Fallbeispiel
Der 4-jährige Mattis gerät im Kita-Alltag immer wieder in Konflikte. Er hat Schwierigkeiten, mit den anderen Kindern ein gemeinsames Spiel zu entwickeln. Die pädagogischen Fachkräfte ermutigen ihn oft, mit anderen zu spielen, und machen Vorschläge – doch nach kurzer Zeit endet es immer wieder im Streit. In der Gruppe gilt Mattis schon als „Störenfried“ und auch er zieht sich zunehmend zurück. Er will nur noch mit den Fachkräften spielen und findet die anderen Kinder „blöd“. Was passiert hier?
Die vier Spielfähigkeiten
Spielen ist ein komplexer Vorgang, der wichtige soziale und kognitive Fähigkeiten erfordert. Angelehnt an die Methode Marte Meo lassen sich vier grundlegende Fähigkeiten beobachten, die ein Kind entwickeln muss, um erfolgreich mit anderen zu spielen:
1 Eigene Spielideen entwickeln:
Schon die Kleinsten beginnen, ihre ersten Spielideen zu entwickeln – sei es beim Turmbauen oder durch symbolisches Spiel. Kinder müssen üben, innere Impulse wahrzunehmen und diese in Spielhandlungen umzusetzen, die später komplexer werden.
2 Das Spiel benennen:
Kinder benennen ihre Handlungen – etwa: „Mein Auto fährt um die Kurve.“ Wenn ein Kind nicht in der Lage ist, sein Spiel „präsentierbar“ zu machen, ist es für andere schwierig, daran anzuschließen. Ohne ein vorausgegangenes „Ich bin ein Tiger“ kann das andere Kind nicht sagen: „Dann bin ich ein Löwe.“
3 Soziale Situationen lesen:
Ein weiterer wichtiger Schritt im Spiel mit anderen ist das Erkennen von sozialen Signalen – wann möchte jemand mitspielen und wann zieht sich ein Kind zurück? Kinder lernen schon als Baby, die Gesichter der anderen zu lesen und ihre Körpersprache zu deuten. Wenn diese Fähigkeit weiterentwickelt wurde, bleiben Kinder vor einer Spielszene von anderen zunächst stehen und „lesen“ die soziale Situation, bevor sie einsteigen.
4 Das eigene Verhalten anpassen:
Eine der größten Herausforderungen beim Spielen ist es, das eigene Verhalten flexibel an die Spielsituation anzupassen. Wann soll man sich einbringen und wann ist es besser, sich zurückzunehmen? Diese Fähigkeit entwickelt sich im Laufe der Zeit im Elementarbereich.
Wie können Fachkräfte das Spielen fördern?
Fachkräfte haben eine wunderbare Möglichkeit, Kindern zu helfen, ihre sozialen Fähigkeiten weiterzuentwickeln.
Im Fall von Mattis wird durch die Beobachtung deutlich, dass er seine Handlungen noch zu wenig benennt und auch Schwierigkeiten hat, die sozialen Signale der anderen zu erkennen, weil er zu wenig in ihre Gesichter blickt. Dadurch fällt es ihm schwer, angemessen zu reagieren.
Die Fachkräfte können jetzt diese Fähigkeiten gezielt aufbauen:
- Sprache einbringen:
Wenn Mattis seine Spielhandlungen noch nicht selbst benennen kann, können die Fachkräfte dies für ihn übernehmen. Auch wenn er „zu alt“ scheint, um diese Unterstützung zu benötigen, hilft ihm diese nachträgliche Benennung dabei, sein Spiel für andere zugänglich zu machen. Fachkräfte könnten zum Beispiel sagen: „Du baust einen Turm“, oder: „Das Auto fährt um die Kurve.“ So bekommt Mattis Worte für sein Tun und die anderen Kinder werden auf sein Spiel aufmerksam.
- Soziales Verständnis fördern:
Wenn Mattis Schwierigkeiten hat, die Körpersprache der anderen zu verstehen, können Fachkräfte ihm helfen, diese Signale zu erkennen: „Schau mal, das Mädchen sieht dich an – es möchte dir das Auto geben!“ So wird Mattis in die Lage versetzt, die sozialen Signale besser zu verstehen und darauf zu reagieren.
Erste Fortschritte und selbstständiges Spiel
In Mattis’ Fall dauerte es nur wenige Monate, die beiden fehlenden Fähigkeiten zu entwickeln. Sobald er in der Lage war, sein Spiel zu benennen und die sozialen Signale zu lesen, konnte er sein Verhalten auch relativ schnell an die Spielsituation anpassen und sich so selbst die vierte Spielfähigkeit erobern. Es entstanden deutlich weniger Konflikte und Mattis benötigte seitdem nur noch selten die Unterstützung der Fachkräfte.