Ein adventlicher Weg zur ErstkommunionMensch werden

Advent ist voller Dramatik. Heile-Welt-Inszenierungen überdecken, was es heißt, dass Gott Mensch wird, sich mit allen Menschen solidarisiert. Ein neues inklusives Katechesekonzept sucht nach Alternativen. Gott wird Mensch – und das verändert alles!

Holt den Sohn vom Bahnhof ab. Er kommt.
Man weiß nicht genau, mit welchem Zug,
aber die Ankunft ist gemeldet.
Es wäre gut, wenn jemand dort auf und ab ginge.
Sonst verpassen wir ihn.
Denn er kommt nur einmal.
(Rudolf Otto Wiemer)

Der kurze Text von Rudolf Otto Wiemer gehört zu den Klassikern moderner Adventsliteratur.
Die Ankunft des Sohnes zu unbekanntem Zeitpunkt, das Warten am Bahnhof, die gespannte Aufmerksamkeit, die Einmaligkeit der Situation: Gut passt alles in die adventliche Erwartung und hat doch an Aktualität verloren. Seit auch die Bahn Fahrkarten mit Zugbindung verkauft, sinkt die Wahrscheinlichkeit der Ankunft mit irgendeinem Zug. Allenfalls die Pünktlichkeit bleibt ein Problem.
Eine weitere Herausforderung lauert im Verborgenen: Wer erkennt den Sohn überhaupt? Wie lange war er weg? Wie sieht er inzwischen aus? Wie sehr hat er sich verändert? In der säkularer werdenden Gesellschaft wird schließlich auch die Korrelation zwischen der Ankunft des Sohnes am Bahnhof und der im Stall von Bethlehem brüchig. 

Advent: keine Flucht in die heile, sondern Entdeckung der zerbrechlichen Welt

Brüchig wird aber auch die adventliche Erwartung insgesamt. Es war Jacques Derrida, der darauf aufmerksam gemacht hat, dass in unserem Kulturkreis Menschsein unter der Hand mit dem „erwachsenen weißen männlichen fleischfressenden Europäer“ zusammengedacht wird. Der Dogmatiker Karlheinz Ruhstorfer sekundiert:
„Menschwerdung Gottes besagt gemäß diesem Bonmot: Gott wird erwachsener weißer männlicher fleischfressender opferbereiter Europäer“. Nicht im Blick sind oft andere, nichtweiße, nichtmännliche, nichteuropäische, aber auch beeinträchtigte und behinderte Menschen. Krippenausstellungen machen mancherorts darauf aufmerksam, dass Gott auch in Kamerun oder Bolivien, auch in Japan oder der Türkei Mensch wird: Sie machen inkulturierte Krippenszenen zugänglich und befremden eine auf hiesige Darstellung gepolte Seherwartung.
Dass Gott aber gerade als behinderter Gott der Gott der Christen ist, wie es Nancy Eiesland formuliert hat: Gerade in der Hoffnungszeit des Advent und den (vor-) weihnachtlichen Heile-Welt-Inszenierungen gerät dies aus dem Blick. Die Liturgien des Advent und der Weihnachtszeit halten demgegenüber beharrlich die Erinnerung aufrecht, dass Christinnen und Christen Weihnachten nur feiern können, weil sie zuerst schon das österliche Triduum begangen haben.
Christliches Ankommen im Advent – es wäre eine Neuentdeckung der Schönheit und Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens, mit dem Gott sich unverbrüchlich solidarisiert. Eine solche Neuentdeckung birgt pastorales und katechetisches Potential. Sie kann sich nicht auf die kurzen, viel zu vollen Wochen vor Weihnachten beschränken. Sie gibt vielmehr Katechese, Predigt und Pastoral das Thema Inklusion auf.

Adventliche Katechese ist inklusive Katechese – und umgekehrt: Alle dürfen ankommen!

Es waren solche theologischen Überlegungen, die die Entwicklung eines inklusiven katechetischen Konzepts für die Vorbereitung auf die Erstkommunion geleitet haben. Dass zudem Benedikt, unser Zweitjüngster, anders lernt als andere Kinder seines Alters, inklusiv beschult wird und mit seinen Mitschülerinnen und Mitschülern zur Erstkommunion gehen sollte, gab den praktischen Ausschlag.
Entstanden ist „Auf dem Weg zur Erstkommunion“ (Herder-Verlag 2017). Der modular aufgebaute Kurs bietet Lernangebote für Kinder mit und ohne Behinderungen, ihre Familien und Begleiter, das Katecheseteam und für die ganze Gemeinde an. Er ist also sowohl im engen wie im weiten Sinne inklusiv. Inklusion in der engen Wortbedeutung meint ja das gemeinsame Lernen von Kindern in der Vielfalt ihrer Begabungen und besonderen Bedürfnisse. In der weiten Wortbedeutung zielt Inklusion auf die Teilhabe aller, auf Ekklesiogenese, Kommunion-Gemeinschaft im Vollsinne des Wortes. Damit Inklusion im engeren Sinne gelingen kann, Kinder mit und ohne Behinderungen mitund voneinander lernen können, sind die Gruppentreffen so konzipiert, dass sich alle einbringen können: Kinder mit und ohne Behinderungen, Eltern und Geschwister, die immer mit eingeladen (und als Begleiter von Kindern mit besonderen Bedürfnissen nahezu unverzichtbar) sind. Die Treffen öffnen durch einen ritualisierten Ablauf einen Raum des Miteinander-Lernens: Einfache Gesprächsoder Handlungsimpulse ermöglichen es allen, sich auf ihre je spezifische Weise einzubringen. Eine gemeinsame Agape bereitet auf das große Fest, die feierliche Erstkommunion, vor und sammelt Lebensund Alltagserfahrungen ein.

Nachhaltiges Lernen durch eine religiös geprägte Erinnerungskultur

Leben und Glauben teilen – in der Verschiedenheit der Alltagserfahrungen: die Gruppentreffen ermöglichen ein Auffinden von Glaubensspuren im Alltag. Zugleich sind sie selbst ein Stück Glaubensweg, der später erinnert wird. „Auf dem Weg zur Erstkommunion“ traut – gegen den ersten Anschein – allen Beteiligten zu, aus der Taufberufung heraus ihr Leben im Glauben zu deuten. Natürlich braucht es dazu Unterstützung, Hilfestellungen für religiös wenig erfahrene Menschen werden selbstverständlich angeboten. Zum Lernanlass werden aber Erfahrungen, die Kinder (und nach Möglich keit auch die Erwachsenen) miteinander deuten. Dazu gehört zunächst die Erfahrung des EingeladenSeins und des Einladens. Reihum laden sich die Gruppenmitglieder ein, nach Möglichkeit zu sich nach Hause, sonst ins Pfarrheim. Bereits die Gestaltung einer thematischen Einladung spielt religiöse Themen ein. Das zum Kurs gehörende „Mitmachbuch“ bietet neben inhaltlichen Impulsen viel Platz, um von jedem Gruppentreffen Fotos einzukleben. Im Laufe des Erstkommunionweges wird das Mitmachbuch so zu einem ganz persönlichen Wegbegleiter, der immer wieder zum Anschauen und Sich-Erinnern einlädt. Darüber hinaus bietet es Differenzierungsangebote für alle, die noch mehr wissen möchten.
Selbstverständlich werden soziale Medien eingebunden. Fotos spielen eine wichtige Rolle. Die moderne visuell geprägte Erinnerungskultur bietet die große katechetische Chance, Fotos wichtiger Ereignisse auf dem Erstkommunionweg – gerade auch des Erstkommuniongottesdienstes –, sogar Selfies als katechetische Medien zu verstehen und zu gestalten. Die Perspektive ändert sich: Der Fotograf beim Gottesdienst ist kein Störfaktor, sondern katechetisch engagiert, weil seine Fotos später die Erinnerung an die Feier und alles, was zu ihr gehört, erleichtern und gestalten.
Die Gruppen wiederum lernen, miteinander ins Gespräch zu kommen, Leben und Glauben zu teilen, Kirche zu werden – wenigstens auf Zeit. Aber wer sagt, dass die Zeit der Gruppentreffen mit dem Erstkommunionsonntag zu Ende sein muss?

Erstkommunion ist ein Geschenk für alle – auch in größeren pastoralen Räumen

In einem weiten Sinn inklusiv wird das Konzept durch Module, die es vielen Menschen ermöglichen, sich einzubringen. Workshops, die von Gemeindemitgliedern angeboten werden, eröffnen nämlich Chancen für individualisiertes, zeitsouveränes Lernen. Sie vernetzen, weil frei aus einem breiten Angebot gewählt, Kinder und Familien aus den Gruppen untereinander. Gerade in großen pastoralen Räumen ergeben sich so interessante Begegnungs-, Gesprächsund Erfahrungsmöglichkeiten. Thematisch ist vieles möglich: Kirchraumerkundigungen, Rosenkranzbasteln, Krippenwege. Sinnvoll können Angebote für Eltern sein. Bei der Erprobung des Konzeptes waren Besichtigungen von Betrieben ein großer Renner: Auf dem Bauernhof kamen Kinder mit den Rhythmen der Natur, agrarischer Hintergrund vieler biblischer Erzählungen, in Kontakt. Eine Schreinerei führte behutsam an die Berufswelt des Bauhandwerkers Jesus aus Nazaret heran. Eine Adventsfeier im Schafstall roch auf ganz neue Weise nach Weihnachten – und etwas von diesem Geruch blieb in der Kleidung haften. Freiwillig ausgewählte, spannende Wochenendund Abendtermine wurden von ganzen Familien als gemeinsamer Erlebnisraum angenommen.
Die zeitliche Überschaubarkeit der Workshops bietet viele Chancen: Menschen können sich als Workshopleiter  einmalig,  aber  intensiv engagieren und ihre individuelle Begabung katechetisch einbringen. Gerade auch ehemalige Erstkommunioneltern können dafür gut angesprochen werden. Die Erstkommunionkinder und ihre Familien werden in ihren unterschiedlichen Interessen und zeitlichen Möglichkeiten ernst genommen. Sie haben die Wahl! Katechese wird für sie zum Erfahrungsort der Freiheit, nicht zu einer gängelnden, fremdbestimmten zeitlichen Belastung.

Aufgabe der „Profis“: Kompetent deuten und anleiten

Die vielfältigen Erlebnisse und Erfahrungen auf dem Weg zur Erstkommunion rufen nach Deutungen. Für die braucht es die religiösen Profis: Menschen, die in der Lage sind, Erfahrungen aufzunehmen und einzuordnen. Das inklusive Konzept von „Auf dem Weg zur Erstkommunion“ eröffnet den katechetisch Verantwortlichen neue Möglichkeiten. Sie sind natürlich organisatorisch verantwortlich. Aber darüber hinaus sind sie als Gesprächspartner gefragt, die Erfahrungen, Arbeitsergebnisse, Lebensfragen aufnehmen und Deutungshilfen anbieten. Dazu findet ein wichtiges Gruppentreffen – wenn irgend möglich – beim Pfarrer daheim statt. Auch er ist ein Mitglaubender, auch er lädt ein, lässt sich auf die Begegnungen mit der Vielfalt der Menschen ein, die sich auf den Erstkommunionweg machen. Auch er gibt etwas von sich preis, wenn er seine Wohnung öffnet und die Agape vorbereitet. Und er ist als Gesprächspartner präsent, Teil der Gemeinschaft der im Glauben Suchenden. Ein offener Elternstammtisch könnte eine weitere Möglichkeit sein.
Viele Menschen auf dem Weg zur Erstkommunion haben wenig Erfahrungen mit der Liturgie. Das Kurskonzept schlägt deshalb vor, das Gotteslob, das ja durchaus auch als katechetisches Werkzeug konzipiert ist, sinnvoll einzusetzen. Beim inzwischen vielerorts üblichen Vorstellungsgottesdienst wird den Kindern – analog zum katechumenalen Weg – das Gotteslob feierlich überreicht. Es hilft ihnen anzukommen: in der Feiergemeinde und im Kirchenjahr. Dazu wird der erste Adventssonntag als Vorstellungssonntag gestaltet. Gottesdienstpatinnen und -paten unterstützen Kinder und Familien bei der Mitfeier. Und von nun an wird auch im Gottesdienst regelmäßig an den Erstkommunionweg erinnert. Für einige Gottesdienste bereiten die Erstkommunionkinder auch kleine Exponate vor. Sie werden vom Prediger gewürdigt und für alle – Kinder und Gemeinde – gedeutet.

Gottes Ankunft unter den Menschen: Inklusive Katechese macht sie sichtbar

Inklusive Erstkommunionkatechese bewegt viele. So wird erfahrbar: Im Hinzutreten junger Menschen zum Tisch des Herrn ist Gott selbst am Werk. Er bringt Bewegung in die Gemeinde. Er macht Marginalisierte sichtbar, lädt Ausgeschlossene und Exkludierte ein.
Im Bereich der Katechese ist Inklusion längst überfällig. Seit Jahren werden Kinder mit verschiedensten Beeinträchtigungen in allen Bundesländern mit zunehmender Regelmäßigkeit inklusiv beschult. Deshalb ist die bisher nicht selten praktizierte Katechese und Erstkommunion im Kontext der Förderschule kein gangbarer Weg mehr. Dass er sich theologisch und pastoral verbietet, sollte sich eigentlich von selbst verstehen. In der Praxis zeigt sich: Der Weg ist lang und von vielen Unsicherheiten begleitet. „Auf dem Weg zur Erstkommunion“ gibt Hilfen für eine Erstkommunion in Vielfalt und Gemeinschaft!
Den Sohn vom Bahnhof abholen, das heißt: Nicht nur an den fleischfressenden Europäer zu denken, sondern Gott in der Vielgestalt menschlicher Antlitze zu entdecken. Inklusive Katechese ist ein Weg dorthin. Denn Gott zu finden kann man lernen.

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