Christliche KirchenKrebsgeschwür Antisemitismus

Zwei Dinge müssen für Christen und Kirchen gerade heute klar sein und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden: Das unmissverständliche Ja zur Würde jedes Menschen und das Bekenntnis zum besonderen heilsgeschichtlichen Status des Judentums.

Ulrich Ruh
Ulrich Ruh, Ehemaliger Chefredakteur der Herder Korrespondenz© Christian Klenk

Antisemitismus gab es zwar in der griechisch-römischen Antike schon vor dem Christentum. In seiner „Kurzen Geschichte des Antisemitismus“ (München 2020) zitiert Peter Schäfer eine Beschreibung des „ersten antijüdischen Pogroms der Geschichte“ im hellenistischen Alexandria beim jüdischen Gelehrten Philo. Aber seit es das Christentum gibt, begleitet die Geschichte der christlichen Kirchen der Antisemitismus wie ein fast unausrottbares Krebsgeschwür, auch ohne dass der Begriff schon existiert hätte, über frühchristliche Zeiten, das Mittelalter und die frühe Neuzeit bis in die Moderne. Es brauchte den nationalsozialistischen Holocaust, bevor christliche Kirchen Absagen an ihre traditionelle Judenfeindschaft formulierten, die katholische Kirche in der Erklärung „Nostra aetate“ des Zweiten Vatikanischen Konzils über das Verhältnis der Kirche zu den nichtchristlichen Religionen.

Hinter diese kirchlichen Positionsbestimmungen gegen den Antisemitismus darf es kein Zurück geben. Das gilt auch ungeachtet der vom Konzil ebenfalls gutgeheißenen Bemühungen um einen Dialog zwischen Christen und Muslimen, die heute besonders dringlich sind. Es gilt sowohl im Blick auf das Zusammenleben von Juden und Christen in der Bundesrepublik und anderen europäischen Ländern wie im Verhältnis von Christen und Kirchen zum Staat Israel, der als Heimstatt für Juden angesichts von Diskriminierungen und Verfolgungen gegründet wurde.

Christen verfügen aus ihrem Glauben sicher nicht über politische Patentrezepte zur Bewältigung der komplexen Probleme in Israel und im gesamten Nahen Osten. Und auch Kirchen, nicht zuletzt die katholische Kirche als weltumspannende Institution, sind gegen Fehler und Missgriffe im Umgang mit den entsprechenden heiklen Herausforderungen nicht gefeit – ganz im Gegenteil. Aber zwei Dinge müssen für Christen und Kirchen gerade heute klar sein und dürfen nicht gegeneinander ausgespielt werden: Das unmissverständliche Ja zur Würde jedes Menschen und das Bekenntnis zum besonderen heilsgeschichtlichen Status des Judentums. Zu den Juden hat „Gott zuerst gesprochen“ – heißt es in den Fürbitten am Karfreitag.

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