Gewaltvorfälle an Schulen sind immer häufiger Thema der öffentlichen Diskussion. Diese Entwicklung macht auch vor Kindertagesstätten nicht Halt - selbst unter den Kleinsten ist das Klima rauer geworden. Kneifen, kratzen, Haare ziehen, treten und saftige Beleidigungen gehören bei einigen Kindern zu alltäglichen Verhaltensmustern.
Laut einer Studie der Universität Braunschweig über Verhaltensstörungen bei Drei- bis Sechsjährigen erleben ErzieherInnen 20 Prozent der Jungen und Mädchen als häufig aggressiv. Sie seien aufbrausend, würden viel streiten, Sachen zerstören, schlagen und andere Kinder bedrohen. Prof. Friedrich Lösel von der Universität Erlangen, Leiter einer 2001 durchgeführten Studie zum Sozialverhalten von Kindern, schätzt, dass fünf bis 15 Prozent aller Kindergartenkinder gewalttätig sind. (Quelle: Stern, 4.4.02)
Der Kindergarten muss ein Schutzraum sein
Auch wenn eine Dramatisierung der Situation im Kindergarten fehl am Platze ist, möchten Eltern ihr Kind bestmöglich vor Gewalterfahrungen schützen. Zu Recht müssen sie sich darauf verlassen können, dass ihr Kind im Kindergarten gut aufgehoben ist und seine Entwicklung nicht von Altersgenossen beeinträchtigt wird. Die betreuenden ErzieherInnen stehen in der Verantwortung, Verletzungen vorzubeugen und jegliche Gewalt in der Gruppe zu verhindern. Konstruktive Konfliktlösungen, die Vermittlung von sozialen Kompetenzen und Selbstbewusstsein gehören zu wichtigen Aufgaben der pädagogischen Arbeit. Denn: die Konsequenzen für ein Kind, das der Gewalt von Gleichaltrigen ausgesetzt ist, sind gravierend. Der Leidensdruck betroffener Kinder ist groß, ihre Entwicklung und seelische Gesundheit ist gefährdet. Forscher belegen, dass Opfer ein vergleichsweise niedriges Selbstwertgefühl, eine negative Selbsteinschätzung und depressive Züge zeigen. Sogar psychosomatische Beschwerden und soziale Ängsten können die Folge sein.
Was ist Gewalt, was nicht?
Aggressives Verhalten hat viele Gesichter. Neben körperlichen Verletzungen und Bedrohungen meint der Begriff "Gewalt" auch soziale Ausgrenzung, Hänseleien oder verbale Attacken. Dan Olweus, Experte auf dem Gebiet Gewalt an Schulen, beschreibt Gewalttätigkeit unter Gleichaltrigen so:
Ein Kind oder Jugendlicher ist Gewalt ausgesetzt, wenn er oder sie wiederholt und über eine längere Zeit den negativen Handlungen eines oder mehrerer anderer Kinder oder Jugendlicher ausgesetzt ist. Unter 'negativen Handlungen' versteht er absichtliche Verletzungen. Dazu zählt er über verbale (z.B. drohen, hänseln) und körperliche (schlagen, treten, kneifen usw.) Attacken hinaus auch Verhaltensweisen wie Grimassen schneiden oder Jemanden ignorieren. (Quelle:www.stark-ohne-gewalt.de)
Insbesondere bei tätlichen Angriffen sind Jungen häufiger die Akteure, bei psychischer Drangsalierung fallen Geschlechtsunterschiede weniger ins Gewicht.
Im erzieherischen Alltag darf destruktive Gewalt nicht mit entwicklungsbedingten und -notwendigen Rangeleien und Kräftemessen zwischen ebenbürtigen Altersgenossen verwechselt werden. Von Gewalt ist dann zu sprechen, wenn die Kräfte ungleich verteilt sind. Ein Kind, das sich dauerhaft nicht aus der Opferrolle befreien kann, braucht Hilfe.
Warum wird ein Kind Opfer von Altersgenossen?
Forschungsergebnisse zeigen, dass die äußeren Rahmenbedingungen des Zusammenlebens in einer Einrichtung Einfluss auf die Häufigkeit von Gewaltvorfällen haben. Unattraktive und enge Räumlichkeiten, ein hoher Geräuschpegel, wenig Beschäftigungsanregungen und ein geringer pädagogisch-sozialer Einsatz der ErzieherInnen sind Faktoren, die Aggressionen entstehen lassen können. Daneben prägen auch der Erziehungsstil der Eltern und kulturelle Rahmenbedingungen die Haltung eines Kindes zur Gewalt.
Besonders gefährdet Opfer zu werden, sind Kinder mit geringem Selbstwertgefühl, die kaum in die Gemeinschaft integriert sind oder keine Freunde haben. Angreifer lassen ihre Wut an ihnen aus, weil sie kaum mit Gegenwehr oder Konsequenzen rechnen müssen. Häufig werden auch Kinder, die ihrerseits aggressiv und provozierend auftreten, von der Gruppe in die Rolle des Sündenbocks gedrängt.
Natürlich gibt es auch Fälle von Gewalt, bei denen diese Erklärungsmuster nicht greifen. Jeden Einzelfall gilt es für sich zu betrachten und mögliche Hilfen zu prüfen.
So schützen Sie Ihr Kind
Präventive Maßnahmen
Die beste Garantie für ein Kind, von Gleichaltrigen akzeptiert zu werden, sind Freundschaften, ein anerkannter Platz in der Gruppe, Selbstbewusstsein und eine Bezugsperson, der Ihr Kind vertraut. Als Eltern können Sie Ihrem Kind dabei helfen, dies zu erreichen:
- Ermöglichen Sie Ihrem Kind Kontakte zu Gleichaltrigen und damit die Chance, Freundschaften aufzubauen, z.B. durch Einladungen zum Spielen, für Geburtstagsfeste und Ausflüge.
- Fördern Sie das Selbstvertrauen Ihres Kindes, indem Sie seine Begabungen und Stärken in den Vordergrund stellen und bei Konfliktlösungen bei seinen Stärken ansetzen.
- Pflegen Sie einen demokratischen Erziehungsstil: Nur wenn Kinder mitreden dürfen, können sie lernen, eigene Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen.
- Lassen Sie Ihr Kind bei Fragen, die es betreffen, so oft wie möglich mit entscheiden, z.B. bei der Auswahl von Spielzeug, Kleidung, Freizeitgestaltung etc.
- Bemühen Sie sich um ein Vertrauensverhältnis zu Ihrem Kind. Versichern Sie ihm, dass es jederzeit erzählen kann, was ihm auf dem Herzen liegt.
- Lösen Sie nicht jeden Konflikt für Ihr Kind. Es muss lernen, sich eigenständig zu behaupten. Beobachten Sie, welche Lösungsansätze Kinder im Streit selbst entwickeln, und greifen Sie nur ein, wenn ein Kind wirklich Hilfe braucht.
- Lassen Sie Ihr Kind mit Gewaltdarstellungen in den Medien nicht allein, sprechen Sie mit ihm über die gesehenen Bilder.
- Bemühen Sie sich um gute Beziehungen zu Eltern von Kindern, die den selben Kindergarten besuchen, nehmen Sie an Elternabenden und sonstigen Aktionen teil.
Handlungsmöglichkeiten im konkreten Fall
Sprechen Sie über Ihre Einschätzung und ein mögliches Vorgehen mit den betreuenden ErzieherInnen, wenn Sie den Verdacht oder die sichere Gewissheit haben, dass Ihr Kind von anderen regelrecht gemobbt wird... Lösungen sollten Sie gemeinsam mit Ihrem Kind und den ErzieherInnen suchen. Es ist sehr wichtig, das Kind mit einzubeziehen. Dadurch wird Ihr Kind aktiv und fühlt sich nicht hilflos.
Spielen Sie verschiedene Handlungsalternativen durch:
- Gespräch mit den Eltern der kleinen Täter: Lassen Sie sich dabei auf deren Sicht der Dinge ein, stellen Sie den Konflikt sachlich dar und vermeiden Sie Anschuldigungen, um die Fronten nicht zu verhärten.
- Gespräch mit dem Elternbeirat und den ErzieherInnen: Dieses Vorgehen ist zu empfehlen, wenn mehrere Kinder von einem einzigen aggressiven Kind bedroht und verletzt werden, damit dessen Eltern informiert werden und Unterstützung erfahren, ohne von einer Mehrheit verärgerter Eltern beschimpft zu werden.
- Elternabend zum Thema "Gewaltprävention im Kindergarten": Dabei werden alle Eltern für das Thema sensibilisiert und geladene Experten können Hilfsmöglichkeiten aufzeigen.
- Therapeutische Hilfe: Wenn Ihr Kind zum Außenseiter wird, weil es selber aggressiv ist, können Sie nach Scheitern anderer Lösungen bei der örtlichen Erziehungsberatungsstelle, bei HeilpädagogInnen oder KinderpsychiaterInnen Hilfe suchen.
- Kindergartenwechsel: Der Besuch eines anderen Kindergartens sollte an letzter Stelle in Betracht gezogen werden. Damit Ihr Kind erfährt, dass Probleme gelöst werden können, ist dies eine Alternative für den absoluten Notfall.