Hindrichs, Gunnar: Abseits des Krieges. Ein philosophischer Essay.
München: C.H. Beck 2024. 126 S. Kt. 16,–.
Der Titel des Buches zeigt den Standpunkt an, den der Baseler Philosoph Gunnar Hindrichs einnehmen will. Mit der Präposition „abseits“ ist nicht der Abstand gemeint, der den Universitätsprofessor eines neutralen Landes von den Gräueln der Schlachtfelder trennt. Hindrichs hebt vielmehr auf den Umstand ab, dass die öffentliche Meinung in den westeuropäischen Staaten nach dem Überfall auf die Ukraine die Befürwortung des Krieges gegen Russland beinahe einhellig zur Bürgerpflicht erklärte. Wenn Hindrichs deshalb von einer „Kriegszivilgesellschaft“ spricht (8), ist das weder sarkastisch noch martialisch gemeint. Indem der Philosoph das Wesen des Krieges auf den Begriff bringt, versucht er zugleich, den gesellschaftlichen Zwang zur Parteinahme zu unterlaufen.
Die Überlegungen kreisen um neun Schlagwörter, angefangen von der hegelschen Idee der Weltgeschichte als vernünftiger Rechtfertigung allen Geschehens, endend mit dem Gewaltpotential von Religion. Dazwischen geht es um das Spannungsverhältnis zwischen der Verwirklichung des Rechts einerseits und der Durchsetzung der Macht andererseits. Der Versuch, die Rechtmäßigkeit von Kriegen nach einem einheitlichen Maß zu messen und einer internationalen Gerichtsbarkeit zu unterstellen, mache jeden zwischenstaatlichen Konflikt zu einem „Weltbürgerkrieg“ (22).
Den Ursprung des Krieges verlegt der Autor in das menschliche Streben nach Selbsterhaltung – sei es zur Sicherung gegen andere, sei es zur eigenen Entfaltung. Mit der Selbsterhaltung einher geht die Weltbeherrschung. „Der Krieg gehört mit seinen Zielen und Mitteln zur instrumentellen Weltverwaltung“ (53). Die Selbsterhaltung im Krieg verlangt die heroische Bereitschaft zum Selbstopfer, ganz gleich ob aus illusionslosem Realismus oder im Kampf für die eigenen Ideale. Hindrichs stellt sich gegen Karl Jaspers’ Auffassung vom Krieg als existenzieller Grenzsituation. Denn nur scheinbar erschüttere der Krieg die bürgerliche Gesellschaft. In Wahrheit gehörten zu jedem Krieg gewisse bandenmäßige Institutionen (Max Horkheimer sprach von „Rackets“, 72), die dem alltäglichen Leben ihren Stempel aufdrücken.
Die Kehrseite des Strebens nach Selbsterhaltung bilden die Angst des Menschen um sich selbst und seine Sorge um die eigene Identität. Deshalb herrsche in der postsäkularen Gesellschaft eine identitäre Religion vor. Sie präge die Kriege unserer Gegenwart. Dagegen verweist Hindrichs auf den Dekalog im biblischen Buch Exodus, der keineswegs mit dem Gegensatz der Götter und Religionen beginne, sondern zuerst an die Befreiung des Volkes Israel aus der Knechtschaft Ägyptens erinnere.
Als Militarismus bezeichnet Hindrichs schließlich die „Indienstnahme des menschlichen Miteinanders: zu dem Zweck, den Krieg als Fortsetzung der Politik zu führen“ (102). Anknüpfend an Überlegungen von Karl Marx und Rosa Luxemburg konstatiert der Autor einen Zusammenhang zwischen dem Militarismus und der bürgerlichen Gesellschaftsordnung. Die kapitalistische Weise des Wirtschaftens beruhe wesentlich auf der Verwertung von ihr Äußerlichem. Als Mittel zu dessen Aneignung brauche sie den Krieg.
Am Ende seines Buches greift der Autor die Metapher vom Abseits nicht wieder auf. Dabei dürfte er gerade durch die im letzten Abschnitt vorgetragenen These von der Verwandtschaft des Kapitalismus mit dem Militarismus zu der öffentlichen Meinung auf Abstand gehen. Aber sollte die Philosophie es sich nehmen lassen, darüber zumindest nachzudenken?
Georg Sans SJ
Eibl, Albert C. / Steinmann, Jan Juhani: Ästhetik des Ungehorsams. Interventionen im digitalen Zeitalter.
Klagenfurt: Wieser 2024. 250 S. Gb. 24,–.
Ein schmales, gebundenes Büchlein in dunklem Blau. So präsentiert sich der Text „Ästhetik des Ungehorsams: Interventionen im digitalen Zeitalter“ von Albert C. Eibl und Jan Juhani Steinmann. Mit spitzer Feder und dunkler Tinte notiert, schicken sich die beiden Autoren an, unerbittlichen Widerstand zu leisten. Als eine Schrift, gedacht als „lebensphilosophisch-literarischer Anstoß zu innerer Reflexion und zum ästhetischen Widerstand“, wollen Eibl und Steinmann mittels einer „Ästhetik des Ungehorsams“, die „Differenz und Klarheit“ proklamieren, welche „das Digitale verklärt“ habe (vgl. S. 9 ff.).
In zwölf knappen Kapiteln wird gegen das alles in seinen Bann ziehende schwarze Loch des Nihilismus im Digitalen angeschrieben. Dabei reduziert sich zuweilen die Sicht auf ein Schwarz gegen Weiß, Digitalität gegen analoges Sein. Stilistisch rangierend zwischen narrativem Essay und Poesie werden die schmerzlich vermisste Ästhetik und Souveränität im Digitalen in den Mittelpunkt gerückt.
Dramatische Bilder werden erzeugt, in welchen sich dieser ästhetische Ausnahmezustand als Normalität etabliert habe. Die lautstarke Aufforderung der Autoren zum schöpferischen Widerstand ist gerade auch wegen ihrer Überzeichnung besonders ohrenbetäubend. Der von den Autoren geführte Kampf von einer digitalsüchtigen Gesellschaft hin zu einer analogen Ästhetik hat in diesem Buch ein Schlachtfeld gefunden. Ein furchtloses Unterfangen, welches aufgrund seiner brutalen Darstellung des Menschen im Digitalen aufzurütteln versucht, die Schönheit des Analogen preist und damit die Leidenschaft für das reale Sein wecken will.
Mittels barock anmutenden Satzkonstruktionen soll zu einem „ästhetischen Widerstand“ gegen „totalisierte Informationen“ im „alles verschlingende[n] kollektiv-virtuelle[n] Raum“ aufgefordert werden. In ihren ambitionierten Zeilen hissen die beiden Autoren dafür unermüdlich abwechselnd ihre Fahne gegen das digitale Zeitalter. Der „entfesselte“ Feind Technologie soll bezwungen werden, um der „Schönheit des Seins“ wieder zu ihrer ursprünglichen Macht zu verhelfen. Dafür wird mit vollem Worteinsatz analysiert, diagnostiziert und gnadenlos überspitzt das Ergebnis präsentiert. Ein ganzes Feuerwerk zynischer Sprengkörper soll die Mutation des postmodernen Menschen als „ein Solitär ohne Rückgrat, ein Eremit ohne innere Ruhe, ein Prophet ohne Vision, ein Individuum ohne sittliches Gesetz“ aufhalten. Dabei werden „Schlagzeilenintellektuelle“ ebenso missbilligt, wie der „Journalist von heute“, welcher zum „quotengetriebenen News- und Headline-Assembler abgestiegen“ sei (vgl. 29 ff.).
Heraufbeschworen und der Diktatur des Technologischen gegenübergestellt wird die „goldene Zeit des Wortes“, in deren Erinnerung die „Ewiggestrigen“ schwelgen. Fast schon polemisch ergießt sich die Wortgewalt gegen eine bildschirmfixierte Herde und deren Sucht nach digitaler Prestigemaximierung. Vielleicht auch aus dem Gefühl heraus, durch Big Data, ChatGPT und Soziale Medien den intellektuellen Anspruch, ja die gesamte Gesellschaft, sowie „das Wunderbare“ des Analogen zu verlieren, wüten die Autoren mit Sarkasmus durch ihre bildgewaltigen Metaphern (vgl. 29 ff.).
Mandy Balthasar
Menke, Marius: Die zwei Welten des Augustinian liberalism. Der augustinische Liebesbegriff als Prinzip des politischen Handelns im liberal-demokratischen Rechtsstaat (Paderborner Theologische Studien 61).
Sankt Ottilien: EOS 2023. 549 S. Kt. 50,40.
Während das Thema „Liebe“ in seinen vielfältigen Ausprägungen und Gestalten die Kunst, Literatur und Musik dominiert und in religiösen und ethischen Konzepten anzutreffen ist, so spielt sie auf einer anderen zentralen und wichtigen Ebene unseres Lebens kaum eine Rolle. Auf der Ebene des politischen Lebens und Diskurses geht es oft um Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Verantwortung, aber nicht um die Liebe. Der Autor hat es sich in seiner umfassenden Dissertationsschrift zur Aufgabe gemacht, das Konzept der Liebe von einem der größten Denker des Christentums, Augustinus von Hippo, im Zusammenhang mit einem der einflussreichsten Konzepte der Politikgeschichte, dem demokratischen Liberalismus, zu verbinden und ihre Beziehung zu beleuchten. Menke möchte für dieses Unterfangen als studierter Politologe, Anglist und Theologe dabei verschiedene Konzepte und ihre Begriffe vorstellen, analysieren und bewerten, die als augustinischer Liberalismus versuchen, den augustinischen Liebesbegriff als Leitkonzept in eine Form des Liberalismus zu integrieren. Ziel für ihn ist es, den augustinischen Liebesbegriff als Handlungsprinzip für politisches und moralisches Handeln darzustellen, das in einer liberalen Demokratie die Werte von Freiheit, Gleichheit und Gerechtigkeit verwirklicht.
Im ersten Kapitel, einer ausführlichen Klärung des augustinischen Liebesbegriffs, kann man erkennen, dass die caritas bei Augustinus ein Streben nach dem Guten und um des Guten selbst willen ist, das Gott, den Nächsten und auch sich selbst miteinschließt. Die Liebe beinhaltet sowohl eine kontemplative als auch eine aktive Seite. Daraufhin folgt im zweiten Kapitel die Klärung des Begriffs „Liberalismus“, dessen Wurzeln bereits in der antiken Stoa zu finden sind, aber der sich vor allem in den politischen Debatten ab dem 19. Jahrhundert bis in die heutige Zeit entfaltet. Schließlich folgt im dritten Kapitel eine Erklärung der Entstehung des augustinischen Liberalismus, die Auseinandersetzung mit den prägenden Denkern der Strömung beinhaltet. Abschließend bringt das vierte Kapitel die Verquickung der christlichen Welt des Glaubens (sacrum) und der öffentlichen Welt der Politik (saeculum) im augustinischen Liberalismus zum Ausdruck. Die Liebe ermöglicht innerlich, wie Augustinus betont, die Sakralität der Person, während sie äußerlich durch gelungene menschliche Beziehungen für Gerechtigkeit sorgt, was für den Liberalismus zentral ist. Somit weist die christliche liberalitas, die in der Gleichheit und Würde der Geschöpfe vor dem Schöpfer begründet ist, eine Verbindlichkeit und Solidarität auf, die im säkularen Humanismus nicht auf gleichwertige Weise ausgedrückt wurde.
Das fundiert recherchierte Werk mit seiner verständlichen Sprache und klaren Struktur ist auch gut für interessierte Laien lesbar. Hier kann man eine nachdrückliche Leseempfehlung aussprechen, die sich nicht nur an Fachleute richtet. Die Dissertation veranschaulicht eindrücklich, dass die Theologie einen gewichtigen Beitrag zur gegenwärtigen Politik zu leisten vermag. Mit einer gelungenen Inklusion des Liebesbegriffs in die Politik wird eine ganzheitliche Sicht auf den Menschen möglich, in dessen moralischem und sozialen Leben die Haltung gegenüber seinen Mitmenschen eine äußerst zentrale Rolle spielt. So kann eine Korrektur für sehr viele Probleme eines liberal-demokratischen Staates erreicht werden.
Julian Schuler