Ist Sünde erblich?Peccatum originale

Peccatum originale wird im Deutschen traditionell als Erbsünde, in den letzten Jahrzehnten eher als Ursünde oder Ursprungssünde bezeichnet. Mit jedem dieser Ausdrücke ist dasselbe gemeint. Was hat es mit der Erbsünde auf sich? Wie können wir sie verstehen?

Das Konzil von Trient hat am 17. Juni 1546 definiert: „Wer behauptet, die Übertretung Adams habe nur ihm und nicht seiner Nachkommenschaft geschadet …, der sei mit dem Anathema belegt …, da er dem Apostel widerspricht, der sagt: ‚Durch e i n e n [Zahlwort! Anm. d. A.] Menschen ist die Sünde in die Welt gekommen, und durch die Sünde der Tod, und so ging die Sünde auf alle Menschen über, in ihm haben alle gesündigt‘ (Röm 5,12).“ (Denzinger/Hünermann 1512) Weiter  lehrt das Konzil, die Erbsünde werde „durch Fortpflanzung übertragen“ (D/H 1513). Und weiterhin lehrt die Kirche: „Man zieht sich die Ursünde ohne eigene Zustimmung zu“ (D/H D2ba).

Die Begründung der kirchlichen Lehre

Die Konzilsväter beriefen sich für  diese  Lehre  auf  Röm   5,12: „Durch einen einzigen Menschen kam die Sünde in die Welt und durch die Sünde der Tod, und auf diese Weise gelangte der Tod zu allen Menschen, weil alle sündigten“ (EÜ). Die Konzilsväter in Trient hatten allerdings weder den griechischen Text noch die Einheitsübersetzung zur Hand, sondern gingen von der alten lateinischen Übersetzung des Römerbriefs aus. Diese war jedoch eine falsche Übersetzung von Röm 5,12. Im griechischen Text heißt es: „eph’ ho pántes hémarton“ = weil alle gesündigt haben. Im lateinischen Text aber lesen wir: „in quo omnes peccaverunt“= in welchem (Adam) alle gesündigt haben. Nun kam also die Sünde nicht mehr in die Welt, weil alle gesündigt haben (griech. Text), sondern weil in Adam alle gesündigt haben (lat. Text). Dies ließ sich dann so verstehen, dass mit der Sünde Adams alle zu Sündern geworden sind, also mit einer sogenannten Erbsünde behaftet sind.
So wurde die Erbsünde zur kirchlichen Lehre. Die Patristik der Ostkirche hat keine Theologie der Erbsünde entwickelt; vielleicht, weil man dort nie mit dem lateinischen, sondern immer mit dem griechischen, also dem ursprünglichen Text gearbeitet hat. Neben anderen Theologen hat Augustinus wesentlich zur Verbreitung der Erbsündenvorstellung in der westlichen Kirche beigetragen. In seinem Werk De pecc. et rem. schreibt er, die Erbsünde werde durch den mit Lust verbundenen Zeugungsakt übertragen; und damit würden alle Menschen zu Schuldigen und verdammungswürdigen Sündern. Hier mag seine manichäische Vergangenheit noch eine Rolle gespielt haben. Jedenfalls wären nach dieser Lehre des Augustinus die heutigen Retortenbabys ohne Erbsünde, weil sie nicht durch den mit Lust verbundenen Zeugungsakt entstanden sind. Eine Taufe zur Tilgung der Erbsünde wäre dann überflüssig. Sie wären gegenüber allen auf natürlichem Weg gezeugten Kindern im Vorteil.
Bei Paulus wie beim Konzil von Trient (Vgl. D/H 1510) windet sich die Schlange aus Gen 3 durch die Gedanken der Menschen. So beruft sich auch die kirchliche Verkündigung der Erbsünde immer auf die Schlange, die im Garten Eden Eva zum Essen der Frucht verführt hat, und auf Eva, die dann Adam zum Essen eben dieser Frucht verleitet hat. Dies aber war Sünde, weil Gott den Menschen verboten hatte, von der Frucht dieses einen Baumes zu essen. Daraus entwickelten die Konzilsväter von Trient 1546 folgende Lehre: „Wer nicht bekennt, dass Adam, der erste Mensch, nachdem er das Gebot Gottes im Paradies übertreten hatte, sogleich die Heiligkeit und Gerechtigkeit … verloren und sich durch den Verstoß dieser Übertretung den Zorn und die Ungnade Gottes und deshalb den Tod zugezogen hat … und mit dem Tod die Knechtschaft unter der Gewalt … des Teufels …, der sei mit dem Anathema belegt“ (D/H 1511).
Und diese Sünde des ersten Menschen, also das peccatum originale, ist dann samt der Sündenstrafen auf alle Menschen übergegangen.

Zweifelhaftes Gottesbild

Der Mensch hat gegen ein göttliches Gebot verstoßen, indem er sich dazu verführen ließ, von der Frucht eines bestimmten Baumes zu essen, von dem zu essen ihm Gott verboten hatte. Dafür wurde er mit der Vertreibung aus dem Paradies und dem Verlust der ursprünglichen Heiligkeit und Gerechtigkeit, ja mit dem Tod bestraft. Denn wer ein Gebot Gottes nicht beachtet, zieht sich den Zorn und die Ungnade Gottes und damit auch den Tod zu.
Doch damit nicht genug. Alle Nachkommen dieses Menschen werden durch die Jahrhunderte und Jahrtausende hindurch von der Zeugung an, ohne selbst ein göttliches Gebot übertreten zu haben oder einer solchen Übertretung zugestimmt zu haben, mit derselben Strafe belegt: Sippenhaftung.
Was für ein Gott ist das, der sein geliebtes Geschöpf wegen einer einzigen Gebotsübertretung dermaßen bestraft? Nicht weil es irgendeinem Wesen Böses angetan, sondern nur, weil es von den Früchten eines bestimmten Baumes gegessen und damit einem göttlichen Gebot zuwidergehandelt hat. Und dazu bestraft dieser Gott noch alle Nachkommen dieses Menschen. So handelt nach der Schriftauslegung des Tridentinums jener Gott, der von den Menschen verlangt, stets gütig und barmherzig zu sein und Übeltätern siebenundsiebzigmal zu vergeben. Ist das der uns liebende und immer neu zur Vergebung bereite Vater, den uns Jesus Christus gelehrt hat? Sollen wir nun an den zornigen, ungnädigen Gott des Tridentinums oder an den barmherzigen, vergebenden Gott Jesu Christi glauben?

Der Umgang mit der Bibel

Das Problem liegt im jeweiligen Verständnis der Bibel. In den Tagen des Augustinus wie in den Zeiten des Konzils von Trient herrschte in der Kirche der Glaube an eine Verbalinspiration der hl. Schrift; die Texte des Alten Testaments wurden als historische Berichte verstanden. Manche Theologen sprechen ja heute noch von Schöpfungsbericht statt von Schöpfungserzählung. Dass es sich um eine gerade im Orient so verbreitete bildhafte Sprache handeln könnte, kam nicht in Betracht. Alle Texte wurden wörtlich verstanden, wie etwa ein Polizeibericht über den Hergang eines Verbrechens. Weltbild und Sprache des antiken Autors des Buches Genesis wurden nicht bedacht, die Texte wurden im Sinn des Kreationismus gelesen, den die Kirche heute entschieden ablehnt. Infolgedessen galt der Monogenismus als selbstverständlich und einzig mögliche Interpretation der Entwicklung bzw. Entstehung der Menschheit. So bezeichnet das Konzil von Trient Adam als den ersten Menschen. Adam wurde ebenso wie Eva als Personenname gelesen; die beiden waren anfangs die einzig existierenden Menschen. Alle späteren, auch die heutigen Menschen sind Nachkommen dieser beiden. Es genügte, dass diesen ersten Menschen von Gott ein Verbot erteilt worden war, um sie und alle ihre Nachkommen zu bestrafen. Welchen Sinn es haben sollte, dass man gerade von einem bestimmten Baum nicht, von allen anderen dagegen schon essen durfte, wurde nicht hinterfragt. Es war eben Gottes Wille. Und nun war da noch eine Schlange, die in menschlicher Sprache reden konnte und Eva zum Essen von dem verbotenen Baum überlistete. Was für eine Schlange soll das gewesen sein? Natürlich war es der Teufel, wer denn sonst! In diesem Schriftverständnis haben Paulus, Augustinus und die anderen Kirchenväter sowie die Konzilsväter von Trient gedacht und geurteilt.
Adam wurde in der kirchlichen Tradition nicht als hebräisches Wort gelesen und wie alle anderen Worte der hebräischen Bibel übersetzt. Tatsächlich aber ist Adam kein Personenname, sondern ein Gattungsbegriff für das Lebewesen Mensch und ist korrekt mit Mensch oder Mann, Eva mit Frau zu übersetzen.
Gott schuf also nicht den Adam, sondern den Menschen. Dies ist in der Einheitsübersetzung zwar berücksichtigt, aber nicht konsequent durchgehalten, sonst müsste es in Gen 3,8–12 heißen „versteckten sich der Mensch und seine Frau“ anstatt „versteckten sich Adam und seine Frau“ … „Gott, der Herr, rief dem Mann zu“ statt „Gott, der Herr, rief Adam zu“ … „Der Mann antwortete“ statt „Adam antwortete“.
Seit Pius XII. hat sich das Schriftverständnis der Kirche geändert. Von Verbalinspiration, einem nur wörtlichen Textverständnis des Alten Testaments und vom Monogenismus hat sie sich verabschiedet. Die wissenschaftlichen Einsichten waren erdrückend. Nur fundamentalistische Sekten lesen die Bibel noch in diesem Verständnis. Wir können nämlich die Geschichte von Adam, Eva, der Schlange und dem Essen jener Früchte ganz anders verstehen, nämlich als:

Metapher für die Beschaffenheit des Menschen

Die Vorgeschichte, wie es zur Erbsünde kam, lesen wir in Gen 3,1–13.
Die Schlange verführt die Frau zum Essen von den Früchten jenes Baumes, von dem zu essen Gott, der Herr, den Menschen verboten hatte. Das Versprechen, danach selber wie Gott zu sein, hat die Frau zum Essen verleitet. Dann gab sie dem Mann davon, und auch er aß. Und so war das Unheil über die Menschen hereingebrochen. Die entscheidende Frage lautet hier: Was hat der Autor der Erzählung mit der Schlange gemeint?
Das klassische Judentum, aus dessen religiöser Tradition der Text stammt, hat die Schlange in dieser Erzählung nie mit Satan oder dem Teufel gleichgesetzt. Das Bild von der Schlange war ihnen eine Metapher für eine den Menschen überlistende Macht. Es bleibt zunächst offen, ob diese Macht von außen an den Menschen herantritt oder in seinem Inneren angesiedelt ist.
Erst im letzten Jahrhundert vor Christus wurde die Schlange eines Tages identifiziert und mit dem Teufel gleichgesetzt. Dabei hat der Einfluss des Parsismus auf das Judentum eine wichtige Rolle gespielt, speziell der Schöpfungsmythos dieser Religion des Zarathustra. Unter dem Einfluss des Zoroastrismus wurde aus der Schlange der Sündenfallerzählung der Teufel.
Christliche Autoren haben diese Deutung übernommen und damit den Christen den Zugang zur tatsächlichen Aussage des Bibeltextes verbaut.
Zu welchen Konsequenzen kommen wir jedoch, wenn wir die Schlange nicht als Teufel ansehen, sondern als etwas, das in uns Menschen selber angesiedelt ist? Wenn wir den ganzen Text als metaphorische Lehrerzählung lesen? Dann nämlich können wir sie erst richtig verstehen. Denn sie will uns etwas Wesentliches darüber sagen, wie der Mensch verfasst ist:
V. 2–3: „Die Frau entgegnete der Schlange: Von den Früchten der Bäume des Gartens dürfen wir essen; nur von den Früchten des Baumes, der in der Mitte des Gartens steht, hat Gott gesagt: Davon dürft ihr nicht essen, sonst werdet ihr sterben.“
Dies verneint die Schlange und erklärt in V. 5: „Gott weiß vielmehr: Sobald ihr davon esst, gehen euch die Augen auf; ihr werdet wie Gott und erkennt Gut und Böse.“
Gut und Böse war eine stehende Redensart, die so viel bedeutete wie „alles, was es gibt“, eben wie Gott sein. Und sein wie Gott war und ist sehr verlockend. Das heißt nämlich: nicht mehr auf Gott hören müssen, Gott nicht mehr als Herrn anerkennen müssen. Wer wie Gott ist, ist selber Herr und keinem andern, auch Gott nicht mehr verpflichtet oder untertan. Wenn die Frau nun isst und der Mann ebenfalls, heißt das: Sie wollten sich von Gott lossagen, ihm die Gefolgschaft aufkündigen, sich an die Stelle Gottes setzen. Das ist die Sünde gewesen. Und es ist bis heute die eigentliche, die Ursünde des Menschen. Denn im Grunde ist jede Sünde der Versuch, sich an die Stelle Gottes zu setzen und selber zu bestimmen, was man darf und was nicht.
V. 7: „Da gingen ihnen die Augen auf, und sie erkannten, dass sie nackt waren. Sie hefteten Feigenblätter zusammen und machten sich einen Schurz.“
Dieses Nacktsein dürfen wir nicht oberflächlich auf die Leiblichkeit des Menschen beziehen, wie uns manche mit dem Hinweis auf die Feigenblätter weismachen wollen. Man hat ja diesen Satz als Argument gegen den Nudismus verwendet. „Nackt sein“ hat hier die Bedeutung von „bloß sein“, vor Gott bloß, schutzlos dastehen. Wir müssen lesen: „Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, dass sie vor Gott bloßgestellt waren, weil sie sich ihm widersetzen wollten. Sie hatten ihre Schuld vor Gott erkannt und standen nun bloß, schutzlos vor ihm da. Nun wollen sie ihre Blöße, ihre Sünde, verbergen; sie fühlen sich schuldig und verstecken sich. Eine ganz natürliche Reaktion des Menschen, wie wir sie schon bei Kindern beobachten können, die, wie man sagt, etwas „angestellt“ haben. Sie gehen freiwillig früh ins Bett und verstecken sich unter der Bettdecke, ähnlich wie in der Fabel der Strauß seinen Kopf in den Sand steckt und meint, er könne nicht gesehen werden, weil er nichts sieht. Die Feigenblätter sind also Symbol dafür, dass die Menschen ihre Schuld bzw. sich selber vor Gott verstecken wollen. Das körperliche Nacktsein kann in diesem Zusammenhang schon deshalb nicht als Sünde interpretiert werden, weil  ja Gott selbst die Menschen nackt erschaffen und ihnen nicht gesagt hatte, dass sie sich um Kleidung kümmern sollten. Hier könnte der Einfluss gnostischer Strömungen wie des Manichäismus, dem ja einige Theologen mindestens zeitweise nahe standen, eine Rolle gespielt haben.
In V. 10 antwortet der Mann auf den Anruf Gottes, er habe sich versteckt, weil er nackt sei. Hier wird deutlich, dass es nicht um körperliche Nacktheit geht, denn Gott hat den Menschen von Anfang an nackt gesehen. Der Mensch gibt mit diesem Satz vielmehr zu, dass er sich Gott gegenüber als schuldig erkannt hat.
In V. 12 schiebt der Mann dann die Schuld auf die Frau, weil sie ihm von den Früchten gegeben hat. Und die Frau schiebt die Schuld in V. 13 auf die Schlange, die sie verführt habe. Typisch Mensch! So, will uns die Bibel sagen, ist der Mensch; so geht der Mensch mit seiner Schuld um. Er will sie nicht anerkennen bzw. eingestehen und versucht, die Schuld anderen in die Schuhe zu schieben.
Die biblische Erzählung vom Fall des Menschen ist ein wunderbarer poetischer Text. Er will uns bewusst machen, wie wir Menschen alle beschaffen sind, wie wir generell mit Versuchung und Schuld umgehen. Der Text in Gen 3 spricht nicht nur von den ersten Menschen, sondern vom Menschen schlechthin. Nicht der Teufel, nicht irgendein Wesen außerhalb unserer selbst, sondern der Mensch selber ist an seiner Sünde schuld. So, sagt die Bibel, ist der Mensch generell, also jeder Mensch, beschaffen: Er will sein wie Gott, will sich an die Stelle Gottes setzen und damit Gott als den Herrn über sich absetzen. Dann nämlich kann der Mensch tun und lassen, wonach ihn gelüstet, denn er ist nur noch sich selbst verantwortlich. Er gibt der Verlockung, sich selbst an die Stelle Gottes zu setzen, immer wieder nach und wird so zum Sünder. Und es gibt nun keinen mehr, auf den er die Schuld schieben kann, denn nicht der Teufel hat ihn zur Sünde verführt, er ist vielmehr selber für sein Tun verantwortlich, weil es seiner ureigenen Entscheidung entspringt.

Gottes Ebenbild im Aufstand gegen Gott

Seltsamerweise wurden die Menschen in Eden dafür bestraft, dass sie sein wollten, was sie nach dem Willen Gottes von Anfang an sein sollten und waren, denn „Gott schuf den Menschen als sein Ebenbild (Abbild)“ (Gen1,27). Ebenbild bedeutet schlichtweg Gleichbild, denn eben bedeutet in der deutschen Sprache soviel wie gleich. Wenn jemand einem anderen ebenbürtig ist, dann ist er ihm gleichwertig oder gleich wichtig. Wenn jemand ebenerdig wohnt, dann wohnt er auf der gleichen  Ebe ne wie die Erde. Ebenmäßigkeit heißt nichts anderes als Gleichmäßigkeit. So bedeutet Ebenbild ein Bild, das dem Original gleich, ist also schlichtweg Gleichbild. Das hieße, dass der Mensch Gott gleich geschaffen wurde. Als Gottes Ebenbild wäre der Mensch Gott ebenbürtig. Er hätte sich gar nicht bemühen müssen, zu werden wie Gott, denn als sein Ebenbild wäre er es schon gewesen. Gottes Ebenbild wäre aber nicht fähig gewesen, zu sündigen, da es vollkommen wie Gott gewesen wäre. Dies zu behaupten, wäre allerdings theologisch eine Irrlehre. Die Rede vom Menschen als Gottes Ebenbild ist folglich unsinnig, theologisch inakzeptabel. Möglicherweise gab die lateinische Übersetzung des Buches Genesis Anlass zu dieser Übersetzung, denn die Theologen haben durch die Jahrhunderte das Alte Testament nicht hebräisch, sondern lateinisch gelesen.
Im hebräischen Text des Buches Genesis steht „beselem“, also: „Er schuf ihn nach seinem Bild“. Dass der Mensch nach dem Bild einer Gottheit geschaffen wurde, ist eine der Antike, besonders den Religionen der Babylonier und Ägypter, geläufige Auffassung. Daher verwundert es nicht, dass dieser Ausdruck auch in der biblischen Schöpfungserzählung erscheint. Da die Rede vom Ebenbild Gottes theologisch und sprachlich nicht stimmig ist, muss ein anderer Verständnisweg gefunden werden. „Gott schuf ihn nach seinem Bild“ könnte bedeuten: nach dem Bild, das Gott sich vom Menschen gemacht hatte, wie ein Maler sein Werk nach dem Bild schafft, das er von seinem Werk bereits in sich trägt. Aus der Rede vom „Ebenbild Gottes“ spricht jedoch blanke Hybris, denn dann stünde der Mensch auf gleicher Ebene mit Gott. Das traf aber auch vor dem Sündenfall nicht auf den Menschen zu. Gerade das Wissen, nicht wie Gott zu sein, wurde ja dem Menschen in Verbindung mit dem Wunsch, Gott gleich (eben) zu sein, im Sündenfall zum Verhängnis.
In der liturgischen Sprache wird korrekterweise Christus, der Sohn Gottes, als Ebenbild des Vaters bezeichnet:
„Dies schenk uns, Vater voller Macht, / und du, sein Sohn und Ebenbild …“ (Hymnus in der Vesper vom Montag der ersten Woche) Ähnlich betet die Kirche im Hymnus der Vesper nach Christi Himmelfahrt:
„Lass gläubig uns den Vater sehn, / sein Ebenbild, den Sohn, verstehn …“
Die Bezeichnung des Menschen als Abbild Gottes ist ebenso missverständlich, denn ein Abbild ist eine Abbildung, eine Kopie des Originals, diesem in jeder Hinsicht gleichend – also eine Irrlehre.
Stattdessen ist es Aufgabe des Menschen, in der Nachfolge Jesu Gott, seinem Denken und Wollen, immer ähnlicher zu werden, in der Orientierung an Gott im Idealfall sein Ebenbild zu werden, wenngleich dieses Ideal unerreichbar bleibt.

Was bedeutet also der Begriff Erbsünde?

Wenn wir den Genesistext als metaphorische Lehrerzählung verstehen, können wir sagen: Erbsünde (peccatum originale) bezeichnet die Bereitschaft eines jeden Menschen, sich selbst dann und wann oder beständig an die Stelle Gottes zu setzen. Diese Bereitschaft ist allen Menschen eigen, sozusagen mit dem Menschsein „ererbt“.
Allerdings ist der Begriff Sünde bzw. peccatum in diesem Zusammenhang nicht korrekt. Mit diesem Terminus widerspricht die Theologie sich selbst. Denn nach kirchlicher Lehre setzt jede Sünde persönlich schuldhaftes Tun oder Unterlassen in freier Entscheidung voraus. Folglich kann Sünde nicht erblich sein. Der Begriff peccatum originale bzw. Erbsünde, Ursünde oder Ursprungssünde, wie die Theologen heute dazu sagen, ist also falsch gewählt. Was der Mensch von seinen Urahnen geerbt hat, ist seine Beschaffenheit, sich immer wieder Gott widersetzen und an seine Stelle setzen zu wollen. Aber erst mit der Entscheidung zum Handeln gegen Gottes Willen sündigt der Mensch. Anstatt von Sünde könnten wir von einer Beschaffenheit sprechen, die den Menschen zum Aufstand gegen Gott, also zur Sünde, bereit macht. Ursünde ist dem Wesen des Menschen eigen und meint die Veranlagung zu der Möglichkeit, sich an die Stelle Gottes setzen zu wollen.

Rechtgläubigkeit dieses Verständnisses

Kein Theologe wird heute noch am Monogenismus festhalten, vielmehr gilt der Polygenismus inzwischen als selbstverständlich. Er ist auch mit der Bibel in Einklang zu bringen, wenn wir das Buch Genesis als Metapher und nicht als historischen Bericht verstehen.
Nun ist zu prüfen, ob unser Verständnis des peccatum originale mit der Lehre der Kirche bzw. mit Paulus, auf den sich das Tridentinum für seine Lehre berufen hat, vereinbar ist.
Die Konzilsväter in Trient gingen, wie schon gesehen, bei der Definition des Erbsündedogmas von der lateinischen Übersetzung des Römerbriefs aus. Diese war jedoch eine falsche Übersetzung von Röm 5,12. Anders formuliert: Die Konzilsväter gingen nicht von der Lehre des Apostels, sondern von einer Interpretation der apostolischen Lehre aus. Paulus hat geschrieben, dass „durch e i n e n Menschen die Sünde und durch die Sünde der Tod in die Welt gekommen ist und so der Tod zu allen Menschen gekommen ist, weil alle gesündigt haben“ (im griechischen Text: „eph’ ho pántes hémarton“ = weil alle gesündigt haben). Durch einen Menschen also kamen Sünde und Tod in die Welt, weil einer als erster gesündigt hat; zu allen aber kam der Tod als Folge der Sünde, weil alle gesündigt haben. Dabei ist zu beachten, dass Paulus als Kind seiner Zeit vom Monogenismus ausgegangen ist. Dieses Pauluswort lässt sich gut mit unserem Verständnis vereinbaren. Nur aus dem nicht paulinischen lateinischen Text lässt sich schließen, dass Sünde und Tod zu allen Menschen gekommen sind, weil in Adam alle gesündigt haben („in quo omnes peccaverunt“ = in welchem [Adam] alle gesündigt haben). Nun kam also die Sünde nicht mehr in die Welt, weil alle gesündigt haben (griech. Text), sondern weil in Adam alle gesündigt haben. Dies ließ sich dann so verstehen, dass mit der Sünde Adams alle zu Sündern geworden sind, also mit einer sogenannte Erbsünde behaftet sind.

Fazit

  • Das mit dem Begriff peccatum originale Gemeinte ist wirk- lich gegeben; die dafür verwendeten Ausdrücke (peccatum originale, Erbsünde, Ursünde, Ursprungssünde) sind aber unglücklich gewählt und verstellen das, was gemeint ist.
  • Das peccatum originale besteht nicht im Essen von der Frucht eines Baumes. Zu diesem Ergebnis kamen Theologen, weil sie die metaphorische Sprache von Gen 3 nicht ver- standen hatten. Die Ursünde des Menschen besteht viel- mehr darin, dass er immer wieder der Versuchung erliegt, sein eigener Herr sein zu wollen, sich an die Stelle Gottes zu setzen und damit in seiner Lebenspraxis Gott als seinen Herrn absetzen zu wollen. Dies ist nicht nur die Schuld eines ersten Menschen gewesen, sondern die eigentliche Schuld jedes Menschen durch alle Zeiten hindurch.
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