Rezensionen: Politik & Gesellschaft

Körner, Felix: Politische Religion. Theologie der Weltgestaltung – Christentum und Islam.
Freiburg: Herder 2020, 336 S. Gb. 30,–.

Nicht nur Otto von Bismarck, sondern auch viele andere meinen gelegentlich (zuletzt sehr lautstark während der Flüchtlingskrise 2015), „mit der Bergpredigt könne man keine Politik machen“ (13). Offensichtlich ist diese Formulierung unterkomplex, allein schon deswegen, weil die Bergpredigt im Zusammenhang mit der Reich-Gottes-Botschaft zu lesen ist, die „fraglos einen Weltgestaltungsanspruch“ (ebd.) stellt, wie Politik es ja von ihrem Wesen her auch tut; und noch mehr deswegen, weil schon ein oberflächlicher Blick auf den Globus zeigt, dass Religionen und politische Prozesse auf vielfältigste Weise ineinandergreifen. An diesem Faktum kommt niemand vorbei. Religion verschwindet nicht. Politik wird mit ihr gemacht.

Um also der Komplexität des Themas gerecht zu werden, unternimmt Felix Körner SJ gleich sieben, mit reichhaltigem Anschauungsmaterial gefütterte Anläufe:

1. Menschen und Gesellschaften finden sich faktisch in religiös geprägten Kulturen vor, die auch ihr politisches Urteil beeinflussen (22-76). 2. Religion kann aber auch genau der Stachel sein, der gegen die vorgefundene, religiös geprägte Identität löckt und so dazu beiträgt, eine neue kulturelle Identität zu stiften (77-131). 3. In beiden Fällen kann Religion dann eine legitimatorische Funktion für alte oder neue politische Ordnungen, für alte oder neue Rechtssysteme und im Fall der Fälle auch für entsprechende Unrechtssysteme einnehmen (132-174). 4. Dagegen steht das prophetisch-kritische Element in den Religionen. Gerade wegen ihres Transzendenzbezuges sind Religionen offen für die Relativierung irdischer Machtverhältnisse (175-217): „Hier stützen wir uns auf Wolfhart Pannenberg und zeigen die Bedeutung dessen, was mit Christus in die Welt gekommen ist“ (175). 5. Mit der Problematik der Macht geht auch die Problematik der Ohnmacht einher. Religion bietet Menschen einen Raum, um Schwäche einzugestehen, die zur conditio humana gehört, also Endlichkeit, Scheitern, Nichtbegreifen (218-250). Das ist aber wiederum 6. eine Stärke, weil Religion so zum Zeugnis befähigt und inspirieren kann, ohne Gefolgschaft einklagen zu müssen (251-286). Der Autor gelangt schließlich zu 7. seiner Definition von Religion. Sie ist offen für das interreligiöse Gespräch und weist diesem auch eine inhaltliche Richtung: Religion ist „Anerkennung des Anderen“ (288-307). Das Anerkennungs-Geschehen wird unter zehn Rücksichten beschrieben. Diese liefern Kriterien für ein Religionsverständnis, das diese einerseits nicht bloß reduziert auf verallgemeinerbare Vernunfteinsichten, und damit auf ein Ende der Religionen. Andererseits folgt aus einem solchen Religionsverständnis durchaus, dass Heilige Kriege und rechthaberische Dispute dem Wesen der Religion gerade nicht entsprechen. Vielmehr wäre, so gesehen, die „raison de la raison“ (Pascal) von Religion Versöhnung.

Körner dekliniert alle seine Themen mit Text- und Traditionsbelegen aus der biblischen und der islamischen Tradition durch, auch mit sehr persönlichen Zeugnissen – was die anspruchsvolle Lektüre gelegentlich entspannt. Die Analyse von Koran-Passagen hilft, diese negativen Klischees zu entziehen und neue Einsichten zu gewinnen. Das (jesuitische) Bemühen ist spürbar, „die Aussage des Anderen“ zunächst einmal „zu retten“, wie es in den ignatianischen Exerzitien heißt (vgl. GÜ 22). Politikwissenschaftlich-methodisch knüpft Körner an Charles Taylors Begriff der „Gesellschaftsvorstellungen“ (44 ff.)  sowie an Eric Voegelins Untersuchung der vorbegrifflichen Ordnungsvorstellungen an, wie sie in Symbolen „repräsentiert“ werden (147 ff.). Das eröffnet einen Zugang in die Rationalität religiöser Symbolik. Körner entfaltet sie geradezu mit einer Lust an Komplexität, die in Überkomplexität zu kippen droht, wenn man es zu eilig mit der Lektüre hat oder sich unterkomplexe Klarheit wünscht. Trotzdem: Das Buch macht es lange nicht jedem und jeder recht. Im Gegenteil: Gerade im 7. Teil wird deutlich, dass der Autor im Fall der Fälle eben nicht für die schnelle Freund-Feind-Kennung plädiert, welche religionspolitische Diskurse oft kennzeichnet, sondern entschieden für eine Würdigung des „Anderen“ insbesondere auch dann, wenn er oder sie oder der Sachverhalt zunächst befremdet.

                Klaus Mertes SJ

 

Striet, Magnus: Theologie im Zeichen der Corona-Pandemie. Ein Essay.
Ostfildern: Grünewald 2021. 128 S. Gb. 14,–.

Seit Ausbruch der Pandemie hat sich die Theologie mit Deutungen meist zurückgehalten. Von manchen wurde dies kritisiert. Aber war es nicht auch klug angesichts der Schwere des Geschehens? Magnus Striet traut sich in seinem Essay eine Deutung zu. „Gott“, so schreibt er, ist ein „Sehnsuchtswort“, und die Pandemie ist ein Stresstest für dieses Wort – denn wo bleibt Gott angesichts des Leids so vieler Menschen?! Zu Beginn grenzt sich Striet ausführlich von „schlechter Theologie“ ab: Die Pandemie ist niemals Folge der Sünde, und Augustinus, auf den diese Sündentheologie letztlich zurückgeht, liege mit seiner „Erbsünde“ – das hört man heute sehr oft – schon mal ganz falsch. Der gütige oder liebe Gott ist schon lange in der Krise, in der Pandemie noch viel mehr.

Der Märtyrerkult in der Kirche sei fatal. Paulus mit seiner Sündentheologie und das Exsultet mit seiner felix culpa sind auch schlecht, Hiob mit seiner Gottesklage und Gernhardt mit seiner Gottesdistanzierung hingegen gut. Bittprozessionen oder überhaupt ein Gebet, Gott möge die Pandemie beenden, seien sinnlos, denn Gott wird nie in die natürliche Evolution der Welt intervenieren. Mit Pandemiebekämpfung hat Gott nichts zu tun, denn allein die Naturwissenschaft ist hierfür hilfreich. In der großen Pest des 14. Jahrhunderts sagte die Theologie nichts Kluges, allein Boccaccio – er sprach von der „Grausamkeit des Himmels“ – war auf der richtigen Spur; was Boccaccio aber theologisch so Wichtiges gesagt habe, führt Striet nicht aus. Ausführlich grenzt sich Striet von einigen Bischöfen, Kardinälen und Papst Franziskus ab – warum kritisiert er so auffällig die Amtsträger? Immer wieder klagt Striet die als allein relevant erklärte Theodizee-Frage ein …

Nach etwa 100 Seiten beginnt endlich sein eigener Entwurf: Wenn Gott frei und allmächtig ist, wie ist dann menschliche Freiheit denkbar? Gott hat die Welt in einer „Selbstkontraktion“ aus sich entlassen und gibt damit Raum für freies Nichtgöttliches; in seiner freien Allmacht ist er der Kontingenz fähig. Die „Selbstzurücknahme Gottes“ – dass er in das Weltgeschehen nicht eingreift: Kostet sie nicht einen zu hohen Preis? Die heikle theologische Frage der Gegenwart ist jene, wie ein Gott, auf den man hofft, zusammenzubringen sei mit dem Weltwissen? Dass es zu Mutationen von Viren kommen kann, gehört zur geschaffenen Natur. „Ein Virusgeschehen gibt es, weil Gott es zulässt, so wie er auch zulässt, dass die biologische Evolution von selektiven Prinzipien vorangetrieben wird, die nüchtern betrachtet effektiv und gnadenlos zugleich sind“ (120).

Der Essay ist mit heißer Feder geschrieben, an sprachlicher Feinheit wäre noch Luft nach oben. Das häufige „Ich“ wirkt teilweise etwas bekenntnishaft. Die schnellen Sprünge durch die Geistesgeschichte und die Polemik überzeugen nicht immer. Die anderen gegenüber eingeforderte Theodizee-Frage wird am Ende kaum angegangen. Es bleibt ein Gott, der in seiner Allmacht und Freiheit zwar nie in das Naturgeschehen eingreift, dann aber doch empathisch ist und sich inkarniert, allerdings Pandemien einfach nur zulässt? Auch ob und wie man diesen wohl eher postulierten und gedachten Gott verehren und zu ihm beten darf, wird nicht weiter thematisiert.

                Stefan Kiechle SJ

 

Prantl, Heribert: Not und Gebot. Grundrechte in der Quarantäne.
München: C.H. Beck 2021. 199 S. Kt. 18,–.

Kennt Not kein Gebot? Doch. Not und Gebot bzw. die Aussetzung von Grundrechten in Notzeiten gehören in ein Verhältnis zueinander gesetzt. Gerade wenn es „um Leben und Tod“ geht, muss der Blick weit bleiben, damit Abwägungsprozesse möglich bleiben: „Nicht nur bei Corona, sondern auch bei Entscheidungen über Umwelt- und Klimaschutz, über Verkehrspolitik, Asyl und Waffenexporte, wo man die Toten nicht zählt“, geht es um Leben und Tod, „von Flüchtlingen gar nicht zu reden“, auf die in Corona-Zeiten kaum einer schaut, ebenfalls mit tödlichen Folgen (137-148). Der absolute Primat des Infektionsschutzes in Corona-Zeiten macht Politik unmöglich. Es kommt hinzu: Auch die Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus kosten Leben, aber eben „an anderer Stelle. Alte Menschen sterben früher; an Isolation. Patienten werden später operiert; vielleicht zu spät … Die Zahl der Suizide steigt. Unzählige verlieren ihre wirtschaftliche Existenz“ (13) Es ist eben nicht die ganze Wahrheit, dies alles dem Virus anzulasten. Es ist auch Konsequenz der Maßnahmen gegen das Virus.

Der Autor ist schon früh als Mahner aufgetreten und hat dabei manche genervt, wie Mails an ihn bezeugen, die er zitiert und mit denen er sich auseinandersetzt. Schon im ersten Kommentar in der SZ vom 13.3.2020 klingt die Sorge über einen „virologisch-publizistisch-politischen Verstärkerkreislauf“ an, „bei dem man noch nicht weiß, wohin er führt und wann er endet“ (37). Sechsundzwanzig weitere Kommentare folgen und werden in dem Buch dokumentiert (37-97). Zum Jahreswechsel 2020/2021 resümiert Prantl ein Gefühl von Heimatverlust. Haltepunkte sind verloren gegangen. „Im Kampf gegen das Virus wurden Maßnahmen ergriffen, die vor Corona niemand für möglich gehalten hätte. Grundrechte wurden eingeschränkt in einer Massivität wie nie zuvor in der Geschichte der Bundesrepublik“ (96). Er besteht immer wieder darauf: Nicht die Geltung der Grundrechte muss sich rechtfertigen, sondern deren Einschränkung. Sonst kippt die gesellschaftliche Stimmung ins Autoritäre.

Von den folgenden Kapiteln dürfte in dieser Zeitschrift besonders jenes über die Rolle der Religionsgemeinschaften interessieren (109-120). Prantl ist bekennender katholischer Christ. Das spürt man in allen Kapiteln des Buches. Es war für ihn fatal, dass die Kirchen „den Abstand zur neuen Form der Nächstenliebe“ erklärten, statt ihn wenigstens lautstark zu beklagen (110). „Nächstenliebe bestand … in der eifrigen Übererfüllung der staatlichen Verordnungen“ (111). Gegen die Protestierenden wurden Sätze der Beschwichtigung formuliert (112). Zweifel kommen Prantl auf, wieviel Nächstenliebe hinter den Distanzappellen steht, und wieviel Angst vor der eigenen Ansteckung (113). Die lebensnotwendigen, trostspenden Rituale der Religionsgemeinschaften könnten durch die Zurückhaltungspolitik der Kirchen dauerhaft beschädigt sein (119).

Zu den defensiven Impulsen in Corona-Zeiten gehört es, nachdenkliche Überlegungen einzuleiten mit Formulierungen wie: „Ich bin kein Corona-Leugner, aber …“. Prantl macht erfreulicherweise davon keinen Gebrauch. Er hat es nicht nötig. Er kennt die Einwände. Er muss niemanden verteufeln. Sein Zorn richtet sich gegen eine Stimmung und gegen Stimmungsmacher, die genau diese Offenheit für abwägendes Nachdenken nicht ertragen. Die Unduldsamkeit gegenüber Kritik ist es, die die Gesellschaft spaltet, nicht das Einstehen für Grundrechte, selbst dann nicht, wenn man selbst noch keine Patentlösung dafür hat, welches Schutzkonzept in Zeiten der Pandemie das Beste ist.

                Klaus Mertes SJ

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