In Drezdenko

Die gut zwanzig Kilometer nach Drezdenko auf einer angeblich ruhigen Nebenstrecke entpuppen sich als mühsames, schweißtreibendes Geschäft für CIG-Autor Christian Heidrich.

In Drezdenko
© Christian Heidrich

Die gut zwanzig Kilometer von Mierzyn-Ustronie nach Drezdenko / Driesen sind ein mühsames, schweißtreibendes Geschäft. Wie zumeist, ist auch hier der „Szlak rowerowy“ kein separater Fahrradweg, vielmehr Teil einer ruhigen Nebenstrecke. Doch so ruhig ist es hier keinesfalls - auch am Sonntagmorgen nicht! Ich versuche, mich mit Gedanken an meine bisherigen Etappen seit Köln abzulenken, muss mich gleichzeitig konzentrieren, um, an den äußersten Rand der Straße oder an den Grünstreifen gezwängt, die Autos sicher an mir vorbeizulassen. Bei der nächsten Strecke dieser Qualität, so nehme ich mir vor, werde ich nach einem Bus Ausschau halten. Als ich das Drezdenko-Ortsschild sehe und gleich dahinter eine große Tankstelle, bin ich noch voller Anspannung, gleichzeitig sehr erleichtert.

Das Städtchen selbst hat rund 10 000 Einwohner, ist am Fluss Notec gelegen und es kommt mir zumindest im Zentrum sehr gepflegt vor. Die Fußgängerzone wird gar als "Strefa Wi-Fi" ausgewiesen, was mit kostenlosem WLAN gleichzusetzen ist. Überhaupt ist in Polen der kostenfreie Internetzugang weit verbreitet, in Hotels, in öffentlichen Gebäuden, in Geschäften - und zumeist funktioniert es auch.

Nach dem Mittagessen, ich bin gerade auf einer Bank am „Rynek“, dem Marktplatz, in die umfangreiche Wochenendausgabe der „Gazeta Wyborcza“ vertieft, werde ich dann in die Rolle eines Apologeten der Entwicklung Polens gedrängt. Pan Marian, wohl Anfang Dreißig, hat seinen kleinen Sohn im Blick, doch will er „mit dem Gast aus Deutschland“ auch diskutieren. Nun, sagen wir genauer, er möchte auf "die Politiker" schimpfen, die im Grunde nur ihre Taschen mit Tausenden von Euro vollstopfen wollten. Sachte weise ich auf die Fortschritte hin, die ich auch unterwegs wahrnehme, auf die schwierige wirtschaftliche Situation in vielen Ländern Europas. Doch gegen Marian und seine Schablonen habe ich keine Chance. Der Automechaniker, der einen Bruder in Osnabrück hat, verweist auf die jungen, gut ausgebildeten Menschen, die gen Westen aufgebrochen sind, dort ihr Glück suchen müssen - "und sei es als Altenpfleger". Rasend schnell vergleicht er die Zloty-Gehälter mit den Euro-Gehältern in Deutschland und setzt sie in Relation zu Preisen für Autos und Werkzeuge. Mit der Zeit werde ich still, denn soll ich ihm sagen, dass ich seine überhöhten Erwartungen an "die Politiker" höchst naiv finde, seine Aufgeregtheiten eher nutzlos - von seiner Abstinenz bei Wahlen ganz zu schweigen. So bleibe ich noch ein paar Minuten höflich sitzen und mache mich dann auf die Suche nach einer Tasse Kaffee.

Am Rande:
In der „Gazeta“ spricht Jerzy Turnau von eher deprimierenden Nachrichten aus der katholischen Kirche Polens. Da werde die Sexualaufklärung in den Schulen in die Nähe der Pädophilie gerückt, die Abmeldung vom Religionsunterricht als Apostasie, als Abfall vom Glauben, gebrandmarkt. Vom zweiten Punkt sei man zwar schnell wieder abgerückt, doch schon die Assoziationen sprechen Bände. Turnau fügt hinzu, er kritisiere "seine" Gemeinschaft, der er selbst angehöre, und bete, dass sie sich nicht zu einer Sekte entwickeln möge.
Mir selbst scheint, im Vorbeigehen, die katholische Kirche Polens immer noch in einem hohen Maße eine Volkskirche zu sein. Die - vielen - Gottesdienste sind gut besucht, die Kirche "bleibt im Dorf" - und in der Stadt auch. Kritisch wird es tatsächlich, wenn die Hierarchen sich bemühen, auf die rasenden Entwicklungen einer offenen, komplexen Gesellschaft zu reagieren. Ihre Antworten und Mahnungen wirken ängstlich und wenig erhebend, sind eher abwehrend denn inspirierend. Und die offene, vermittelnde Gruppe um den Krakauer „Tygodnik Powszechny“ hat bei den Hierarchen wie in der Breite einen schweren Stand.

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