Ideenwerkstatt 3/2024

Nr. 3/2024Palmsonntag bis 6. Sonntag der Osterzeit

Inhalt

Mit dem Palmsonntag beginnt für uns Christinnen und Christen eine der intensivsten Zeiten im Kirchenjahr. Die Liturgie ist voller Symbolkraft und die Botschaft dieser Tage lässt sich in ihrer Tiefe und Tragweite kaum ausloten. Dass Gott in einem kleinen Baby Mensch wird, das lässt sich noch verkraften. Götter, die zur Erde herabsteigen und dort ein wenig Spaß haben oder für Ordnung sorgen, finden sich in vielen Religionen. Aber ein Gott, der so überzeugend Mensch wird, dass er einen menschlichen Tod stirbt – und sich sogar als Verbrecher hinrichten lässt, dem Spott der Menschen anheimgegeben: Seht euren Gottessohn, da hängt er, wo ist denn sein Gott, warum rettet er ihn nicht? – das ist einzigartig. Nein, Gott rettet seinen Sohn nicht vor dem Tod, er lässt ihn sterben. Er lässt ihn Angst haben. Er lässt ihn sich einsam fühlen in dieser dunklen Stunde am Ölberg, als seine treusten Freunde immer wieder einschlafen. Er lässt ihn bis in die kleinste Faser Mensch sein und als Mensch vergehen. Das gibt es in keiner Religion. Dieses Mysterium in seiner ganzen Wahrheit zu erfassen ist Lebenswerk – und so richtig werden wir es wohl erst dann begreifen, wenn wir selbst durch den Tod gegangen sind.

Doch da ist noch etwas, das diese Tage prägt wie keine andere Zeit: die Verbindung zu unseren jüdischen Wurzeln. Das letzte Abendmahl am Gründonnerstag war wohl ein Seder-Mahl, jenes rituelle Mal in der Familie, welches das Pessachfest einleitet. Unsere Liturgie ist in diesen Tagen voller Anklänge an dieses wichtigste jüdische Fest. Die Lesungen in der Osternacht erinnern an das Frage-Antwort-Spiel beim Seder-Mahl, das die Erinnerung an die Geschichte Gottes mit seinem Volk wachhalten soll. Und vielleicht sollten wir uns gerade jetzt, wo Antisemitismus wieder um sich greift in unserem Land, daran erinnern, dass Jesus, der Sohn Gottes, als Jude zu Gottes auserwähltem Volk, dem jüdischen Volk, gesandt wurde. Nicht alle haben seine Lehre aufgenommen und die Idee Jesu, dass von diesem auserwählten Volk Frieden für die ganze Welt ausgehe, ist bis heute noch nicht an ihr Ende gekommen. Doch ändert das nichts an der Tatsache, dass wir immer die »kleinen Schwestern und Brüder« des Judentums bleiben. Die Nachfolger Jesu haben sich irgendwann den Menschen außerhalb ihres Volkes geöffnet, so sehr, dass das Christentum von einer jüdischen Bewegung zu einer eigenständigen Religion wurde. Doch dort liegen unsere Wurzeln und ohne diese Wurzeln sind wir nichts. Das dürfen wir uns in dieser heiligen Zeit auch immer wieder demutsvoll in Erinnerung rufen.

Über diese Ausgabe

Gottesdienste