Vom Vertrauen zur Kirche (1941)

Als sich die Bischöfe zur Konferenz in Fulda (2021) trafen, um Wege aus der Krise zu finden, hatten sie fast auf den Tag genau 80 Jahre zuvor einen Vorläufer mit einem nahezu gleichen Thema: damals die Tagung der „Kirchlichen Hauptstelle für Männerseelsorge und Männerarbeit“. Während der NS-Zeit fragte sich die Kirche, wie sie ihre Sendung in die Welt erfüllen könne, und ob es nicht auch innerkirchliche Gründe gäbe, weswegen das Vertrauen der Menschen zu ihrer Kirche schwinde.

Die „Aussprachekonferenz“ in Fulda wurde bald zu einem zentralen Ort der Vernetzung insbesondere des katholischen Widerstandes. Zu diesem Kreis gehörten neben Bischof Johannes B. Dietz Vertreter der Priester, Orden, Laien, Diözesen, religiösen Männervereinigungen, der Seelsorge der Frauen, Mütter und Jugend, der Hochschulen, und auch die später wie Alfred Delp ermordeten, dem Kölner Kreis zugehörigen Nikolaus Groß und Bernhard Letterhaus. Im Oktober 1941 hielt Delp auf Einladung des Provinzials Augustin Rösch SJ sein Referat, das er so zusammenfasste: „So bleibt die Frage nach dem Vertrauen zur Kirche immer wieder eine Frage nach dem Menschen in der Kirche in allen Stufen und Ämtern.“

In der folgenden weiteren Mitarbeit in Fulda konnte Delp, der die Anregung zum Gesamtthema über „Das gegenwärtige Weltverständnis und die christliche Haltung gegenüber der Welt“ gegeben hatte, seine Sicht in Vorträgen und Predigten vertiefen. Joseph Joos beschrieb Delps Wirken in Fulda später: „In P. Delp kam ein Mann von überragendem Wissen und beispiellosem Mut hinzu. Seit P. Delp in diesem Kreis mitarbeitete, hatte die Thematik der Tagungen an philosophischer Tiefe und politischer Brisanz gewonnen.“

Bereits in den Jahren 1935 und 1936 hatte Delp sich in Beiträgen der Zeitschrift „Chrysologus“ im Zusammenhang mit der „Katholischen Aktion des Mannes“ mit dieser Thematik eingehend befasst, seit die Hoffnung auf einen wahren „Aufbruch“ auch in Delp desillusioniert worden war und in Auseinandersetzungen mit dem Zeitgeist übergingen. Den Weg der Kirche kritisch aufbauend mitzugestalten, wurde Delp nicht müde. Ging es ihm doch darum, dass die Kirche auf ihrem Weg, die Ehre Gottes zu mehren, glaubwürdige Zeugin sei. Daraus folge ihr „Weltamt“, ihre Verantwortung als „Samaritan“, „sonst wird man uns die Botschaft vom Heil nicht glauben“. „Die Welt steht in Erschütterung. Nichts ist mehr festgefügt.“ Eine Ursache dafür sah Delp in dem „christlichen Mißtrauen gegen die Welt“, aus dem „christliche Fehlhaltungen“ entstanden seien, die „an diesen Entwicklungen mitschuldig sind.“

Dieser Gesamtzusammenhang findet in seinem überhaupt letzten Text zur Kirche, um die Jahreswende 1944/45 mit gefesselten Händen geschrieben, seinen dringlichsten Ausdruck: „Das Schicksal der Kirchen“, woraus Kardinal Marx sein – in der Kürze wohl verengendes – Zitat vom „toten Punkt“ bezogen hat, eigentlich ein Aufruf Delps, die „Rufe der Sehnsucht und der Zeit“ zu hören. „Die Kirchen scheinen sich durch die Art ihrer historisch gewordenen Daseinsweise selbst im Weg zu stehen. Die Wucht der immanenten Sendung der Kirche hängt ab vom Ernst ihrer transzendenten Hingabe und Anbetung.“

Es fällt auf, dass Delp zunehmend in Anspruch genommen wird: zuletzt etwa ausführlich von Bischof Bätzing in seiner Ansprache beim St.-Michael-Jahresempfang in Berlin in Anwesenheit Angela Merkels. US-Präsident Biden hatte seine Hoffnung für einen Neuanfang der Nation in seiner Rede in Delaware zu Weihnachten 2020 verbunden mit Delps Adventsmeditationen aus dem Gefängnis 1944: „Advent ist eine Zeit der Erschütterung, in der der Mensch wach werden soll zu sich selbst.“

Karl Rahner SJ, ein Delp freundschaftlich verbundener Mitbruder, ließ dessen Meditation 1975 in der „Orientierung“ abdrucken und schrieb dazu: „Was jemand schreibt, erhält seinen letzten Sinn und sein wahres Gewicht durch das, was er lebt. Der Text Delps zwingt uns zur Frage, ob wir seit 1945 trotz aller Anstöße des Konzils nicht doch uns im Ganzen zu restaurativ, zu verteidigend und bewahrend, zu konservativ (in einem schlechten Sinn) verhalten haben. Wenn dem nicht so wäre, wie könnte Delps Text dann noch so aktuell sein? Es sieht ja auch so aus, dass die äußere Situation in der Wirtschaft, Gesellschaft und Weltpolitik wieder so bedrohlich wird, dass der Text Delps auch von daher wieder mit größerem Verständnis gelesen werden kann.“

In diesem Sinne seien den Synodalen der deutschen Synode und der Weltsynode einige Rede-Ausschnitte mitgegeben. Mögen sie dem „gemeinsamen Gehen“, wie es Papst Franziskus ausdrückte, eine gute Hilfe sein.

 

Einleitung und Bearbeitung von Peter Kern,
Vorsitzender der Alfred-Delp-Gesellschaft

 

Vom Vertrauen zur Kirche

Die ganze Heilsökonomie Gottes ist unter einer bestimmten Hinsicht auf Vertrauen gegründet. Der Priester sucht den Menschen … mit vollem Herzen und vollen Händen. Er erlebt schwindendes Volk, wachsendes Unverständnis, zunehmende Interesselosigkeit. Die Sprache der Zahlen zeigt eine ständige Abnahme der kirchlich gebundenen Menschen… gibt es dafür auch andere, innerkirchliche Gründe?

Ein gutes Stück der Vertrauenskrise der Gegenwart stammt aus der Unfähigkeit des gegenwärtigen Menschen zum Vertrauen überhaupt. Das Leben wird zur geschlossenen Kugel, die nur mehr den Blick nach innen erlaubt… Im Grunde ist dieser Heroismus eine idealisierende Unehrlichkeit… Durch diese allgemeine Entwicklung wurde der Mensch an das immanente Welterlebnis ausgeliefert… in sein Dasein fiel kein jenseitiges Licht mehr… Das Ergebnis ist der Mensch, der jeder Gewalt sich ergibt und jedem stolzen Wort verfällt.

Manche Bewegungen innerhalb der Kirche sind nur als christliche Entsprechungen zu jenen außerchristlichen Haltungen zu verstehen… Das daseinsmäßig sich sicher und erhaben fühlende Christentum hat sich aufgelöst in Ethik und Gebotslast, in Heilsangst und Mißtrauen, in behütenden Traditionalismus, der im Namen des Schöpfergottes jeden neuen Ansatz zunächst einmal in Mißtrauen verschüttet, ihn am liebsten aus Vorsicht umbringen möchte; in geschichtsfremden Konservativismus und Flucht in ein oft freiwillig bezogenes Getto. Es gibt innerhalb des kirchlichen Lebens der Gegenwart eine Art dogmatischen Nihilismus und Pessimismus.

Was da geschieht, ist eine Totalisierung des Karfreitags und es wird vergessen, dass bei aller Realität des Karfreitags die letzten Worte des Herrn an die Schöpfung Ostern, Himmelfahrt und Pfingsten sind. Wenn wir heute oft eine erschreckende Resignation feststellen, als ob die Zeit der Kirche vorbei sei und irgendeine ungeahnte Form christlichen Lebens sie ablösen würde, dann beweist dies, daß dieses Spiel mit den Untergängen wirklich einen Verfall an den Eindruck und das Erlebnis des schwindenden Bodens bewirkt hat.

Was gesagt wird, wird nicht gesagt aus Freude an der Feststellung von Mängeln, sondern weil das Anliegen, daß die Kirche ohne Makel und Runzeln sei, uns immer wieder zu einer großen Ehrlichkeit und zu einer großen Sachlichkeit treiben muss. Es geht um den Glanz der Kirche, nicht den Glanz der äußeren Macht und Herrlichkeit, sondern um den Glanz der Gloria Dei, der als Ergebnis der inneren Weihe und Würde strahlen soll, so dass die Menschen eine Ahnung davon bekommen sollen von dem großen Gott, der hinter dieser Kirche steht.

Einer der Gründe, warum die gegenwärtige Entwicklung uns so unvorbereitet und überraschend überrannt hat, besteht in diesem beziehungslosen Mißverhältnis zur allgemeinen geistigen Situation. Es liegen im geistigen Raum der Kirche so viele Anliegen unerfüllt und unerledigt herum. Uns fehlt irgendwie der große Mut, der nicht aus dem Blutdruck oder der Jugendlichkeit, sondern aus dem Besitz des Geistes und dem Bewußtsein des Segens, der uns zuteil geworden ist, kommt. Und deswegen haben wir Angst und begeben uns auf die Flucht… Als ob wir nicht gesandt seien bis ans Ende der Tage und so für jeden Tag eine echte Verheißung besäßen. Gerade das kirchliche Hirtenamt steht heute oft im Kreuzfeuer der Fragen und Kritik. Wie will die Kirche den Christen retten, wenn sie die Kreatur, die christlich werden soll, im Stich lässt?

Eine der wichtigsten Gründe der Zerstörung oder Minderung des Vertrauens liegt in der gegenseitigen Diskriminierung der ‚Gruppen‘ und ‚Richtungen‘ vor dem Laien und vor dem Suchenden… Es muß innerhalb der Kirche die ehrliche Aussprache und der christliche Meinungsaustausch zwischen den verantwortlichen Menschen und Instanzen möglich sein. Die Situation wird grundlegend nicht durch Verhandeln geändert, sondern durch die Bekehrung. Ut vitam habeant: Dieses Wort muss gerade in einer Zeit, die in das Leben verliebt ist, eine neue Erfüllung und Darstellung erfahren… Die Kirche müßte sich einmal von außen betrachten, um zu sehen, wie verhängnisvoll diese Gruppenkämpfe… auf den suchenden Menschen wirken.

Die Bindung an diese Aufgaben ist eine Bindung aus der Verantwortlichkeit, die wir dafür tragen, dass das Antlitz Gottes in der Kreatur bleibe. Wir sollen vor die Menschen treten nicht zuerst, weil wir zweitausend Jahre hindurch immer da waren und weil wir große Zeiten hinter uns haben, sondern weil wir begriffen haben, was der strömende Heilswillen Gottes ist. Wir dürfen uns innerlich nicht verengen auf die eigene Sicherheit oder das eigene Heil. Das erste worum es zu gehen hat, ist der Glanz und die Ehre des Herrgotts, und wer echt für diese steht, dem wird all das andere zugegeben werden.

Und so bleibt die Frage nach dem Vertrauen der Kirche immer wieder eine Frage nach dem Menschen in der Kirche in allen Stufen und Ämtern, und so bleibt die Krise des Vertrauens zur Kirche immer wieder die Klage über die Krise des kirchlichen Menschen, und so bleibt die Aufgabe, die sich aus der Pflicht zur Wiederherstellung des Vertrauens zur Kirche ergibt, zuerst und zuinnerst die Aufgabe der Wiederherstellung und Bildung eines echten und zuversichtlichen kirchlichen Menschen.

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