„Ein Freund, ein guter Freund, das ist das Beste was es gibt auf der Welt.“ So beginnt der Refrain eines bekannten Schlagers aus dem Jahr 1930, bekannt geworden vor allem durch den Film „Die Drei von der Tankstelle“ mit Heinz Rühmann und Willy Fritsch. Das Lied wie der Film rühmen die Kraft der Freundschaft. Wer wollte das nicht tun, der das Geschenk echter Freundschaft erfahren hat? Mit echten Freunden kann man durch Dick und Dünn gehen. Und deshalb heißt es weiter:
„Ein Freund bleibt immer Freund
Und wenn die ganze Welt zusammenfällt.
Drum sei doch nicht betrübt,
Wenn dich dein Schatz nicht mehr liebt.
Ein Freund, ein guter Freund,
Das ist der größte Schatz, den’s gibt.“
Ein Freund, ein guter Freund – Martin Luther, der diesen Schlager natürlich nicht kannte, wäre vermutlich Philipp Melanchthon und besonders Johannes Bugenhagen als die Freunde eingefallen, die mit ihm durch Dick und Dünn gegangen sind. „Ein Freund bleibt immer ein Freund und wenn die ganze Welt zusammenfällt.“ Mit Blick auf die Erfahrungen der Reformationsjahrzehnte zwischen 1520 und 1555 ist das eine wirkliche Realität gewesen. Innerhalb weniger Jahre hatte sich mit der Reformation die Welt verändert, nicht nur religiös, sondern auch politisch. In der Erfahrung vieler Menschen war eine Welt zusammengefallen. Auch Luther, der sich oft am Ende der Zeiten wähnte, war dieser Gedanke nicht fremd. Umso wichtiger waren seine engsten Mitarbeiter für ihn. Philipp Melanchthon etwa, der es verstand mit theologischem Geschick, aber auch diplomatischer Gewandtheit viele Gedanken der Reformation nachhaltig zu prägen, aber auch politisch abzusichern. Luther schätzte den Theologen, Lehrer und Diplomaten Melanchthon. Menschlich näher stand ihm allerdings der gebürtige Pommer Johannes Bugenhagen.
1485 geboren war er nur zwei Jahre jünger als Luther. Die ersten 35 Jahren seines Lebens verliefen freilich unaufgeregt und in festen Bahnen. Geboren in Wollin, erhielt er in dem Ostseestädtchen eine gediegene Schulbildung, mit der dann – gerade einmal 16 Jahre alt – die Greifswalder Universität zum Theologiestudium bezog. Mit 19 verließ er die Universität und wurde Rektor der Ratsschule in Treptow an der Rega in Hinterpommern. Fast 17 Jahre wirkte er dort und baute die Schule zu einem überregional anerkannten humanistischen Bildungszentrum aus. Zugleich erwarb er sich einen guten Ruf als sachkundiger Bibelausleger. 1509 folgte die Priesterweihe. 1518 legte er im Auftrag des pommerschen Herzogs eine erste Geschichte Pommerns vor – ein Beleg für die Gelehrsamkeit sowie auch die Anerkennung, die Bugenhagen sich erworben hatte. Die Reformation Luthers lehnte Bugenhagen zunächst ab. Doch dann kam es zu einem einschneidenden Lektüreerlebnis, das Bekehrung und Lebenswende zugleich war. Bugenhagen vertiefte sich in eine der reformatorischen Hauptschriften Luthers über die babylonische Gefangenschaft der Kirche. Dieses Buch veränderte sein Leben von Grund auf. Bugenhagen wurde zum entschiedenen Verfechter der Sache der Reformation und gewann fast alle seine Freunde und Mitstreiter in Treptow dafür. Aber er zog auch persönliche Konsequenzen. Er gab alle seine Ämter auf und schrieb sich im Frühjahr 1521 als Student der Theologie in Wittenberg ein, um sich so ganz dem Neuaufbruch der Kirche zu widmen. Doch rasch wurde aus dem Studenten ein Dozent. Durch seine Bibelauslegungen in Treptow bereits überregional bekannt, nahm er auf Bitten Melanchthons im Herbst 1521 eigene Vorlesungen über die Psalmen auf. 1524 erschienen diese in Buchform mit einer lobenden Vorrede Luthers.
Die Bibel und gerade die Psalmen wurden Bugenhagen zum Lebensbuch. Hier lagen die Quellen seiner Kraft, nicht nur theologisch, sondern auch mit Blick auf die eigene Biographie. Ausführlich legte er etwa den Psalm 1,1–3 aus: Wohl dem, der nicht wandelt im Rat der Gottlosen. ( …) Der ist wie ein Baum gepflanzt an Wasserbächen.“ Bugenhagen schreibt dazu: „Der selige Mann, der hier beschrieben wird, ist zunächst Christus der Herr, der für uns Mensch geworden ist. Danach ist es jeder Mensch, der in Christus ist.“ Schließlich wendet er dies auf sich selbst an: „Ich habe den ersten Vers dieses Psalm gewiss in meiner unglücklichen Lage, aber durch Christus glücklich genug gelernt.“ Er beschreibt anschaulich seine Lebenswende, um dann festzustellen: „Von daher bin ich, der einst Gott ein Ärgernis war, nun den Menschen zum Ärgernis geworden, aber nur denen, denen das Evangelium Christi ein größeres Ärgernis bedeutet als ich.“ Bibelauslegung und eigenes Erleben verbanden sich hier aufs Engste miteinander. Immer ging es Bugenhagen auch um die eigene Frömmigkeit und ihre Folgen für die christliche Existenz. Das verband ihn mit Luther und machte die große Nähe zwischen beiden aus.
Bugenhagen wurde so zu einem der wichtigsten reformatorischen Bibelausleger. Luther förderte dies ausdrücklich und suchte seine Nähe. 1523 wurde die Stelle des Pfarrers der Wittenberger Stadtkirche frei. Luther sorgte im Hintergrund dafür, dass die Wahl der Gemeinde auf Bugenhagen hinauslief. Damit hatte dieser nicht nur eine feste und wichtige Stelle in Wittenberg inne, sondern er wurde zu Luthers Pfarrer und Seelsorger. Auch wenn Bugenhagen weiter als theologischer Schriftsteller tätig blieb, der unter anderem mit seinen Schriften den Abendmahlsstreit zwischen Luther und dem Schweizer Reformator Zwingli auslöste, war dieses Pfarramt bald Mitte seiner Existenz als Schriftausleger und Seelsorger. Zwischen Luther und Bugenhagen ist so eine herzliche und tiefgehende Freundschaft entstanden. Als Seelsorger und Beichtvater Luthers hatte er wie kein anderer Einblick in die wechselnden Seelenzustände des Reformators. Das galt insbesondere in den Jahren 1527/28 als die Pest in Wittenberg wütete und Luther mehrere schwere innere Zusammenbrüche erlitt. Bugenhagen erwies sich als echter Freund und Seelsorger, als nicht nur die äußere, sondern auch die innere Welt Luthers zusammenzustürzen drohte. Darüber sind wenige schriftliche Zeugnisse erhalten. Doch diese Bedeutung Bugenhagens kann nicht hoch genug veranschlagt werden. 1531 äußerte sich Luther in einer seiner Tischreden über den Seelsorger Bugenhagen, den er seiner Herkunft nach auch „Pomeranus“, den Pommern, nannte. Luther erinnerte sich an das Jahr 1527, als fast alle Universitätsmitglieder nach Jena geflohen waren und Bugenhagen und er selbst in Wittenberg ausharrten: „Während ihr in Jena wart, hat mich einst Pomeranus an diesem Tisch folgendermaßen getröstet: Was soll ich an diesem Menschen noch mehr tun? Ich habe ihm so glänzende Gaben gegeben, und er selbst verzweifelt doch an meiner Gnade? Dadurch wurde ich sehr getröstet, und gleichsam als wäre es eines Engels Stimme haftete es in meinem Herzen, obwohl ich annehme, dass er selbst (Bugenhagen) es gar nicht ermessen hat, was er mir da zusprach oder dass er etwas so Hilfreiches gesagt hatte.“
Als wäre es eines Engels Stimme – besser kann man wohl über die Gabe des Seelsorgers Bugenhagen nicht urteilen. So sehr ihn auch immer andere Aufgaben an andere Orte führen Seelsorgers Bugenhagen nicht urteilen. So sehr ihn auch immer andere Aufgaben an andere Orte führen sollten, so attraktiv manche Angebote eines Wechsels – etwa als evangelischer Bischof in seine pommersche Heimat – auch waren, seine Pfarrstelle gab Bugenhagen erst 1557, ein Jahr vor seinem Tod im Jahr 1558, auf. Gerade in den schweren Jahren von Not und Krieg nach Luthers Tod 1546 war Bugenhagen eine wichtige Stütze seiner Gemeinde. Dabei gab es in den 34 Jahren seiner Pfarrtätigkeit durchaus auch Kritik am Prediger Bugenhagen, die sich weniger auf seine Theologie oder die ebenso bezeugte Lebensnähe, wohl aber die Länge seiner Predigten bezog. Luther etwa meinte 1533 in seinen Tischreden: „Jeder Oberpriester muss seine besonderen Opfer haben. Also opfert Pomeranus mit seinen langen Predigten seine Hörer. Wir sind nämlich sein Opfer. Und heute hat er uns ehrenvoll geopfert.“
Neben existentieller, lebensnaher Bibelauslegung im Sinne Luthers, einer großen seelsorgerlichen Gabe gerade im Umgang mit Luther und seiner Gemeinde tritt noch eine dritte Begabung Bugenhagens hinzu, nämlich ein pragmatischer Ordnungssinn, der für die Kirchenbildung der Reformationszeit von großer Bedeutung war. Dass die Bewegung der Reformation auch organisatorisch zu einer eigenen, dauerhaften Kirche wurde, ist maßgeblich das Verdienst Bugenhagens. Erstmals 1528 wird er zunächst nach Braunschweig gerufen, um hier eine neue reformatorische Kirchenordnung zu entwerfen. In den Folgejahren wirkte er an der Entstehung von Kirchenordnungen in Hamburg, Lübeck und Hildesheim mit, aber ebenso in größeren Territorien wie seiner Heimat Pommern, in Holstein und in Dänemark, wo er mehr als zwei Jahre blieb und die Grundlagen der dänischen lutherischen Volkskirche schuf. Drei Elemente zeichnen diese Ordnungen aus. Sie zeigen dabei Bugenhagens ebenso theologischen wie auch praktischen und weltzugewandten Charakter. Einmal ging es immer um die Ordnung des Gottesdienstes und eine am Evangelium orientierte Predigt, sodann um die Errichtung eines soliden evangelischen Schulwesen und schließlich um eine vom Liebesgebot des Evangeliums her konzipierte soziale Fürsorge, die an den Bedürfnissen der Menschen am Rande der Gesellschaft orientiert ist. Predigt, Bildung und Diakonie gehören hier zusammen.
Johannes Bugenhagen: Ein Freund also, ja, mehr als ein guter Freund. Wenn die Welt zusammenzufallen scheint, ist er da. Gut, dass es ihn gibt. Was im Schlager schlicht, vielleicht zu schlicht formuliert ist, lässt sich doch auch über Bugenhagen, nicht nur im Verhältnis zu Luther sagen. Ein echter Freund und ein Mensch, dem die Worte der Bibel zu Lebensworten werden und der versucht, sich daran zu orientieren. Dabei nimmt er das Risiko einer Lebenswende, eines Gangs ins Ungewisse in Kauf.
Ein Freund, ein Liebhaber des Evangeliums. Aber dadurch auch ein Tröster, ein Seelsorger. Einer, der die Menschen in der Not nicht verlässt. Bugenhagen bleibt trotz der Pest in Wittenberg, bleibt bei den Menschen, bleibt bei Luther, dem Schwankenden und von inneren Krisen Erschütterten. Er bleibt auch nach Luthers Tod in Wittenberg. Mit seiner Treue wird er zum Seelsorger, zum Tröster, vielleicht oft ohne um diese Wirkungen zu wissen. Wer kann schon sagen, dass er für jemanden zur „Engels Stimme“ wird, die „am Herzen haften“ bleibt, wie Luther es an Bugenhagen erfahren hat?
Ein echter Freund, auch wenn die Welt zusammenbricht. Ein Freund der Menschen und des Evangeliums. Das soll bewahrt, erhalten und weitergetragen werden. Deshalb arbeitet Bugenhagen auch an den Ordnungen der Kirche. Diese haben nicht irgendwelchen vermeintlich schon immer so gewesenen Strukturen zu dienen, sondern müssen dem Auftrag der Kirche entsprechen, die frohe Botschaft weiterzusagen, Seelsorge zu üben, den Menschen beizustehen in Bildung und Diakonie. Gut also, an Bugenhagen zu erinnern. Nicht nur das Evangelium, sondern die Menschen heute – sie und wir alle brauchen solche Freunde und Mutmacher, Menschen mit Trotzkraft gleichsam. Vielleicht nicht der einzige, aber ganz sicher mit „der größte Schatz, den‘s gibt auf der Welt.“
Eingangsgebet:
Allmächtiger ewiger Gott, Herr, himmlischer Vater, dessen Wort eine Kerze ist unsern Füßen und ein Licht unsern Wegen, tu auf und erleuchte unser Gemüt, dass wir dein Wort rein, lauter und heilig verstehen und dann nach dem, das wir recht verstanden haben, unser Leben gestalten, auf dass wir deiner Majestät nimmer missfallen durch Jesus Christus, deinen Sohn, unsern lieben Herrn, der mit dir in Einigkeit des Heiligen Geistes lebt und regiert, Gott in Ewigkeit.
(Johannes Bugenhagen)
Psalmvorschlag: |
Psalm 1 |
Evangelium: |
Matthäus 11,25–30 |
Liedvorschläge: |
EG.E 14 (Lobe den Herrn, meine Seele) |
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351, 1.2.8.13 (Ist Gott für mich, so trete) |
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295 (Wohl denen, die da wandeln) |
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EG.NB 561 (Herr, wir bitten: Komm und segne uns) |