Schalom – Hoffnung gegen den Augenschein – Gottesdienst zum Thema Frieden

5000 Tauben ließ man unter tosendem Applaus in den Himmel aufsteigen. Es war der 26. August 1972 in München, der Auftakt für die Sommerolympiade. Diese Spiele sollten andere sein als die Jahrzehnte zuvor in Berlin, weil auch dieses Land ein anderes geworden war. Die Olympiade in München sollte fröhlich, bunt und ausgelassen sein. Herzlich willkommen hieß man die Mannschaften aus der ganzen Welt, in einem Dorf sollten sie leben und der Dorfplatz zum Treffpunkt für die Sportlerinnen und Sportler werden, Ort für Gespräche, Anfangspunkt für neue Freundschaften über die Grenzen der Nationen hinweg.

1972 - noch bestimmt der Kalte Krieg das Klima, aber an dieser Stelle könnte das Eis schmelzen, für einen kurzen, aber lang nachwirkenden Moment. Einst wurden Kriege unterbrochen, um in Olympia die Spiele abhalten zu können. Vielleicht könnten von diesen Spielen in München Impulse für den Frieden ausgehen. Oder doch zumindest, dass alle Feindschaft für einen Moment vergessen werden könnte - die Feindschaft zwischen Ost und West und zwischen Israel und den Palästinensern. Die israelische Mannschaft ist gerne nach München gekommen, sie hat sich auf diese Spiele gefreut, sie wollte zeigen, dass sie Deutschland gegenüber „freundlich“ gesonnen war.

Mit lauten Flügelschlägen entschwanden die Tauben in den azurblauen Himmel. Die ganze Welt freute sich auf diese Spiele, fieberte nicht nur mit der eigenen Mannschaft mit, sondern verfolgte begeistert den Wettkampf aller Spieler.

Fröhliche und bunte Spiele - so sollte es sein, und da kann dann nicht sein, was nicht sein soll. Es gab Warnungen, es gab auffällige Beobachtungen, es gab sogar mehrfach Hinweise auf einen palästinensischen Anschlag, Namen wurden genannt, die Hintermänner waren bekannt. Der Anschlag hätte verhindert werden können. Die Verantwortlichen in München nahmen die Meldungen nicht zur Kenntnis, schenkten ihnen keine Bedeutung, wollten sich den Traum von der „Olympia-Party“ nicht zerstören lassen. Israelische Sicherheitsbeamte sahen sich misstrauisch den leichten Zaun an, der das Olympiadorf schützte. Erst als ihnen versprochen wurde, dass der Schutz verstärkt werden würde, gaben sie sich zufrieden. Es wurde nichts getan, es sollte nicht nach KZ aussehen. Die Berliner Olympiade von 1936 war allen noch im Bewusstsein, nichts sollte auch nur irgendwie daran erinnern.

„Süß erscheint der Krieg den Unerfahrenen“, schrieb einst Erasmus von Rotterdam. „Süß erscheint der Frieden den Unerfahrenen“, möchte man ergänzen.

Frieden ist mehr als die Abwesenheit von Krieg. Frieden ist eine Aufgabe. Sieht man sich aus der Distanz von 40 Jahren die damaligen Ereignisse an, die die ganze Welt in Atem gehalten haben, dann könnte man eine einfache Gleichung ziehen. Krieg bedeutet Strategie und Taktik, Frieden meint das Fehlen jeder Art von Strategie und Taktik. Die eilends einberufene Einsatztruppe hatte weder Strategie noch Taktik, vor laufenden Kameras gab sie sich dem Spott der Zuschauerinnen und Zuschauer preis. Als Sportler verkleidete Scharfschützen versuchten, sich dem Quartier der israelischen Mannschaft zu nähern, wobei sie im Fernsehen von den Terroristen beobachtet wurden. Dem Krisenstab war das anscheinend egal, er war und blieb ratlos. Noch in der Nacht wurden die israelischen Geiseln und die palästinensischen Terroristen zum Flughafen gebracht. Aus den oberen Fenstern des olympischen Dorfes sahen die übrigen israelischen Sportlerinnen und Sportler zu, wie ihre Kameraden in die Fahrzeuge stiegen. Sie sahen sie das letzte Mal und sie riefen so laut, dass es durch die Nacht hallte: Schalom. Für diesen einen Moment scheint der Äther zu beben. Schalom, das bedeutet, ihr seid in Gottes Hand. Gleich, was geschehen wird, Gott wird mit euch sein. Dieses eine Wort öffnet weit den Himmel, in aller Ratlosigkeit und Verzweiflung weitet es den Blick und die Perspektive.

Kein größerer Gegensatz ist vorstellbar: Auf der einen Seite die 5000 Tauben, die in den hellblauen Himmel steigen, und auf der anderen diese unheimliche Nacht, in der die Schalom-Rufe widerhallen. Ein gutgemeintes Zeichen zum einen und zum anderen ein Ruf, der Bitte und Hoffnung zugleich ist. Ob die israelischen Sportlerinnen und Sportler daran gedacht haben, das sie ihre Kameraden nicht mehr lebend wiedersehen werden? Dass Frieden ein hohes Gut ist und auch mit persönlichem Einsatz erkämpft werden muss, das wussten sie nur zu gut. Sie waren bereit, mit den Waffen ihre Mitstreiter zu befreien. Das ist unvorstellbar, damals wie heute, ebenso unvorstellbar wie das Desaster, das dann folgte.

40 Jahre sind seitdem vergangen. In der biblischen Zahlenlehre ist es das Maß des Zeitraums, der uns zur Bewährung gegeben wird. Das Sicherheitsprogramm für Olympische Spiele ist umfangreicher geworden, rund eine Milliarde Euro soll Großbritannien investiert haben. Eine halbe Armee stand zum Einsatz bereit. In München haben die Spiele ihre Unschuld verloren, der Krieg hat sie eingeholt und die Geschichte hat unser Land eingeholt. Aber können stärkere Sicherheitsvorschriften die Konflikte lösen, die aus der ganzen Welt zur Olympiade mitgebracht werden?

Schalom - die Vision vom Frieden aller Völker ist in der Bibel fest verankert. Es ist das Heil, das der ganzen Welt gilt, es ist das Ziel, auf das alle Nationen hinpilgern. In besonders radikaler Weise hat Jesus diesen Frieden verkündigt und gefordert, in sehr eindringlicher Weise hat er ihn den Menschen bewusst gemacht. Frieden ist Geschenk und Auftrag in einem, Gabe und Aufgabe gleichermaßen. „Ich bin nicht gekommen, den Frieden zu bringen, sondern das Schwert.“ (Mt 10,34) Wer sich für Jesus entscheidet, ist von anderen geschieden. Der Glaube kann wie ein Stachel sein, ein Stachel, der uns sticht und reizt, uns zum Guten reizt. Die Bibel hat einen sehr realistischen Blick, was das Wesen des Menschen angeht, und bisweilen kann der Grad, der den Frieden vom Krieg trennt, sehr schmal sein. Die Propheten haben sich oft genug sehr pragmatisch in das Handeln der Regierenden eingemischt. Vielfach hat sich gezeigt, dass der Schutz von Unschuldigen nur mit der Bereitschaft auch zur militärischen Auseinandersetzung möglich ist. Wer für den Frieden eintritt, muss auch das Risiko eingehen, zwischen die Fronten zu geraten.

Schalom - der Frieden, von dem die Bibel spricht, meint mehr als die Abwesenheit von Krieg. Dieser Frieden umfasst den Schutz der Schwachen und Unterdrückten, er zielt auf eine gerechte Gesellschaftsordnung. Die 40 Jahre, die seit dem Anschlag von München vergangen sind, lassen uns einen kritischen Blick auf die politischen, die gesellschaftlichen und ökonomischen Verhältnisse unserer Welt werfen. Warum gelingt es so selten, die Zivilbevölkerung zu schützen? Warum müssen wir immer wieder erleben, wie die großen Staatenbündnisse versagen; wie selbst größtes Engagement ins Leere läuft? In Ägypten fürchten Christen um ihr Leben, von gezielten Angriffen auf Christen wird in Syrien berichtet. Wer schützt sie und andere? Frieden ist zum Kalkül im Machtpoker geworden, bei dem auch Menschen eingesetzt werden. Schalom meint mehr, meint anderes, meint die entschiedene und eindeutige Solidarität für die Schwachen. Schalom lebt von der Hoffnung und der Zuversicht, dass die Geschichte dieser Welt in Gottes Frieden mündet. Dahin sind wir unterwegs, dorthin gehen wir an der Seite der Schwachen und Unterdrückten.

Vier Jahrzehnte sind seit dem Olympia-Anschlag vergangen. Der Vorschlag für eine Gedenkminute für die Opfer bei den Olympischen Spielen wurde abgelehnt, das passe nicht zum fröhlichen Charakter dieser Veranstaltung. 1972 wurde den Angehörigen umgehend finanzielle Hilfe angekündigt. Jahrzehnte haben sie dafür vor Gerichten kämpfen müssen, und von den drei Millionen, die ihnen zugesprochen wurden, haben sogleich zwei Millionen ihre Anwälte bekommen. Der Ruf Schalom ging durch die Nacht und zerriss das Dunkel. Inmitten der Finsternis gab es Hoffnung, Hoffnung gegen den Augenschein.

Eingangsmeditation:
In dieser Stunde,
in diesem Moment,
herrscht Krieg in der Welt,
müssen Menschen
um ihr Leben bangen
in Syrien und anderswo;
werden Menschen bedroht
und fliehen im Sudan
und Mali und anderswo,
werden Menschen Opfer
von Anschlägen im Irak;
in Afghanistan und anderswo.
Ihr Schicksal steht uns vor Augen:
Wir denken an die Frauen und Kinder,
aber auch an die Soldatinnen und Soldaten,
die den Krieg nicht gewollt haben
und nun durch ihn zerrieben werden.
Gegen alle Hoffnungslosigkeit
hoffen wir,
gegen alle Fragen und Zweifel
glauben wir,
gegen allen Pessimismus
vertrauen wir auf Gott,
denn er ist
unsre Zuversicht und Stärke,
eine Hilfe in den großen Nöten,
die uns getroffen haben.
(Psalm 46,2-3a)

Eingangsgebet:
Gott,
gib uns Gedanken
des Friedens
und den Mut
und die Entschiedenheit,
die Gedanken
zu Taten werden lässt.

Fürbittengebet:
Gott,
wir bitten dich um Frieden
Frieden in den von Krieg zerrütteten Ländern im ehemaligen Jugoslawien, in Tschetschenien, im Irak, in Afghanistan, in Syrien, im Sudan, in Mali ...
Frieden für die Männer, Frauen und Kinder, die Angst um ihr Leben haben, die auf der Flucht sind, die heimatlos geworden sind und die nicht wissen, wie ihre Zukunft sein wird.
Frieden für die Politikerinnen und Politiker, die Verantwortung für ihr Land tragen, dass sie sich auf die Seite der Schwachen stellen und für ihren Schutz eintreten.
Frieden für die Soldatinnen und Soldaten der Friedenstruppen, dass sie die Kraft behalten, zu vermitteln und zu schützen, auch wenn ihr Einsatz sie so oft an die Grenze des Ertragbaren bringt.
Frieden für alle Menschen und Völker, dass in ihnen die Hoffnungslosigkeit auf eine gerechte Welt wach gehalten wird und sie nicht aufhören, sich für sie einzusetzen.
Frieden auch für uns, dass uns weder die Bequemlichkeit noch das Gefühl der Ohnmacht davon abhält, für ein friedvolles Zusammenleben der Menschen bei uns und in der Welt einzutreten.
Gott, wir bitten dich um Frieden, weil dein Frieden größer ist als unsere Vernunft und weiter reicht als unsere Gedanken.

Lesung: Jesaja 2,2-5
Epistel: 1. Timotheus 2,1-4
Evangelium Matthäus 5,1-10
Liedvorschläge: 263 (Sonne der Gerechtigkeit)
426 (Es wird sein in den letzten Tagen)
428 (Komm in unsere stolze Welt)
430 (Gib Frieden, Herr, gib Frieden)
434 (Schalom chaverim)

Anzeige: Jana Highholder - Overflow. 137 Fragen für ein Leben in Fülle – Journal

Pastoralblätter-Newsletter

Ja, ich möchte den kostenlosen Pastoralblätter-Newsletter abonnieren und willige in die Verwendung meiner Kontaktdaten zum Zweck des E-Mail-Marketings durch den Verlag Herder ein. Den Newsletter oder die E-Mail-Werbung kann ich jederzeit abbestellen.
Ich bin einverstanden, dass mein personenbezogenes Nutzungsverhalten in Newsletter und E-Mail-Werbung erfasst und ausgewertet wird, um die Inhalte besser auf meine Interessen auszurichten. Über einen Link in Newsletter oder E-Mail kann ich diese Funktion jederzeit ausschalten.
Weiterführende Informationen finden Sie in unseren Datenschutzhinweisen.