Herr Ernst, warum appellieren Sie an die Politik, mehr Standards in der frühen Bildung zu wagen?
Mich treibt der Gedanke an, dass Bildungsgerechtigkeit in Deutschland noch immer stark vom Wohnort und von sozialer Herkunft abhängt. Und das darf nicht sein. Gerade Kinder aus sozial benachteiligten Familien oder mit Migrationshintergrund haben oft nicht denselben Zugang zu hochwertiger frühkindlicher Bildung. Deshalb müssen wir dort ansetzen, wo wir den größten Hebel haben: an den Kitas. Hier lassen sich Ungleichheiten frühzeitig verringern, wenn wir flächendeckend für gute Qualität sorgen.
Welche Standards schweben Ihnen da vor?
Grundsätzlich darf Qualität kein Zufall sein. Ein einheitlicher, wissenschaftlich fundierter Personalschlüssel wäre ein wichtiger Schritt. Verlässliche Bindung und individuelle Förderung von Kindern gelingen nur mit ausreichend pädagogischem Personal. In Regionen mit sinkenden Kinderzahlen wie teilweise in Ostdeutschland eröffnet das neue Chancen: Hier könnten bessere Fachkraft-Kind-Relationen realisiert werden. Auch die Bildungspläne sollten weiterentwickelt, angeglichen und verbindlicher werden. Frühkindliche Bildung muss sich an den Kompetenzen orientieren, die Kinder nachweislich brauchen, also: sprachliche, sozial-emotionale und mathematische Kompetenzen, zu denen MINT-Bildung einen wichtigen Beitrag leistet. Der Bund kann hier gezielt Anreize setzen und diese Fähigkeiten ins Zentrum des Kita-Alltags rücken – nicht, um zu reglementieren, sondern um individuelle Förderung zu ermöglichen.
Wer würde von solchen Standards wie profitieren?
Zunächst die Kinder – im Idealfall alle. Einheitliche Standards sorgen dafür, dass jedes Kind Zugang zu guter Bildung bekommt. Aber auch pädagogische Fachkräfte profitieren: Wenn Aus- und Fortbildung sowie Arbeitsbedingungen ein stabiles Fundament haben, entsteht mehr Qualität bei weniger Überlastung. Doch klar ist: Wir dürfen die Fachkräfte nicht mit zusätzlichen Anforderungen alleinlassen.
Welche Voraussetzungen müssen geschaffen werden?
Einheitliche Standards brauchen bessere Rahmenbedingungen – also mehr Personal und Qualifizierung, angemessene Vergütung, verlässliche Strukturen und multiprofessionelle Teams, die entlasten. Des Weiteren sollte der Zugang nicht nur theoretisch allen Kindern offenstehen. Heute gibt es große Unterschiede, etwa bei Öffnungszeiten oder der Aufnahme von Kindern. Familien mit Migrationsgeschichte sind trotz Rechtsanspruchs oft benachteiligt. Deshalb sind bundesweit abgestimmte Leitlinien nötig.
Was heißt das für die Ausbildung von pädagogischen Fachkräften?
Sollen alle Kinder optimal gefördert werden, müssen Fachkräfte auch optimal ausgebildet werden – mit verbindlichem Qualitätsrahmen, der auch Zukunftsthemen wie MINT-Bildung und Bildung für nachhaltige Entwicklung beinhaltet. Es kann nicht sein, dass jedes Bundesland eigene Anforderungen stellt. Die Fachkräfteausbildung muss also dringend vereinheitlicht werden.
Welche Chancen sehen Sie, dass sich unter der neuen Bundesregierung etwas bewegt?
Es gibt positive Signale wie die geplante Erweiterung des „KitaQualitätsgesetzes“, durch die Fachkräfte gestärkt und Betreuungsschlüssel verbessert werden sollen. Oder das Kita-Startchancenprogramm. Entscheidend wird die Ausgestaltung dieser Programme sein. Wir brauchen dynamische Förderansätze, die dort greifen, wo die größten Bedarfe sind – und darauf achten, dass keine „Inseln der Qualität“ entstehen, sondern gute frühkindliche Bildung flächendeckend gewährleistet ist. Es geht nicht um Gleichmacherei, sondern um gleiche Chancen. Und die beginnen in der Kita.