Die meisten Kinder im Alter zwischen zwei und fünf Jahren erleben dann und wann Zeiten, in denen sie noch nicht fließend sprechen. Die Mehrheit plaudert bis zur Pubertät längst munter drauf los. Einige jedoch, und das sind in Deutschland immerhin 1 Prozent der Bevölkerung, also rund 800 000 Menschen, stottern weiter. Echtes Stottern nennt man Unterbrechungen des Redeflusses in Form von Blockaden ("----Block"), Wiederholungen von Wortteilen ("k-k-k-k-alt"), oder Dehnungen ("wwwwarm"). Stottern ist meist mit großer Anstrengung beim Sprechen, mit Verkrampfungen des Gesichts oder Bewegungen von Kopf, Armen und Oberkörper verbunden. Im Moment der "Blockade" weiß der Stotternde genau, was er sagen möchte, ist aber nicht fähig, es störungsfrei zu artikulieren. Angst vor dem "Problem" und der Versuch, das Stottern zu vermeiden, verursachen schließlich einen Teufelskreis. "Bei meinen Kommilitonen wird mein gelegentliches Stottern akzeptiert, aber bei der mündlichen Prüfung neulich hat es sich durch den Stress ziemlich verschlimmert", berichtet Andreas Schön (23) aus Köln, Student der Wirtschafts-Informatik.
Keine Frage der Intelligenz
Bisher kann die Wissenschaft noch nicht präzise vorhersagen, wer nach dem Kindesalter weiter stottert. Fest steht: Etwa doppelt so viele Jungen wie Mädchen leiden darunter. Mädchen verlieren diese Störung häufiger wieder, wodurch das Verhältnis auf 5:1 ansteigt. Stottern tritt in allen Kulturen auf. Der Beweis: Es gibt 4000 Jahre alte Schriftstücke, die von stotternden Menschen berichten.
Wenn Ihr Kind stottert, sollten Sie sich keine Vorwürfe machen. Sie sind nicht Schuld an seinem Handicap! Stotterer und ihre Eltern unterscheiden sich in ihrer Persönlichkeit und ihrem Umgang miteinander nicht von der "normalen" Bevölkerung. Studien belegen: Es gibt keine typische Stotterer-Persönlichkeit und keine "Stotterer-Familien". Stotternde Menschen sind nicht nervöser oder gehemmter als Normalsprechende. Sie sind auch keinesfalls weniger intelligent, auch wenn es noch viele Vorurteile gibt.
Stottern ist nichts weiter als eine Störung des Sprechablaufs. Einige Untersuchungen weisen darauf hin, dass Stottern genetisch bedingt, also erblich ist. Immerhin haben stotternde Menschen im Vergleich zu Nichtstotternden dreimal so häufig Verwandte, die ebenfalls stottern. Manche Wissenschaftler gehen davon aus, dass mit 70- bis 80-prozentiger Wahrscheinlichkeit die Gene bestimmen, ob ein Kind stottert, während Einflüsse aus der Umgebung nur 20 bis 30 Prozent dazu beitragen. "Mein Opa hat auch gestottert", bestätigt Oliver Gading (34), der in Bremen im Computerbereich tätig ist. "Ich kann den Angehörigen nur raten, den Stotterer ausreden zu lassen und ihn nicht zu ermahnen. Das macht alles nur schlimmer."
Was tun, wenn die Wörter hüpfen?
Wenn bei Ihrem Kind also die typischen Anzeichen wie Blockaden, Dehnungen oder Wiederholungen von Wortteilen auftreten, sollten Sie aufmerksam werden. Eine normale Sprech-Unflüssigkeit wäre zum Beispiel: "Ich will - ich will den Ball". Während sich Stottern so äußern kann: "I-I-I-ich will den Ball". So bald wie möglich professionelle Beratung suchen! Es gibt Sprach-Therapeuten, LogopädInnen oder SprachheilpädagogInnen, die sich auf kindliches Stottern spezialisiert haben. Sie selbst können Ihren Nachwuchs ebenfalls unterstützen: Stottern ist keine schlechte Angewohnheit, sondern liegt außerhalb der Kontrolle Ihres Kindes. Korrigieren Sie Ihr Kind also nicht, hören Sie auf das, was es sagt und nicht darauf, wie es etwas sagt. Drängen Sie es nicht und beenden Sie seine Sätze nicht. Versuchen Sie, selbst ruhig zu sprechen. Trösten Sie Ihr Kind und informieren Sie andere Menschen, wie Sie mit ihm umgehen sollen.
Das Stottern buchstäblich tot zu schweigen, bringt nichts. Das merkt Ihr Kind und meint, es müsse sich dafür schämen. Sprechen Sie das Stottern gelassen an, wenn das Kind noch sehr jung ist, sagen Sie ihm, die "Worte hüpfen manchmal oder bleiben stecken", das nimmt Ihrem Kind den Druck.
Üben lohnt sich
Inzwischen gibt es verschiedene Therapie-Ansätze: Es kann beispielsweise indirekt an Bereichen wie Mundmotorik, Artikulation oder Grammatik gearbeitet werden. Auch das Kommunikationsverhalten in der Familie kann in der Therapie verändert werden. Oder es wird direkt am Stottern gearbeitet, wobei die Therapie spielerisch und kindgerecht ist. Die Wissenschaft vertritt heute zwei Hauptrichtungen: Durch Sprechtechniken, die das gesamte Sprechen verändern, lernt der Stotterer mittels "Fluency Shaping" flüssiges Sprechen. Die Stimme wird hierbei weich eingesetzt, die Vokale werden gedehnt, die Muskelanspannung wird herabgesetzt und die Atmung kontrolliert.
Die "Stuttering Modification" hingegen hat das Ziel, besser auf das Auftreten von Stottern zu reagieren, da nicht das Stottern, sondern der angstvolle Umgang damit als eigentliches Problem angesehen wird. Anstatt Wörter zu vermeiden, die hauptsächlich zum Stottern führen, oder sich bei ihnen anzustrengen, werden Sprechtechniken eingesetzt. Voraussetzung ist, dass zunächst Ängste und negative Einstellungen abgebaut werden. Bei manchen Stotterern führen allerdings unkonventionelle Wege zur Heilung: So hat die Münchner Stimm- und Gesangspädagogin Sigrid Moser (39) eine Gesangs- und Schauspielausbildung hinter sich, die ihre inneren Blockaden löste. Heute spricht sie nicht nur vollkommen fließend, sondern unterrichtet selbst. "Das Stottern war für mich ein Horrortrip. Aber ich bin dorthin gegangen, wo meine Angst war und habe mir die Sprache nach und nach erarbeitet", erklärt sie ihren Ansatz.
Allerdings führt keine Therapie automatisch zu vollkommener Stotter-Freiheit, auch wenn Therapien umso hilfreicher sind, je früher sie erfolgen. Meist kann jedoch die Sprechflüssigkeit verbessert und das Stottern besser kontrolliert werden. Dies erfordert einen lebenslangen Prozess, der kontinuierliche Arbeit beinhaltet. Aber das Üben lohnt sich: Immerhin bringt der ehemalige Stotterer Rowan Atkinson als Mister Bean Millionen Menschen zum Lachen. Und das gewiss nicht wegen eines Sprach-Handicaps...
kizz Info
Hier finden Sie Rat und Hilfe:
Bundesvereinigung Stotterer-Selbsthilfe e.V.; sie verfügt über ein bundesweites Therapeuten-Verzeichnis. Außerdem nennt sie Ihnen Selbsthilfegruppen in Ihrer Nähe.
www.bvss.de