Exaudi, 1.6.2025
Johannes 12,32: Christus spricht: Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.
Abschied.Wann wird man sich wiedersehen? Wird es ein Wiedersehen geben? Sie hatten nach vielen Jahren die weite Reise in die USA angetreten, weil es der Wunsch der Lieblingstante war, sie noch einmal zu sehen. Die bange Hoffnung begleitete die Reise, ob sie noch rechtzeitig kommen würden. Und dann geschah fast ein Wunder. Die alte Dame hatte sich erholt und war auch zu Kräften gekommen. Sie hörte schwer, aber sie führten lange wunderbare Gespräche über die früheren Zeiten, lachten viel, lagen sich in den Armen. Es waren erfüllte glückliche Tage. Der Abschied fiel schwer, aber sie wirkte entspannt, fragte nicht danach, ob und wann sie wiederkämen. Ihre Worte kamen überraschend: Wenn „wir uns hier nicht wiedersehen. Bei ihm werden wir uns wiedersehen.“ Wen sie mit „ihm“ meinte, war klar. Zeit ihres Lebens war sie keine gute Kirchgängerin, aber an Gott glaubte sie fest. Sie fuhren traurig, aber getröstet den weiten Weg zurück. Wenige Wochen später starb sie.
Bei seinem Einzug in Jerusalem hatte das Volk noch begeistert „Hosianna“ gerufen. Ihn laut gefeiert, verknüpft mit der Hoffnung, in ihm den Messias zu erleben, der Freude und Befreiung in ihr Leben bringen würde. Und dann spricht Jesus vom Sterben in rätselhaften Worten. Manche hörten nur ein Donnern, als eine Stimme zu hören war, von der Jesus selbst sagt, sie sei an das Volk gerichtet. Er verspricht: „Wenn ich erhöht werde von der Erde, so will ich alle zu mir ziehen.“ Sie verstehen nicht, was er meint, denn sie haben doch gehört und geglaubt, dass er, der Messias in Ewigkeit bliebe. Von Menschen muss man sich irgendwann verabschieden, aber doch nicht vom Messias. Wo bleibt dann die Hoffnung? Sind wir Menschen nicht angewiesen auf Nähe? Erwarten wir nicht, mit ihm werde sich auch unsere Welt verändern? Abschied bedeutet Schmerz. Es ist Jesus selbst, der verspricht, da zu sein gegen unsere Angst, verlassen zu werden. Vertrauen schafft Nähe.
Pfingsten, 8.6.2025
Sacharja 4,6b: Es soll nicht durch Heer oder Kraft, sondern durch meinen Geist geschehen, spricht der Herr Zebaoth.
Lesen wir heute nicht eher den ersten Satzteil ohne das „nicht“: Es soll durch Heer oder Kraft geschehen? Ich schlage die Zeitung auf und lese, die Welt brauche neue Waffensysteme, unbedingt mehr Waffen, um eine Chance gegen Aggressionen von Gewaltherrschern zu haben, oder ich sehe die aktuellen Fernsehbilder von kriegerischen Auseinandersetzungen. Menschen sind auf der Flucht oder erbarmungslos Kämpfen und Raketenanschlägen ausgeliefert.
Mein erster Impuls, was kann ihnen denn anderes helfen als Verteidigung mit Waffen? In einer Welt, in der die Macht des Stärkeren gilt. Die Menschheit setzt auf moderne Waffensysteme, auf militärische Strategien. Alles andere scheint vergeblich, aussichtslos, um nicht zu sagen weltfremd.
Und doch! Wir feiern Pfingsten, das Fest des Heiligen Geistes. Wir denken an die Jünger, die sich verlassen fühlten, als Jesus nach seiner Auferstehung wieder vor ihren Augen verschwand. Von ihnen heißt es, dass sie wieder mutig wurden durch den Heiligen Geist. Der Heilige Geist ist es, der Menschen ermutigt umzudenken, andere Wege zu gehen, selbst wenn sie aussichtslos scheinen. Wege des Friedens, nicht der Vergeltung. Sie setzen auf Dialog und nicht auf Hasstiraden. Sie vertrauen darauf, dass Gott Gebete um Frieden und Versöhnung, um Kraft und Hoffnung erhört. Beten auch für die Feinde. So schwer es fällt, es zu akzeptieren, aber auch sie sind Menschen.
Die Frage bleibt, ob das nicht letztlich unsere einzige Möglichkeit ist, die Endlosspirale von Gewalt und Hass zu beenden, für das Weiterleben. Ich denke an die vielen Friedensdemonstrationen, die Mauern eingerissen haben und die Stärke des vermeintlich Schwächeren gezeigt haben. Ich glaube an die Macht der Gebete. Nicht kleinmütig sein! Vielen mag es weltfremd erscheinen, aber ich vertraue den Worten Gottes: Es wird „durch meinen Geist geschehen“.
Trinitatis, 15.6.2025
2 Korinther 13,13: Die Gnade unseres Herrn Jesus Christus und die Liebe Gottes und die Gemeinschaft des Heiligen Geistes sei mit euch allen.
Trinitatis? Was bitte ist das? Das fragte sie mich entgeistert. Wahrscheinlich irgendetwas Kircheninternes! Ein Name halt. Mit mir hat das wohl nichts zu tun? Ihre Frage, als ich bei der Geburtstagsfeier den Sonntag erwähnte. Trinitatis. Ein schwieriges Wort, und noch schwieriger der Hintergrund : die Dreieinigkeit Gottes. Gott Vater, Sohn und Heiliger Geist, auch heilige Geistkraft genannt. Gott ist das alles? Drei in einer Person? Maler haben sich immer wieder in der Darstellung der Dreifaltigkeit versucht. Berühmt die russische Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit von Rubljow. Das übersteigt ja auch unsere Vorstellungskraft. Aber ist da nicht schon etwas Wesentliches gesagt? Gott ist mehr, als wir denken können. Kirchgänger sind vertraut mit diesen Worten. Wir hören den Zuspruch am Beginn eines Gottesdienstes oder als Kanzelgruß zu Beginn der Predigt. Hören wir die Worte nur oder glauben wir diesem Zuspruch?
Jesus nennt Gott Vater, Abba. Er ruft ihn immer wieder an, sucht seine Nähe in der Einsamkeit der Wüste oder auf dem Berg. In größter Verlassenheit und Not wendet er sich an den Vater. Gott ist der Sohn, der uns Menschen so nahekommt. Durch ihn können auch wir Gott Vater nennen. Durch sein Menschsein erfahren wir die Liebe und die Barmherzigkeit Gottes, können diesen unbegreiflichen Gott, den Schöpfer all dessen, was uns umgibt, Vater nennen. Wir, als seine Geschöpfe, sind von Gott angesehen. Er schenkt uns Einheit, auch wenn wir verschieden sind. Paulus sagt: Es gibt verschiedene Gaben, aber es ist ein Geist. In einer Zeit, von der es heißt, dass die Gesellschaft sich immer mehr aufspaltet, brauchen wir diesen Geist, der uns wieder zusammenführt. Gott ist Heiliger Geist, der uns nicht aus dem Auge verliert. Er sucht die Beziehung zu uns. Es sind geschenkte Augenblicke, wenn wir erkennen, da ist etwas am Werk, das ist größer als ich. Wenn wir begreifen, das ist kein Zufall, kein blindes Schicksal. Es ist Gnade, Gottes Geschenk.
1. Sonntag nach Trinitatis, 22.6.2025
Lukas 10,16a: Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.
Nach dem Fußballspiel liegen sich die Fußballfans in den Armen und singen beseelt: „You’ll never walk alone“. „Du wirst niemals alleine gehen!“ Es ist eine Verszeile aus einem Musical. „Fürchte dich nicht vor der Dunkelheit … am Ende des Sturms ist da ein goldener Himmel und der Silbergesang einer Lerche …“ Schöne poetische Worte. Aus Politikermund heißt es dann: „Wir lassen euch nicht allein.“ Kann ein Politiker das wirklich versprechen? Skepsis ist angesagt. Die Realität sieht oft anders aus. Für die Fans ist es eher ein Versprechen in einer glückseligen augenblicklichen Situation, nichts für die Zukunft. Schon morgen können sie wieder unzufrieden sein.
Aber die Sehnsucht der Menschen, nicht allein zu sein, wenn das Leben ungemütlich ist oder bedroht, sie ist groß. In diese Not der Menschen schickt Jesus seine Jünger in die Städte und Dörfer, das Evangelium den Menschen zu verkünden, die Botschaft, dass sie nicht allein sind. Die Jünger waren zunächst wahrscheinlich skeptisch. Sie sind doch nur einfache Menschen ohne besondere Sprachbegabung. Fischer, Zöllner. Sie waren es, die Jesus zuhörten. Würden sie angehört werden? Würde man ihnen glauben? Würden sie auf taube Ohren treffen? Jesus kennt ihre Zweifel und ihre Schwächen. Er bedenkt auch, dass sie nicht allein gehen müssen, sondern immer zu zweit. „You’ll never walk alone“. Er schickt sie los mit der Ermutigung: „Wer euch hört, der hört mich; und wer euch verachtet, der verachtet mich.“
Was für eine erstaunliche Aussage! Jesus stellt sich brüderlich mit seinen Jüngern auf eine Stufe. Wer sie ablehnt, lehnt auch Jesus ab! Würden ihre Worte genügen? Über alle Zweifel hinweg sendet Jesus sie aus. Sie gehen zu Menschen, die auch fehlbar sind, die aber auf eine zuversichtliche Botschaft warten, auf die sie sich verlassen können.
Ich weiß nicht, ob wir heutigen Menschen Jesu Worte gleichermaßen in Anspruch nehmen dürfen. Widerstände, taube Ohren gibt es genug. Was wir sagen, bleibt Stückwerk. Doch Gott will eben auch die gebrauchen, die ängstlich sind und um Worte ringen. Entscheidend ist, er geht mit.
2. Sonntag nach Trinitatis, 29.6.2025
Matthäus 11,28: Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken.
Wir sahen ihn jeden Tag auf dem Marktplatz stehen mit seiner Mundharmonika, vor ihm ein Becher, in den nur wenige Geldstücke geworfen wurden. Am Sonntag kam er dann auf die letzte Minute in den Gottesdienst und setzte sich vorsichtig in die Bank vor uns, so als gehörte er nicht dazu. „Kommt her zu mir alle“! Ich sah, wie die Dame neben ihm wegrückte, soweit es ging. Sein etwas penetranter Geruch zog auch zu uns herüber. Aber es faszinierte mich, wie laut und schön er mitsang. Auch die abgerückte Dame schaute verstohlen zu ihm. „Kommt her zu mir alle!“ Alle sind eingeladen. Am Ausgang wirkte er gar nicht mehr so schüchtern. Er schaute nicht nach rechts und nach links, aber er lächelte still in sich hinein. Glücklich. „Erquickt“ ist ein altmodisches Wort, wer benutzt es heute überhaupt? Kinder kennen es wahrscheinlich gar nicht mehr, aber in diesem Moment passte es so gut. Es ist mehr als glücklich sein. Es steckt gestärkt sein darin, lebendig sein. Angenommen.
An seinem Leben hatte sich äußerlich nichts verändert. Er stand weiterhin auf dem Marktplatz, spielte auf seiner Mundharmonika und hoffte, dass auch mal ein oder zwei Euro in seinen Becher fallen würden. Aber vielleicht hatte er gerade in diesem Gottesdienst etwas erfahren, was er lange nicht erlebt hatte. Kein Almosen. Ein Segenswort, Zuspruch, ein besonderes Lied, offene Arme von dem, der da sagt: „Kommt her zu mir alle, die ihr mühselig und beladen seid; ich will euch erquicken“. Erquickt sein bedeutet auch würdig sein. Gott schenkt jedem Menschen seine Würde. Du bist mir viel wert, nicht „ich bin es mir wert“, wie es die Werbung verspricht. Nicht aus mir heraus gewinne ich Würde, sondern weil sie mir einer zuspricht, weil Gott in mir und in jedem einen wertvollen Menschen sieht. Es spielt keine Rolle, wer man ist, wie arm oder reich, wie jung oder alt, wie schlicht oder bedeutend. Vor Gott stehen wir alle gleich da, jeder auf seine Weise bedürftig und beladen und darin miteinander verbunden. Wir wissen so wenig voneinander. Wir wollen nicht voneinander wegrücken. Wer könnte schon von sich sagen, er habe nie die Erfahrung gemacht, mühselig und beladen zu sein.