Den Tod vor AugenÜber die Hoffnung auf ein Leben jenseits des Lebens

Das ewige Leben, das der Mönch anzielt, ist nicht die unendliche Verlängerung der irdischen Existenz. Der Benediktiner sehnt sich nach der definitiven Gemeinschaft mit Christus.

Bruno Rieder
© Henning Angerer

"Besessen vom ewigen Leben" lautete eine Bildlegende im Feuilleton der NZZ. War auf dem Bild ein Mönch zu sehen? Nein, es posierte da der ehemalige Tech-Unternehmer Bryan Johnson mit seinem Sohn Talmage, dessen Blut er sich zwecks Verjüngung injizieren ließ – eine der Waffen in seinem "Krieg gegen das Alter". Entsprechend seinem Lebensmotto: "Don't die".

Keine Osterbotschaft also, die dieser Trendsetter verkündet. Die martialische Sprache lässt ahnen, dass nur ein höchst oberflächlicher Zusammenhang mit dem benediktinischen Lebensprogramm besteht. Besser gesagt: Die Lebensziele eines Mönchs und des Anti-Aging-Fanatikers stehen in fundamentalem Widerspruch zueinander.

Befreit von kindischen Illusionen

Johnson scheint mit manch anderen, zum Beispiel den Kryonikern (die sich tiefkühlen lassen für das "ewige Leben"), tatsächlich zu glauben: Sterben muss nicht sein. Fortgeschrittene Technik wird dies ermöglichen. Der Benediktiner dagegen beherzigt die Weisung seines Ordensvaters: "Den unberechenbaren Tod täglich vor Augen haben." (RB 4,47) Eine der berührendsten Szenen in einem Dokumentarfilm über unsere Klostergemeinschaft zeigt drei betagte Mitbrüder auf dem Klosterfriedhof. In heiterer Stimmung unterhalten sie sich darüber, in welchem Grab wohl jeder nach seinem absehbaren Hinschied liegen wird.

Den Tod vor Augen – das befreit von kindischen Illusionen. Der Tod kommt sicher, oft unerwartet. Diese Einsicht verleiht dem Leben seinen Ernst und ruft in die Verantwortung. Den Mönch gegenüber dem Ruf Christi, dessen Stimme ihn täglich aufruft: "Heute, wenn ihr seine Stimme hört, verhärtet eure Herzen nicht!" (RB Prolog 9f.) Vor Jahren: Auf der Autobahn in voller Fahrt auf dem Heimweg ins Kloster, ein plötzlicher Sekundenschlaf – ich wache auf durch den Aufprall der Räder am Randstein. Ohne jemand anderen zu gefährden, gelingt es mir, das Fahrzeug zum Stehen zu bringen. Ich steige unverletzt aus, stehe an der Autobahn und die erste Eingebung, die mir kommt: "Ich verstehe, lieber Gott, du hast noch eine Aufgabe für mich hier auf Erden." Und irgendwann ist der Dienst (hoffentlich einigermaßen gut) getan, Zeit zum Sterben.

Ewiges Leben ist Gabe dessen, der "uns in seiner Güte den Weg des Lebens zeigt" (Prolog 20). Deswegen fehlt dem monastischen Streben nach ewigem Leben jene "Besessenheit", die dem Wahn vom irdischen Jungbrunnen eignet.

Gegen die Verzweiflung

Schon als Klosterschüler war mir aufgefallen, wie selbstverständlich bei den Benediktinern der Tod zum Leben gehört. Keine Spur von Verdrängung, wenn wir Schüler vor einem offen und öffentlich aufgebahrten Mönch standen, der soeben gestorben war. Woher dieser gelassene Umgang mit dem Tod? Die Antwort las ich später ebenfalls im vierten Kapitel der Benediktsregel: "Das ewige Leben mit allem geistlichen Verlangen ersehnen." (V. 46) Das ewige Leben, das der Mönch anzielt, ist nicht die unendliche Verlängerung der irdischen Existenz. Wäre sowas überhaupt erstrebenswert? Der Benediktiner sehnt sich nach der definitiven Gemeinschaft mit Christus. So wie jener Mitbruder, an dessen Sterbebett ich die Eucharistie feierte. Nachdem ich ihm den Leib Christi gespendet hatte, streckte er seine Hände gen Himmel, sein ganzer Körper wurde in die Höhe gezogen und er betete laut das Nunc dimittis: "Nun lässt du, Herr, deinen Knecht in Frieden scheiden." (Lk 2,29)

Diesen sterbenden Mönch zog eine Kraft nach oben. Ewiges Leben ist Gabe dessen, der "uns in seiner Güte den Weg des Lebens zeigt" (Prolog 20). Deswegen fehlt dem monastischen Streben nach ewigem Leben jene "Besessenheit", die dem Wahn vom irdischen Jungbrunnen eignet. Technokratische Hoffnung ist Abwehrzauber gegen die Verzweiflung. Den Grund christlicher Hoffnung besingt die Ostersequenz: "Des Lebens Fürst, der starb, herrscht nun lebend."

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