Warum die Kirche nicht Vertrauen zurückgewinnen, sondern zunächst einmal Vertrauen schenken mussBasiskatechese Anerkennung und Würde

Die Vertrauenskrise der Kirche bringt uns in die Not Vertrauen zurückzugewinnen, doch das ist schon im Ansatz falsch. Zunächst müssen wir als Kirche Vertrauen schenken. Die Kinderkatechese ist dafür der beste Ort: Sie taugt für eine „Offensive der Wertschätzung“, für einen „Kniefall vor der Lebensleistung von Familien“ und für die „Mission, Anerkennung und Würde erfahrbar zu machen“.

Beruflich bin ich nicht als Katechetin tatig. Ich bin Katechetin im Familienamt, ich mache Familienkatechese im ursprünglichen Sinn. Ich „unterweise“ (catecheo) meine beiden Kinder im Glauben und ich furchte, es geht mir wie vielen Eltern: Kirchlich bin ich nicht besonders erfolgreich, katholisch auch nicht. 

Als Katechetin habe ich ein einfaches Ziel: Ich mochte, dass meine Kinder spuren, dass Gott in ihrem Leben anwesend ist und dass sie sich immer auf Gott beziehen können. Gott füllt den Raum, in dem sie sich aufhalten, Gott ist ihnen zugewandt, wenn sie ihn bzw. sie brauchen. Deshalb beten wir mit ihnen zwei einfache Gebete: ein Tischgebet und ein kindgerechtes Abendgebet. Und deshalb segnen wir sie: Damit sie auf der Haut spuren, dass Gott ihnen zugewandt ist. Das ist alles. Ich habe Theologie studiert, bin doktoriert und habe 25 Jahre pastoraltheologische Berufserfahrung, aber meine Familienkatechese ist so klar wie das Wasser und so einfach wie das Atmen. 

Auch als Mutter habe ich ein schlichtes Ziel: lieben und lassen. Ich mochte, dass meine Kinder eine Liebe erfahren, die bedingungslos ist und die sie dennoch nicht einengt. Liebe ist für mich Zugewandtsein und Präsenz, die weniger in Worten als in deutlichen Gesten sichtbar wird. Ich mache vieles falsch. Meine Kinder sagen, ich erteile ständig Befehle, motze zu viel herum, bin also alles andere als perfekt. In vielem werde ich meinen Kindern nicht gerecht, aber sie lieben und lassen, das kann ich Gott sei dank. Darin bin ich so gut es geht. 

Zur Überprüfung meines Katechese- und Erziehungskonzepts habe ich meine zehnjährige Tochter gefragt, was für sie das Wichtigste an Gott ist. Ihre Antwort: „Dass Gott auch eine Frau sein kann.“ Und ich habe sie gefragt, was das Wichtigste an mir ist. Ihre Antwort: „Dass ich nett bin und sie mag.“ 

„You are kind. You are smart. You are important“. 

In dem Film „The Help“ von 2011, der in Amerika mitsamt der Buchvorlage ein Riesenerfolg war, sagt das schwarze Hausmadchen Aibileen zu dem weißen Kleinkind, das sie zu betreuen hat: „You are kind. You are smart. You are important.“ Formlich wie ein Mantra wiederholt sie diesen Satz täglich und besonders in Situationen, in denen die kleine Mae Mobley eine schlechte Erfahrung machen musste. Immer wieder soll auch die Kleine den Satz nachsprechen und ebenso am Ende des Films, als Aibileen gefeuert ist, gibt sie ihn ihr als Vermächtnis mit auf den Weg: „You are kind. You are smart. You are important“. Aibileen, eine schwarze Kinderfrau in den Sudstaaten der 60er Jahre hat diese Erfahrung im Umgang mit Weißen nie gemacht. Aber sie kennt sie dennoch, denn in ihrer täglichen Gebetspraxis vergewissert sie sich dieser Anerkennung und Wurde Gottes und vermag sie daher weiterzugeben. 

Anerkennung und Würde 

„Dass Gott auch eine Frau sein kann.“ „You are kind. You are smart. You are important.“ Zwei Satze, die das Gleiche besagen. Sie sprechen von der Wurde und Anerkennung, die einem Menschen zugesprochen wird, weil sie ihm zusteht: der kleinen Mae Mobley, von der Aibileen sagt, dass sie keinen Schönheitswettbewerb gewinnen wird; der nicht mehr ganz so kleinen Amelie, die ihre weibliche Identität als wertvoll erfahrt, weil auch Gott eine Frau sein kann. 

Beide, Mae Mobley und Amelie, sind auf der reichen Seite der Erdkugel geboren, sie haben Zugang zu Geld und Bildung, sie haben Menschen, die sich um sie kümmern. Anerkennung und Wurde sind auf den ersten Blick kein Problem in reichen Nationen mit finanziellen, kulturellen und personellen Ressourcen. Dennoch sind Kind- und Jugendsein in unserer Gesellschaft gefährdet. Kinder sind überwiegend Wunschkinder, die allzu schnell zu Wunderkindern werden müssen. Eltern der mittleren und oberen Schicht haben Plane mit ihren Kindern und leider auch die Mittel, sie durchzusetzen. Doch darf das Problem dabei nicht individualisiert werden. Eltern reagieren auf gesellschaftliche Anforderungen, die sie am eigenen Leib spuren oder auf ihre Kinder zukommen sehen. Sie wollen, dass etwas aus ihren Kindern wird, und gemäß dem kapitalistischen Prinzip muss das ein bisschen mehr sein als das, was aus den Eltern geworden ist. Sie wollen, dass ihre Kinder in der oberen oder mittleren Liga mitspielen können, um so mehr, wenn Frauen für diese Kinder auf ihr eigenes Fortkommen verzichtet haben. So passiert es, dass Eltern am liebsten mit ins Klassenzimmer kommen und dem Kind bei der Klassenarbeit Handchen halten. So passiert es, dass Eltern jeden Schritt ihrer Kinder dank Handy und Facebook beobachten, dass ja keine Zeit vertrödelt wird und jeder Schritt und Tritt einem vermeintlich höheren Zwecke dient. Wir Eltern spinnen. Wir haben die Hosen voll, was die Zukunft unserer Kinder betrifft und übertragen unsere Ängste auf die lieben Kleinen, denen wir eigentlich ein schönes, sorgenfreies Leben bescheren wollen. Stattdessen absolvieren Familien und Kinder Leistungsprogramme mit hohem Tempo und beispielsweise die Kinderkatechese der Erstkommunion wird dann automatisch eines davon: Elternabende, Termine, Vorbereitungen, Fest. Fur Eltern stehen diese Programme zur Lebens-Fitness ihrer Kinder in einer Reihe, die Anforderungen sind immer gleich. Elternabende machen auch die Musikschule, die Ganztagesbetreuung und das Sportcenter. Am Ende gibt es auch da eine Aufführung oder eine Feier, fur die man Kuchen backen muss und eine neue Garderobe braucht. So geht das Kind beispielsweise in der 2. Klasse in die Theater-AG mit großem Showdown am Ende, in der 4. Klasse soll es in den Trommelworkshop und in der 3. Klasse steht das ganze Programm mit der Erstkommunion an. Dann noch Sport, Chor und Musikunterricht und an erster Stelle natürlich die Schule. Doch wo ist der Unterschied? Für die Kinder ist alles mehr oder weniger Schule, Unterricht, Leistung, still sitzen, etwas produzieren, Ergebnisse liefern, etc. etc. 

Wo bleiben Anerkennung und Wurde, ausgedruckt in „So wie du bist, ist es gut“, „Du bist wichtig, alles andere ist weniger wichtig“, „Glücklich und zufrieden sollst du werden, das ist es, was aus dir werden soll“, und versinnbildlicht in unverplanter Zeit fur Chillen und füreinander? 

Vor diesem Hintergrund brauchen wir eine Basiskatechese, die nichts will, nichts fordert, nichts erzielen will außer: „In the name of God: You are kind. You are smart. You are important.” Dies gilt zunächst den Kindern und Jugendlichen, aber auch die Eltern brauchen in ihrer erzieherischen Verunsicherung diese Zusage von Vertrauen und Zutrauen. Erziehen ist in einer komplexen Welt schwieriger geworden, aber gerade deshalb tut die Reduzierung der Erziehungsaufgabe auf wenige Basics Not: „Vertraue deinem Instinkt“, „Lasse mehr als dass du machst“, „Vertraue Gott und deinem Kind, dass Gott bzw. dein Kind dich überraschen können“. 

Der Zusage glauben 

Auf die Kinderkatechese übertragen ergeben sich zwei Aufgaben: Erstens die Katechese praktiziert im Namen Gottes die Zusage von Anerkennung und Wurde und zweitens sie zeigt Eltern und Kindern, wie sie diese Zusage in ihrer Familie leben und erleben können. 

In den vergangenen anderthalb Jahren ist viel von der Vertrauenskrise der Kirche die Rede. Seither sind die Diözesen auf allen Ebenen mit der Frage beschäftigt, wie sie verlorenes Vertrauen wieder zurückgewinnen konnen. Dabei ist immer eine Einseitigkeit im Spiel: Es geht um das Vertrauen der Menschen in die Kirche, in ihr Personal und in ihre Sache. Doch Vertrauen erntet eine Institution nur, wenn sie den Menschen, mit denen sie zu tun hat, Vertrauen entgegenbringt. „Soziale Verortung“ (Rene John/ Holger Knothe) von Individuen in Gemeinschaften setzt Anerkennung seitens der Gemeinschaft voraus. Anerkennung heißt: emotionale Zuwendung, kognitive Achtung und soziale Wertschatzung. Nur wenn die Gemeinschaft einem Einzelnen oder einer Familie signalisiert, dass er/sie dazugehört („Du gehörst dazu …“) mit seinen oder ihren genuinen, eigenen, erworbenen und zugeschriebenen Eigenschaften („… so wie du bist!“), werden diese ihre Zugehörigkeitsbehauptung und ihren Vertrauensvorschuss in Richtung Vertrauen und Vergemeinschaftung entwickeln können. 

Die Katechesen mit Kindern und Familien spielen dabei eine große Rolle. Dürfen wir doch davon ausgehen, dass ca. 60 % der Kirchenmitglieder „Kasualienfromme“ (Johannes Forst) sind, Menschen, deren spezifischer Kirchenmitgliedschaftstyp darin besteht, an Taufe, Erstkommunion, Firmung, Trauung und Beerdigung teilzunehmen und auf diese Weise ihre Religiösitat und Kirchenzugehörigkeit zu leben. Ihre Einstellung zur Kirche ist eher distanziert, d.h. fragil im Blick auf die soziale Verortung. Ohne Anerkennung ihrer Weise, Kirche und Religion zu leben, ohne Wertschatzung ihrer Lebensleistungen und Bemühungen, Kinder aufzuziehen und in Kontakt mit Religion zu bringen, werden sie sich nicht auf das einlassen können, was ihnen in katechetischen Prozessen vermittelt werden will. 

Der Kontakt der Kirche mit Kindern und Eltern anlässlich der Kasualien ist die beste Gelegenheit für eine „Offensive der Wertschatzung“ (Eckhard Raabe). Die Stellvertreterrolle kommt nicht dem Priester qua Weihe zu, sondern ist eine Funktion aller haupt- und ehrenamtlichen Akteure in der Kinderkatechese. Die Anerkennung, die Kindern und Eltern entgegengebracht wird, ist Platzhalter für die Anerkennung und Wurde, die Gott jedem Menschen zuspricht. Nur wenn sich das kirchliche Personal für die Eltern und Kinder, ihre Erfahrungen und Schwierigkeiten, ihr Gluck und Elend interessiert, ist das Interesse Gottes glaubhaft. Der Zusage können Menschen nur glauben, wenn sie die Zusage erleben. Erst dann können sie sie auch in den Situationen anwenden, in denen ihre Wurde mit Fußen getreten wird. 

Das einfache Ritual als Glaubensmotor 

Zu Hilfe kommt bei diesem auch schwierigen Unternehmen das Ritual. Denn das Ritual schafft eine Wirklichkeit, die ein Stuck weit unabhängig ist von der konkreten Situation. Das Ritual hat manchmal sogar die Kraft, die konkrete Situation mit der Ritualmacht zu überziehen und ihre Konfliktträchtigkeit aufzulosen. In der alten Lehre der Kirche, die behauptet, dass das Sakrament auch unabhängig von der Disposition der Spenderin und des Empfängers wirkt (ex opere operato), steckt diese Erfahrung, dass das Ritual über die konkrete Situation hinausgeht, das Fragmentarische der Situation und ihrer Akteure übersteigt und auch in eine schwierige Situation hinein vom Heil sprechen kann. 

Glaube ist kein Geschenk, das der eine von Gott bekommt und der andere nicht. Glaube ist keine Gnade, die den einen vorenthalten wird und den anderen reichlich zusteht. Glaube ist auch keine Leistung. Es ist keine Leistung, wenn man etwas glauben kann, was andere für Nonsens halten. Glaube ist etwas, was man zunächst erfahren muss, dass nämlich jemand an einen glaubt, und dann üben kann in einfachen Ritualen. Rituale haben genau diese Aufgabe, den Glauben gegenwärtig und erfahrbar zu machen. So kommen Menschen sonntags zum Gottesdienst, weil ihr Glaube im Alltag brüchig geworden ist, um im Ritual zu erleben, dass dennoch gilt, was im Ritual inszeniert wird: Gott schenkt sich uns. Und genauso erleben Kinder den Schulalltag oft als Anstrengung und manchmal auch als Demütigung, um abends im Ritual auf der Bettkante zu erleben: Es ist alles gut. Gott liebt mich und meine Mama, mein Papa oder meine Schwester tun es auch. Glaube ist ein „blödes Wort“, denn man assoziiert allzu schnell Glaubensinhalte und Glaubensnormen und ein Vermögen, diese Inhalte zu bejahen. Viel wichtiger aber ist das aktuelle Erleben, das gegenwärtig setzt, was als Glaube gespeichert ist: Es ist wahr. Es ist in dieser Symbolhandlung zu erleben und deshalb glaubbar: Gott schenkt dir Anerkennung und Wurde. 

Vier Schritte einer Katechese voll Anerkennung und Würde 

Um das Gesagte praktisch werden zu lassen, konkretisiere ich es im Blick auf die Erstkommunion und schlage vier Schritte vor, die sich zum Beispiel in insgesamt vier Liturgien inszenieren lassen: 

  1. Zeigen Sie den Eltern und Kindern in Wort und Tat: Gott ist ihnen zugewandt, er begleitet und unterstutzt ihr Familienleben, er geht mit ihnen ihren Weg. Eine Möglichkeit: Jede Familie wird als Gruppe in die Mitte gerufen, begrüßt, beglückwünscht und gesegnet.
  2. Zeigen Sie den Eltern und Kindern, wie sie diese Erfahrung in ihrer Familie wiederholen und aktualisieren können: durch Segen, durch einfache Gebete, durch kleine Rituale und mehr noch durch Zugewandtsein und Liebe. Eine Möglichkeit: Üben Sie kleine Rituale miteinander ein und ermutigen Sie die Familien, dies zu Hause zu probieren.
  3. Zeigen Sie den Familien, dass Gott sie nahren und starken will - besonders dann, wenn jemand traurig ist, wenn es Streit gab, wenn das Miteinanderleben schwierig ist. Weil Gott das ganz wörtlich meint, machen wir das ganz sinnlich. Im Zeichen von Brot erleben wir, dass Gott uns stärkt und nährt. Eine Möglichkeit: Lassen Sie dem Raum, was traurig macht und schwierig ist, und teilen Sie dann feines Brot aus, das schmeckt und stärkt.
  4. Und dann feiern Sie Erstkommunion. Feiern Sie, dass Gott in die Familien kommt und bleibt und stärkt und nährt.

Vielleicht kehrt wie im Evangelium einer von zehn zurück, vielleicht auch nicht. Setzen Sie dennoch auf das Danach und zeigen Sie davor nur, worum es eigentlich geht: „You are kind, you are smart, you are important. Gott sagt es dir jeden Tag. Damit du es aber hören und glauben kannst, sagen wir es dir heute (und auch in Zukunft) in der Kirche und auch deine Eltern mögen es dir sagen und zeigen - jeden Tag.“ 

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