Antwortversuche auf die Frage: Was ist ein liturgischer Raum?„Wenn Steine sprechen ...“

Was meinen wir eigentlich, wenn wir den Begriff liturgischer Raum verwenden? Bilder von den letzten Weltjugendtagen in Köln und Sydney oder vom letzten Katholikentag in Osnabrück zeigen uns, dass gottesdienstliche Versammlungen durchaus auch im Freien stattfinden können. In der medialen Wirklichkeit ist in diesen Tagen mehr von der Aufgabe oder gar vom Abriss von Kirchenräumen die Rede, denn von deren Neubau oder deren (Kirch-)Weihe. Inwiefern ist dann ein liturgischer Raum überhaupt notwendig?

Nähern wir uns also dem Phänomen des liturgischen Raums in zwei Schritten: Zunächst mit einigen anthropologischen Überlegungen, dann, in einem zweiten Schritt, mit einer Klärung der theologischen Begrifflichkeit: Im Wort Raum klingt das Tätigkeitswort „räumen" mit an. Einen Raum, etwa: eine Lichtung im Walde schaffen für eine Ansiedlung - das ist ursprünglich gemeint. Ein Raum ist also in diesem Sinne nicht einfach vorhanden, sondern er wird erst durch eine konkrete menschliche Tätigkeit geschaffen und gewonnen, indem man ihn etwa durch Rodung der Wildnis abgewinnt (einer Wildnis, die man eben vorher nicht als Raum wahrnimmt oder bezeichnet). 

Wenden wir diese Überlegungen auf den Kirchenraum an, so lässt sich auch hier grundsätzlich festhalten, dass das Raum-Schaffen, das Bauen eine menschliche Grundtätigkeit ist. Reden wir vom Kirchenraum, so lässt sich sagen, dass sich im Bau eines Heiligtums der Glaube am überzeugendsten, auf sinnlich wahrnehmbare Weise manifestiert. Der Mensch bringt hier alle seine Fähigkeiten ein und unternimmt dabei sogar den Versuch, durch sein Werk sich selbst zu übersteigen. Der Mensch sucht Kontakt mit dem Bereich des Göttlichen zu gewinnen und er tut dies, indem er dem Göttlichen einen Raum schafft: Das Transzendente/ Unverfügbare soll immanent im geschaffenen Raum erfahrbar werden. Wenn der Mensch baut, bringt er so seine Ordnungsvorstellungen, also das, was ihm etwas wert ist, zum Ausdruck. Das gilt für den antiken Tempel ebenso wie für die gotische Kathedrale wie für heutige Shopping- Malls (die modernen „Kathedralen" des Konsums). 

Wenn wir einen liturgischen Raum schaffen, sei es, dass wir ihn neu bauen, sei es, dass wir ihn renovieren oder umgestalten, bedeutet dies darum immer, dass dieser Raum inhaltlich aufgeladen ist. Es gilt, einen Raum zu suchen und zu gestalten, in dem der Mensch zu seinem Gott finden kann, um mit ihm in Verbindung zu kommen und dadurch Heil zu erlangen. 

Damit wird aber auch verständlich, dass die Kirche wie jeder Kultbau einen über die rein praktische Raumnutzung hinausgehenden „Mehrwert" hat. Dieser Mehrwert bliebe uns freilich verschlossen, betrachteten wir eine Kirche etwa nur unter dem Blickwinkel reiner Funktionalität. Kirchen sind mehr als reine Funktionsräume, und dieses „Mehr" versuchen wir mit dem Wort „sakral" mühsam, fast stammelnd in Worte zu fassen. So betont auch die Liturgiekonstitution Sacrosanctum Concilium, in Nr. 122, dass „die Dinge, die zur heiligen Liturgie gehören, wahrhaft würdig seien, geziemend und schön: Zeichen und Symbol überirdischer Wirklichkeiten." So heißt es im Weihegebet der Kirchweihe, die Kirche ist Gottes „Zelt unter den Menschen, der heilige Tempel, erbaut aus lebendigen Steinen, gegründet auf das Fundament der Apostel; der Eckstein ist Jesus Christus". 

Deshalb tut es uns fast schon körperlich weh, wenn wir den Abriss einer Kirche im Fernsehen sehen, ihn gar live erleben müssen, weil hier, an diesem konkreten Ort, Menschen ihren Glauben in Stein gegossen haben: Sie haben in dieser kunstvollen Anhäufung aus Steinen einen bergenden Raum gefunden, in dem sie ihren Glauben bekannt haben, sie haben in diesem Raum gehofft und gebetet, sie haben gefeiert und gesungen, sie haben geweint und getrauert - all dies getragen und unterfangen von jenem Gott, auf den sie ihre Hoffnung gesetzt und dem sie im Bau dieses liturgischen Raumes ein Denkmal errichtet haben. 

Nun ist jedoch von Seiten der Theologie zu fragen: Wer ist dieser Gott, dem Menschen hier einen Raum schaffen? Glauben wir im Christentum an einen (transzendenten) Schöpfergott, der in Christus Mensch geworden ist (Stichwort: Inkarnation) und die Welt angenommen hat, so führt dies auch zu einer neuen Sicht auf die Welt insgesamt: In dieser von Gott ins Dasein gerufenen und von ihm getragenen Schöpfung kann es keine Gegenüberstellung mehr von sakral und profan geben. Gott hat die ganze Welt, all ihre Ordnungen und Strukturen erschaffen, weshalb es nicht mehr möglich ist, „an sich" heilige Orte zu unterscheiden vom Bereich des Alltäglichen, in welchem die Macht Gottes weniger offenbar und wirksam würde. Gott ist Mensch geworden, er ist in Jesus Christus in die Welt eingegangen und hat die Welt dadurch geheiligt. Das im NT grundgelegte Verständnis von Sakralität erlaubt es nicht mehr, irgendein Geschöpf als „an sich" heilig zu betrachten, andere dagegen als „an sich" unheilig oder profan. 

Heiligkeit beziehungsweise Sakralität entsteht demnach in der positiven Hin- und Zuordnung auf Gott und die Ordnung, die Gott seiner Schöpfung gegeben hat. Sakralität ist daher aus theologischer Perspektive zunächst eine personale Kategorie, und nur davon abgeleitet kann sie auch auf Dinge angewandt werden: Ein Ort oder Raum hat nicht aus sich selbst heraus sakrale Bedeutung, sondern der liturgische Raum gewinnt Sakralität, weil er in Anspruch genommen wird für die Begegnung mit dem heiligen und lebendigen Gott. Der kirchliche Raum wird also gerade nicht „an sich", als Gegenstand, durch die Feier der Kirchweihe zu einem heiligen sakralen Gebäude. Vielmehr heiligt die Feier der Gemeinde den Raum! Bezeichnenderweise existiert ja auch das Wort der „Kirchweihe" nur im Deutschen, während es im Lateinischen schlicht „dedicatio" heißt, also soviel wie Einweihung, Inbetriebnahme. Der Kirchraum, der Altar wird geheiligt durch die erste Feier der Eucharistie. Eben durch die Begegnung mit dem heiligen und lebendigen Gott. 

Von den Anfängen bis zum II. Vatikanischen Konzil

Schon im NT finden wir das Bauen als ein Bild für die christliche Gemeinde. Allerdings verwendet das NT hier das Bild des „Hauses aus lebendigen Steinen" (1 Petr 2,5), und gerade nicht das Bild des Tempels, um die Wirklichkeit der christlichen Gemeinde zu beschreiben. Der Hintergrund für eine Scheu vor allen kultischen Bildern und Metaphern liegt sicher im Handeln Jesu und seiner prophetischen Kultkritik auch und gerade am Jerusalemer Tempel begründet. 

Spricht das NT von einem Gebäude aus lebendigen Steinen, so wird die Idee des Bauens zunächst spiritualisiert. Der neue Raum aus lebendigen Steinen ist die Kirche als Versammlung der Gläubigen. Sie selbst bildet den neuen Tempel, in dem der Hl. Geist wohnt (vgl. 1 Kor 3,16). Das primäre Bild, in dem sich das Selbstverständnis der christlichen Gemeinde ausdrückt, ist im NT das der Versammlung. Freilich ist diese Versammlung, trotz der fundamentalen Gleichheit aller Getauften, doch schon von frühester Zeit an strukturiert. 

Diese strukturierte Versammlung, in der es besondere Aufgaben, Charismen und Dienste gibt, hat zur Konsequenz, dass die Eignung für eine solchermaßen strukturierte Versammlung die primäre Qualitätsanforderung an den liturgischen Raum darstellt. Betrachten wir die frühesten Zeugnisse solcher christlicher Versammlungsräume, so bestätigen diese unsere Einschätzung. Sicher spielte auch die allgemeine Situation der Märtyrerkirche in der Verfolgung eine Rolle, dass wir in den ersten Jahrhunderten eine große Zurückhaltung finden im Hinblick auf repräsentative Bauten. Doch sollten die theologischen Gründe nicht unterschätzt werden: Die schlichte christliche Versammlung aller Getauften zu einem Haus aus lebendigen Steinen ist das Gegenmodell zum heidnischen Tempel in all seiner Pracht. 

Erst mit der neuen Situation, die in der frühen Reichskirche nach der konstantinischen Wende und später dann gar für das Christentum als Staatsreligion gegeben war, wandelt sich dieses Bild: Jene, die in der christlichen Gemeinde und der liturgischen Versammlung einen besonderen Dienst versehen, werden nun Staatsbeamte, sie repräsentieren diese Kirche auch nach außen hin, die christliche Gemeinde muss nach außen hin sichtbar werden, sich darstellen und repräsentieren im Kontext einer Vielzahl von Kulten und religiösen Möglichkeiten. 

Dennoch ist sicher der Schritt von der Märtyrerkirche, die in den Katakomben und in Hausgemeinschaften ihre Versammlungen feiert, hin zur Reichskirche und dem frühen Mittelalter mit den prächtigen Versammlungsräumen der Basilika und der frühen Kathedralen gewaltig. Aber auch jene frühchristlichen Basiliken waren zunächst praxistaugliche Versammlungsräume, die gewählt wurden, weil sie in ihrer Form und Ausstattung den Bedürfnissen der christlichen Liturgie genügten. Somit gilt es festzuhalten, dass das Vorbild für den frühen Kirchbau gerade nicht der heidnische Tempel war, sondern die Basilika als Versammlungs- und Repräsentationsbauwerk. Diese Basilika ermöglichte in ihrer architektonischen Struktur, der liturgischen Versammlung einen Raum zu geben, wobei sich die Feier dieser Versammlung von zunächst sehr klar strukturierten, einfachen liturgischen Vollzügen zu immer komplexeren liturgischen Abläufen entwickelte. Zwar gab es schon in diesen liturgischen Formen der Reichskirche und des frühen Mittelalters sich immer weiter ausdifferenzierende liturgische Dienste, dennoch steht hier die Einheitsidee des einen Leibes Christi, der sich zur Liturgie versammelt, immer noch im Vordergrund. Und doch werden die liturgischen Dienste immer stärker zu „Spezialisten": „Spezialisten", die dann in einem abgetrennten Vorraum, der mehr und mehr zur Bühne wird, für das Volk agieren. Parallel dazu entwickeln sich im hohen Mittelalter Andachtsräume, die der privaten Frömmigkeit dienen: Seitenaltäre, Seitenkapellen. 

Wir können sagen: Der liturgische Raum unterliegt zunehmend einer gewissen Eigendynamik, die freilich in enger Verbindung zu sehen ist mit der Entwicklung der Liturgie insgesamt. Im strengen Sinne liturgische Vollzüge, also Feiern der gesamten Kirche, werden ergänzt durch private Andachtsformen und der liturgische Raum antwortet auf diese Erfordernisse, indem er all diesen Formen multifunktional einen Raum bietet. Dieser Trend hin zu subjektiven Frömmigkeitsformen wird zwar im Spätmittelalter (etwa ausgelöst durch Kritik der Reformatoren) hinterfragt, und das Barock antwortet hierauf auch mit der neuen Konzeption eines Einheitsraumes. Dieser Einheitsraum des Barock wird wieder auf seine Hauptfunktion (den Hauptaltar) ausgerichtet, bietet jedoch immer noch Platz für liturgische Nebenschauplätze (die Seitenaltäre und sonstige Orte privater Devotion). Dennoch bleibt auch in dieser Zeit - bis eigentlich in die Neuzeit hinein - das Geschehen weniger an der gemeinsam gefeierten Liturgie ausgerichtet, sondern beide Vollzüge, die offizielle Liturgie und die Privatfrömmigkeit laufen parallel nebeneinander her. Interessant ist freilich das Phänomen, dass auch diese Vollzüge der Privatfrömmigkeit durchaus gemeinschaftlichen Charakter haben können: Rosenkranzgebet, Kreuzweg, Prozessionen, Wallfahrten und Andachten. 

Zur Zeit der katholischen Aufklärung versucht man den Gemeinschaftscharakter wiederum zu stärken, streicht jedoch - in einer gewissen bilderfeindlichen Grundintention - vielfach ausgerechnet jene Elemente der Liturgie, die diesen Gemeinschaftscharakter zum Ausdruck bringen wollen. Im 19. Jahrhundert zitiert dann der Historismus wieder verstärkt die mittelalterliche Formensprache, allerdings nicht in ihrer Differenziertheit, sondern man verbindet den barocken Einheitsraum mit Stilelementen aus Romanik und Gotik und bleibt damit eigentlich der spätestens seit dem Konzil von Trient vorgegebenen Linie treu. 

Wenn nachfolgend die Liturgische Bewegung diesen gemeinschaftlichen Charakter der liturgischen Versammlung wieder aufgreift (Stichwort: „Gemeinschaftsmesse"), so lässt sich dies auch in den entsprechenden Modellen für den liturgischen Raum ablesen. Die Gemeinde der Getauften versammelt sich um den Altar, der Gemeinschaftscharakter der Liturgie steht im Mittelpunkt, Vorsteher und liturgische Dienste bilden, zugleich einbezogen in das Gesamt der Gemeinde und doch auch als deren Gegenüber, mit der versammelten Gemeinde eine spannungsvolle Einheit. 

Diese wenigen Anmerkungen zur geschichtlichen Entwicklung des liturgischen Raumes, die keinesfalls Vollständigkeit beanspruchen können und wirklich nur grobe Linien ziehen wollen, machen deutlich, dass die konkrete Form der liturgischen Versammlung und der Raum, der diese Versammlung birgt, aufs Engste zusammenhängen. 

Konsequenzen aus der liturgischen Erneuerung durch das II. Vatikanische Konzil

Wir haben gesehen: Die konkrete Gestaltung des liturgischen Raums bildete und bildet zu allen Zeiten der Kirchen- und Liturgiegeschichte das ab, was in der jeweiligen Epoche unter „Liturgie" verstanden und wie diese gefeiert wurde. Anders formuliert: Ein Blick in die Liturgiegeschichte zeigt uns, dass in den je unterschiedlichen kirchengeschichtlichen Epochen, unter dem Begriff eines „idealen liturgischen Raumes" sehr unterschiedliche Dinge verstanden wurden. 

Die Liturgiekonstitution des II. Vatikanischen Konzils, Sacrosanctum Concilium, betont in Art. 42: „Beim Bau von Kirchen ist sorgfältig darauf zu achten, dass sie für liturgische Feiern und für die tätige Teilnahme der Gläubigen geeignet sind". Zwei Prinzipien werden hier genannt: Liturgische Räume sind Funktionsräume, die zunächst der liturgischen Feier zu dienen haben. Oberstes Prinzip ist es dabei, den Gläubigen, die an der Liturgie teilnehmen, die tätige Teilnahme an dieser Liturgie zu ermöglichen. Kurz auf den Punkt gebracht können wir sagen: Die Liturgie ist die eigentliche Bauherrin des kirchlichen Raumes. So heißt es auch in der neuen Grundordnung für das Römische Messbuch: „Darum hat die Gesamtanlage des sakralen Gebäudes so zu sein, dass sie gewissermaßen das Bild der versammelten Gemeinschaft darstellt, auch allen ihre angemessene Zuordnung ermöglicht und es jedem leicht macht, seine Aufgabe in rechter Weise wahrzunehmen" (GORM, Nr. 294). 

Gegenüber einer über Jahrhunderte sich immer stärker manifestierenden Trennung zwischen den liturgischen Diensten auf der einen - und der Versammlung der Gläubigen auf der anderen Seite, was schließlich zur Herausbildung einer reinen Klerusliturgie führte, betont das Konzil stark, dass die Liturgie eine Feier der ganzen Gemeinde ist, wobei jeder all das, aber auch nur das tun soll, was ihm vom Wesen der Liturgie her zukommt (vgl. SC, Art. 26 u. 28). 

Die Feier der Liturgie ist dabei Feier der Begegnung mit dem erhöhten Herrn, Jesus Christus, unter verschiedenen Zeichen und Handlungen (vgl. SC, Art. 7), wobei die liturgische Versammlung sogar die Grundgegenwartsweise seiner Gegenwart ist: „Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind ..." (Mt 18,20). 

Deshalb gilt für den liturgischen Raum, für Kirchen und alle anderen Orte, an denen Liturgie gefeiert wird: Diese „haben also zum Vollzug der heiligen Handlung und für die eine tätige Teilnahme der Gläubigen geeignet zu sein" (GORM, Nr. 288). Der Raum für den Gottesdienst ist demnach ein offener Handlungsraum um das Zentrum des Altares, der wiederum im Zentrum der Herrenmahlfeier steht. Inmitten der liturgischen Versammlung finden sich auch der Ambo, von dem aus das Wort Gottes verkündigt wird, der Vorstehersitz, von wo aus die liturgische Versammlung geleitet wird, und der Taufbrunnen, an dem die Eingliederung in den Leib Christi, die Kirche, geschieht. 

In der Grundordnung heißt es deshalb auch an entscheidender Stelle: „Obwohl all diese Dinge die hierarchische Ordnung und die Verschiedenheit der Aufgaben zum Ausdruck bringen müssen, haben sie doch eine ganz tiefe und verbindende Einheit zu bewirken, in der die Einheit des ganzen heiligen Volkes klar aufscheint" (GORM, Nr. 294). Mit anderen Worten: Die Einheit des Volkes Gottes ist grundlegend gegenüber der Verschiedenheit und der Ausdifferenzierung unterschiedlicher liturgischer Dienste und der Orte, an denen diese Dienste vollzogen werden. 

Dies bedeutet, dass an den liturgischen Raum zwei Grundanforderungen zu stellen sind: Der liturgische Raum entspricht der hierarchischen Gliederung des Volkes Gottes, aber er soll als einheitlicher Raum strukturiert sein. Diese Strukturierung des liturgischen Raumes ist gemäß der liturgischen Feier zu gestalten und muss funktionsgerecht sein. 

Aus diesen Mindestanforderungen für den liturgischen Raum ergeben sich praktische Konsequenzen, die es zu bedenken gilt: 

Wenn wir alte, ehrwürdige Kirchenräume umgestalten, dann gilt, dass der historische Kirchenraum zum einen ein Erinnerungsort ist für die gläubige Tradition, der Zeugnis gibt für den Glauben jener, die ihn errichtet haben, die hier gebetet und Gottesdienst gefeiert haben. Zum anderen ist dieser Raum aber auch der Lebensraum für die Gemeinde im Hier und Heute. 

Mit den beiden wichtigen Aspekten „Denkmal" und „Lebensraum" ist zugleich die spannungsvolle Situation umschrieben, in der sich heute viele Gemeinden befinden. Vor dem Hintergrund der aufgeführten Überlegungen sollte klar sein, dass aus liturgietheologischer Perspektive der Lebensraum der heutigen Gemeinde die Priorität hat. Kirchen müssen liturgische Lebensräume sein und nicht bloß übrig gebliebene eingestaubte Denkmäler einer toten Vergangenheit. Wenn aber die Kirche Lebensraum für eine Gemeinde und ihre liturgische Feier im Hier und Heute sein will, dann ist es unerlässlich, Anpassungen vorzunehmen. Wenn wir uns mit der Situation konfrontiert sehen, dass wir liturgische Räume aufgeben müssen, dass Kirchen umgewidmet, gar abgerissen werden, so gilt es mit der doppelten Verwundung, die hier aufbricht, sensibel umzugehen. 

Zum einen schafft die Aufgabe/der Abriss einer Kirche die schmerzhafte Verwundung, dass wir ein Denkmal und damit ein nach außen hin deutlich wahrnehmbares Zeichen des Glaubens vorvergangener Generationen aufgeben müssen. Die sprichwörtliche „Kirche im Dorf", als ein an Gott erinnerndes Mahnmal, existiert auf einmal nicht mehr, weil sie aus vielfältigen Gründen nun nicht mehr gebraucht wird. 

Zum anderen verursacht die Aufgabe/der Abriss einer Kirche eine Verwundung nach innen, in die Gemeinde hinein, in Form der Heimatlosigkeit und Entfremdung: Der Ort, der mir - über längere Zeiträume hinweg - eine liturgisch-spirituelle Heimat war, existiert nun nicht mehr. Dies wahrzunehmen und sich einzugestehen, ist ein schmerzlicher Prozess. Deshalb ist es wichtig, diese Prozesse auch mit liturgischen Handlungen zu begleiten und in den Symbolhandlungen, welche die Liturgie uns an die Hand gibt, sowohl die Trauer und den Schmerz zuzulassen als auch die Hoffnung zu feiern, die uns erfüllt. Denn ein Abbruch eines konkreten Kirchengebäudes bedeutet nicht nur das Ende am einen Ort, sondern auch, dass es an einem anderen Ort weitergehen wird. 

Die in diesem Kontext vorgesehenen Profanierungsriten: eine letzte feierliche Eucharistie, der festliche Auszug der Gemeinde aus dem liturgischen Raum mit dem Allerheiligsten, der Hl. Schrift, den liturgischen Geräten: den Leuchtern, dem Kreuz, sind eine bewegende liturgische Feiergestalt. 

Wichtig wäre freilich, in diesen Riten zu verdeutlichen, dass es Gott selbst ist, der uns diese Räume des Lebens ermöglicht. Es ist zu erinnern, dass alle liturgischen Räume provisorische Räume sind in unserer zerbrechlichen und vorläufigen irdischen Existenz. Im Zentrum steht daher die Feier einer Hoffnung, dass es an einem anderen Ort weitergehen wird: konkret hier auf Erden wie dereinst nach unserem Tod im Lebensraum des lebendigen Gottes. Diese Hoffnung auf eine Heimat bei Gott ist zu feiern auch jenseits der konkreten liturgischen Orte. Denn Steine sprechen nur, wenn sie Raum geben für jene Hoffnung, die wir feiern, die uns erfüllt und von der wir Zeugnis zu geben verpflichtet sind (vgl. 1 Petr 3,15). 

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