberg in Polen besucht. Das Buch Auf derselben Seite wie auch eine gleichnamige Wanderausstellung schlagen eine Brücke von der Vergangenheit in die Zukunft, wenn die Zeitzeugen ihre Botschaften für die nächsten Generationen festhalten. „Sie zeigen uns: Erkennen allein genügt nicht – man muss handeln“, schreiben Bergida und Limberg. Von rund 11000 Fotos werden in Ausstellung und Buch etwa 120 gezeigt. „Wir können von ihnen lernen, menschliche Güte zu zeigen, aufzustehen und die Stimme zu erheben, sich Unrecht entgegenzustellen.“ Die Bezeichnung „Gerechte unter den Völkern“ stammt aus dem Talmud. Hier wird auch die Bedeutung jedes einzelnen Lebens in der jüdischen Ethik herausgestellt: „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“

Zu sehen sind die hochbetagten Retter in den eigenen vier Wänden, im Beisein von Familienangehörigen. In diesem Umfeld haben sie über ihre Botschaft, ihre Motive, ihre Werte erzählt. Die Fotografien machen das jeweilige Gegenüber nahbar ebenso wie die jeweilige Rettungsgeschichte sowie Reflexionen über die heutige Lebenswirklichkeit. Die aktuellen politischen Ereignisse treiben auch die Porträtierten um: Kriege, Hass und der zunehmende Antisemitismus. Manche gehen mit über 90 Jahren auf Demonstrationen. Der Bildband wird so zu einem fotografischen Denkmal und Zeitdokument – und zum eindringlichen Appell für Menschlichkeit, Zivilcourage, Haltung und Verantwortung.

Aktive Hilfe unter dem NS-Regime war selten. Aus Deutschland kamen vergleichbar wenige Retter. Und damit werden Fragen aufgeworfen, auf die sich nur schwer Antworten finden lassen: Wie viele hätten noch gerettet werden können? Was wäre nötig gewesen, um dem Vernichtungsapparat die Stirn zu bieten? War dieses kollektive Wegsehen einfach nur der Weg des geringsten Widerstands? Hatte nicht jeder und jede eine Wahl? Dem eigenen Herzen, dem eigenen Gewissen zu folgen? Mitgefühl zu zeigen? „Niemand war verpflichtet zum Gehilfen des Mordes zu werden“, schreibt Charlotte Knobloch im Geleitwort zum Bildband. In den 28000 Gerechten aus 51 Ländern sieht die ehemalige Präsidentin des Zentralrats der Juden in Deutschland „eine verschwindend geringe Zahl unter Hundert Millionen Europäern“. Sie selbst verdankt ihr Leben einer mutigen Frau, die ebenfalls mit dem Ehrentitel ausgezeichnet wurde: Kreszentia Hummel (siehe CIG Nr. 34/2022, S. 7). Daher betont Knobloch: „Die eindringlichen Fotografien erinnern uns daran, dass es inmitten des tosenden Sturms von Hass, Mord und Gewalt auch Inseln der Menschlichkeit gab.“ Eine dieser Inseln war auch Tadeusz Stankiewicz (1930–2024). Seite an Seite hat er mit Juden gelebt, erzählt er. Von ihm stammt auch das Zitat auf dem Buchtitel. „Wir waren doch alle auf derselben Seite. Wir waren Menschen.“

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