Der Monatsspruch im Dezember 2019

Wer im Finstern wandelt und wem kein Licht scheint, der hoffe auf den Namen des HERRN und verlasse sich auf seinen Gott!
Jesaja 50,10

Wer im Dunkeln lebt … Wem kein Licht leuchtet.
Auf dem Hügel. Die Musikbegeisterten nennen ihn den „Grünen Hügel“, und der ist in Bayreuth. Tristan und Isolde über sechs Stunden steht auf dem Plan. Eingezwängt auf undenkbar kleinen Klappstühlen sitzen Menschen in einer Atmosphäre angespannten Staunens. Sie beobachten das Geschehen auf der Bühne, sie lauschen den berauschenden Klängen. Die Musikerinnen und Musiker leisten Unglaubliches. Höchstleistungssport. Ein Erlebnis mit Tiefgang. Ja und die meiste Zeit sitzt das Publikum im Finstern. Aber darum geht es nicht.
Auf der Bühne stehen und spielen sie zwar im Licht. Aber trotzdem ist alles ohne Ausblick. In gewisser Weise ist die Handlung trostlos.
Tristan kämpft um Isolde, Isolde kämpft um Tristan, beide miteinander, aufeinander zu, chromatisch und heftig und beeindruckend. Echter Kampf und wie gesagt: Hochleistungssport für Musikerinnen und Musiker. Der Wagner wollte die Hörerschaft überwältigen. Das schafft er auch. Und alles bleibt im Dunkeln.
Ein Erlebnis! In den Pausen hat man das Gefühl, als schwebe man. Ob das allein auf die Wirkung der Musik zurückzuführen ist, oder schlicht der Tatsache zu verdanken ist, dass die dick gewordenen Füße wieder Leben spüren – das sei dahingestellt.
Am Ende der Handlung dieses Wunderwerkes der Musik steht die Leere und die Erlösung von der Last der Liebe. Eine Liebe, die nicht gelebt werden kann.
Es ist die Stelle, wo mit den Tränen gekämpft wird … diesmal nicht wegen schmerzender Gliedmaßen – sondern, weil es sehr berührt, was Isolde da tut. Sie singt ihren toten Tristan an und ihr ist es offenbar egal, dass er tot ist. Sie singt und singt und singt.
Diese Liebe kann nur im Tod eine Erlösung erleben. Und in dieser wahnsinnigen Musik … aber da ist nie ein Gedanke an einen gnädigen Herrscher, der sanft die Hände über die Seelen legen könnte. Die Liebenden sind auf sich und ihre Gefühle, ihre Trugbilder und Hoffnungen und auf die sie umgebende Gesellschaft gestellt. Die ist gewohnt harsch und unbarmherzig.
Ein Abbild unserer Welt? Ist das ein zeitloses Sittenstück?
Der Mensch im Dunkeln kämpft um seine Liebe, um sein Leben, und es gibt kein Entkommen, kein Erbarmen.
Die Menschen heißen nicht mehr Isolde, selten Tristan. Namen sind auszutauschen. Aber diese Hilflosigkeit dem gegenüber, was andere Schicksal nennen, die macht wütend. Sechs Stunden wunderbarer Musik – und man selbst spürt keinen Ausweg mehr.
Denn die Liebe, die hier gefeiert wird, ist so unbarmherzig, dass sie tötet. Warum sind wir Menschen so gebaut? Dass wir lieben müssen, um daran zu leiden? Wieso gibt es dieses schmerzhafte Brennen? Und alle nennen es mit vollgedröhntem Blick, leise flötend: Liebe. Es ist die Liebe!
Das ist der Mensch, der sich mit diesem Gefühl herumschlagen muss. Und wenn er es nicht spürt, dann sitzt er erst recht im Finstern. Im Dunkeln gibt es keine Liebe – und kein Leben … Das Licht aber ist das Elixier, das wir Menschen brauchen. Licht der Liebe.
Liebe ist stark wie der Tod – und Leidenschaft feurig. Tristan stirbt, Isolde stirbt.
Und am Ende gehen etwa 2000 Leute leicht schwebend, mit stöckelnden Schritten die Holzstiegen des Bayreuther Festspielhauses hinunter. In ihnen ist Leere – und sie sind doch voller Töne, gefüllt mit Höhen und Tiefen. Alles konnte man hören. Das Schluchzen und das Jubeln – aber am Ende ist hilflose Leere.
Kein Gott, der sich um die Toten kümmert. Kein Engel, der Isolde mit zarter Hand führt. Kein Herr, dessen Name allein schon die Not lindert.
Nein – so will ich unsere Erde, unsere Welt und unseren Auftrag in der Welt nicht sehen.
„Herr, lehre doch mich, dass ein Ende mit mir haben muss – nun Herr, wes soll ich mich trösten? Ich hoffe auf dich …“ Fast trotzig formen sich diese Worte.
Da gibt es einen Trost, der tatsächlich begegnet. Da gibt es einen Trost, der auch für die einfachen Leute da ist. Auch für mich, die ich diese Musik nicht immer verstehe.
Die Menschen fluten hinaus, manche stapfen, die Frauen stöckeln die Stiegen runter.
Da liegt etwas auf einer Stufe. Ein banales Pflaster, das sich von der schmerzenden Ferse eines nun noch mehr leidenden Frauenfußes gelöst hat. Ein Pflaster auf dem Grünen Hügel – so etwas Einfaches, Schlichtes, Schmerzlinderndes und damit Tröstendes. Ich habe das Trostpflaster in Bayreuth entdeckt.
Nun, Herr, wes soll ich mich trösten?
Es sind doch alles nur Menschen, die sich hier versammelt haben. Einfache – schlichte, schüchterne und vielleicht sogar auch dumme Menschen. Nur haben sie sich eben verkleidet und ziehen Schuhe an, die nur zum Stehen und Sitzen gedacht sind. Darum brauchen sie – die Frauen jedenfalls – ein Pflaster.
Da habe ich gemerkt, dass ich nicht mehr leer bin. Sondern in mir schwappte ein wohliges Gelächter auf. Wie gut, dass da am Ende nach sechs Stunden ein Trostpflaster zu entdecken war. Und noch mehr. Der Herr, dessen Namen bekannt ist, ist nicht nur ein Trostpflaster. Nicht nur ein Hilfsmittel.
Es ist Gott, der sich aufmacht, um das Dunkle zu vertreiben. Er kommt mit Macht in das menschliche Leben und macht es hell. Aufrüttelnd schreitet er ein. Dieser Herr, dessen Name ich anrufen kann, ist bereits unterwegs zu seinen Menschen und lässt sie nicht allein in ihrer Not. Er lässt uns nicht allein.
Die Liebe, von der wir leben, ist bereits geboren und kommt zu uns mit Schwung, Freundlichkeit, Fröhlichkeit. Voller Ernst und voller Elan, voller Glück und Hoffnung für die kleinen Leute. Dieser Gott ist unser Herr, der größer ist als die Dunkelheit des menschlichen Leben. Das ist der Name Gottes, der sich seinen Menschen bekannt gemacht hat.
Ich bin, der ich bin. Ich werde sein, der ich sein werde. Ich bin da.
Darauf kann sich jeder verlassen. Der Mensch im Licht, der Mensch im Dunkeln. Gott kommt zu den Menschen.
Herr, unser Herrscher, wie herrlich ist dein Name in allen Landen! (Psalm 8)

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