Wenn die Quellen und materiellen Hinterlassenschaften verloren gegangen sind, können Rekonstruktionen helfen, historische Entscheidungsprozesse und Entwicklungen zu ermitteln. Die Professur für Alte Geschichte der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat sich dem Ziel verschrieben, an Beispielen diese Methode zum Prinzip zu erheben. Erfolgreich wurde dies bereits mit römischen Patrouillenbooten und mit Artillerie verschiedener Gattungen betrieben. Künftig werden antike Transportmittel rekonstruiert und getestet.
Problem des Pilzbefalls
Die Fridericiana Alexandrina Navis (F.A.N.) wurde von 2016 bis 2018 nach dem Vorbild des Wracks II in Oberstimm gebaut. Auch die Danuvina Alacris ist zwischen 2020 und 2022 nach dem Vorbild der Wracks V und I von Mainz von der FAU gebaut worden (Abb. 1). Sie liegen jetzt auf dem Altmühlsee bei Gunzenhausen an der nördlichsten Spitze des Rätischen Limes. Es sind nicht die ersten Nach bauten von Binnenschiffen, die den Patrouillendienst leisten, aber diejenigen, die aktuell am nächsten am historischen Vorbild sind. Mit dem Bau entsteht die Verpflichtung zur langfristigen Erhaltung – hier liegt das Dilemma, waren doch die Boote nicht ursprünglich auf lange Nutzungsdauer hin konzipiert. Bei dem Vorbild der F.A.N. ist das sogar belegt. Auch bei der Olympias hatte man mit Befall zu kämpfen – ja, er scheint sich aus der mediterranen Nut- und Federbauweise zu ergeben
Ende 2020 wurde festgestellt, dass der Gemeine Zaunblättling etwa 30 % der Kieferplanken der F.A.N. rund 20 cm oberhalb der Wasserlinie befallen hatte (Abb. 2). Der Pilz hatte das Weichholz der Planken vertilgt, ohne äußerlich sichtbare Spuren zu hinterlassen, bis er seine Frucht zur weiteren Ausbreitung bildete. Dadurch wurde die Struktur des Bootes geschwächt und es drang Wasser ein. Im Frühjahr 2021 wurde die F.A.N. mit Trockeneis abgestrahlt und die schadhaften Planken ersetzt, wodurch das Boot gerettet wurde. Die vollständig aus Eiche (mit den ihr eigenen Gerbsäuren) gebaute Danuvina ist in dieser Hinsicht beständiger. Weiterhin ist der einfachere Bau im gallo-römischen Stil vorteilhaft, der ohne Nuten und Federn auskam.
Abb. 2 Schädlingsbefall gerade an den Nuten der F.A.N., April 2021. Deutlich unbeschädigt dagegen die Federn aus Eiche (s. Pfeil).
Boris Dreyer
Von Juli 2018 bis November 2023 wurden mit den Booten umfangreiche Tests in fließenden und stehen den Gewässern durchgeführt, deren Ergebnisse bis in den Hochseebereich aussagekräftig sind. Beide Boote wurden bis zum Dollbord nach den jeweiligen Vorlagen gebaut, während nicht erhaltene Bootsteile (Riemen, Steuer, Segel) für den Leistungsvergleich einheitlich gestaltet wurden (Abb. 3). Die Tests ergaben ein komplexes und differenziertes Bild der Leistungsfähigkeit der Boote vom Typ Oberstimm und Lusoria aus Mainz. Die Boote vom Typ Oberstimm, nachgebaut als F.A.N., erwiesen sich als wendiger und schneller im Sprint. Beim Segeln hat der Typ Oberstimm aufgrund der weit vorne liegenden Maststellung mehr Schwierigkeiten, da die F.A.N. leichter ist und dadurch geringere Reibung auf dem Wasser hat. Die längeren Steuer beider Boote sorgen für mehr Kursstabilität.
Lusoria versus Oberstimm
Für den Einsatz in kleinen und flachen Flüssen nördlich der Alpen mit langsamen, mäandrierenden Strömungen sind kurze Riemen (3,60 bis 4,10 m) und flach reichende Steuer empfohlen. Beim Wrack II von Oberstimm (F.A.N.) hätte das Problem des nahe am Bug befindlichen Mastes durch eine Verlegung nach Achtern, wie beim baugleichen Pisanave C Schiff, gelöst werden können. Das Sprietsegel hat sich bei der F.A.N. als überlegen gegenüber dem historisch belegten Rahsegel erwiesen. Beide Boote stabilisieren ihren Kurs durch Riemeneinsatz auf der Leeseite. Die Platzierung der Riemen vor den Dollen bietet keinen entscheidenden Vorteil gegenüber der kardanischen (i. e. historischen) Anbringung. Die Kraftübertragung ist trotz schmalerer Ruderblätter vergleichbar mit modernen Skullbooten. Der Betrieb ist in der F.A.N. aufgrund geringerer Reibungskräfte angenehmer als in der Danuvina. Beim Rudern hat die Danuvina Vorteile bei höherer Geschwindigkeit, und beim Segeln ist das Lateinersegel optimal, da der Mast weiter hinten liegt.
Abb. 3 Tests auf dem Altmühlsee mit Danuvina und F.A.N. (mit Lateinersegel), Mai 2023.
Boris Dreyer
Insgesamt hat die Danuvina vom Typ Lusoria die größeren Vorteile für das Einsatzspektrum: Sie ist günstiger und einfacher herzustellen, die Bootsbautradition liegt örtlich näher und sie ist im Einsatzgebiet im Vergleich zum Typ Oberstimm (F.A.N.) im Segelverhalten, in der Haltbarkeit und für den routinemäßigen Einsatz der Bewachung (flussabwärts) überlegen. Dies dürften die entscheidenden (von Vegetius aber am Ende seines Werkes verschwiegenen) Gründe, die wir durch die Tests nachweisen können, gewesen sein, die zum bevorzugten Bau des Lusoria-Typs in der Spätantike führten.
Literatur
B. DREYER, Oberstimm. Römisches Schnellboot kehrt zurück, in: Archäologie in Deutschland 4 (2018) 64–65.
DERS. (Hrsg.), Die Fridericiana Alexandrina Navis (F.A.N.). Ein Römerboot auf dem Prüfstand – Bau und Test für Wissenschaft und Öffentlichkeit (2022).
B. RANKOW (Hrsg.), Trireme Olympias. Final Report (2012) 170–212.