"Jesus Christus herrscht als König" – Das Mausoleum der Galla Placidia (Bildpredigt)

Der Gute Hirte, Mausoleum der Galla Placidia, Ravenna, Mosaik (1. Hälfte des 5. Jahrhunderts). (Eine - farbige - Druckvorlage kann im Bedarfsfall beim Autor per E-Mail angefordert werden.)

In diesen Raum zieht sie sich zurück, denn hier ist sie allein mit ihren Gedanken, die so oft zurückgehen. Über Ravenna liegt sanft die Nacht, nur das Licht der Wachen ist hier und dort zu sehen. Aber die Ruhe täuscht, sie spürt noch das Beben unter den Füßen. Es hat ihr Leben erschüttert, damals, als sie noch in Rom war. Ihr war, als würde die Welt untergehen. „Alarich ante portas", der Feind steht vor den Toren Roms. Jahrhunderte ist es her, dass dieser Schreckensruf durch die Straßen der Stadt hallte - diese reiche, diese einst so mächtige Stadt, von hier aus wurde die Welt regiert, wurden bis in die entferntesten Regionen des Reiches die Befehle ausgesandt, hier wurde jeder Sieg mit einem prachtvollen Triumphzug gefeiert, es glich jeder Tag einem Fest. Der letzte Triumphzug liegt schon lange zurück, es war der Sieg über die Westgoten. Nun aber liegt die Macht in den Händen ebenso unerfahrener wie ratloser Politiker. Die Menschen in der Stadt spüren es, Rom wird fallen, die Welt wird untergehen. Sie haben es vor Augen, die Erde bebt, die Mauern werden fallen, es gibt keine Rettung. Der Kaiser, ihr Bruder, lebt geschützt in seiner Residenz. Er rührt keinen Finger. Dieser Narr sorgt sich um seine Hühner. Roma, so hat er eine seiner Henne genannt, ihr gilt seine ganze Sorge. Die Stadt selbst und ihre Menschen sind ihm gleichgültig.

Die Westgoten erobern Rom, drei Tage und Nächte plündern und morden sie. Die Angstschreie und Klagen durchziehen die Stadt. Der Feind macht reiche Beute, unermessliche Schätze laden die Westgoten auf ihre Wagen, und sie nehmen auch Menschen mit. Sie sind Beute, ihr Auge fällt auf die Vornehmen, die Reichen und Schönen. Auch die Schwester des Kaisers muss mit, Galla Placidia.

Ein Mosaik zeigt sie, ihre Gesichtszüge sind fein geschnitten, eine Perlenkette und Perlenanhänger an den Ohren sind ihr dezenter Schmuck, ihre Schönheit braucht nicht mehr. Es wundert nicht weiter, dass die Mächtigen der Zeit um sie warben. Sie war ihnen überlegen, in dem untergehenden weströmischen Reich glich sie einem Stern, der weit in diese Nacht hinein leuchtete. „Noblissima" nannte sie vorausschauend ihr Vater, Kaiser Theodosius, die Vornehme, die Edelste. Unter ihren beiden Brüdern wurde das Römische Reich in Ost und West aufgeteilt. Viel zu früh starb der Vater, er gab die Tochter in die Obhut seiner Nichte und ihres Mannes, seinem treuen Feldherrn Stilicho - dieser verlobte seinen Sohn mit Galla Placidia. Sie werden sie ermorden, den Adoptivvater und den Verlobten, sie werden die Adoptivmutter hinrichten und Galla zwingen, dem Urteil zuzustimmen.

In den großen braunen Augen der Galla Placidia spiegelt sich das ganze Leid ihres Lebens. Melancholisch soll sie gewesen sein. Das wundert nicht weiter. Sie muss mit Alarich ziehen. Es geht durch Italien, durch Europa. Sie wird selbst zur Königin der Goten werden und mit ihrem Mann Athaulf von einem neuem Rom träumen, in dem Römer und Germanen zusammenleben. Was getrennt ist, wollen sie vereinen. Theodosius nennen sie den Sohn. Klingt das nicht wie eine Verheißung? Sie wünscht sich eine glückliche Zukunft für all die Menschen in ihrem Reich. Der Sohn stirbt, der König wird ermordet, der Traum zerplatzt. Galla ist wieder Beute, wird gedemütigt und misshandelt, zuletzt an den Bruder gegen Lösegeld verkauft. Der Feldherr des Kaisers, Constantius, hatte schon lange ein Auge auf sie geworfen, sie muss ihn heiraten. Zwei Kinder bringt sie zur Welt. Ihr Mann wird Kaiser und sie Kaiserin. Sie ist die letzte weströmische Kaiserin. Als er stirbt wird sie wieder zum Spielball der Mächtigen.

32 Jahre ist sie alt, das Schicksal drückt sie zu Boden und es erhebt sie auch wieder. Ihr sechsjähriger Sohn wird zum Kaiser ausgerufen, in einem Triumphzug kehrt Galla Placidia von Konstantinopel nach Ravenna zurück, für ihren Sohn übernimmt sie die Regierungsgeschäfte. Sie verhandelt, sie regelt und ordnet. Sie spricht auch Recht, sammelt systematisiert die Auslegungen der Gesetze. Sie legt die Basis für alle zukünftigen Gesetzeswerke von der Antike bis in die Gegenwart hinein. Und sie legt fest, dass sich selbst der Kaiser dem Recht zu beugen hat. Ein ungeheuerlicher Gedanke, eine erstaunliche und bemerkenswerte Frau.

In diesem von außen eher unscheinbaren Gebäude verweilt sie immer wieder, denkt zurück, erinnert sich an die Menschen und die Begebenheiten ihres so wechselhaften Lebens. Sie kehrt ein in die Stille des Gebetes. Ravenna als ihre Residenz hat sie mit prächtigen Kirchen ausgestattet, denn der Kirche war sie eng verbunden. Als der Boden unter den Füßen der Menschen bebte, war sie es, die den Menschen Sicherheit und Halt gab. Galla Placidia unterstützte den Papst und stand in Verbindung mit wichtigen Bischöfen. Einer von ihnen nannte sie in einer Predigt „Mutter des ewigen, glaubenstreuen und christlichen Römischen Reiches".

Ihr Vater Theodosius hat das Christentum zur Staatsreligion erklärt, und doch lebten die heidnischen Götter fort. Sie kämpfte gegen das Heidentum und die Häresien, sie stritt für den wahren Glauben. Die Prediger prangerten den Reichtum an, setzten sich für die Armen und Kranken ein, sorgten sich um die Gefangenen, lehnten die Sklaverei ab. Sie mahnten, klagten an und handelten. Eine Armenfürsorge entstand, Waisenhäuser und Altersheime wurden errichtet, man sammelte Geld, um Sklaven freizukaufen. Im Glauben dieser Kirche fand Galla Placidia ihren Halt, mehr noch, sie sah in ihm die Rettung ihres Reiches, schrieb sie doch nach Konstantinopel, „dass Gott die Welt dem Römischen Reich anvertraut habe, damit sie wohl geleitet und gerettet werde". In diesem Bewusstsein hat sie jenes Gebäude anlegen lassen, das als ihr Mausoleum berühmt geworden ist. Begraben aber wurde sie in Rom, in der Stadt, die sie so sehr liebte, dort, wo auch ihr Vater beigesetzt worden ist.

Die Fackeln lodern, und die goldenen Mosaiken werfen das Licht tausendfach zurück. Sie lässt ihren Blick wandern, aber unweigerlich fällt er immer wieder auf die Darstellung des guten Hirten. In einer mit Felsblöcken klar gegliederten Landschaft sitzt in der Mitte auf einem dreistufigen Thron Jesus, umgeben von sechs Schafen, von denen er eins liebevoll streichelt. Alle Blicke sind auf den Gottessohn gerichtet. Strahlend jung wirkt er wie ein apollonischer Gott. Bartlos ist sein Gesicht, und das wellige Haar fällt leicht nach hinten. Kein Christus, wie wir ihn kennen, und auch kein Christus, wie ihn die Zeit bis dahin kannte. Zwar wurde er in jenem Jahrhundert jung und bartlos dargestellt, aber das Motiv des guten Hirten wurde in den Katakomben anders gestaltet. Der schlichte Kittel ist durch die kaiserliche Toga und den Purpur ausgetauscht, aus dem Erlöser, der den einzelnen Menschen in die Ewigkeit bringt, ist der kaiserliche Herrscher geworden, der im Paradies thront. Aus dem Hirtenstab ist das Kreuz geworden, das Jesus wie eine Feldherrnstandarte hält. So zeigten die Heerführer den Sieg an; so sagten die Kaiser, dass der Feind überwunden ist. Dieser Herrscher hat das Leid und den Tod überwunden, er herrscht über Himmel und Erde. Nachdenklich richtet sie ihren Blick nach oben, über sich sieht sie auf blauem Grund den Himmel funkeln, ein Meer von goldenen Sternen und in der Mitte ein leuchtendes Kreuz. Wer diesen Raum betritt, der bewegt sich zwischen Himmel und Erde, zwischen Zeit und Ewigkeit.

Längst verläuft die Grenze nicht mehr zwischen Römern und Germanen, sondern zwischen Christen und Heiden. Auch die Germanen sind Christen, Arianer zwar zum Teil, aber sie gehören doch zu der großen Gemeinschaft der Glaubenden. Die Arianer, zu denen auch die Westgoten zählten, legten den Akzent auf das Menschsein Jesu, Galla Placidia indes stritt, unbeugsam und ausdauernd, für die rechte Lehre. In dem Mosaik des Mausoleums wird aus dem Erlöser der Menschen der Weltenherrscher, noch im spätrömischen Gewand kündigt sich das beherrschende Motiv der byzantinischen Kunst an, Jesus Christus als der Pantokrator. Auch wenn Galla Placidia noch einem erneuerten christlichen römischen Reich nachhängen wird, das Schicksal Westroms ist längst besiegelt. Das Christentum ist bereits angetreten, die Nachfolge zu übernehmen. Papst Leo I., der von Galla Placidia stets unterstützt wurde, nannte sich „Stellvertreter des Petrus", in seiner Hand lag nun der Schlüssel für das Paradies.

Die Apostel werden bisweilen in weißen Gewändern dargestellt, der Farbe der Reinheit. Sie sind für ihren Glauben eingestanden, sie haben für ihn auch das Martyrium auf sich genommen. Es spricht einiges dafür, dass die sechs Schafe auf dem Mosaik die sechs Apostel symbolisieren, die für ihr Bekenntnis gestorben sind. Und es mag auch sein, dass das Schaf, das Jesus streichelt, Petrus darstellt. Auf jeden Fall ist damit der Appell verbunden, für die reine Lehre, wie sie in den Evangelien aufgezeichnet und von den Aposteln verbürgt wird, zu streiten. Für Galla Placidia liegt darin die Zukunft des Römischen Reiches begründet und für die Menschen das Seelenheil. Es kann sein, dass diese Kapelle ursprünglich als Grabmal gedacht war, wahrscheinlicher aber ist, dass sie als Gebetskapelle fungierte, um zu dem Märtyrer Roms zu beten, dem heiligen Laurentius.

Der Besuch dieser Kapelle gleicht einer Einkehr in die Spätantike, einer Zeit, die äußerlich und innerlich im Umbruch war, in der allein der Glaube den Menschen Halt zu geben vermochte und zugleich die Welt veränderte. In einer Darstellung, die etwa zur gleichen Zeit in Rom entstand, steht hinter dem Kaiser Christus, der ihm seinen Willen zuflüstert. Kirche und Politik, Irdisches und Himmlisches, was wir so gerne trennen möchten, geht hier eine enge Verbindung ein. Nur so lässt sich, das ist die Überzeugung, diese Welt noch retten. Es war diese Kirche, die sich entschieden den Armen zuwandte, die für die Unfreien eintrat und die die Vision eines friedlichen Zusammenlebens von Römern und Germanen lebte. Vieles ist verwirklich worden, vieles bleibt, wenn auch unter anderen Bedingungen, als Herausforderung und Aufgabe für unsere Zeit.

Liedvorschlag:

123 (Jesus Christus herrscht als König)

Literatur: Henry Benrath: Die Kaiserin Galla Placidia, Stuttgart 1937 (zahlreiche Neuauflagen) - Anna Maria Cetto: Mosaiken von Ravenna (Orbis Pictus 15), Bern 1953 - Friedrich Gerke: Das Christusmosaik in der Laurentius-Kapelle in Ravenna, Stuttgart 1965 - Rigobert Günther: Römische Kaiserinnen zwischen Liebe, Macht und Religion, Leipzig 1995 - Ernst Kornemann: Geschichte der Spätantike, München 1978 - Thomas R. P. Mielke, Die Kaiserin. Roman, Reinbek bei Hamburg 2000 - Stefania Salti/Renata Venturini: Das Leben der Galla Placidia, Ravenna 1999 - Hans-Karl Siebigs: Das Grabmal der Galla Placidia. Versuch einer Erklärung, Aachen 2003 - Herbert Alexander Stützer: Ravenna und seine Mosaiken, Köln 1989

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