Rezensionen: Geschichte & Biografie

Wolf, Hubert: Verdammtes Licht. Der Katholizismus und die Aufklärung. München: C.H. Beck 2019. 314 S. Gb. 29,95.

Ein kleiner Ärger vorweg: Nirgends in der Verlagsankündigung und im „Outfit“ des Buches scheint auf, dass es sich nicht um ein durchkomponiertes Werk handelt, sondern um eine Aufsatzsammlung mit durchweg früher publizierten Texten sehr unterschiedlichen Charakters, teils populär, teils wissenschaftlich, teils überblickhaft, teils mit Detailstudien. Dies anzukündigen, wäre redlich und würde keine falsch geweckten Erwartungen enttäuschen.

Nun aber positiv: Hubert Wolf zeichnet, vor allem im Prolog, in Kapitel 1 und im Epilog seines Buches, die komplexe Beziehungsgeschichte zwischen Aufklärung und katholischer Kirche nach. Er beschreibt vor allem die antiaufklärerische Haltung der Kirche im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, in der sie sich gegen Demokratie und gegen alles Moderne stemmte, mit den bekannten fatalen Folgen. Andere, aufklärungs- und reformfreundliche Strömungen gab es immer, aber sie konnten sich kaum durchsetzen gegen den übermächtigen Zentralismus Roms. In den weiteren Kapiteln schildert Wolf – in historischen Miniaturen über Einzelgestalten und über theoretische Auseinandersetzungen – dieses Ringen um das Verhältnis zur Aufklärung und zur Moderne. Insbesondere zeigt er, dass offene Persönlichkeiten immer schon für eine vernunftorientierte Wissenschaft, für pragmatischen und wertschätzenden Umgang mit modernen Staaten und für klare Abgrenzungen, etwa gegenüber dem Rassismus, gekämpft haben. All dies bereitete das Zweite Vatikanische Konzil vor, durch das die Kirche sich endlich öffnete für eine aufgeklärt-moderne Gesellschaft und Welt – was heute durch Rückwärtsbewegungen wieder gefährdet ist.

Interessant ist das Kapitel (Nr. 9) zum Islam: Dieser sei, so die Meinung vieler, antiaufklärerisch und vormodern geblieben und sollte sich die Kirche zum Vorbild nehmen, die sich aus einer vorkonziliar ähnlichen Situation zu einer modernitätskompatiblen Religion entwickelte. Die aufklärerischen Ideen der Menschenrechte und der Demokratie haben zweifellos ihre Wurzeln auch im jüdisch-christlichen Erbe, historisch greifbar u.a. im französischen Reformkatholizismus des 18. Jahrhunderts, aber nicht nur: Auch in der heidnischen Antike gibt es dafür Anknüpfungspunkte, die in der Neuzeit in Stellung gegen die tradierte europäische Gesellschaftsordnung gebracht wurden – mit der die Kirche damals jedoch unauflösbar verwoben war. Wolf sieht eine Parallele der Religionen: „Pluralisierung und Individualisierung in der Moderne führen offenbar verbreitet zu einer dialektischen Gegenbewegung: Religiöse Gemeinschaften reagieren …, indem sie ihre Lehre vereinheitlichen und verstetigen, ihre heiligen Texte verbindlich deuten, Interpretationshoheit monopolisieren, den Wahrheitsanspruch radikalisieren und Abweichungen bestrafen. Ambiguität wird mit Dogmatismus bestraft“. Heute unterliege daher auch der Islam einem „Zwang zur Dogmatisierung“; zu klären sei allerdings, „ob Koran und Neues Testament in vergleichbarem Umfang Interpretationsspielräume bieten, um die Trennung von Staat und Kirche theologisch zu rechtfertigen … – schließlich hatte Mohammed ein ganz anderes Verhältnis zur Herrschaft als Jesus“ (214 f.). Ein trotz seiner Disparatheit gut lesbares und sehr anregendes Buch.

Stefan Kiechle SJ

 

Rinke, Stefan: Conquistadoren und Azteken: Cortés und die Eroberung Mexikos. München: C.H. Beck 2019. 399 S. Gb. 28,–.

Die Europäer litten an einer Krankheit des Herzens, die nur mit Gold zu heilen wäre, soll der spanische Conquistador Hernán Cortés zu einem indianischen Fürsten gesagt haben. Vor genau fünfhundert Jahren begann er von Kuba aus einen schießlich zweijährigen Eroberungszug, der ihn nach Tenochtitlan, das den Europäern unbekannte Zentrum des Azteken- (oder Mexica-) Imperiums führte. Die prächtige Riesenstadt auf dem jetzigen Gebiet der Stadt Mexiko lag inmitten eines heute nur noch in kleinen Resten vorhandenen Sees und war doppelt so groß wie die ihrerzeit größte spanische Stadt. Ihre Organisation und Verteidigungsanlagen, ihre Paläste, Plätze, Märkte, Pyramiden und Tempel waren mit nichts zu vergleichen, was die Europäer in dem Vierteljahrhundert seit Kolumbus‘ Ankunft in der Karibik vorgefunden hatten.

Der in Berlin lehrende Historiker, Verfasser der lesenswerten kleinen „Geschichte Lateinamerikas: Von den frühesten Kulturen bis zur Gegenwart“ (München 2014) und 2017 Träger eines wichtigen mexikanischen Forschungspreises, beschreibt detailreich den sozial- und kulturgeschichtlichen Rahmen jener Zeit und die Herkunft des Cortés (Kap. 2, 3) sowie die damalige „Welt der Azteken“ (Kap. 4). Die Kap. 5 und 6 zeichnen den Weg der Spanier und ihrer indigenen Verbündeten von der Golfküste bis Tenochtitlan nach. Kap. 7 berichtet von Cortés‘ Begegnung mit Kaiser Moctezuma sowie von dessen gewaltsamen Tod. Es endet mit der Vertreibung der europäischen Eindringlinge nach sieben Monaten erzwungenen Aufenthalts im Juli 1520, welche für letztere den Verlust eines Großteils des bis dahin erbeuteten Goldes mit sich brachte, aber auch eine erhebliche Verwüstung Tenochtitlans. Kap. 8 behandelt die militärischen Vorbereitungen der endgültigen Einnahme der Stadt und den politischen Untergang des Aztekenreiches, während Kap. 9 die damit gegebene Grundlage des spanischen Kolonialimperiums in Mesoamerika darstellt, dem es nie gelang, die dort angetroffene Zivilisation völlig auszurotten.

Ein ausdrückliches Ziel des Buches ist die Kritik am weitverbreiteten Mythos der kleinen Schar wagemutiger Helden, die nur mithilfe ihrer Eisen- und Feuerwaffen und ihrer Hunde und Pferde ein Riesenreich zu Fall brachten. Stattdessen wird dieser vor allem durch die für ein Imperium charakteristische politische Instabilität erklärt, welche dazu führte, dass die spanischen Eroberer von vielen tausend Kriegern aus unterworfenen Völkern und der entsprechenden Logistik unterstützt wurden; sie selber waren wiederum in die komplizierten Beziehungen der miteinander konkurrierenden Gruppen der ersten Conquistadorengeneration eingebunden. Darüber hinaus stellt der Autor viele historische Gemeinplätze infrage, wozu er im 1. Kapitel ausführlich die verwendeten Quellen bespricht. Nichtspezialisten kann das Buch vor allem nachdenklich machen, denn es zeigt die Verquickung von zerstörerischer Gier nach Reichtum in Amerika (die meisten Goldgegenstände wurden umstandlos zu Barren verschmolzen), womit die schließlich kapitalistisch ausgeformte Globalisierung begann, und dem ihn letztendlich legitimierenden Christentum – ein Beginn weltweiter Nord-Süd-Beziehungen also, die auch heute noch koloniale Züge tragen.         

Stefan Krotz

 

Hagedorn, Jonas: Oswald von Nell-Breuning. Aufbrüche der katholischen Soziallehre in der Weimarer Republik. Paderborn: Ferdinand Schöningh 2018. 532 S. Gb. 69,–.

Als die Medien im November 2018 an das Ende des Ersten Weltkriegs und die erste demokratische Verfassung in Deutschland erinnerten, hat Jonas Hagedorn ein umfangreiches Werk über die wissenschaftliche Arbeit und das sozialpolitische Engagement Oswald von Nell-Breunings während der Weimarer Republik vorgelegt.  Im I. Teil des Buches sind biografische Daten gesammelt und Schlüsselbegriffe des „Korporatismus“ und des „Solidarismus“ präzisiert, die allerdings schillernd bleiben. Korporatismus wird als „Kooperation von Staat und großen Interessengruppen“ und als „sozialpartnerschaftliche Arrangements des Interessenausgleichs zwischen der Kapital- und Arbeitsseite“ (45 f.) definiert. Den in Frankreich entwickelten Solidarismus hat Heinrich Pesch nach Deutschland übertragen als „solidarische Verbindung der Menschen als solcher sowie als Glieder der natürlichen Gemeinschaften von Familie und Staat“ (67).

 Im II. Teil wird eine Topografie des politischen und sozialen Katholizismus skizziert, zu dessen Akteuren die Zentrumspartei, der Volksverein für das katholische Deutschland, christliche Gewerkschaften und weitere katholische Vereine und Verbände zählten.  Der Autor schildert treffsicher die interne, von Bischöfen noch zugespitzte Rivalität zwischen katholischen Arbeiterstandesvereinen und christlichen Gewerkschaften, Sozialromantikern, katholischen Sozialisten und Solidaristen.

Der III. Teil bildet die staatstheoretischen und wohlfahrtspolitischen Koordinaten der Sozialdemokratie und des Katholizismus ab. Der Autor hebt überzeugend hervor, wie diese nach den revolutionären Wirren und dem Ende der Monarchie zu treibenden Kräften der arbeitsrechtlichen und sozialpolitischen Innovationen der Weimarer Republik wurden, indem sie ein markantes Profil gewannen: (a) die Bindung von Sozialdemokratie und Katholizismus an ihre Sozialmilieus, was Spannungen erzeugte, indem sie den „roten“ und „schwarzen“ Arbeiter, und Kooperationen zuließ, außerdem den Schulterschluss zu den Gewerkschaften; (b) die Konvergenz ihrer Staatslehren: Die SPD löste sich von der marxistischen Idee zerfallender Staaten und respektierte das Funktionsvermögen des demokratischen Staates, Katholiken distanzierten sich von Kardinal Faulhabers Urteil, dass eine Regierung nicht gestürzt werden dürfe, Zentrumsmitglieder folgten der Position des Moraltheologen Josef Mausbach, die Reichsverfassung sei in der Entscheidung des Volkes und nicht metaphysisch verankert; (c) eine Annäherung der Korporatismuskonzepte: Sozialdemokraten sahen in einer Wirtschaftsdemokratie die Beteiligung der Arbeiter gewährleistet, plädierten jedoch für eine exponierte Rolle des Staates, dagegen blieben die Solidaristen reserviert, die Selbstverwaltung sollte „keiner staatlichen Weisungsbefugnis, wohl aber der staatlichen Aufsicht“ (165) unterliegen, die kapitalistische Klassengesellschaft leistungsgemeinschaftlich umgeformt, eine berufsständische Ordnung mit öffentlich-rechtlichem Status etabliert werden.

Im IV. Teil wird das thematische Spektrum der Publikationen Nell-Breunings während der Zwischenkriegszeit untersucht. Unter den elf Themenfeldern, die der Autor ordnet, ragt die detaillierte, sachkundige Präsentation der Börsenmoral heraus; akribisch spürt der Autor den technischen Verästelungen und ethischen Abwägungen nach. Ebenso sorgfältig ist das Themenfeld zum Kapitalismusverständnis Nell-Breunings recherchiert. Dessen sozialpolitische Kontinuität, bis in die Phase der Bonner Republik, wird in der Eigentums- und Wohnungsfrage sowie in der Reform des Bodenrechts erkennbar. Eine Diskontinuität fällt auf: In der Weimarer Zeit trat Nell-Breuning für die Vermögensbeteiligung der Arbeiter als einzigen Weg unternehmerischer Mitbestimmung ein, in der Bundesrepublik hielt er dies für eine „Fehlvorstellung“ (341).

Wer die Schatztruhe öffnet, die Jonas Hagedorn mit sozialwissenschaftlichen, politischen und theologischen Zeugnissen während der Weimarer Republik gefüllt hat, gewinnt kostbare zeitnahe Einsichten, um die Funktionen des demokratischen Staates und zivilgesellschaftlicher Bewegungen zu deuten.

Friedhelm Hengsbach SJ

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