Kontaminierte Werke

Marko Rupnik SJ, slowenischer Jesuit und weltbekannter Mosaikkünstler (*1954), wurde des vielfachen geistlichen und sexuellen Missbrauchs und darüber hinaus der sogenannten absolutio complicis überführt, das heißt, er hat von ihm missbrauchte Ordensfrauen (missbräuchlich) sakramental losgesprochen von ihren mit ihm begangenen (vermeintlichen) sexuellen Verfehlungen. Nachdem all diese Missbräuche lange bekannt, aber viel zu wenig geahndet worden waren – auch die Ordensleitung der Jesuiten hat nicht gut reagiert –, wurde Rupnik kürzlich, nachdem die Verfehlungen öffentlich geworden waren, bestraft: Er darf nicht mehr als Künstler und Priester wirken und wurde aus dem Orden entlassen. Rupnik ist in Deutschland viel weniger populär ist als in anderen Ländern. Die Frage stellt sich freilich weltweit: Was wird aus seinen Kunstwerken, die einige prominente Kirchen schmücken – etwa in Fátima, in Manresa (in der berühmten Höhle des Ignatius), im Vatikan (gleich neben der Sixtina), im Jesuitengeneralat in Rom? Auch das Logo des „Jahres der Barmherzigkeit“ 2015/16 gestaltete Rupnik – was wird daraus? Können Katholiken weiterhin Eucharistie vor seinen monumentalen Altären feiern? Oder sind diese zu verhüllen, gar zu entsorgen? Seine in der Kathedrale von Aparecida laufenden Mosaik-Arbeiten wurden gerade gestoppt.

Winfried Pilz (1940-2019) war Priester und Dichter beliebter geistlicher Songs wie „Laudato si, o mi Signore“ oder „Du bist das Brot, das den Hunger stillt“: Muss man die Lieder dieses Missbrauchstäters aus dem Repertoire entfernen? Oder genügt es, wie einige vorschlagen, den Melodien neue Texte zu geben?

Marie-Dominique Philippe OP, französischer Dominikaner (1912-2006), war die charismatische Gründergestalt der geistlichen Gemeinschaft „Saint Jean“. Schon früh für sexuellen Missbrauch verurteilt, hielt er sich nie an Auflagen, die sein priesterliches Wirken einschränken sollten, sondern führte den Missbrauch jahrzehntelang weiter. Er rechtfertigte diesen religiös – der sexuelle Verkehr der Novizinnen mit ihm sei für sie eine Art Christusbegegnung. Seine Führung der Gemeinschaft war in mehrfacher Hinsicht toxisch, aber seine charismatische Ausstrahlung führte junge Menschen weiterhin dazu, „wegen ihm“ in die Gemeinschaft einzutreten. Was soll aus den betroffenen Gemeinschaften werden? Saint Jean ist nur ein Beispiel von einer erklecklichen Anzahl weltweit.

Begabte religiöse Künstler und charismatische Gemeinschafts-Gründer, die Jugendliche oder Erwachsene missbrauchten: Sicher sind das verschiedene Problematiken, aber bei allen stellt sich die Frage, was – nach Aufdeckung der Verbrechen und nach Bestrafung der Verbrecher und vielleicht auch der Vertuscher – aus ihren weiterhin vorhandenen und oft geschätzten Werken wird.

Vielfach erscheinen die Werke selbst kontaminiert: Rupniks Mosaiken sind neobyzantinisch im Stil, stark figürlich, sicherlich leicht zugänglich und populär, eher Kunstgewerbe als Kunst, die Figuren mit großen dunklen Augen, die den Betrachter doch einnehmen, ja vereinnahmen, besetzen. Mir erschienen diese Mosaiken – lange bevor ich vom Missbrauch wusste – irgendwie zu dick aufgetragen, zu mächtig, übergriffig. Oder die erwähnten geistlichen Gemeinschaften: In ihren Strukturen und in ihren Spiritualitäten wirkt doch einiges nicht nur intransparent und jeder Kontrolle entzogen, sondern auch in sich autoritär, totalitär, personenkultisch, religiös überzüchtet, ebenfalls übergriffig.

Würde all das bedeuten, dass man diese Kunstwerke entsorgen und die religiösen Gemeinschaften schließen müsste? Behielte man sie, könnten nicht nur vom Missbrauch Betroffene retraumatisiert werden, sondern es bliebe auch Misstrauen und Verstörung bei jenen, die, wenn sie den Werken begegnen, ihre inneren Bilder des Missbrauchs nicht mehr loswerden.

Das Gegenargument sagt freilich, Künstler und Werk seien zu trennen: Wie alle Menschen „haben auch Künstler Schwächen“; Künstler seien, wo sie andere schädigen, anzuprangern und zu bestrafen, aber das oft großartige Werk habe einen bleibenden Wert, unabhängig vom sündigen Urheber. Das Werk habe gleichsam in sich ein Lebens- und Wirkrecht; man darf es weiter schätzen und genießen und sich von ihm inspirieren lassen. Wer hat nun Recht: Sind missbrauchende Künstler und Gründer zu stigmatisieren und ihre kontaminierten Werke zu eliminieren – oder nicht?

Die Diskussion beginnt gerade erst, und für grundsätzliche Entscheidungen mag es zu früh sein. Vielleicht sind solche gar nicht möglich und auch nicht nötig. Vermutlich muss man in den meisten Fällen individuell abwägen: Wo im Werk selbst Toxisches wahrnehmbar ist und dieses bleibend Menschen verstört, sollte man das Werk aus der Welt bringen und bessere Werke schaffen – m.E. gilt dies für Rupniks Mosaiken und auch für manche geistliche Gemeinschaft. Wo das nicht der Fall ist, wird man die Werke – in Aufklärung der Umstände des Entstehens und mit klarer Distanzierung vom Autor – weiter pflegen und würdigen können. Keine leichte Unterscheidung der Geister.

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