Der Monatsspruch im Dezember 2016

Meine Seele wartet auf den Herrn mehr
als die Wächter auf den Morgen.

Psalm 130,6

Schemaja kann dieses Psalmwort gut nachempfinden. Es ist ihm von Kindesbeinen an vertraut. Immer, wenn er mit seinen Eltern nach Jerusalem gepilgert ist, hat er diese Worte aus vollem Herzen gesungen. Sie sind Teil eines Wallfahrtsliedes. Auch in den Gottesdiensten vor dem großen Versöhnungstag waren sie ein fester Bestandteil. Inzwischen ist Schemaja selbst solch ein Wächter. Seit nunmehr fast 40 Jahren versieht er seinen Dienst auf der Jerusalemer Stadtmauer. Er weiß, wie es ist, wenn sich die Nacht hinzieht. Wie quälend langsam die Zeit vergeht, bis endlich der Morgen graut. Er weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Kälte der Nacht unter die Haut geht und die Glieder steif werden und alle Knochen wehtun.
Als er noch jünger war, hat ihm das nicht so zu schaffen gemacht. Aber inzwischen sind die letzten Stunden der Nachtwache für ihn oftmals nur noch eine einzige Qual. Dann lauscht er sehnsüchtig in die Dunkelheit. Noch bevor sich der Horizont hell verfärbt, kündigt der erste Vogel den kommenden Tag an. Dann dauert es nicht mehr lange, bis der erste Lichtstrahl Schemajas Gesicht berührt. Die Wärme der aufgehenden Sonne tut ihm gut. Sie ist wie eine Erlösung. Die Schafherde weit draußen auf den Feldern begrüßt das Licht des neuen Morgens mit regelrechten Freudensprüngen. Ein Schauspiel, das Schemaja bis heute allmorgendlich fasziniert, ja mehr noch: überwältigt! Dieses Lob der Lämmer, diese wilden Luftsprünge zaubern ihm jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, und sein Herz füllt sich mit Glück. Dann endlich kann er im Grunde seines Herzens sagen: Diese Nacht war eine gute Nacht. Alles ist ruhig geblieben. Die ihm anvertraute Stadt ist vor Unheil bewahrt geblieben. Mit dem ersten Hahnenschrei erwacht sie zu neuem Leben.
Früher wollte Schemaja jetzt nur noch so schnell wie möglich nach Hause, seine Frau und seine Kinder in die Arme schließen, noch mit ihnen frühstücken und dann schlafen, nichts als schlafen. Heute ist das anders, trotz seiner Müdigkeit und Erschöpfung. Er weiß: Auch auf den Zinnen des Tempels warten die Wächter auf den Morgen. Sobald sie den ersten Lichtstrahl erblicken, kann das Morgenopfer dargebracht werden und der Frühgottesdienst beginnen. Schemaja möchte ihn nicht verpassen. Gleich ist Wachablösung. Dann wird er zum Tempel hinaufeilen. Er möchte Gott danken für die Bewahrung in der Nacht, möchte ihm danken für diesen neuen Tag. Und er möchte Gott um Hilfe bitten für seine kranke Frau. Schemaja weiß: Gott hört sein Flehen. Gott weiß Rat.
Diese Gewissheit wollten ihm schon seine Eltern mit auf den Lebensweg geben. Darum haben sie ihn auch Schemaja genannt, was so viel bedeutet wie: JHWH hat erhört.
Für Schemaja hat sich das bewahrheitet. JHWH hat erhört. Immer und immer wieder durfte Schemaja das in seinem langen Leben erfahren, wann immer er sich im Gebet an Gott wandte. Gott war für ihn da, hatte ein Ohr für seine Not, hatte ein Wort für sein Herz. Schemaja durfte erfahren, was Gnade heißt und Vergebung. Durfte sein Leben als Geschenk neu aus Gottes Hand empfangen. Durfte erleben, wie Gott seine Seele gewärmt hat, wie die ersten Lichtstrahlen jeden Morgen seine steifen Glieder wärmen. Gottes bergende Zuwendung und Güte hat ihm immer wieder auf- und durchgeholfen. So hat Schemaja glauben gelernt, vertrauen, hoffen, loben und danken, klagen und flehen. Und auch staunen und schweigen, ehrfürchtig schweigen. Darum wartet seine Seele auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen. Sein ganzes Innerstes ist ausgespannt zu seinem Gott hin. Bei ihm ist Hilfe und Heil und Erlösung und Leben. Schemaja harrt auf sein Wort. Und er weiß, er wird nicht vergeblich warten.

Und wir? Worauf warten wir in dieser Adventszeit? Worauf wartet unsere Seele? Oder besser: Auf wen wartet unsere Seele?
Ich möchte mir die Worte des Psalmbeters gerne zu eigen machen: Meine Seele wartet auf den Herrn mehr als die Wächter auf den Morgen. Meine Seele hofft auf sein Wort und lässt sich nicht davon abbringen. Meine Seele klammert sich an sein Wort, das in dem Kind von Bethlehem in unsere Welt und unser Leben gekommen ist, um all unsere Not zu wenden und uns seinen Frieden zu schenken.

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