Rezensionen: Kunst & Kultur

Heiligenlegenden. Geschichten aus der Legenda aurea des Jacobus de Voragine. Ausgew., übers., kommentiert und mit einem Nachwort von Christian Lehnert. Bilder von Michael Triegel.
Berlin: Insel 2022. 152 S. Gb. 14,–.

Im Spätmittelalter war es das Erbauungsbuch der europäischen Christenheit, übersetzt in alle großen Sprachen: die Legenda Aurea des Dominikaners Jacobus de Voragine. Der Autor hatte überall die Legenden gesammelt, viele Quellen ausgewertet und ihre Geschichten treu nacherzählt. Oft enthalten sie fantastische Wunderberichte, auch Erzählungen von großer Entsagung und großem Heldentum. Bis heute prägen sie das Bild vieler Heiliger, auch das Brauchtum und die Ikonografie. Wer kennt nicht den hl. Martin, der seinen Mantel teilt, den hl. Christophorus, der das Christuskind über den Fluss trägt, die hl. Elisabeth, die Kranke pflegt, den hl. Nikolaus, der mit seinem Gold die Töchter eines Armen vor der Prostitution bewahrte, oder den hl. Hieronymus, in Kardinalsrot gewandet, mit der Bibel und dem Löwen.

Christian Lehnert, Dichter und Theologe, hat klug einige Legenden ausgewählt und sie sehr schön übersetzt – manche der Geschichten können in ihrer Naivität und ihrer Gläubigkeit zu Tränen rühren. Ergänzt ist der schön ausgestattete Insel-Band durch eindrückliche Bilder des Leipziger Malers Michael Triegel, die nicht illustrieren, sondern künstlerisch weiterführen und anregen – leider enthält der Band weder die Titel der Bilder noch irgendwelche Erklärungen.

Im Nachwort reflektiert Lehnert über die Heiligen: Die wenigsten sind kanonisiert, aber „‚heilig‘ wurden viele durch ihr Martyrium, alle durch den Einbruch der Transzendenz“. „Etwas … geschieht, und eine bisherige Lebenskonstruktion zerbricht, wird haltlos, zerfällt wie verkohltes Papier. Das neue aber gleicht einer Dauerkrise, besteht in einer radikalen Konzentration, einer äußerlichen Rückbildung, Schrumpfung hin auf das Wesentliche; in Askese zeigt sich ein noch unbekannter Wesenskern“ (143). Von Schmerz und Folter ist oft die Rede. Das Materielle, Zählbare zählt nicht. Identitäten verschwinden. Heilige sind fremdbestimmte Wesen. Ihr Gebet wird zum verzehrenden Brand – wer betet hier? Viele sind Einzelgänger, ziehen sich in die Einsamkeit zurück. Geraten sie in Ämter wie der hl. Martin, so bleiben diese ihnen fremd. „Dämonen“ plagen sie in verschiedenen Gestalten, auch im Inneren des Ichs wie etwa die Eitelkeit. Lehnert erwähnt am Ende alte Erlen: „Betrachte ich durch das Laub dieser vegetativen Meister die Heiligen …, dann zeigen sich bestimmte ihrer Eigenschaften besonders klar: Geschichtsentzogenheit, Selbstverlust, pflanzenhafte Demut“ (148). Die wichtigsten Punkte dieser Lebensgeschichten sind ihre Gottesbegegnung und ihr Tod als Abschied und Übergang. Viel haben wir zu lernen von den Heiligen.

                Stefan Kiechle SJ

Buiting, Hanna: Schreiben ist Gold. Eine Einladung zu Kreativität & Achtsamkeit.
Freiburg: Herder 2022. 160 S. Kt. 16,–.

„Die Neugier ist es, die mein Schreiben bestimmt. Ich will einfach wissen, was ist, was wird oder was sein könnte. Und ich lerne durchs Schreiben so viel. Über die Welt und was sie zusammenhält und schließlich über mich selbst darin.“. So fasst Hanna Buiting zusammen, wie sich das Leben schreibt. Schreiben verändert den Blick auf das Leben und das Leben verändert das Schreiben. Die Autorin richtet in einzelnen Kapiteln Worte an die Fragen, an die Freiheit, ans Leben, die Erinnerung und das Gegenüber – an G*tt – und zeichnet damit nach eigener Aussage Momentaufnahmen. In diesen Momentaufnahmen verwebt sie Leben und Schreiben aufs engste miteinander.

Warum eigentlich schreiben? Zwei wesentliche Motivationen stellt Buiting heraus: eine sehr persönliche, die mit der schreibenden Person zu tun hat, und eine politische Motivation – den Perspektivwechsel und das Weiten des eigenen Blickes und des Blickes anderer. Denn „Worte verändern nicht gleich die ganze Welt. Aber Sprache schafft Wirklichkeit. Geschichten zu erzählen, auch wenn sie weh tun, kann einen Unterschied machen“ (74). Und Möglichkeiten, die ihr dazu gegeben sind, nutzt die Autorin. Sie sagt, das Schreiben lasse sie „das Helle öfter sehen“ (64). Dabei geht es nicht darum, die dunklen Seiten auszublenden oder zu negieren. Es geht vielmehr um einen Beitrag dazu, dass die Dinge sich ändern mögen – und in diesem Sinne ist Schreiben immer auch politisch. In einer Demokratie zu leben und Pressefreiheit zu genießen bringt für Hanna Buiting die Verantwortung mit sich, die eigene Stimme zu nutzen. Dazu gehört auch, Ambivalenzen in dieser Welt in der „Gleichzeitigkeit des Seins“ ins Wort zu bringen: „Während irgendwo ein Mensch geboren wird, stirbt anderswo ein anderer. Während irgendwo um Frieden gebetet wird, wird anderswo ein Krieg erklärt. Während irgendwo jemand vor Hunger in Ohnmacht fällt, lässt anderswo jemand ein Steak zurückgehen, weil es nicht den richtigen Garpunkt hatte“ (73).

Sehr persönlich beschreibt die Autorin das Schreiben als Möglichkeit des Kontakts und der Beziehung zu sich selbst, die sie seit ihrer Kindheit begleitet: „Das Schreiben bringt mich auf die Spur zurück zu mir, wenn ich mir wieder mal selbst verloren gegangen bin.“ Ihr geht es auch darum, Worte gegen Glaubenssätze zu finden, die uns unseren eigenen Wert infrage stellen lassen. Es geht auch um die Haltung, dass alles schon da ist und es beim Schreiben manchmal darauf ankommt, freizulegen, was schon da aber noch verborgen ist.

In diesem Sinne sind Schreibende Suchende, die „Lebensgeschichtenräume“ teilen, die sich im Schreiben verbinden: „Zusammen finden sie sich auf Zeit“ (52).

Nicht zuletzt hinterfragt Hanna Buiting scheinbar selbstverständliche Formulierungen wie die christliche Rede vom Himmelreich: „Was verstehen wir als Himmelreich?“ (147). Die Autorin möchte die Exklusivität solcher Formulierungen aufbrechen und sie mit heute verständlichen Bildern füllen. Buiting nimmt ihre Leser*innen mit auf eine Reise in die Welt des Schreibens und zeigt ihnen, wie das Schreiben Welten verändern und gestalten kann.

                Farina Dierker

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