Hope and HistoryMit Seamus Heaney über den Wolken

Nur eine Geschichte hätte das Zeug, einen Funken Hoffnung zu entfachen, der die Trümmer der Vergangenheit wegräumen und die Tränen der Gegenwart abwischen könnte.

Wolken
© Pixabay

I.

Jüngst sah ich am Flughafen in Wien einen Zeitungsständer mit Gratis-Angeboten – in einer Welt der digitalen Kommunikation fast schon ein Relikt vergangener Zeiten. Die meisten Passanten eilen flugs mit ihren Smartphones vorbei, auf denen sie in Echtzeit über das jeweils Neuste informiert werden. Ich nehme mir aus dem Ständer eine New York Times mit. Im Flugzeug blättere ich sie durch und finde über den Wolken ein paar Zeilen von Seamus Heaney, die aus dem alten Griechenland eine Passage von Sophokles in modernes Englisch hinüberlotsen und mich in ihrer sprachlichen Leichtigkeit geradezu beglücken:

History say’s, don’t hope
On this side on the grave.
But then, once in a lifetime
The longed-for tidal wave
Of justice can rise up.
And hope and history rhyme.

Hoffnung und Geschichte reimen sich weder in der Vergangenheit noch in der Gegenwart. Sie reiben sich und kommen nicht wirklich zusammen. Die Hoffnung geht über die Geschichte hinaus, da sie in der Geschichte zu oft enttäuscht worden ist. Die Geschichte aber ist nicht nur die Bühne menschlichen Gelingens und unverhofften Glücks, sondern auch der Ort tragischen Scheiterns und fürchterlicher Gräuel, die nie und nimmer wiedergutgemacht werden können. Kann man von den Trümmern der Vergangenheit und den Tränen der Gegenwart die Linien in die Zukunft hoffnungsvoll ausziehen, wie es viele Utopien getan haben? Oder wird es auf dem Zeitstrahl der Geschichte immer so bleiben? Wider alle Hoffnung ließe sich hoffen, dass die Verlängerung des Unrechts einmal rettend durchkreuzt wird. Die mehr als poetische Frage ist, ob „die lang ersehnte Flutwelle der Gerechtigkeit“ einmal so anschwellen kann, dass „hope and history“ zusammenschlagen. Im Englischen gibt es immerhin klanglich einen Vorschein der ersehnten Harmonie, denn die Alliteration von „hope and history“ – ist sie nicht fast schon ein Reim?

II.

Seamus Heaney hat auch andernorts Phänomene des Zusammenschlagens im Blick. So spricht er von einem „double-take of feeling“, das sich bei Theater-Aufführungen ereignen kann. Schauspieler spielen plötzlich nicht nur eine Rolle, die sie gelernt und einstudiert haben, sondern bringen sich ein, als ginge es um sie selbst, als werde ihr Leben verhandelt. Rolle und Person fallen zusammen. Zumindest scheint es so. Gerade solche Momente, die sich bei aller Spielkunst vorab kaum kalkulieren lassen, elektrisieren uns Zuschauer. Wir merken: Das Spiel ist nicht nur Spiel. Es geht um das Leben, um uns selbst, wir können nicht ausweichen – und sind gebannt.

III.

Wo finden wir auf der Bühne der Geschichte jemanden, bei dem Rolle und Person bruchlos zusammenfallen? Einen Menschen, bei dem wir merken, dass das Spiel nicht nur Spiel ist, der uns hineinzieht in seine Gegenwart und uns herausfordert, uns befragt, uns spiegelt, weil er dem Willen des Autors (Gott?) und den Anweisungen des Regisseurs (Geist?) freiwillig entspricht und so im akribischen Ausführen der ihm zugedachten Rolle auf der Bühne der Geschichte etwas schöpferisch Neues, etwas nie Dagewesenes zustande bringt (Christus). Seine Geschichte, wenn überhaupt eine, hätte das Zeug, einen Funken Hoffnung zu entfachen, der die Trümmer der Vergangenheit wegräumen und die Tränen der Gegenwart abwischen könnte. Hope und history würden sich reimen.

IV.

Seamus Heaney selbst sucht diesen Effekt des Zusammenschlagens in seinen Übersetzungen – und findet ihn immer wieder einmal. Statt Wort-für-Wort-Übertragungen vorzunehmen, die auch ein raffiniertes KI-Übersetzungsprogramm bieten könnte, geht es ihm um die Rettung des Unübersetzbaren in der Sprache: Rhythmus und Klang. Man könnte es auch so sagen: Nur ein Dichter kann Dichtungen übertragen, ohne dass die Dichtung dabei verloren geht.

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