Wie aktuelle Erfahrungen menschlicher Zerbrechlichkeit unseren Glauben herausfordernWerde Hoffnungsträger!

Christliche Hoffnung ist keine Vertröstung auf ein fernes Jenseits, sondern ein Aufruf zu lebensveränderndem Handeln im Hier und Jetzt. Als Getaufte sind wir immer auch Hoffnungsträger, die etwas von Gottes Menschenfreundlichkeit erfahrbar werden lassen. Die Diaspora-Aktion des Bonifatiuswerkes 2020 greift diesen Aspekt auf.

Was der Dichter Erich Kästner hier mit spitzer Feder in seinem Text „Zum Neuen Jahr“ auf den Punkt bringt, ist uns in Europa durch die Covid-19-Pandemie unmittelbar vor Augen geführt worden. Gefährdung und Zerbrechlichkeit menschlichen Lebens, die uns sonst dank materiellem Wohlstand, technischem wie medizinischem Fortschritt eher unterbewusst berühren, sind auf einmal zu einer alltäglichen Erfahrung geworden. Uns ist schmerzlich klar geworden, dass Leben im existenziellen Sinne gefährlich und gefährdet bleibt. Diese Kränkung postsäkularen menschlichen Selbstbewusstseins wäre mehr als geeignet, eine pessimistische Weltsicht einzunehmen. Wenn menschliches Leben, Schaffen und Streben von heute auf morgen derart leicht aus der Bahn geworfen werden kann, was bleibt dann noch von der Zukunft zu erwarten? Führt uns die (alte) neue Erkenntnis der Lebensgefährlichkeit des Lebens nicht in eine lähmende Ohnmacht menschlicher Vergänglichkeit? Doch gerade weil wir unser Leben als zerbrechlich, unzulänglich und vorläufig erfahren (müssen), bedarf es immer auch einer darüber hinausreichenden Perspektive – der Hoffnung! Dies ließe sich auf die Formel bringen: Kein Leben ohne Gefahr, aber auch kein Leben ohne Hoffnung. Noch plakativer: Hoffnung ist systemrelevant, oder besser: lebensrelevant! Papst Franziskus drückt es so aus: „Die Atemluft eines Christen ist die Hoffnung.“

Christusträger – Hoffnungsträger

In christlicher Perspektive ist der Begriff der Hoffnung klar grundiert: Es geht nicht um bloße Alltagshoffnungen, die sicher auch ihre Berechtigung und Wirkung haben. Der christliche Glaube setzt seine Hoffnung sehr konkret auf den menschgewordenen Gott des Lebens, der diese Welt in Liebe geschaffen hat und der dem Tod nicht das letzte Wort lässt. Um diese christliche Hoffnung geht es auch beim Leitwort der Diaspora- Aktion 2020 des Bonifatiuswerkes. Es lautet „Werde Hoffnungsträger“. Das Leitwort lädt ein, sich selbst von der Hoffnung des Glaubens tragen zu lassen und dadurch fähig zu werden, auch andere zu tragen. Christliche Hoffnung ist etwas anderes als Optimismus, der verkündet, dass alles wieder gut wird. Christliche Hoffnung ist die Überzeugung, dass alles, was geschieht, in der Tiefe einen Sinn hat, weil Gottes Hände uns halten. Die Hoffnung klammert die drängende Frage nach dem Sinn von Leid, Krankheit und Not nicht aus. Sie gesteht zu, dass es unermessliches Leid, menschenverachtende Gewalt und von Menschen verursachte Katastrophen gibt, vor denen wir sprachlos verstummen. Aber die Hoffnung entdeckt durch alles Dunkel hindurch den Lichtschimmer des Glaubens, dass Gott der tragende Grund unseres Lebens und dass das entscheidende Wort, das über unser Leben und unsere Welt gesprochen wird, die Liebe Gottes ist. Träger einer Hoffnung zu sein heißt, selbst überzeugt zu sein von diesem Glauben, ihn anderen weiterzusagen und in Wort und Tat zu bezeugen.

Die Bibel erzählt von Hoffnung

In der Einheitsübersetzung der Bibel kommt das Wort „Hoffnung“ 120 mal vor, das Verb „hoffen“ wird dort 26 mal genannt. An den Texten der Bibel kann man sich festhalten, es sind uralte Weisheitstexte und gelebte Erfahrungen, die das Volk Israel und einzelne Männer und Frauen mit Gott gemacht haben. Es sind Worte Gottes an sein Volk und Worte Jesu an alle, die an ihn glauben. Gott sagt auch zu jedem und jeder von uns: Ich will euch eine Zukunft und eine Hoffnung geben (vgl. Jer 29,11). Die Erfahrung der ersten Jüngerinnen und Jünger Jesu, dass Gott diesen Jesus von Nazareth, den seine Botschaft vom anbrechenden Reich Gottes ans Kreuz gebracht hatte, nicht im Tod belässt, sondern ihn zu neuem Leben auferweckt, wurde zur Initialzündung der Verkündigung der christlichen Hoffnungsbotschaft. Mit der Sendung des Heiligen Geistes an Pfingsten wurden die Jüngerinnen und Jünger fähig, von der Hoffnung, die sie ganz und gar erfüllte, öffentlich und gegenüber jedermann Zeugnis abzulegen (vgl. 1 Petr 3,15). Aber auch für die frühen Gemeinden selbst wurde die stete Vergewisserung der Auferstehungshoffnung zum Kern ihrer Existenz und zum Unterscheidungsmerkmal gegenüber den Nichtchristen (vgl. 1 Thess 4,13), was der Theologe Tertullian um das Jahr 200 dann so zusammenfasste: „Die Hoffnung der Christen heißt Auferstehung der Toten; alles, was wir sind, sind wir im Glauben daran.“ Die Hoffnung auf das in der Bibel vielfach bezeugte rettende Handeln Gottes formt mithin den zentralen Anker christlicher Identität.

Hoffnung heißt nicht Vertröstung

Nicht selten wurde und wird der christlichen Verkündigung vorgeworfen, sie vertröste die Menschen auf ein fernes Jenseits und akzeptiere dadurch die Ungerechtigkeiten der Gegenwart. Christliche Hoffnung wäre dann wahrlich nur ein Sedativum, das für den Moment beruhigt, am Grundzustand menschlicher Trostlosigkeit aber auf Dauer nichts ändert. Der emeritierte Bischof von Magdeburg Leo Nowak bemerkt hierzu sehr treffend: „Wer wirklich von einer tiefen Hoffnung erfüllt ist, der ist auch immer voller Tatendrang. Wer hoffen kann, der möchte, dass diese Hoffnung sich möglichst schon jetzt erfüllt.“ Christinnen und Christen sind also keine Wasserträger einer „billigen Hoffnung“, welche ohne Relevanz im Hier und Jetzt bliebe. Vielmehr geben Hoffnungsträgerinnen und Hoffnungsträger dem Evangelium ein Gesicht, sie zeigen gleichsam nach außen, welche Hoffnung sie in ihrem Innersten bewegt. Sie tragen Christus selbst in die Welt, sind Christusträger. Christliche Hoffnung ist daher alles andere als eine Vertröstung auf ein fernes Jenseits. Noch einmal Leo Nowak: „Wer wirklich aus der Hoffnung lebt, dessen Leben ändert sich. Wenn ich Hoffnung habe, werde ich auch stets handeln und nicht die Hände in den Schoß legen“. Wer hofft, der findet sich nicht ab mit den Missständen seiner Zeit. Wer hofft, dem ist menschliches Leid nicht egal. Für Christinnen und Christen gilt dies umso mehr, hat sich doch der von ihnen verkündete Gott selbst in die Banalität und Widersprüchlichkeit menschlichen Lebens ganz und gar hineinbegeben. Ihr Handeln in der Welt ist gleichsam „hoffnungsimprägniert“, wie es der Theologe Andreas Lob-Hüdepohl ausdrückt.

Hoffnungsspuren in der Diaspora

Auftrag des Bonifatiuswerkes als Hilfswerk für den Glauben ist es, bewährte und neue missionarischdiakonische Orte in der Glaubensdiaspora auszumachen und zu fördern, pastorale Gelegenheiten, die den Prozess des Christwerdens vertiefen und neue Wege der Evangelisierung suchen helfen. Das Bonifatiuswerk fördert deshalb Gemeinden, kirchliche Verbände und Vereine – und mit ihnen jeden einzelnen katholischen Christen an seinem Ort – , damit sie in der Lage sind, offensiv, selbstbewusst und dialogbereit von ihrem Glauben Zeugnis abzulegen. Sie machen dadurch ihrem Umfeld ein Angebot zur Sinnfindung und bringen eigene Impulse in die Gesellschaft ein. Kern ihrer Sendung durch Wort und Tat ist es, Menschen in eine heilsame Berührung mit Gott und dem Glauben zu bringen, auf dass sie neue Hoffnung schöpfen. Wir wissen aber auch, dass die Schöpfung, um es mit Paulus zu sagen, noch in den Wehen liegt (vgl. Röm 8,22). Schmerz, Leid und Tod sind und bleiben ein Stachel im Fleisch des Lebens.
Dabei ist zu bedenken, dass sich der Begriff der Diaspora wandelt und sich weiter wandeln wird: von der „traditionellen“ zahlenmäßigen Diaspora, die territorial klar abgrenzbar ist, bis hin zu einer sich ausbreitenden Glaubensdiaspora, gerade im urbanen Kontext. Diaspora wird dabei nicht verstanden als „Notfall“, Mangel oder gar Gefährdung, sondern als Normalzustand christlicher Existenz in einer pluralen Gesellschaft. In dieser Perspektive lassen sich sowohl Auf- als auch Abbrüche wahrnehmen. Abbrüche wie etwa der eminente Rückgang von Kirchenbindung, die fehlenden Erfahrungen mit und durch den Glauben oder der Rückgang finanzieller und personeller Ressourcen, oftmals verbunden mit einem Rückzug kirchlicher Präsenz aus den ländlichen Räumen. Zugleich kann, wer genau hinschaut, auch spannende Aufbrüche entdecken. Hoffnung stiftende Versuche, Glaube und Kirche in veränderter Zeit und in einer sich wandelnden Diaspora anders oder neu zu leben, sowie die alten Wurzeln, die uns wertvoll sind, zu verlebendigen. Dabei werden nicht selten nicht nur die Grenzen der Konfessionen überschritten, sondern auch politische und kulturelle Grenzen, etwa durch den Austausch von Jugendlichen aus Deutschland und Nordeuropa im Bonifatius-Praktikantenprogramm, durch die Schaffung von Begegnungsräumen deutscher und polnischer Bewohner der Oder-Grenzregion oder etwa durch neue Formen sozialraumorientierter Pastoral im urbanen Kontext.

Christliche Hoffnung – Wozu und für wen?

Christliche Hoffnung, die sich aus der Zuversicht des Glaubens speist, gibt es nicht für sich selbst. Sie ist immer auch darauf ausgerichtet, gesucht, weitergesagt und vorgelebt zu werden. Hinsichtlich der in Kirche und Gesellschaft stattfindenden Veränderungsprozesse unterliegt auch die christliche Hoffnungsbotschaft der grundlegenden Fragestellung nach ihrer Relevanz: Wozu und für wen wird sie verkündigt? Selbst wenn es gelingt, ihr Veränderungspotenzial für das Hier und Jetzt zu erfassen, bleibt immer noch die Möglichkeit, dieses Potenzial allein nach innen, sprich auf die Christinnen und Christen selbst zu fokussieren, vielleicht getrieben von der Sorge um die eigene Gemeinde oder um die Kirche insgesamt angesichts unsicher werdender Zeiten. Nicht zuletzt die Covid-19-Pandemie hat die Frage nach der Systemrelevanz von Glaube und Kirche mit ganz neuer Dringlichkeit gestellt. Eine solche binnenfokussierte Haltung führt über kurz oder lang jedoch zu einem Bewahren der Asche anstelle zur Weitergabe einer lodernden Flamme. Wer als Christ glaubwürdiges Hoffnungszeichen für andere sein will, muss dies, wie es der Philosoph Eberhard Tiefensee ausdrückt, aus einer Haltung des Dienstes und nicht „von oben herab“ tun, gerade im Kontext einer Gesellschaft, in der viele Menschen auch ohne Gott offensichtlich gut und anständig leben können.
Nicht nur, aber gerade in der Diaspora lässt sich erkennen, dass insbesondere diakonisches Handeln etwas von christlicher Hoffnung erzählt. Dieses Tatzeugnis, das die Zerbrechlichkeit und Gefährdung menschlichen Lebens nicht leugnet, sondern sie vielmehr in ihren vielfältigen Erscheinungsformen bewusst annimmt und mit zu tragen versucht, gibt auf eindrückliche und dennoch bescheidene Weise Rechenschaft über den Grund der Hoffnung, welche die Jüngerinnen und Jünger Jesu erfüllt. Das Bonifatiuswerk fördert eine Vielzahl solcher missionarisch- diakonisch ausgerichteter Projekte. Ob es nun die Arbeit der Don Bosco-Schwestern mit Kindern und Jugendlichen in einer Magdeburger Hochhaussiedlung ist, das gemeinsame Leben und Arbeiten mit drogenabhängigen Jugendlichen auf der Fazenda da Esperança in Brandenburg oder die Sorge um wohnungslose Menschen auf dem Kiez von St. Pauli, diesen und vielen anderen Projekten ist gemeinsam, dass sie, überzeugt von der Hoffnungsbotschaft des Glaubens, Ernst machen mit dem Auftrag Jesu, Gott und den Nächsten zu lieben wie sich selbst.
Von diesen und anderen Christinnen und Christen in der Diaspora können wir lernen, dass dem Zu- Ende-Gehen uns vertrauter Formen des Kircheseins immer auch neue Anfänge innewohnen, das Evangelium Jesu in der Welt von heute zu bezeugen und zu leben, nicht zuletzt in der Hinwendung zu den Menschen am Rand unserer Gesellschaft. Indem wir uns von diesen Neuaufbrüchen anregen lassen und mit unseren Mitmenschen über die Frohe Botschaft ins Gespräch kommen, können wir als Christinnen und Christen aktiv in die Gesellschaft hineinwirken und unsere Hoffnung als wichtiges Fundament für ein friedvolles Miteinander in unserer Gesellschaft untermauern. Bei all dem dürfen wir uns auf die Zusage Jesu verlassen, dass sein Wort des Lebens bleibt und uns antreibt, ihn so zu bezeugen, wie es unsere Zeit heute erwartet und erhofft.

Es braucht Hoffnungsträger – heute mehr denn je / Fazit

Der Auftrag an uns Christen, in der Spur Jesu Hoffnungsträger zu sein, ist angesichts der aktuellen Entwicklungen in unserer Gesellschaft wie auch weltweit nötiger denn je. Dabei kann das Hoffnungspotenzial des Evangeliums nicht erst für eine ferne Zukunft versprochen werden, sondern es muss bereits im Hier und Jetzt erfahrbar werden. Dies kann sich, so die Erfahrungen aus der Arbeit des Bonifatiuswerkes, nicht zuletzt durch das Tatzeugnis im Dienst am Nächsten ereignen.

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