RenovabisArbeitsmigration sorgt für Schäden in Osteuropa

Tausende Arbeitsmigranten aus Mittel- und Osteuropa sind in Deutschland und anderen EU-Staaten beschäftigt. Die damit verbundenen Probleme waren Gegenstand einer Podiumsdiskussion in Hannover. Deren bezeichnender Titel: "Ausgenutzt und weggeworfen!?"

Arbeiter auf einer Baustelle
© Pixabay

Arbeitsmigranten aus Mittel- und Osteuropa sollten in Deutschland fair behandelt werden, fordern Experten. Die Probleme der Herkunftsstaaten dürften nicht aus dem Blick geraten, mahnten sie Anfanng Mai bei einer Podiumsdiskussion in Hannover. In vielen Staaten Ost- und Mitteleuropas sorge die Abwanderung von Arbeitskräften für großen gesellschaftlichen Schaden, sagte der Hauptgeschäftsführer des katholischen Hilfswerks Renovabis, Thomas Schwartz. Das Thema Arbeitsmigration in Europa ist Thema der diesjährigen Renovabis-Pfingsaktion.

Schwartz sprach sich zugleich dafür aus, den Gastarbeitern etwa in der Pflege oder in der Landwirtschaft hierzulande mit Wertschätzung zu begegnen, "weil sie Dienstleistungen erbringen, die wir zum Teil nicht mehr selbst erbringen können oder wollen". Oft hätten die Menschen schon in ihrer Heimat viel Ungerechtigkeit erlebt. "Wir haben die moralische Pflicht, ihnen zu zeigen, dass es hier besser geht", so der Theologe. Nur so würden die Menschen zu Zeugen dafür, dass Europa etwas bringe.

"Es kann nicht sein, dass Menschen in einer europäischen Gemeinschaft immer noch ausgebeutet werden", sagte Katarzyna Zentner von der Bildungsvereinigung Arbeit und Leben Niedersachsen. Die Sozialpsychologin leitet fünf Beratungsstellen für Arbeitsmigranten, in denen sie und ihre Mitarbeiter durchschnittlich 3.500 bis 5.000 Fälle betreuen. Was aber nur die Spitze des Eisbergs sei. "Es gibt eine große Dunkelziffer von Menschen, die den Weg zu uns nicht finden."

Die betroffenen Arbeitsmigranten sind laut Zentner vor allem in Fleischindustrie, Landwirtschaft, Baugewerbe und Gebäudereinigung beschäftigt. Die meisten stammen aus Rumänien, Bulgarien und Polen, zum Teil aber auch aus Spanien. "Sie kommen in dem guten Glauben, hier gutes Geld verdienen zu können, aber werden getäuscht." Die häufigsten Probleme: Entweder verstehen die Menschen ihre Arbeitsverträge nicht oder sie haben gar keine. Andere erhalten wenig oder gar kein Gehalt und sind zu schlechten Bedingungen untergebracht.

Zudem beklagte Zentner Untätigkeit von Strafverfolgungsbehörden. Verfahren wegen Verdachts auf Menschenhandel würden bei Staatsanwaltschaften und Gerichten häufig eingestellt, obwohl eindeutige Aussagen von Betroffenen vorlägen. Die Beraterin mahnte mehr Sensibilität und Kompetenz bei den Behörden an. "Es kann nicht sein, dass wir Gesetze haben, die in der Praxis nicht richtig umgesetzt werden."

Die Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, Irme Stetter-Karp, verwies auf den hohen Anteil an Arbeitsmigranten in der Pflege. Am größten seien die Probleme im Bereich der 24-Stunden-Pflege. Die Bundesregierung müsse für bessere Arbeitsbedingungen sorgen. Dabei solle sie nicht nur auf die Interessen Deutschlands, sondern auch auf die Interessen der Herkunftsländer schauen.

Der Bundespräses der Katholischen Arbeitnehmerbewegung, Stefan Eirich, appellierte an die Verantwortung jedes Einzelnen. Einige Menschen würden ihre 24-Stunden-Pflegekraft bloß "unsere Polin" nennen. Diese "Art von schwieriger neuer Dienstbotenkultur" müsse gestoppt werden.

Volker Meyer, CDU-Abgeordneter im niedersächsischen Landtag, räumte ein, Arbeitsmigration sei im Parlament in Hannover nur ein Randthema. Allerdings müssten viele Fragen auf EU-Ebene gelöst werden. "Natürlich sind wir auf Fachkräfte aus dem Ausland angewiesen, aber es muss in einem fairen Miteinander geschehen", erklärte der Politiker.

Andras Marton, Caritas-Direktor im rumänischen Erzbistum Alba Julia, lenkte den Blick auf die Probleme in seinem Heimatland: "Die Arbeitsmigranten reißen Lücken in unsere Gesellschaft." Dies sei nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in den Familien, in den Schulen und bei der häuslichen Pflege zu spüren.

Sein Verband habe nach der Wende in Rumänien viel Aufbauarbeit im Medizin-Bereich geleistet. Dabei sei der deutsche Caritasverband ein starker Partner gewesen. "Irgendwann sahen wir jedoch, dass die westeuropäischen Caritas-Organisationen Konkurrenten auf dem Arbeitsmarkt wurden."

Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, entstand vor zwölf Jahren ein Vorbild-Projekt mit der Schweizer Caritas: Pflegekräfte des rumänischen Verbands dürfen ein bis zwei Mal im Jahr jeweils für ein bis zwei Monate beim Schweizer Partner arbeiten, der sie für diese Zeiten festangestellt. Den Rest der Zeit müssen sie in ihrem Heimatland tätig sein.

Marton verlangte: Wer wolle, dass Arbeitskräfte wandern können, müsse auch die dadurch entstehenden Probleme gleichmäßig auf die Schultern aller beteiligter Partner verteilen. Es brauche eine Lösung auf europäischer Ebene.

Dieser Forderung schloss sich Renovabis-Geschäftsführer Schwartz an. Rund 50 Prozent aller Ärzte, die in den vergangenen 20 Jahren in Rumänien ausgebildeten wurde, seien nach Westeuropa und vor allem nach Deutschland gekommen. Für die Ausbildungskosten erhalte das Land - ähnlich wie viele andere betroffene Staaten - jedoch nichts zurück. "Das ist eine sehr einseitige Verlust- und Gewinnrechnung, wobei wir die Gewinner sind." Abhilfe könne etwa eine Ausgleichszahlung der Einwanderungs- an die Herkunftsländer sein.

Martin Claus von der Bundesagentur für Arbeit versicherte, es sei erklärtes Ziel seiner Behörde, für eine faire Mobilität zwischen den Staaten zu sorgen. "Wir machen nie Rekrutierungsaktionen in Ländern, die uns sagen, dass sie selbst Engpässe haben", so Claus. Er ist bei der Arbeitsagentur für das europäische Vermittlungsnetzwerk EURES zuständig. In Spanien gebe es beispielsweise derzeit zu viele Erzieher. "Da können wir aktiv werden. Wir kämen aber nie auf die Idee, in Rumänien zum aktuellen Zeitpunkt Pflegekräfte zu rekrutieren."

Gleichzeitig verwies Claus darauf, dass in Europa Freizügigkeit herrsche. Ein Großteil der Migration beruhe darauf, dass sich Menschen freiwillig dafür entscheiden. Vor diesem Hintergrund seien Forderungen nach staatlichen Ausgleichszahlungen nur schwer zu verwirklichen.

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