Ein Gebet, das verbindet - das "Vater Unser"Dein Wille geschehe

Die vierte Zeile des Vaterunsers zu beten, erscheint manchen Menschen bedrohlich: Ich weiß ja nicht, was Gottes Wille ist – und was, wenn sein Wille nicht mit meinen Wünschen und Vorstellungen übereinstimmt? Es gibt einen Weg, diesen Zwiespalt zu überwinden.

Dein Wille geschehe
© Eoneren

Gottes liebende Gegenwart

Die Bitte „Dein Wille geschehe“ kann man auf verschiedene Weise auslegen. Indem wir die Gebote Gottes nicht nur äußerlich halten, sondern ihnen in unserem Denken und Fühlen und Sprechen entsprechen, geschieht durch uns Gottes Wille auf der Erde. Gottes Wille ist, dass wir achtungsvoll und respektvoll miteinander umgehen, dass wir unseren Groll gegenüber anderen Menschen in Liebe verwandeln. Und Gottes Wille besteht darin, dass wir kreativ auf feindliches Verhalten reagieren, dass wir durch unser Verhalten den Riss heilen, der die Gesellschaft entzweit. Gottes Wille gipfelt in der Feindesliebe. Indem wir wie Gott die Sonne unseres Wohlwollens über Gute und Böse scheinen lassen, werden wir Gott ähnlich und wir erfüllen seinen Willen. Denn Gott will, dass alle Menschen seine liebende Gegenwart erfahren und sich von dieser Liebe verwandeln lassen. 

Auf dem Grund meiner Seele

Viele Menschen denken bei der Bitte „Dein Wille geschehe“ in eine andere Richtung. Sie beten diese Worte oft ängstlich, weil sie voller Misstrauen damit rechnen, dass Gottes Wille so ganz und gar nicht dem eigenen Lebenskonzept entspricht. Wie wir auf diese Bitte reagieren, hängt immer von unserer Prägung in der Kindheit ab. Ein Priester predigte immer vom barmherzigen Gott. Doch weil sein Vater als Alkoholiker willkürlich war, verbindet er mit dem Willen Gottes immer etwas Willkürliches. Er hat Angst, dass Gottes Wille ihm und seinen Lebensplänen einen Strich durch die Rechnung macht, dass Gottes Wille ihm schadet. Wenn wir darum beten, dass Gottes Wille geschehe, sollten wir uns zuerst fragen, was Gottes Wille ist, ob Gottes Wille unserem Willen wirklich immer entgegensteht. Beim eigenen Willen müssen wir unterscheiden zwischen dem oberflächlichen Willen, dass wir jetzt da und dorthin fahren oder das oder jenes essen wollen, und einer tiefer liegenden Kraft: dem Willen, den wir in uns erahnen, wenn wir ganz still sind. Wenn wir in der Stille im Einklang sind mit unserem wahren Selbst, dann stimmt Gottes Wille mit dem Willen überein, den wir auf dem Grund unserer Seele spüren. „Gottes Wille ist eure Heiligung“, sagt Paulus im 1. Brief an die Thessalonicher. (1 Thess 4,3) Gott will, dass wir ganz wir selber werden, heil, ursprünglich und authentisch.

Tiefes Vertrauen 

Als ich mit Nierenkrebs im Krankenhaus lag, habe ich die Bitte „Dein Wille geschehe“ nicht als bedrohlich empfunden. Ich habe natürlich darum gebetet, dass Gottes Wille meine Heilung bedeutet. Aber in der Bitte habe ich zugleich eine innere Freiheit gespürt: Ganz gleich, ob ich gesund werde oder ob der Krebs weiter geht, ich vertraue darauf, dass Gottes Wille für mich gut ist. Viele Menschen, die einen lieben Menschen durch den Tod verloren haben, obwohl sie so um sein Leben gebetet haben, tun sich schwer mit dieser Bitte. Sie haben den Eindruck, dass Gottes Wille nicht ihr Heil will. Daher können manche diese Worte nicht aussprechen. Doch wenn wir es wagen, diese Worte trotz aller schmerzlichen Erfahrungen auszusprechen, erahnen wir, dass es Gottes Wille trotz allem gut mit uns meint, auch wenn das nicht immer unseren Vorstellungen entspricht. Dann führt uns diese Bitte in ein tiefes Vertrauen und in eine innere Freiheit. 

Gott will, dass alle Menschen seine liebende Gegenwart erfahren und sich von ihr verwandeln lassen.

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