Vom Großen und Ganzen – Folge 4Das Recht der Schwächeren

Arbeitsagentur-Chefin Andrea Nahles wirbt für einen positiven Blick auf Deutschland und christliches Engagement im Alltag.

Gruppenbild mit Moritz Findeisen, Andrea Nahles und Achim Budde vor einer Europaflagge
Nach einem lebendigen Gespräch: CIG-Redakteur Moritz Findeisen, Agentur-Chefin Andrea Nahles und Akademie-Direktor Achim Budde© Sarah Kipp

Einen Tag pro Woche arbeitet die Vorsitzende der Bundesarbeitsagentur im Homeoffice. Und das nicht nur, weil sie auf einem idyllischen Bauernhof in der Eifel wohnt und sich ihre jugendliche Tochter freut, wenn die Mutter auch mal zuhause ist. Andrea Nahles geht es um die Vorbildfunktion: Mobiles Arbeiten zu ermöglichen, sei heute zentral, um im Wettbewerb um qualifizierte Arbeitskräfte attraktiv zu sein. Dabei gehe es nicht nur um die Rechte der Angestellten, auch die Vorgesetzten sollten lernen, sich in veränderten Strukturen zurechtzufinden.

Seit knapp drei Jahren steht die frühere SPD-Politikerin an der Spitze der Bundesagentur für Arbeit. Eine Stunde hat sie für das Gespräch mit CHRIST IN DER GEGENWART und der Katholischen Akademie in Bayern, mehr lässt ihr Terminkalender nicht zu – mit rund 113000 Beschäftigten leitet sie eine der größten Behörden Deutschlands. In ihrem Büro in der Nürnberger Zentrale verliert sie deshalb keine Zeit: Natürlich gebe es Dinge, die nicht gut laufen. Aber Deutschland immer nur schlechtzureden, davon hält sie nichts. Sie suche stattdessen nach Verbesserungsmöglichkeiten. Andrea Nahles spricht energisch und mit Tempo. Man spürt die Leidenschaft für das, was sie tut – ganz wie zum Höhepunkt ihrer politischen Karriere, als 2015 unter ihrer Verantwortung als Bundesarbeitsministerin der gesetzliche Mindestlohn eingeführt wurde.

Unter dem Schlagwort „Automatisierung küsst Demografie“ erklärt die Agentur-Chefin im Podcast, dass die tiefgreifenden Veränderungen der Arbeitswelt auch Vorteile mit sich brächten, etwa in Bereichen, in denen sich der Fachkräftemangel durch Digitalisierung kompensieren lässt oder Frauen in Berufsfelder vordringen, die wegen ihrer körperlichen Anforderungen bisher vor allem von Männern ausgeübt wurden, wie der Autoindustrie. Sie plädiert dafür, in der Verwaltung konsequent die Kundenperspektive einzunehmen, um Barrieren abzubauen und interne Abläufe effizienter zu machen. Beim Thema Weiterbildung fordert sie, durch Teilqualifikationen einen stufenweisen Einstieg in den Arbeitsmarkt zu ermöglichen und ausländische Abschlüsse einfacher anzuerkennen.

Angesichts weltweiter politischer Verunsicherungen und drohender Wirtschaftskriege sorgt sich Nahles vor einer Rückkehr des Rechts des Stärkeren: „Wir kommen in eine Situation, in der man sich verteidigen muss, wenn man für Staatlichkeit und das Einhegen des Kapitalismus eintritt. Dafür, dass man als Bürger verbriefte Rechte hat und nicht einfach der, der am stärksten ist, alles nimmt.“ Neben dem politischen Willen, sich der sozialen Rückwärtsrolle entgegenzustellen, brauche es eine Strategie für wirtschaftlichen Aufschwung. Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf sei eher Neid auf Bürgergeldempfänger geschürt worden, als den Blick auf verschleppte Transformationsprozesse zu lenken. Zuerst müsse es darum gehen, wie Deutschland produktiver werden könne, dann komme die Verteilungsfrage. „Es wird kleinkariert über das Bisschen geredet, das am Ende zu verteilen ist, anstatt darüber, was wir richtig machen müssen, um wirtschaftlich wieder vorne mitzuspielen“, so Nahles.

In diesem Zusammenhang wünscht sich die praktizierende Katholikin mehr Mut von den Kirchen, sich in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. „Wenn die Welt Kopf steht, dann müssen die Kirchen etwas dazu sagen. Wir können nicht in unserer Komfortzone bleiben.“ Die christliche Botschaft mit ihrem Aufruf, sich für das Recht der Schwächeren einzusetzen, habe bis heute nichts an Aktualität eingebüßt. Für das eigene Handeln empfiehlt Nahles einen ebenso schlichten wie ambitionierten Maßstab: „Mach’ es wie Jesus – werde Mensch, sei Mensch, bleibe Mensch. Und versuche in dieser Menschlichkeit zusammen mit anderen dein Potenzial zu entfalten. Dann können wir viel Gutes schaffen.“

Hören Sie hier das ganze Gespräch:

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