Kurzpredigt Pfingstmontag, 9.6.2025Himmelsschlüsselchen

Pfingstmontag: Matthäus 16,13–19

Hannah wiegt den großen Schlüssel in ihrer Hand. Schwer ist er und verschnörkelt, ganz anders als all die anderen, die in dem alten Haus am Schlüsselbrett hängen.
Nach Großmutters Tod am Ostermontag hat die junge Frau eine Weile gebraucht, bevor sie das Haus betreten konnte. Aber heute ist sie mitgekommen. Oben räumen die Eltern Erinnerungen aus. Die beiden sind selbst schon nicht mehr die Jüngsten und können die Hilfe ihrer Tochter gut gebrauchen. Die hat für ein paar Minuten Platz genommen und betrachtet den großen schönen Schlüssel. Sie weiß genau, zu welcher Tür er passt.
Großmutter hat sich ihr Leben lang mit Herz und Hand um die kleine Dorfkirche gekümmert. Früher zusammen mit vielen anderen, zum Schluss fast immer allein. Gottesdienste finden dort nur noch an Weihnachten und Ostern, bei Jubelkonfirmationen oder Hochzeiten statt, sonst kaum. Ihre Großmutter hat die Kirche aber bis zuletzt liebevoll gehütet, hat sie jeden Morgen aufgeschlossen und jeden Abend zugeschlossen. Hat frische Blumen auf den Altar und Kerzen neben eine Schale mit Sand gestellt. Hat selbst jeden Tag ein paar Minuten dort verbracht, sich Zeit genommen für Gebet und Stille, manchmal für ein Lied. War Hannah zu Besuch, gingen sie gemeinsam in die kleine Kirche. Das vollgeschriebene Buch im Eingangsbereich erzählte davon, dass auch andere gern herkamen: Wanderer und Einheimische, Erwachsene und Kinder.

„Ich komme gleich wieder“, ruft Hannah nach oben und verlässt das Haus. Ihre Eltern hören die schwere Tür ins Schloss fallen. Da ist sie schon auf dem Weg den kleinen Hügel hinauf, auf dem die Kirche steht. Die Frühlingssonne und ihr eiliger Schritt lassen Hannah schwitzen. Ihr Herz schlägt schnell, als sie vor der schweren niedrigen Holztür steht. Langsam dreht sie den großen Schlüssel im Schloss, drückt die Türklinke hinunter. Das geht schwer, Hannah muss ihr ganzes Gewicht darauflegen. Dann geht die Tür auf. Niemand hat also bisher aufgeschlossen, heute nicht und sicher auch an keinem anderen Tag, seit Großmutter tot ist. Hannah betritt das kühle Kirchlein. Der vertraute Geruch umfängt sie, und die Erinnerungen an die Besuche mit Großmutter werden lebendig. Das Licht der Frühlingssonne fällt durchs Fenster und lässt die Staubkörner tanzen. Die Blumen auf dem Altar sind längst verwelkt, das Wasser in der Vase ist getrocknet und hat hässliche Ränder auf dem Glas hinterlassen.

In zwei Wochen ist Pfingsten, Geburtstag der Kirche, wie Großmutter immer lachend sagte, wenn sie mindestens zwei Blechkuchen für das Gemeindefest buk. Hannah war gern als Kind in den Pfingstferien bei Großmutter gewesen, wenn die Eltern arbeiten mussten. Zum Pfingstfest dann hatten sie nach dem Gottesdienst immer alle zusammen im Kirchgarten gesessen und sich Großmutters Kuchen schmecken lassen. Auch Hannahs Konfirmation haben sie hier gefeiert.
Jetzt wirkt alles traurig und verwaist. Draußen hupt ein Auto, und Hannah zuckt zusammen. Durch das Fenster kann sie das Auto der Eltern sehen. Schweren Herzens verlässt sie das Kirchlein und steigt zu den Eltern ins Auto. „Reicht für heute“, sagt die Mutter. „Wir kommen bald wieder, es ist ja nur ein Katzensprung.“ „Aber den Kirchenschlüssel, den müssen wir abgeben“, sagt der Vater. „Der Gemeindekirchenrat bekommt ihn. Oder wir fahren im Pfarramt vorbei.“ Hannah verzieht das Gesicht. „Noch nicht, bitte!“

Zwei Wochen später hat die Sonne die Mauern der kleinen Kirche erwärmt. Den Staub und die Spinnweben hat Hannah mit ein paar Freundinnen und Freunden ein paar Tage zuvor weggefegt. Auf dem Altar leuchten rote Pfingstrosen. Dünne rote Kerzen liegen in einem Kästchen neben der Sandschale. Das rote Antependium hebt sich fröhlich vom frisch gewaschenen weißen Altartuch ab. Von draußen dringt Kinderlachen herein. Bunte Wimpelketten ziehen sich durch den Kirchgarten von Baum zu Baum, rote und weiße Bänder flattern im Wind. Tische und Stühle stehen auf der Wiese, darauf ein buntes Sammelsurium aus mitgebrachten Tassen und Tellern. Familien mit Kindern, Junge und Alte aus dem Dorf und aus dem Nachbarort betreten den Garten, manche haben Kuchen dabei. Hannah hat sie alle eingeladen. „Die Kirche hat Geburtstag. Und wir feiern!“, hat sie auf die Einladung geschrieben. Die meisten Einladungen hat sie persönlich überreicht. Jetzt läuten die Glocken, und alle ziehen in die kleine Kirche ein. Hannahs Vater greift zur Gitarre. Sie selbst stellt die Glocken aus, und bevor sie die Tür hinter sich zuzieht, blickt sie noch einmal in den geschmückten Garten. Im grünen Gras leuchtet es hier und da gelb hervor. Und zum ersten Mal fällt Hannah auf, dass es Himmelsschlüsselchen sind, die hier blühen.
(Liedempfehlung: Der Himmel bist du – Monatslied vom Popinstitut Nordkirche https://www.popinstitut-nordkirche.de/song/der-himmel-bist-du/)

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