Das Problem der Sprache GottesToni Morrison kritisiert "ein spirituelles Disneyland"

Die 2019 verstorbene Literatur-Nobelpreisträgerin Toni Morrison war katholisch. Sie dachte darüber nach, wie eine nicht-konsumistische Wiedergabe des Religiösen angesichts der säkularen Welt realisierbar sein könnte. Moden und voreiligen Modernisierungen stand sie skeptisch gegenüber.

Toni Morrison bei einer Rede 2008
Toni Morrison bei einer Rede 2008© Angela Radulescu/Wikimedia Commons, CC BY-SA 2.0/

I.

Wie es in diesem "spirituellen Disneyland" ausschaut, hat sie nicht beschrieben, aber der Begriff allein ist ja schon anschaulich genug. 2004 hat Toni Morrison ihn geprägt, um das Defizit an authentischer Religion in der zeitgenössischen Kunst zu beschreiben. Bestimmte Vorstellungen stellen sich ein. Spaß mit Micky Maus, Donald Duck und Goofy samt deren gesamter Sippschaft. Süßes in beliebiger Auswahl. Vergnügungsangebote ohne Zahl. Hier ein Häppchen, da ein Stückchen. In allem aber nichts, was uns herausfordert, nichts, das unsere Grenzen überschreitet.

II.

Bei der verlässlich "Unruhe stiftenden", "Fragen stellenden" und "genauer hinschauenden" Autorin (die solches Bemühen ihrer Zunft mit Nachdruck zur Aufgabe machte) ist das Bild von Konsumkritik unterfüttert. Wie auf dem Rummelplatz kann auch das geistliche Gut zur Ware werden, die leichter Abwechslung dient. Einem Maskenspiel gleich oder einer Achterbahnfahrt, ohne Einsicht, Ernst und Sinn.

III.

Die vor viereinhalb Jahren verstorbene erste schwarze Literatur-Nobelpreisträgerin war übrigens katholisch und blieb es bis zuletzt, trotz wachsender Distanz und obwohl ihre spirituelle Identität keineswegs darin aufging. Während derlei im deutschen Sprachraum völlig unter dem Radar der literarisch-theologischen Beobachter geblieben ist, wird sie in den Vereinigten Staaten zunehmend als eine, wie paradox auch immer, nicht ohne diesen Hintergrund zu verstehende Schriftstellerin betrachtet, der von ihr sehr geschätzten Flannery O'Connor geistesverwandt. "Religion" bedeutete für Toni Morrison, "etwas zu lieben, was größer als man selbst ist". Etwas, das sich rein rationalen Zugriffen entzieht. Wie sehr dies zum Erbteil gerade der von afrikanischen Vorfahren abstammenden Bevölkerung gehört, war ihr wohlbewusst.

IV.

"Im Leben meiner Familie und aller Menschen, die ich kannte", gab sie 1999 gesprächsweise zu Protokoll, spielte das "eine große Rolle": "Ich kann mir kaum vorstellen, wie jemand aufwächst, ohne mit der Bibel vertraut zu sein." Und "den meisten afroamerikanischen Romanen würde etwas fehlen, wenn keine Gläubigen darin vorkämen oder zumindest keine Figuren, die über Fragen des Jenseits, der Unsterblichkeit und der moralischen Lehren nachdenken." Ihren eigenen Texten mangelt es an entsprechendem Personal wahrlich nicht, mit (in sich teils ambivalenten) Ausschlägen: von festgezurrten Normierungen bis zum "befreienden Gott" eigenen Zuschnitts, von Passionsgeschichten schwarzer Frauen bis zu heiligmäßig anmutenden Charakteren, von Landschaften, die auf Mystisches hin durchsichtig werden, bis zur "erdgebundenen Ewigkeit". Nicht zuletzt des breiten Spektrums solcher Codierungen halber bleiben Romane wie "Solomons Lied", "Menschenkind" oder "Paradies" (um gemeinerweise nur diese drei zu nennen) so anregend und herausfordernd.

V.

Im Ausgang von der Problematik für das eigene Schreiben beschäftigte Toni Morrison die Darstellung von Prinzipiellem: "Wie kann man in einer im höchsten Maße säkularisierten, heutigen, 'wissenschaftlichen Welt' – und an sie gerichtet – von einem tiefen, motivierenden Gottvertrauen erzählen?" "Die Sprache Gottes" lautet der Titel einer Vorlesung von 1996, in welcher sie darüber nachdenkt. Auch hier laufen blindlings auf Aktualität abzielende Ausdrucksweisen des Glaubens Gefahr, zur Konsumware abzugleiten. Jene (gut gemeinten) "neuen Strategien" nämlich, welche "die Vermarktung von Religion erfordert", sie kämen nicht umhin, "alles auf den Nenner der größtmöglichen Zugänglichkeit zu bringen", eben dadurch aber "ihre Subtilität, ihr Mysterium zugrunde zu richten". Dessen Aura fordert das aufmerksame, genaue Hören. Umstandslos weiterentwickelt werden (mit einer Anleihe aus dem Manager-Sprech, der inzwischen längst bei kirchlichen Führungskräften Einzug gehalten hat) kann es schwerlich.

VI.

So gerät "die 'Modernisierung' von Gottes Wort" Toni Morrison zufolge eben bloß zum "bescheidenen Ersatz" – "und zwar nicht nur, weil sie Ambiguität, Tiefe und moralische Autorität opfert, sondern auch, weil ihre Techniken eher Verstärkung" des vermeintlich (Ein-)Gängigen bewirken "als Befreiung". Etwas schwächt sich da ab und schielt auf Konformität. Möglicherweise. Von "Show-Qualitäten" gar lesen wir dazu abschließend bei der Autorin. "Ein spirituelles Disneyland", für sie scheint es selbst innerhalb der Verkündigung nicht fern.

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