Der fünfte Sonntag der Osterzeit wird "Kantate" genannt. Eine Erinnerung an die Klang- und Wortwunder der Psalmen, die die göttlichen Wunder lautverstärkend in unseren Alltag zurückstrahlen lassen.

Wunderbar – ein Wort von ganz eigenem Zauber. Ein Wort, das schimmert, ein Wort, auf dem ein Glitzern liegt. Ein Wort mit aufgerissenen staunenden Augen auch; ein Wort, das die Außerordentlichkeit Gottes ausleuchten will: Die Wendung "Wunderbarer König", setzt deshalb Joachim Neander an den Beginn eines seiner Lieder.

Es darf allerdings nicht des Schwärmens zu viel werden. Vielleicht warnt ja das Grimmsche Wörterbuch gerade bei diesem Wort mit Recht vor einer "verdünnten religiösen Ausdrucksweise". Als Kronzeugen einer solchen Aberration bemüht das Wörterbuch ein Zwiegespräch aus Adalbert Stifters "Der Hochwald", in dem einer gewissen Johanna zugerufen wird:

Es ist wunderbar, sehr wunderbar, wie die Wege der Vorsehung sind. Wer hätte gedacht, dass das, was ich neulich an der Felswand zu dir sprach, so nah sei – … in der schönen Einöde hat mich Gott der Herr gefunden. … auch mitten im Walde ist der Herr bei uns.

Herzerfrischend wie das Leben selbst

Dieser religiösen Verdünnungsgefahr erliegt jedenfalls die religiöse Ursprache der Psalmen eher nicht. Und einer bisweilen der Erkundung menschlicher Abgründe nur zu sehr verpflichteten, christlichen Anthropologie kann es nur gut tun, zur Kenntnis zu nehmen, wie jenseits aller religiösen Überzuckerung der Psalmbeter jubelt, "dass du mich so wunderbar und einzigartig gemacht hast!" (Psalm 139,14).

Wunderbar ist, so ist es da mit Händen zu greifen, nämlich einfach deshalb ein herzerfrischendes Wort, weil es sich des Lebens, der Schöpfung, ja frei von allem Narzissmus des eigenen Daseins ohne jede Einschränkung freuen kann. Das ist übrigens keine Frage des Alters. Auch wenn Franz Grillparzer anderes dichtet:

Als ich noch ein Knabe war/ Rein und ohne Falte,/ Klang das Lied mir wunderbar,/ Jenes ‚Gott erhalte‘. / Selbst in Mitte der Gefahr,/ von Getös umrungen,/ Hört ichs weit entfernt noch klar./ Wie von Engelszungen.

Im Alter, so reimt Grillparzer weiter, komme dieses "Gott erhalte!" einem Menschen nur noch angestrengt über die Lippen. Ist das wirklich wahr? "Die Seele aber altert nicht", urteilte Aristoteles in seinem Werk "Über die Seele" und machte damit klar: Der Zauber des Wunderbaren der Poesie, der Liedklänge bleibt. Es bleibt die schöne Sehnsucht. Sie trotzt auch noch so misslichen Lebensumständen. "Von guten Mächten wunderbar geborgen" konnte deshalb Dietrich Bonhoeffer aus der bitteren Kargheit einer Gefängniszelle heraus seiner Verlobten am 19. Dezember 1944 zum Silvesterfest zudichten. Ein Gedicht, das alsbald als "neues Lied" zum Kirchenlied avancierte.

"Singet dem Herrn ein neues Lied, denn er tut Wunder"

Was schließt Lied und Wunder eigentlich zusammen? Es ist dieses Wunderbare wohl, das auf andere Gedanken bringt und das Lebensgefüge auf den Kopf stellt. Jene aufgeklärten Nasenbohrereien, die mit Kausal- und Naturzusammenhängen dem Wunder den durchdachten Garaus machen wollen, haben genau das nicht begriffen. Das Wunder hat es gar nicht nötig, durch sein Ausscheren aus wie auch immer nachzuweisenden Kausalzusammenhängen zu Neuem anzustiften. Viel leichtfüßiger weist es über die scheinbare Gängigkeit des Lebenszusammenhangs ins Außerordentliche hinaus, öffnet die Augen und Ohren für neue Töne und Feinheiten in den ungeahnten Ritzen und Spalten des Alltäglichen.

In ihren Nationalhymnen feiern sich Nationen gerne selbst. Die damit verbundene Ergriffenheit verfliegt und bleibt religiös schal. Die Psalmen hingegen, die das alte Israel anstimmt, kommen ganz anders daher.

Solche Augen- und Ohrenöffner sind dem Psalmbeter von Psalm 98 zufolge auch die Psalmen, die Lieder selbst. Psalmen sind Klang- und Wortwunder, sind ein verstärkendes Echo jener Wunder, die Gott selber tut, indem sie von sich selbst auf Gott und von Gott wiederum mitten hinein in die eigenen Lebenszusammenhänge verweisen. Insofern sind Psalmen schon ganz besondere Lieder. Und wenn wahr ist, was Eberhard Jüngel in einer Psalmpredigt einmal meinte, dass man an seinen Liedern ein Volk erkenne, dann zeichnet sich das alte Israel dadurch aus, keine selbstbezüglichen Nationalhymnen zu brauchen.

Nationalhymnen mögen auch ihr identitätsstärkendes Recht haben, eben um sich der eigenen Identität zu vergewissern. Aber in ihren Nationalhymnen feiern sich Nationen gerne selbst. Die damit verbundene Ergriffenheit verfliegt und bleibt religiös schal. Die Psalmen hingegen, die das alte Israel anstimmt, kommen ganz anders daher. Es sind durchaus selbstkritische Gesänge, Gesänge, die nicht sich selbst, sondern Gott feiern. Gefeiert wird ein Gott, der sein Volk aus dem Verderben gerettet hat. Und die Existenz der eigenen Gemeinschaft, die Existenz des sozialen Zusammenhangs vor Gott begreift Psalm 98 als Wunder und fordert auf, das mit Gesang, und allen Instrumenten, die zu greifen sind, zu bejubeln, mit Harfen, Trompeten und Hörnern …

Wäre es nicht wunderbar …

Das wäre wirklich wunderbar, wenn die Kirche ihre Existenz, ihren sozialen Zusammenhang und Zusammenhalt als von Gottes Geist gestiftetes Wunder neu begreifen könnte. Der Sonntag "Kantate" ist ein Sonntag, sich darauf zu besinnen.

Das wäre doch wunderbar, wenn die Kirche in ihrer eigenen Existenz sich davon anstecken lässt, und diese Art einer an Gott vergnügten Selbstkritik ausstrahlt, die sich nicht selbst feiern muss, die sich nicht selbst ihre selbstbezüglichen heiligen Hymnen singt, sondern Gott dafür feiert, dass er sie Tag für Tag aus ihrem Verderben rettet. Das wäre wirklich wunderbar, wenn die Kirche ihre Existenz, ihren sozialen Zusammenhang und Zusammenhalt als von Gottes Geist gestiftetes Wunder neu begreifen könnte.

Der Sonntag "Kantate" ist ein Sonntag, sich darauf zu besinnen. Es ist ein Sonntag, der daran erinnert und darauf aufmerksam machen kann, wie Gott einfährt, ja auch in unsere Lieder und Gesänge selbst einfährt, um sie von innen heraus durch die ordentliche Ordnung aller Register und Koppeln hindurch zauberhaft zu irritieren, einem Zimbelstern gleich, der spielerisch klingend alle behäbigen Rhythmen der Gemeinde durchdringt und Herz und Seele zum Tanzen bringt, den Singenden Freudentränen ins Gesicht jagt – einfach wunderbar!

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