Erntedank vor dem Hintergrund von Laudato siGerechtigkeit ernten

In den europäischen Ländern wird im Herbst Erntedank gefeiert. Doch das ist nur die westliche Perspektive. Denn der Dank für die Ernte wandert Jahr für Jahr um die Erdkugel. Die Zeiten der Aussaat wechseln in den Kontinenten und Klimazonen. Tag für Tag werden irgendwo auf der Welt Früchte gepflückt, wird Korn eingebracht und Gemüse geerntet. Erntedank ist ein weltweites Fest. Und so kann der Blick an Erntedank weit über den geschmückten Altar am Erntedanksonntag hinausreichen.

Fazit

Die Enzyklika Laudato si’ gilt als ökologisches und soziales Grundsatzpapier. Doch sie liefert auch eine Lesehilfe für den ganz konkreten Umgang mit der Schöpfung. So kann sie auch für das Erntedankfest neue Impulse bereitstellen.

Dieser andere Blick kann vor Ort beginnen. Etwa beim Müll. Die etwas angetrocknete halbe Zwiebel, der Joghurt, der drei Tage über dem Mindesthaltbarkeitsdatum ist, der kleine Essensrest, der schon ein bisschen trocken scheint: Das und viel mehr landet in den westlichen Ländern in der Tonne, obwohl es noch zu verwerten wäre. Studien belegen: Jede und jeder Deutsche wirft im Durch schnitt pro Jahr über 200 Kilo genießbare Lebensmittel weg. Auf die Welt hochgerechnet hieße das: Etwa ein Drittel des Essens, das an gebaut wird, würde im Müll landen.
Angesichts solcher Zahlen verbietet sich ein Erntedankfest, das allein als Dank an die Schöpfung oder das Schöpfungswerk Gottes gefeiert wird. Auch, weil die Zahlen deutlich machen, dass dieser Umgang mit dem Essen weit mehr ist als Verschwendung. Er hat weltweite ökologische und soziale Konsequenzen. Er betrifft Landwirtschaft und Klima, Ressourcenverbrauch und Armut, Hunger und Gerechtigkeit. In seiner ökologisch-sozialen Schrift Laudato si’. Über die Sorge für das gemeinsame Haus macht Papst Franziskus auf diese Zusammenhänge aufmerksam. Sie helfen, das Erntedank fest angesichts der ökologischen Herausforderungen neu zu denken.

Verlusterfahrungen

An vielen Orten des Planeten trauern die alten Menschen den Landschaften anderer Zeiten nach, die jetzt von Abfällen überschwemmt werden. (Laudato si’, Nr. 21)
Für jede Ernte gibt es eine wichtige Voraussetzung: Ein guter Boden, ein Boden, der Obst und Gemüse wachsen lässt, der aus einem winzigen Korn eine volle Ähre macht. Doch mit der Haushaltung diesen wertvollen Gutes ist es nicht so weit, wie es nötig wäre. In drastischen Worten macht Papst Franziskus deutlich, was das Problem ist: Die Ressourcen des Planeten wer den geplündert, gute Erde wird aus gelaugt, Wälder für Weideflächen und gigantische Monokulturen gerodet, Dörfer werden gebaut, die zu Städten wachsen, Müll wird auf offenen Halden gelagert, Giftstoffe gelangen in die Atmosphäre und in den Boden, Rückzugsorte für Pflanzen und Tiere sind Mangelware.
In Zeiten der SARS-CoV-2-Pandemie lässt sich das auf dramatische Weise erleben. Der Mensch dringt in die letzten Wildnisse vor und plündert die Schatzkammern der Biodiversität. Nicht nur aus der Profitgier großer Konzerne. Auch aus der blanken Not heraus müssen Menschen immer weiter in unberührte Landstriche vordringen, um ihr Überleben sicherzustellen. Die Folge dieser rücksichtslosen Ausbeutung der Natur ist auch, dass Menschen den Tieren zu nahe kommen – und ihren Erregern. Die Pandemie führt eindringlich vor Augen: Das Verhältnis von Mensch und Natur ist aus der Balance geraten.
Erntedank feiern heißt da, auch auf den Verlust aufmerksam zu machen, den die westliche Lebens weise mit sich bringt: Der Verlust an Vielfalt, an ökologischem Reichtum, an bewohnbarem Land – und nicht zuletzt am „Wissen“ der Natur. Denn Pflanzen und Tiere stellen seit jeher eine wichtige Quelle für die Heilung von Krankheiten dar, ihre Eigenschaften oder Fertigkeiten erlauben Innovationen und beflügeln die menschliche Kreativität. All das ist bedroht, wenn nicht sogar bereits verloren.

Ernteausfälle

Viele Arme leben in Gebieten, die besonders von Phänomenen heimgesucht werden, die mit der Erwärmung verbunden sind. (Laudato si’, Nr. 25)
In seiner Enzyklika macht Franziskus eindringlich auf den Zusammenhang von ökologischen und sozialen Fragen aufmerksam. Sich für die Umwelt einzusetzen, sie als Mitwelt zu verstehen und ernst zu nehmen, ist wegen allem Lebendigen notwendig. Gerade der Klimawandel führt das eindringlich vor Augen. So vertreibt der steigende Meeresspiegel Menschen aus an gestammten Lebensräumen und vernichtet damit auch Kulturland, das nicht mehr bebaut werden kann. Gerade weil vor allem der Lebensunterhalt der Ärmeren fast ausschließlich von den natürlichen Reserven der Welt abhängt, hat der Klimawandel gravierende soziale Auswirkungen. Wenn Fische dem kälteren Wasser hinterher ziehen, wenn Dürren die Ernten minimieren oder vernichten, wenn Pflanzen und Bäume nicht mehr wachsen können, dann trifft das in besonderem Maße die Armen. Sie betreiben, wie der Papst schreibt, „keine anderen Finanzaktivitäten und besitzen keine anderen Res sourcen, die ihnen erlauben, sich den Klimaeinflüssen anzupassen oder Katastrophen die Stirn zu bieten.“ (Laudato si’, Nr. 25)
Der Begriff der Missernte oder des Ernteausfalls bekommt vor diesem Hintergrund neben der faktischen auch eine metaphorische Bedeutung: Ernteausfall heißt dann, dass alle Früchte, die ein Leben in Fülle garantieren, bedroht sind. Denn mit dem verdorrten Boden verschwindet auch die Heimat, mit dem zerstörten Wald geht auch die Möglichkeit der Interaktion mit Pflanzen und Tieren verloren, mit überschwemmten Inseln verliert die Welt auch Traditionen und Kulturen, die die ganze Welt bereichert haben.
Erntedank feiern heißt da, auf die Bedrohung aufmerksam zu machen, die mit der globalen Wirtschaftsweise und ihrer Folge, dem Klimawandel, einhergeht. Das Steak aus Argentinien, die Trauben aus Südafrika, der Lauch aus den Nieder landen, die Pampelmuse aus China und die Krabben aus der Nordsee, die zum Pulen nach Marokko verschifft werden, um dann wieder auf deutschen Tellern zu landen: Sie erzählen davon, dass jeder noch so harmlose Genuss mit Kosten verbunden ist, für die die Natur und die Armen bezahlen müssen.

Am Hungertuch

Außerdem wissen wir, dass etwa ein Drittel der produzierten Lebensmittel verschwendet wird, und dass Nahrung, die weggeworfen wird, gleichsam vom Tisch des Armen geraubt wird. (Laudato si’, Nr. 50)
In den Regalen der Supermärkte finden sich Gaben im Überfluss. Ganz egal was es ist, es ist zu haben. Selbst wenn es dafür um die halbe Welt geflogen wird. Oder wie die vor Ort produzierte Milch, die quer durch Deutschland gefahren wird, um schließlich wieder im Geschäft vor Ort zu landen. Wer um diese Umstände weiß, müsste eigentlich noch ehrfürchtiger mit den Endprodukten der Landwirtschaft, der Tierzucht, der Fische reiumgehen. Doch Lebensmittelverschwendung statt Ehrfurcht ist die Realität.
Papst Franziskus macht dafür unter anderem verantwortlich, dass „viele Akademiker, Meinungsmacher, Medien- und Machtzentren weit von den Ausgeschlossenen und Armen entfernt angesiedelt sind […]. Sie leben und denken von der Annehmlichkeit einer Entwicklungsstufe und einer Lebensqualität aus, die für die Mehrheit der Weltbevölkerung unerreichbar sind.“ (Laudato si’, Nr. 49) In dieser Lesart ist es nicht nur eine Schande, Lebensmittel wegzuwerfen, weil damit der Natur oder auch den Menschen, die sie produzieren, jeglicher Respekt verweigert wird. Lebensmittel wegzuwerfen ist auch eine Missachtung derjenigen, die wenig oder nichts zu essen haben. Die Ungleichverteilung von Lebensmitteln weist zudem auf soziale Ungerechtigkeit und das dramatische Gefälle zwischen reichen und armen Regionen der Welt hin.
Erntedank feiern heißt da, die mit einzubeziehen, die am Hungertuch nagen. Und den Blick für die damit verbundenen Probleme zu weiten. Denn nicht genug zu essen zu haben, geht meist mit anderen Miss ständen einher. Vom Tisch des Armen zu rauben, heißt nicht nur, dass aus ärmeren oder armen Regionen der Erde Lebensmittel in den Westen importiert werden. Vom Tisch der Armen werden auch Rohstoffe, Ideen und Menschen geraubt. Das zeigt sich, wenn in Marokko Sand für europäische Betonbauten gestohlen wird, wenn westliche Modelabels die Muster traditioneller Stickereien aus Mexiko stehlen und sie für sich rechtlich schützen lassen, wenn Arbeitskräfte unter menschenunwürdigen Bedingungen auf Baustellen für die Fußball-WM 2022 schuften und sterben.

Die Ernte einfahren?

In manchen Kreisen meint man, dass die jetzige Wirtschaft und die Technologie alle Umweltprobleme lösen werden, […] dass die Probleme des Hungers und das Elend in der Welt sich einfach mit dem Wachstum des Marktes lösen wer den. (Laudato si’, Nr. 109)
Es ist ein Gemeinplatz, dass das moderne kapitalistische Marktsystem für viele Menschen Wohl stand erzeugt, aber auch für viele andere Ungerechtigkeit herstellt. Papst Franziskus thematisiert das seit seinem Amtsantritt scharf: „Diese Wirtschaft tötet“ heißt es in seinem Schreiben Evangelii gaudium. Was plakativ klingt, lässt sich tagein tagaus etwa bei Lebensmitteln erfahren. Da kündigt eine Supermarktkette die Verträge mit Firmen, weil diese nicht nur Dumpingpreise für ihre Waren wollen. Da weiß man um Hungerlöhne für Kleinbäuerinnen und Kleinbauern in allen Teilen der Welt. Da ist bekannt, dass Lebensmittelproduktion und Ausbeutung der Natur Hand in Hand gehen. Und dass die Ernte weltweit vor allem ein Geschäft der Multikonzerne ist.
Im Hintergrund dieser Entwicklung steht eine Wachstumsideologie, die vor allem das Weiter-So und Immer-Mehr predigt. Doch es zeigt sich schon länger: Dieses Modell des dauerhaften Wachstums funktioniert nicht. Es gibt weder unbegrenzt verfügbare Ressourcen noch einen Lebensstil, der keine tiefen ökologischen Fußabdrücke hinterlässt. Insofern ist, gerade wenn die Früchte der Erde in den Mittelpunkt gestellt werden, ein Wandel gefragt: Weg vom Wachstum, hin zu einem verantwortungsvollen Umgang mit der Natur und der Achtung der Rechte aller Lebenden und der zukünftigen Generationen.
Wenn an Erntedank die ganze Fülle der Gaben der Erde gefeiert wird, dann geht es auch darum, eine ökologische Kultur mitzudenken. Eine Kultur, die nicht nur den Ertrag der Felder, der Wälder und der Meere im Auge hat und diese bis aufs Letzte auspresst. Die Ernte einfahren heißt hier, auch die Umweltschäden, die Erschöpfung des Planeten, die Verschmutzung weiter Regionen der Erde wahrzunehmen. Vor diesem Hintergrund muss gerade die Wachstumsideologie kritisch gesehen werden. Nicht das Mehr, sondern das Gute und vor allem das Gerechte sind gefragt. Wege dazu sind: Das tiergerecht und ökologisch produzierte Fleisch seltener essen oder auch mit den Gütern haushalten, die da sind. Muss das Handy jedes Jahr durch ein neues ersetzt werden? Ist die Fahrt mit dem Auto wirklich notwendig? Braucht es den Urlaub weit weg?

Die Kleinen und die Großen

Es gibt zum Beispiel eine große Mannigfaltigkeit an kleinbäuerlichen Systemen für die Erzeugung von Lebensmitteln, die weiterhin den Großteil der Weltbevölkerung ernährt, während sie einen verhältnismäßig niedrigen Anteil des Bodens und des Wassers braucht und weniger Abfälle produziert, […]. (Laudato si’, Nr. 129)
Erntedank wird in europäischen Breiten meist als lokales Fest gefeiert. Da liegen in katholischen Kirchen dann die Gaben der Natur aus, die vor Ort geerntet wurden: Kürbisse und Äpfel aus dem eigenen Garten, Möhren, die liebevoll im Beet gezogen wurden, Haselnüsse und Kastanien aus dem Wald, Sonnenblumen und Maiskolben von heimischen Bauernhöfen.
Gerade die geschmückten Altäre könnten daran erinnern, dass die meisten Menschen auf diesem Planeten Gemüse, Obst und andere Lebensmittel vor allem in ihrem ganz unmittelbaren Umfeld kaufen. Indem sie Waren tauschen, auf Märkten einkaufen oder selbst ihre Erträge anbieten. Doch die Macht der Konzerne und die weltweite Gier nach Lebensmitteln nimmt zu. Papst Franziskus weist darauf hin, dass Bäuerinnen und Bauern gezwungen werden, ihr Land zu verkaufen. Sie müssen ihre herkömmlichen Produktionsweisen aufgeben, weil der Druck der großen Player im Agrarsektor zu groß wird. Das ist umso dramatischer, weil viele Kleinbäuerinnen und Kleinbauern fast immer ressourcenschonend anbauen und somit die Luft, das Wasser wie auch die Erde kaum belasten.
Wenn Erntedank gefeiert wird, dann können auch diese asymmetrischen Verhältnisse in den Blick kommen. Dann steht jeder Apfel und jede Zucchini für die Frage, woher das kommt, was als die Gaben der Erde angesehen wird. Und ob das alles auch aus gerechten Verhältnissen stammt. Erntedank macht so deutlich, was es heißt, lokal zu leben und global zu denken.

Trotzdem: Dank sagen

Ein Ausdruck dieser Haltung ist, vor und nach den Mahlzeiten innezuhalten, um Gott Dank zu sagen. (Laudato si’, Nr. 227)
Laudato si’ setzt auf einen anderen Lebensstil als den, den vor allem die reichen Länder immer noch pflegen. Es ist ein Lebensstil, der von einem dreifachen Bewusstsein geprägt ist: Dass alles Lebendige einen gemeinsamen Ursprung hat, dass wir in einer Mitwelt leben, zu der die gesamte Natur gehört, und dass wir Menschen für eine Zukunft verantwortlich sind, die allen das Leben ermöglicht. Dafür, so Papst Franziskus, ist eine „ökologische Umkehr“ (Laudato si’, Nr. 216) nötig. Diese gelingt nur mit Haltungen, die jeder Mensch wie auch die Gesellschaft einnehmen. Eine dieser Haltungen ist die Dankbarkeit.
Dankbarkeit, das mag spießig klingen. Doch dankbar zu sein, versetzt den Menschen in die Lage zu erkennen, dass er nicht auf alles unbegrenzt Anspruch hat. Um dankbar sein zu können, muss mir etwas gegeben werden, muss ich beschenkt werden. In christlichem Kontext heißt das: Ich kann erfahren, dass ich mit der Schöpfung und ihren Gaben beschenkt bin. Das lässt sich in Worte fassen, wie etwa bei einem Gebet vor dem Essen. Es erinnert daran, dass Menschen von anderen und der Erde abhängig sind. Das schließt auch die ein, die bedürftig sind.
An Erntedank kommt so auch in den Blick, dass Menschen weltweit nicht aus dem Vollen schöpfen können. Dass der Dank, der über all dort gesagt werden kann, wo es genug gibt, immer auch eine Bitte enthält: Die Bitte, dass überall Erntezeit sein kann und die Schöpfungsgaben reichhaltig zur Verfügung stehen.

Fazit

Die Enzyklika Laudato si’ gilt als ökologisches und soziales Grundsatzpapier. Doch sie liefert auch eine Lesehilfe für den ganz konkreten Umgang mit der Schöpfung. So kann sie auch für das Erntedankfest neue Impulse bereitstellen.

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