Sätze „mit Barth“

Für die „älteren“ Leserinnen und Leser der PASTORALBLÄTTER hieße es meist „Eulen nach Athen tragen“. Übereinstimmend bemerken Kommentatorinnen und Biografen, Karl Barths Bedeutung hätte bei jüngeren Theologinnen und Theologen nachgelassen. Doch spätestens das „Karl Barth-Jahr“ 2019 gab Anlass für eine Reihe wichtiger (auch neuer) Publikationen.
Ich greife Christiane Tietzs m. E. hervorragende neue Biografie auf (siehe Buchtipp) und gebe eine kleine Aus- und Nachlese Barthscher Sätze. Nicht mehr als ein kleiner Einblick in das theologische Denken des bedeutendsten Theologen des 20. Jahrhunderts ist es, eine hoffentlich auffrischende Erinnerung den einen, eine Begegnung anderen. Ich zitiere – alles andere würde den Rahmen sprengen – nach der genannten Biografie. Und dies unstrukturiert.

  • Eine anständige Theologie ist immer einseitig. (S. 57)
  • Aber einen Pfarrer im Dorf haben heiße, „eine ewige Unruhe im Dorfe haben, einen Menschen, der in der unangenehmsten Weise immer wieder Alles in Frage stellen und auf alle Fragen unvermutete Antworten geben muss“. (S. 95)
  • Die Menschen … verwechseln Gott und die Welt, sie verehren sich selbst und ihre kulturelle Leistung anstatt Gott. (S. 104)
  • Gott muss allein handeln, wenn es zu einer Erlösung kommen soll. (S. 104)
  • Die Gesellschaft ist „ohne Fenster gegen das Himmelreich“. (S. 109)
  • Alle Versuche, so zu tun, als hätte „die Gotteswelt offene Fenster gegen unser Gesellschaftsleben hin“, seien Versuche, Christus zu „säkularisieren“. (S. 109)
  • „Christus ist das unbedingt Neue von oben, der Weg, die Wahrheit und das Leben Gottes unter den Menschen.“ Christi Auferstehung von den Toten ist „die senkrechte Linie, die durch alle unsere Frömmigkeiten und Erlebnisse hindurch- und gro­ßenteils auch daran vorbeigeht, der Durchbruch und die Erscheinung der Gotteswelt“. Sie ist „totaliter aliter“, ganz anders. Hier geschieht das „Wunder der Offenbarung Gottes“. (S. 109)
  • Ich glaube bestimmt, dass man Vieles von dem Elend der Theologie nicht der Dummheit und Bosheit der Theologen, sondern einfach dem unvermeidlichen Unfug des akademischen Betriebs zuschreiben muss. Bei diesem Schleimfädenziehen ohne Ende müsste ja ein Erzengel banal werden. (S. 119)
  • Begeistert war Barth über die Göttinger Bibliothek, in der er sich „mit dem Privileg des Dozenten bewegen darf“, erstarrt aber über die dort versammelten „Abgründe von Büchern, die sich schon über den lieben Gott ergossen haben“. (S. 119)
  • Schlagen wir die alten Bücher auf, um zu uns selbst zu kommen. Die lebendige, redende, wirkende Vergangenheit ist eben die Gegenwart. (S. 121)
  • Barth hatte bei Luther etwas gefunden, was für ihn in seiner Römerbrief-Auslegung zentral geworden war: die Betonung der „Vertikale[n] der Gotteserkenntnis in Christus“, die das menschliche Denken und Handeln radikal unterbricht. Aber man müsse eben weiterfragen: „Was bedeutet der Einschlag der Vertikalen für das Geschehen auf der Horizontalen? Was wird aus all dem, was der Mensch diesseits der jäh sichtbar gewordenen Todeslinie will und wirkt, ja wollen und wirken muss, weil er tatsächlich als Mensch in der Zeit immer diesseits dieser Todeslinie steht ...?“ (S. 122)
  • „In der Auferstehung berührt die neue Welt des Heiligen Geistes die alte Welt des Fleisches. Aber sie berührt sie wie die Tangente einen Kreis, ohne sie zu berühren, und gerade indem sie sie nicht berührt, berührt sie sie als ihre Begrenzung, als neue Welt.“ Jesus Christus überbrückt zwar die Distanz zwischen Gott und Mensch, aber so, dass er sie gerade unterstreicht. (S. 142)
  • Gott, die reine Grenze und der reine Anfang alles dessen, was wir sind, haben und tun, in unendlichem qualitativem Unterschied dem Menschen und allem Menschlichen gegenüberstehend, nie und nimmer identisch mit dem, was wir Gott nennen, als Gott er­leben, ahnen und anbeten, das unbedingte Halt! gegenüber aller mensch­lichen Unruhe und das unbedingte Vorwärts! gegenüber aller mensch­lichen Ruhe, das Ja in unserm Nein und das Nein in unserm Ja, der Erste und der Letzte ... und als solcher der Unbekannte, nie und nimmer aber eine Größe unter andern in der uns bekannten Mitte, Gott der Herr, der Schöpfer und Erlöser – das ist der lebendige Gott! (S. 142)
  • „Die radikalste Erledigung der Geschichte, das Nein, unter das alles Fleisch kommt, die absolute Krisis, die Gott für die Welt des Menschen, der Zeit und der Dinge bedeutet, ist auch der rote Fa­den, der sich durch ihr Da-Sein und So-Sein hindurchzieht.“ Gott ver­urteilt zwar den Menschen und seine Welt. Aber er will zugleich das Leben der so Verurteilten. Aus der Negation durch Gott entspringt Positives: „Das Vergängliche ist, als solches erkannt, das Gleichnis des Unvergänglichen. Die letzte Beugung unter Gottes Zorn ist der Glaube an seine Gerechtigkeit. Denn als der unbekannte Gott wird Gott erkannt.“ (S. 143)
  • In seiner ersten Fassung des Römerbriefs hatte Barth das „Schon jetzt“ und das „Noch nicht“ des Reiches Gottes und des neuen, glaubenden Ich jeweils als von Gott gewirkten Prozess innerhalb der Geschichte beschrieben. Jetzt betont er in beiden Fällen das „Noch nicht“. Das Gottesreich ist kein keimender Samen innerhalb der Ge­schichte. Zwischen menschlichem Tun und göttlichem Tun gibt es keinerlei Kontinuität; nur Gott handelt gut. Menschliches Tun gehört nie auf die Seite Gottes. Deshalb ist die grundlegende ethische Tat des Menschen die Auslieferung seines Handelns an die Beurteilung durch Gott. (S. 143)
  • Was heißt predigen?, und – nicht: wie macht man das?, sondern: wie kann man das? (S. 148)
  • Der Mensch als Mensch schreit nach Gott ... Nicht nach Lösungen schreit er, sondern nach Erlösung. Nicht wiederum nach etwas Menschlichem, sondern nach Gott, aber nach Gott als dem Er­löser seiner Menschlichkeit. (S. 150)
  • Theologen sollen von Gott reden, aber da sie Menschen sind, können sie nach Barth nicht „Gottes Wort reden, das Wort, das nur von ihm kommen kann, das Wort, dass Gott Mensch wird“. (S. 150)
  • Die Antwort auf die Lebensfragen des Menschen kann nur von au­ßen kommen, von Gott: Die „Antwort auf die Frage, das Ende der Exis­tenznot ist das schlechthin neue Geschehen, dass das Unmögliche selbst das Mögliche wird, der Tod das Leben, die Ewigkeit Zeit, Gott Mensch. Ein neues Geschehen, zu dem kein Weg führt, für das der Mensch kein Oman hat.“ (S. 150)
  • Es gibt zwar eine Gottlosigkeit des Menschen, es gibt aber keine … Menschlosigkeit Gottes. (S. 215)
  • Der Mensch ist nicht gut. (S. 319)
  • Nachdem Gott selbst Mensch geworden ist, ist der Mensch das Maß aller Dinge. (S. 331)
  • Ein einfaches „Kopf hoch“, irgendein Aufblicken als solches, ist dabei nicht gemeint. Es könnte sein, dass man dabei nur einen Himmel erblickt, der ein „hartes Spiegelbild unseres ganzen menschlichen Elends“ wäre. Es geht vielmehr um das Aufblicken zu Jesus Chris­tus, der die Schuld und Not des Menschen auf sich genommen und überwunden hat. (S. 360)
  • Gott will die Gemeinschaft mit dem Menschen, er möchte mit dem Menschen zusammen sein. Gott bestimmt sich selbst dazu, ein Anderes als sich selbst zu lieben. Er ist der, „der, ohne dessen zu bedürfen, Gemeinschaft zwischen sich und uns sucht und schafft. Ohne dessen zu bedürfen: weil er das, was er zwischen sich und uns sucht und schafft, auch ohne uns und also auch ohne dies zu tun, in sich sel­ber hat.“ (S. 377)
  • Die Liebe Gottes schlägt immer eine Brücke über einen Abgrund. Gottes Liebe ist, kurz gesagt, Gnade. – Diese Liebe ist Gottes Wesen. „Gott ,ist‘ heißt Gott ,liebt‘. (S. 377)
  • Jesus Christus ist der erwählende Gott und der erwählte Mensch. (S. 379)
  • Jesus Christus ist der einzige Verworfene. Gleichzeitig ist er der erste zur Gemeinschaft mit Gott Erwählte. (S. 380)
  • Gott kann durch den russischen Kommunismus, durch ein Flötenkonzert, durch einen blühenden Strauch oder durch einen toten Hund zu uns reden. (S. 388)
  • „De iure“ kommt „jeder Mensch, ja die ganze Kreatur von seinem Kreuz, von der in ihm geschehenen Versöhnung her“. (S. 389)
  • Ich denke, den besten Gebrauch, den wir von der im Westen gegebenen Freiheit … machen können, ist der, dass wir unsere eigenen Fehler sehen. (S. 392)
  • Wäre ich ein amerikanischer Theologe, so würde ich auf die Freiheitsstatue im New Yorker Hafen blicken. ... Diese Dame braucht ein bisschen oder vielleicht ein bisschen viel Entmythologisierung. Dennoch kann sie vielleicht auch gesehen und interpretiert und verstanden werden als Symbol einer wahren Theologie – nicht der Liberalität (liberty), son­dern der Freiheit (freedom). (S. 393)

Ich hoffe, dieses kleine „Sammelsurium“ Barthscher Gedanken macht Ihnen Freude, das eine oder andere Buch von Karl Barth aufzuschlagen, oder den einen oder anderen Gedanken (durchaus kritisch! Denn: „Kritischer müssten mir die Historisch-Kritischen sein!“) im Herzen zu bewegen.

Eine Randnotiz in eigener Sache: Die Juni-Ausgabe der PASTORALBLÄTTER ist meines Wissens seit meiner Schriftleitung (2000/1) die erste Ausgabe, bei der mehr Frauen als Männer in der Autorenliste auftauchen. Ich versuche ja immer, möglichst Autorinnen und Autoren aus vielen Landeskirchen und möglichst Kolleginnen und Kollegen zahlenmäßig etwa gleichmäßig zu gewinnen, doch meist überwiegt dann doch der Anteil der Kollegen. Umso mehr freue ich mich über diese Ausgabe.

Eine zweite Notiz: Henning Kiene und Jochen Lenz haben es zusammen mit Mitarbeitern des Verlags unternommen, die PASTORALBLÄTTER auch auf Facebook zu präsentieren. Ich lade Sie ein, sich dort einmal umzusehen und vielleicht andere Kolleginnen und Kollegen, Prädikantinnen und Prädikanten auf unsere Monatszeitschrift hinzuweisen.
Gerhard Engelsberger

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