Digitale PastoralDigitale Seelsorgeangebote können Gemeinschaft nie ganz ersetzen

Die Kirchen testen immer neue digitale Formate für ihre Seelsorgeangebote aus. Das geht nicht in allen Fällen gut.

Wenzel Widenka
© Florian Nütten

Unter den mehr als 2000 Einzelveranstaltungen des gerade zu Ende gegangenen Evangelischen Kirchentages fand sich auch eine unter dem Titel „Machtstrukturen in der digitalen Kirche“. Nur wenige hatten den Weg nach Fürth gefunden, wo die Veranstaltung stattfinden sollte. Eine nicht bekannte Anzahl hatte sich auch online bei der live gestreamten Podiumsdiskussion zugeschaltet. Es sollte um Machtstrukturen gehen, um Identität und „safe spaces“; alles in der Welt des Digitalen. Doch ausgerechnet der einzige Katholik in der Runde lenkte den Blick auf eine Entwicklung, die mehr als nur eine Anekdote bleiben sollte. Sein Seelsorgeteam, so berichtete er stolz, böte nun einen 24-Stunden-Online-Gottesdienst an. Angeleitet von einem ChatBot. Damit ermögliche man „echte Demokratie in der Liturgie“.

ChatBots kennt man aus den Servicebereichen großer Onlinehändler. Dem Kunden soll die Illusion eines Gegenübers vorgespielt werden, das seine Fragen nach bestimmten Produkten beantwortet oder zu anderen Hilfeseiten weiterleitet. Kommt das Programm mit seinen vorgenerierten Antworten nicht weiter, so antwortet es zumeist mit: „Ich habe Sie nicht verstanden.“ Kann eine willentliche Illusion einen Gottesdienst ersetzen?

Es ist der Stolz auf diese Einrichtung, die an dieser Episode so irritiert. Denn noch viel mehr als der von einer zustimmenden Mitdiskutierenden eingebrachte Ausruf „Für einen Gottesdienst brauchen wir nur einen Zoom-Raum“ ignoriert diese Idee von Pastoral das Bedürfnis des Menschen nicht nur nach Sinnlichkeit und Authentizität (ein Lieblingswort der Generation Instagram), sondern auch nach echter, erfahrbarer Gemeinschaft und Ansprache. Es mag stimmen, dass die „Digitale Kirche“, also vor allem der Austausch unter Gleichgesinnten ohne Angst vor Sanktionen in einem virtuellen Raum, marginalisierten Gruppen den sicheren Rückzugsort bieten kann, den sie für die Entdeckung und Vertiefung ihres Glaubenslebens benötigen. Damit ist es aber nicht getan. Die Erfahrung echter Gemeinschaft, einer zupackenden Hand und vor allem eines zuhörenden Ohres, das nicht mit programmierten Standardsätzen antwortet, sondern dem fehlerhaften Herzen eines Menschen entspringt, kann keine digitale Welt ersetzen.

Um in der Terminologie des Kirchentags zu bleiben: Kein einziger Online-Stream kann ein Glaubensgespräch mit einem bis dato Wildfremden bei einer Nürnberger Bratwurstsemmel im Burggraben ersetzen, keine Chatgruppe ein gemeinsam durchlebtes Unwetter, das auf die Burgstadt niedergeht. Das kann nur Kirche als reale Gemeinschaft der Gläubigen. Also das, was der Kirchentag eigentlich leisten sollte und sehr oft auch tat. Es war dem Podiumsteilnehmer sicher nicht bewusst, was für ein trauriges Bild sich hinter dem immerwährenden und damit immer gleich bedeutungslosen ChatBot-Gottesdienst verbirgt. Denn wenn der Browser geschlossen ist und die warmen Worte nachlassen, sitzt man immer noch allein daheim vor dem PC.

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