Lieder predigen, EG 210: Du hast mich, Herr, zu dir gerufen

Ein Tauflied ist das Thema der Predigt. Text und Melodie stammen von dem im Jahre 1938 in Brandenburg geborenen und heute bei Hannover lebenden Theologen und Kirchenmusiker Otmar Schulz. Er schrieb das Lied zur Taufe seiner achtzehnjährigen Tochter. Ich lade Sie ein, mit mir auf die Liedmelodie und Liedworte zu hören, ihrer Bewegung zu folgen und mit beiden etwas vertrauter zu werden. Vielleicht hilft das Lied, die Taufe neu für uns zu entdecken und uns auf die Taufhandlung einzustimmen.

Hören wir zunächst die Melodie (wird durch Orgel bzw. ein anderes Instrument intoniert).
Die Melodie umfasst drei Teile. Sie gleicht mit ihrem Auf und Ab einer Wellenbewegung, die höher und stärker wird. Die Dynamik wird klanglich durch einen (Terz-)Sprung im Anfang des zweiten Teils (zweite Notenzeile) dargestellt, dieser führt den Grundton fast acht Töne (bis zur darüber liegenden Oktav) weiter in die Höhe (Melodie, ohne Kehrvers, erklingt). Im dritten Teil (dritte Notenzeile) steigt die Melodie bis zu acht Tönen (zur vollen Oktav) über dem Grundton auf und kehrt (vierte Notenzeile) wieder zum Ausgangspunkt zurück.
Die Wellenbewegung in der Melodieführung erinnert an das Wasser, das zur Taufe gehört.
Es ist ursprünglich das Wasser des Jordans, fließendes, lebendiges Wasser, mit dem schon Johannes der Täufer taufte. Auch Jesus ließ sich von ihm im Jordan taufen. Wer damals getauft werden wollte, begab sich, nach der zu Besinnung und Umkehr aufrufenden Predigt des Täufers, einen Augenblick ganz unter Wasser, „tauchte unter". Damit sollte zeichenhaft der ganze sündige, d. h. Gott ferne, Mensch „ertränkt" werden und als „rein gewaschener" Mensch wieder aus dem Wasser „auftauchen". Auf diese Symbolik geht die Redewendung „aus der Taufe heben" zurück. Johannes dem Täufer folgte bald der Ruf Jesu, ihm zu folgen, daran erinnert die erste Liedstrophe:

Du hast mich, Herr, zu dir gerufen, und in der Taufe bekenn ich dich ... (Intonation und Gemeindegesang Liedstrophe 1)
Es ist bis heute Jesu Ruf, der uns mit ihm verbindet, uns berührt, bewegt, darauf mit Leib und Seele zu antworten, uns zu ihm zu bekennen. Ich möchte sein Rufen nicht überhören, möchte „eintauchen" in seine Worte, seine Lehre von Gott. Die Bewegung des „Untertauchens" und „Auftauchens" entspricht dem Ab- und Aufsteigen der Liedmelodie. In diesem Sinn ist die Taufe ein „Sterben" und ein „Auferstehen", ein Aufstehen ins Leben, mit Jesus, wie es die zweite Liedstrophe beschreibt:

Wie du gestorben und erstanden, sterb und erstehe ich, Herr, mit dir ... (Intonation und Gemeindegesang Liedstrophe 2)

Der Inhalt der zweiten Liedstrophe nimmt Gedanken des Apostels Paulus aus seinem Brief an die Gemeinde in Rom auf (Römer 6,3f.): Wie Christus durch Gott von den Toten aufgeweckt wurde, können auch wir in einem neu ausgerichteten Leben unseren Weg gehen. Taufe ist also noch mehr als ein „Eintauchen" in die Worte Jesu. Ich bin oder werde „in Christus hineingetaucht" - hineingeführt wie in einen hellen Raum, der vom Wohlgeruch, dem frischen Duft des österlichen Lebens, erfüllt ist. Ich kann mir diesen Raum nicht weit genug vorstellen. „Du stellst meine Füße auf weiten Raum", heißt es in der Bibel Jesu (Psalm 31,9). Raum, in dem mein Leben sich neu orientieren, sich verändern und entfalten kann. Raum für eine Lebensart, die von dem tiefen Wunsch nach einem sinnvollen und erfüllten Leben bestimmt ist und ahnt: Leben ist mehr als das, was ein Mensch vor Augen hat. Von der Bitte um ein solches Leben ist die dritte Lied-strophe beseelt:

Gib meinem Leben große Freude und Kraft, für andere da zu sein ...

Freude und Kraft sind Gaben. Wir können darüber nicht verfügen. Sie sind Geschenke. Darum können wir sie nur wünschen, darauf hoffen, um sie bitten. Welche Lebensfreude und Lebenskraft verströmt ein neugeborenes Kind! Wenn wir es taufen, danken wir nicht zuletzt Gott für die Geburt und das Glück, Eltern des Kindes zu sein und es ins Leben begleiten zu dürfen. Lassen wir nicht nach, um Freude und Kraft für unser Leben zu bitten. Wir brauchen sie, denn es gibt Traurigkeit und Ohnmacht im Leben. Sie haben Namen wie Antriebslosigkeit und das Kreisen des Menschen um sich selbst, sie mögen es nicht, wenn wir uns freuen und uns kraftvoll dem Leben zuwenden. Wir müssen sie nicht an unseren Tisch bitten. Haben sie ungebeten Platz genommen, dürfen wir sie spüren lassen, dass sie nicht willkommen sind. Willkommen sind Freude und Kraft, sie sind mit dem Namen Jesus verbunden: Freude und Kraft für unser Leben. Freude, die uns antreibt und beflügelt. Kraft, die uns stärkt. Freude, für andere da zu sein, und Freude an einem anderen Menschen, einfach weil es ihn gibt. Kraft in schwierigen Lebenssituationen finden wir in dem Zuspruch Jesu: „In der Welt habt ihr Angst", sagte er beim Abschied zu seinen verunsicherten Vertrauten, „aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden" (Johannes 16,33). Um diesen Mut in Angst und Zweifel bittet die vierte Liedstrophe:

Wenn Angst und Zweifel in mir wachsen, dann schenke du mir neuen Mut ...

Für Martin Luther war die Taufe eine solche Quelle, aus der er Mut schöpfte. Wenn er sich wie ausgetrocknet fühlte, erschöpft und leer, fand er darin Trost und neue Kraft, getauft zu sein. „Ich bin getauft", soll er während seiner Durststrecken mit Kreide auf den Tisch geschrieben haben. Tauferinnerung, Zurückkehren zur Taufe, immer wieder, täglich, in die Taufe „hineinkriechen", wurden zu wichtigen Glaubens- und Lebenserfahrungen des Reformators. Im sichtbaren Zeichen des Wassers glaubte er die unsichtbaren Gnaden- und Güteerweise. Reinigendes Bad. Spürbares Wort, das Leib und Seele berührt. Es will hinaus in die Welt, kann nicht für sich allein bleiben, will aufrichten, verbinden, heilen. Als getaufte Menschen geben wir anderen Menschen Raum, nehmen sie wahr, stehen ihnen bei, pflegen mit ihnen Gemeinschaft. Die Gemeinde der Getauften ist eine einladende Gemeinschaft, sie bleibt nicht unter sich, sie öffnet sich und führt zusammen. Sie gibt und schenkt, weil sie von Gott beschenkt ist, begabt mit seiner Geisteskraft und einem freudigen Ja zum Leben. In diesem Sinn lässt sich die Bitte der fünften Strophe verstehen:

Herr, sende mich wie deine Jünger, und gehe du mir selbst voran ...

Zu dem Weg eines Christen, einer Christin gehört die Gemeinschaft. Sie kommen zusammen, hören auf Jesu Wort, schauen auf ihn, der ihnen vorangeht, beten und feiern das (Abend-)Mahl. So gestärkt, gehen sie die Aufgaben an, die auf sie warten. Sie wissen, der Wille allein reicht dafür nicht aus. Zwischen Wollen und Tun führt wie zwischen Glauben und Bewährung des Glaubens ein holpriger Weg. Davon handelt der Kehrvers des Liedes, wenn er das menschliche Wollen, den Entschluss, ein Leben in der Nachfolge Jesu zu führen, mit der Bitte um Kraft verbindet:

Ich will dir folgen, will bei dir bleiben und will dir treu sein; gib du mir Kraft.
Im Zeichen der Taufe nimmt mich Gott an, wie ich bin, und mehr noch: Unter den Augen dieses Gottes fassen Menschen Mut zum Leben. Es ist kein allgemeiner Ruf, der in der Taufe ergeht, es ist der Anruf Gottes an den Täufling. Dafür steht bezeichnenderweise die Ich-Form des Taufliedes. Darum ist ein Taufspruch, der bei der Taufe ausgesprochen wird, sehr persönlich als Anrede und Zuspruch gehalten, ein Beispiel: „Gott spricht: Ich will dich unterweisen und dir den Weg zeigen, den du gehen sollst; ich will dich mit meinen Augen leiten" (Psalm 32,8). Entsprechend ist die Antwort auf die Taufe ein ganz persönliches Bekenntnis, wie es im Tauflied ausdrücklich hervorgehoben wird: „... in der Taufe bekenn(e) ich dich" (Strophe 1). Kennen Sie Ihren Taufspruch?

(Stille)

Alle, die ihn wissen, lade ich ein, ihn jetzt mitzuteilen. Vielleicht haben einige den gleichen Taufspruch und können ihre Erfahrungen damit austauschen. Danach lasst uns in das Tauflied noch einmal einstimmen. (Taufsprüche werden vom Platz aus gesagt, wenn nötig, mit Handmikro. Wer den gleichen Taufspruch hat, sucht die Begegnung zum Austausch.)

Eingangsgebet:
Gott, ein neuer Tag hat begonnen. Wir wissen nicht, was heute geschieht. Was können wir selbst tun, was auf den Weg bringen, was klären? Wir bitten dich um Klarheit für die Aufgaben und Entscheidungen an diesem Tag. Hilf du uns, den nächsten Schritt zu tun, der heute nötig ist. Im Namen Jesu rufen wir dich an: Kyrie eleison.

Tagesgebet:
Gott, du Licht und Leben, von dir kommen Freude und Lebenskraft. Du hast uns den Lebensatem eingehaucht und uns mit dir verbunden. Im Zeichen der Taufe lässt du uns spüren, dass uns nichts von deiner Liebe trennen kann. Hilf uns, bei dir zu bleiben und Gemeinschaft zu leben in Gerechtigkeit, Liebe und Frieden.

Psalmvorschlag: Psalm 27
Evangelium: Matthäus 3,13-17
Epistel: Römer 6,1-11
Liedvorschläge: 409 (Gott liebt diese Welt)
272 (Ich lobe meinen Gott)
210 (Du hast uns, Herr, zu dir gerufen)
267 (Herr, du hast darum gebeten)
410 (Christus, das Licht der Welt)

Anzeige:  Herzschlag. Etty Hillesum – Eine Begegnung. Von Heiner Wilmer

Die Pastoralblätter im Abo

Gottesdienste komplett und fundiert vorbereiten.

Zum Kennenlernen: 2 Ausgaben gratis

Jetzt testen