Eros und Religion bei John Donne

Michael Mertes, Jurist und literarischer Übersetzer, erweckt die Lyrik von John Donne (1572-1631) zum Leben. In Deutschland von vielen vergessen, war der englische Dichter bedeutend für die Entwicklung der Literatur in Europa, ein „großer Damen- und Theaterbesucher“, aber auch ein herausragender Theologe.

Eros und Religion bei John Donne John Donne (1572–1631) gilt als einer der größten Lyriker englischer Sprache. Ruhm erwarb er sich durch frühe erotische Dichtungen im Geiste Ovids, seine Liebeslyrik, die zwischen neoplatonischer Metaphysik und wirklichkeitsnaher Leibfreundlichkeit oszilliert, philosophierende Versbriefe an einflussreiche Gönnerinnen und Gönner, geistliche Sonette und Gesänge und nicht zuletzt sein Prosawerk „Devotions upon Emergent Occasions“ (Geistliche Betrachtungen angesichts jäher Widerfahrnisse), aus dem bis heute der Satz „No man is an island“ (Kein Mensch ist eine Insel) und der Halbsatz „for whom the bell tolls“ (wem die Stunde schlägt) zitiert werden – meist ohne Kenntnis der Quelle. 

Im deutschsprachigen Mitteleuropa des späten 16. und frühen 17. Jahrhunderts gibt es keinen Dichter, der Donne auch nur annähernd gleichkäme. Über seine Lyrik schrieb er in einem Versbrief von 1592 an Samuel Brooke: „Ich singe nicht sirenengleich, um zu verlocken, denn ich / bin rau“.1 Donnes Zeitgenossen bewunderten den Reichtum und die Kühnheit seiner Bildsprache, in der die brandheißen Diskurse von Seefahrern und Kartographen, Ärzten und Astronomen, radikalen und gemäßigten Reformatoren, Staatsrechtlern und Kirchenjuristen, Fernhändlern und Theaterleuten poetisch verarbeitet werden.
Spätere Generationen englischsprachiger Literaten und Literaturkritiker bevorzugten einen harmonischen Stil. Sie stießen sich an Donnes ausufernder Metaphorik und seinen scheinbar ungezügelten Rhythmen. Im 20. Jahrhundert wurde er wiederentdeckt. Drei Literaturnobelpreisträger – T. S. Eliot (1888–1965), Joseph Brodsky (1940-1996) und jüngst Bob Dylan – priesen ihn als Erneuerer und prägende Gestalt europäischer Dichtung. Brodsky bezeichnete Donne als „eine der größten Gestalten der Weltliteratur“ und sich selbst als dessen „Schüler“.

2 Auch Paul Celan bewunderte Donne, wie nicht zuletzt aus seiner Korrespondenz mit Ingeborg Bachmann hervorgeht.3
Trotz solcher Fürsprecher steht Donnes Lyrik – ganz zu Unrecht – weiterhin im abschreckenden Ruf, inhaltlich verkopft und formal oft bizarr zu sein. Doch das Gegenteil ist richtig: Seine Gedichte räumen auf mit der konventionellen Trennung von Denken und Fühlen, Intellekt und Emotion. So lässt er „in möglichst pointierter Zuspitzung zwei möglichst weit auseinanderliegende Wirklichkeitsbereiche eine möglichst überraschende, metaphorische Verbindung“ eingehen.4 Und zu Donnes Qualitäten als Metriker stellte schon Samuel Taylor Coleridge (1772–1834) fest: „Um Dryden, Pope etc. zu lesen, braucht man nur Silben zu zählen; doch um Donne Michael Mertes 202 zu lesen, muss man Zeit messen – und die Zeit eines jeden Wortes durch das Maß der Leidenschaft ermitteln.“5

Donnes Weg vom römischen Katholizismus zum anglikanischen Protestantismus

Nicht nur als Dichter, sondern auch als eine bedeutende Gestalt des englischen Reformationszeitalters verdient John Donne, dessen Andenken die Church of England und die Evangelical Lutheran Church in America am 31. März begehen, größere Aufmerksamkeit. Sein Lebensweg führt ihn aus dem Schoß einer Familie römischkatholischer Dissidenten in das Amt des anglikanischen Dekans von St. Paul’s Cathedral; dort macht er sich einen Namen als einer der größten Prediger seiner Zeit. In einem Brief vom April 1619 an Sir Robert Ker unterscheidet er im Rückblick auf seinen bisherigen Lebensweg zwischen dem Jurastudenten und Libertin „Jack Donne“, den ehemalige Kommilitonen als „großen Damen- und Theaterbesucher“ beschreiben, und dem Theologen „Dr. Donne“, der als 43-Jähriger 1615 zum Priester geweiht wird und dessen Ehefrau Ann 1617 im Alter von etwa 33 Jahren nach der Geburt des 12. Kindes stirbt.
„Zeitlebens habe ich mich aufmerksam mit dem Martyrium beschäftigen müssen“, so schreibt er 1610, „denn ich entstamme einer Sippe, die, glaube ich, mehr als jede andere Familie ... Menschen- und Vermögensverluste ertragen und erlitten hat, weil sie auf die Lehrer der römischen Doktrin hörte.“ Dieser Satz steht in der Vorrede an die Leser von Donnes polemischem Traktat „Pseudo-Martyr“, der gegen den Papst, andere römisch-katholische Autoritäten und ganz besonders gegen die Jesuiten das Recht König Jakobs I. verteidigt, von seinen Untertanen einen Treueeid (Oath of Allegiance) zu verlangen.
Seit der Zeit Heinrichs VIII. hatten sich die Mitglieder von Donnes Familie standhaft geweigert, dem „Papismus“ abzuschwören; manche von ihnen zahlten für ihre Resistenz mit dem Leben. Thomas Morus war ein Urgroßonkel Donnes mütterlicherseits; er wurde 1535 enthauptet, weil er sich geweigert hatte, den Suprematseid zu leisten. Donnes Großonkel (ebenfalls mütterlicherseits) Thomas Heywood, ein katholischer Priester, starb 1574 den Märtyrertod, weil er widerrechtlich die Eucharistie gefeiert hatte. Die beiden Onkel Ellis und Jasper Heywood gehörten dem Jesuitenorden an; sie mussten ins Exil gehen. Und Donnes jüngerer Bruder Henry starb 1593 im Gefängnis von Newgate; dort saß er ein, weil er verbotenerweise einen katholischen Priester bei sich versteckt hatte.
Im Lauf der 1590er-Jahre wandte sich Donne vom römischen Katholizismus seiner Familie ab und dem Protestantismus der Church of England zu. Für diese Entwicklung bieten sich mehrere Erklärungen an, die einander nicht ausschließen, sondern zu einem komplexen Tableau ergänzen: Furcht vor Verfolgung, Wunsch nach Ablösung vom Elternhaus, Karrierestreben. Ohne konfessionellen Seitenwechsel hätte der junge Jurist Donne in der Tat keinerlei Aussicht auf eine Anstellung im Staatsdienst gehabt. Doch wie wichtig oder nebensächlich die einzelnen Beweggründe auch gewesen sein mögen – zur Vollständigkeit des Bildes gehört auf jeden Fall Donnes inneres Ringen um den richtigen Weg.
Das wohl bedeutendste Zeugnis dieser intellektuellen und emotionalen Anstrengung ist seine III. Satire. (Die Bezeichnung „Satire“ ist nicht im heute üblichen Sinne zu verstehen, sondern im Sinne der zeit- und gesellschaftskritischen Dichtungen von Horaz, Juvenal und Persius.) Im Zentrum dieses Gedichts steht der Gedanke, dass es keine Autorität gibt, die einem Menschen das eigene Bemühen um „wahre Religion“ abnehmen kann. Nicht einmal der König (oder die Königin) hat das Recht, ihm dabei Vorschriften zu machen – das wäre Machtmissbrauch. Ebenso wenig dürfen die Traditionen der eigenen Familie, repräsentiert durch „deines Vaters Geist“ (thy father’s spirit), für den Suchenden maßgebend sein. Moralisch akzeptable Auswege gibt es nicht – Opportunismus und Indifferentismus sind eine Flucht vor der religiösen Eigenverantwortung.
Theologisch begründet Donne diesen Gedanken mit der protestantischen Überzeugung von der unmittelbaren, also keiner Zwischeninstanzen bedürftigen Beziehung zwischen dem Einzelnen und Gott. Daher lautet das Fazit der III. Satire: „So scheitern Seeln, die falscher Macht vertraun, / die nicht von Gott kommt, statt auf Gott zu baun.“ Philosophisch argumentiert Donne im Geiste Michel de Montaignes, dessen „Essais“ zu seiner Lektüre gehörten, mit dem Recht auf Zweifel, ja dem Nutzen des Zweifels: „Zweifle klug! Denn keiner, / der nach dem rechten Pfad strebt, ist ein Streuner: / Der Träge ist’s!“
Obwohl seit Ende der 1590er Jahre anglikanischer Konfession, hielt Donne zeitlebens das Andenken seines „papistischen“ Vaters in Ehren und blieb seiner resolut „papistischen“ Mutter – trotz zeitweiliger Entfremdung – bis zuletzt verbunden. Papsttum, Heiligen- und Reliquienverehrung, Wundergeschichten und Gehorsam gegenüber Ordensoberen (nicht nur bei den Jesuiten) lehnte er entschieden ab. Dennoch schaut in einem seiner geistlichen Sonette die Seele des Vaters vom Himmel aus liebevoll dem irdischen Treiben des Sohnes John zu: „Stehn gläubige Seelen gleich an Herrlichkeit / den Engeln, sieht mein seliger Vater an / (was volle Seligkeit noch steigern kann!), / wie ich den Höllenschlund kühn überschreit …“. Römisch-katholische Traditionen verwarf Donne nicht in Bausch und Bogen. Er teilte nicht die antischolastischen Affekte der Reformatoren; die Philosophie Thomas von Aquins schätzte er sehr.6 Es sprechen viele Argumente für die Annahme, dass ein Teil seiner geistlichen Lyrik dem dreigliedrigen Muster einer ignatianischen Meditation (compositio – analysis – colloquium) folgt.7
In der Polemik gegen den Genfer Calvinismus wird sichtbar, dass Donne keine Sympathien für einen rigorosen Protestantismus hegt. Seine Abgrenzung vom „papistischen“ wie vom „puritanischen“ Extrem entspricht dem Gedanken der anglikanischen via media. Um es mit einem hinkenden Vergleich auszudrücken: Im religiMichael Mertes 204 ösen Spektrum lehnt Donne die radikale „Rechte“, verkörpert durch die Jesuiten, ebenso ab wie die radikale „Linke“, auf der die Puritaner stehen.8 „Es sieht fast so aus, als probiere das lyrische Ich der ‚Holy Sonnets‘ verschiedene Konzepte von Gnade durch, um schließlich zu einer theologisch moderaten Position zu gelangen.“9 Die geistlichen Sonette zeigen freilich auch, dass Donne die unerbittliche Prädestinations- und Erwählungslehre Calvins nicht einfach abtut: Sie beunruhigt ihn zutiefst.
Theologisch steht Donne den „Arminianern“ nahe,10 die Calvins Lehren dahin modifizieren, dass Gott alle Menschen – nicht nur eine kleine Schar von Erwählten – erlösen will, jeder Mensch aber die Freiheit hat, diesen Willen Gottes zurückzuweisen; Letzteres ist eine Absage an die calvinistische Doktrin von der „unwiderstehlichen“ Gnade. Gegen Ende seines Lebens distanziert Donne sich sogar ausdrücklich vom protestantischen sola fide, indem er es als Gegenpol zur Extremposition des solis operibus beschreibt: „[Unsere] Nullifidians (d.h. Menschen, für die es allein auf die guten Werke und überhaupt nicht auf den Glauben ankommt) wie auch unsere Solifidians (d.h. Menschen, für die es allein auf den Glauben und überhaupt nicht auf die Werke ankommt) liegen beide falsch.“11 In der III. Satire stellt Donne die reformatorische Gnadenlehre geradezu auf den Kopf: Während diese lehrt, Christi Gerechtigkeit werde dem Menschen aufgrund seines Glaubens angerechnet, erwägt Donne, dass einem Heiden der Glaube aufgrund seiner Gerechtigkeit angerechnet werden könne.12
Anders als die Puritaner lehnt Donne hierarchischen Aufbau und liturgischen Aufwand der Church of England nicht ab und vertritt auch in dieser Hinsicht Positionen, die nach seiner Zeit als „high church“ bezeichnet werden. Als Dekan von St. Paul’s verteidigt er Jakob I. gegen puritanische Kritik, der König begünstige innenpolitisch einen Rückfall in pompöse kirchliche Rituale und betreibe außenpolitisch Appeasement gegenüber dem katholischen Spanien (zu Lasten der protestantischen Brüder und Schwestern in Böhmen).
Seine „Hymn to Christ, at the Author’s last going into Germany” (Ein Gesang an Christus, als der Autor jüngst nach Deutschland reiste) erinnert daran, dass Donne von Mai 1619 bis Januar 1620 als Delegationsgeistlicher (chaplain) an der diplomatischen Mission von James Hay, Viscount [Adelstitel, etwa zwischen Graf und Baron (Anm. d. Red.)] Doncaster, nach Deutschland teilnahm und so die explosive Verschränkung machtpolitischer und konfessioneller Gegensätze in Mitteleuropa zu Beginn des Dreißigjährigen Krieges aus allernächster Nähe beobachten konnte. Doncaster unternahm die Reise im Auftrag Jakobs I., um zwischen dem Kurfürsten Friedrich V. von der Pfalz und Erzherzog Ferdinand von Habsburg (ab August 1619 Kaiser Ferdinand II.) im Streit um die böhmische Königswürde und die Kaiserwahl zu vermitteln. Englands Interesse ergab sich daraus, dass Jakob I. auf keinen Fall in den – verkürzt gesagt – protestantisch-katholischen Streit um Böhmen und damit erneut in einen Konflikt mit Spanien hineingezogen werden wollte; Friedrich von der Pfalz war mit Elizabeth Stuart, der einzigen Tochter Jakobs I., verheiratet.

Sakralisierung des Erotischen – Erotisierung des Sakralen

Aus den religionspolitischen und theologischen Kontroversen seiner Zeit schöpft Donne auf höchst originelle Weise Metaphern für seine erotischen Dichtungen und seine Liebeslyrik. Ein paar Beispiele mögen genügen: In der I. Elegie wird der gehörnte Ehemann von der treulosen jungen Ehefrau und ihrem Liebhaber so verhöhnt, wie „man in Deutschland schmäht des Papstes Pracht“. Einige Male verwendet Donne das Apostasie-Motiv, um die Drohung eines Partners, die Liebesbeziehung zu beenden, zu verbildlichen. So heißt es am Ende der VI. Elegie:

„[Ich] werd es wagen,
wie Gegner Roms mich von Dir loszusagen.
Dann hass ich mehr als Du, und auf Dein Spiel
lass ich mich nie mehr ein. Ich bleibe kühl,
ein Apostat, werd nicht rekonvertieren –
und lass mich gerne exkommunizieren!“

Das Gedicht „The Relic“ bettet die Liebeserklärung des Sprechers in eine spöttische Erzählung über Reliquienkult und Aberglauben ein. So bereitet er die Pointe vor:

„Das warn schon Wunder – aber nun, o weh,
versagen Maß und Sprache, wenn ich seh:
Kein größres Wunder als sie selbst gab’s je!“

In der XIX. Elegie benutzt Donne mit Ovid’scher Respektlosigkeit das todernste Sola-gratia-Thema, um die Bereitschaft einer Frau, sich vor dem Liebhaber zu entkleiden, als gleichsam göttlichen Gnadenakt zu preisen. Radikal überboten werden solche poetischen Rückgriffe auf theologische Konzepte durch eine „Heiligung des Fleisches“, durch eine ans Blasphemische grenzende „Sakralisierung des Erotischen“. Das wohl berühmteste und bedeutendste Beispiel für Donnes Angriff auf die „neuplatonische Spiritualisierung der Liebe“ ist sein Gedicht „The Canonization“ (Die Heiligsprechung): „War in der petrarkistischen Tradition allein die Sublimation der Liebe ins Geistige religiös überhöht worden, so wird nun … die Liebe auch als körperlich-sexuelle Erfahrung geheiligt.“ Das provozierend Neue an dieser „Liebeskonzeption, in der auch das körperliche Begehren, die Sexualität, als heiliges Mysterium erscheint“, liegt vor allem darin, dass die Sakralisierung der physischen Liebe nicht mehr auf den sakramentalen Charakter der Ehe zurückgeführt wird.13
Aus entgegengesetzter Richtung grenzen einige von Donnes geistlichen Gedichten ebenfalls ans Blasphemische – dort nämlich, wo er für das Verlangen nach dem Heiligen Bilder sexuellen Begehrens, ja sexueller Gewalt benutzt. Mehrere „Holy Sonnets“ übertragen den monologisierenden Werbungs- und Verführungsdiskurs der Liebesgedichte auf die Beziehung des Sprechers zu Gott. Wie eine spröde Geliebte weigert sich der Adressat, dem bangen Ich eine unzweideutige, aus der Angst erlösende Antwort zu geben. Das Sonett „What if this present“ beginnt mit einer Meditation über ein Bild des Gekreuzigten. In der Seele des Betrachters kann es sowohl Schrecken hervorrufen als auch das Erlebnis von Schönheit. Jetzt erinnert sich der Betrachter an seine wilde Studienzeit, als er schöne Frauen mit dem Argument „Nur hässliche Frauen sind spröde“ herumzukriegen versuchte. Um von Christus Erlösungsgewissheit zu erlangen, sakralisiert er dieses Argument: „Da du mir einen so schönen Anblick bietest, kann ich mir deiner Gnade doch sicher sein, nicht wahr?“
Im Sonett „Show me, dear Christ“ bezeichnet Donne – durchaus konventionell – die Kirche als „Christi Braut“, um dann mit der Schlussfolgerung zu überraschen, diese Braut sei Christus vor allem dadurch treu und wohlgefällig, dass sie sich den meisten Männern hingebe. Dahinter steht die Frage, wie eine Nationalkirche mit königlichem Oberhaupt dem universellen, auf die ganze Menschheit bezogenen Anspruch des Christentums gerecht werden kann. Donnes Antwort: Keine partikulare Kirche – sei sie nun in Rom, Wittenberg, Genf oder sonstwo zu Hause – darf sich anmaßen, als allein seligmachend zu gelten. Die universale Kirche steht „most men“ offen. Im Sonett „Batter my heart“ (Maik Hamburger verdeutscht das unübertrefflich: „Schmetter mein Herz“14) steigert Donne das in der mystischen Literatur, zum Beispiel bei seinem spanischen Zeitgenossen Johannes vom Kreuz, gebräuchliche Bild der liebenden Vereinigung von Seele und Gott zum Bild der Vergewaltigung der Seele durch Gott. Das Schlusscouplet („Frei bin ich nur, wenn Du mir Ketten sendest – / und Reinheit hab ich nur, wenn Du mich schändest.“) ist als Illustration der Calvin’schen Lehre von der „unwiderstehlichen Gnade“ interpretiert worden – eine Illustration, die wegen ihrer extremen Brutalität als implizite Kritik am Gottesbild des Genfer Reformators interpretiert werden könnte.15

Donnes Polemik gegen die Jesuiten

Donnes Abneigung gegen die Jesuiten – also den Orden, dem seine Onkel Ellis und Jasper Heywood angehörten – ist schon früh erkennbar. In seinem Liebesgedicht „The Will“ (Mein letzter Wille) vermacht er verschiedenen Gruppen das, was ihnen jeweils ganz besonders fehlt: „Mein Glaube geht in Katholikenhand; / die guten Werke erbt der Protestant / aus Amsterdam“. Die Jesuiten sollen seine treuherzige Ehrlichkeit bekommen. Mit anderen Worten: Sie sind hinterhältige Schwindler.
Im Zentrum von Donnes Polemik gegen die Jesuiten steht der Vorwurf, sie trieben die englischen Katholiken in ein „Pseudo-Martyrium“. Römisch-katholische Engländer, so sein Argument, können ihrem König Loyalität geloben, ohne – wie es die Jesuiten behaupten – durch ebendiesen Akt ihrem Glauben abzuschwören. Wenn sie sich weigern und dadurch die Hinrichtung wegen Hochverrats riskieren, winkt ihnen nicht die Märtyrerkrone – sie begehen Suizid. Ergo ist der Kampf der Jesuiten gegen den Treueeid, für den das englische Parlament nach dem „Gunpowder Plot“ von 1605 die gesetzliche Grundlage gelegt hatte, in Wahrheit Anstiftung zum Selbstmord.
Das Thema „Suizid“ hatte Donne schon seit Längerem beschäftigt. Sein Essay „Biathanatos“ (1608, posthum veröffentlicht 1646) diskutiert die Voraussetzungen, unter denen Selbsttötung keine Sünde ist. In der Einleitung teilt Donne mit, er empfinde „oft eine krankhafte Neigung“ zum Suizid; das könne unter anderem daran liegen, dass er seine „ersten Prägungen und Gespräche im Kreis von Angehörigen einer unterdrückten und drangsalierten Religion“ gehabt habe – von Menschen, „die an Todesverachtung gewöhnt waren, an Hunger nach einem erträumten Martyrium“.
Es folgt „Pseudo-Martyr“ (1610 veröffentlicht), eine umfangreiche rechtshistorisch- staatstheoretische Analyse des Verhältnisses zwischen weltlicher und geistlicher Macht, wie sie durch den englischen König auf der einen und den Papst auf der anderen Seite verkörpert wird. König Jakob I. hatte sich mit eigenen Publikationen in der Debatte über den „Oath of Allegiance“ zu Wort gemeldet und war in Entgegnungen von Kardinal Robert Bellarmin SJ scharf attackiert worden. Schützenhilfe von originellen Köpfen und brillanten Polemikern war da sehr willkommen. Donne leistete sie mit „Pseudo-Martyr“.
Anthony Raspa, Herausgeber und Kommentator dieses Werks,16 vermutet mit überzeugender Begründung, Donne habe für das Verhältnis zwischen Rom und England eine Art „gallikanische“ Lösung (im Sinne des 1516 zwischen Papst Leo X. und dem französischen König Franz I. geschlossenen Konkordats von Bologna) vorgeschwebt. Diese Ideen habe er jedoch nicht publiziert, weil sie inopportun gewesen seien.17 In der Tat war die englische Entwicklung längst über einen solchen Kompromiss hinweggegangen.
Donnes satirische Polemik „Ignatius His Conclave“ (1611 veröffentlicht) nimmt den subversiven Kampf der Jesuiten für den Vorrang päpstlicher vor königlicher Autorität ins Visier. Er greift die Jesuiten nicht als Reaktionäre an, sondern als revolutionäre Propagatoren des Königsmords. So, wie Donne theologisch der anglikanischen „via media“ folgt, vertritt er politisch eine von Grund auf konservative Position. Dagegen ist sein Ignatius ein „innovator“ – ein Umstürzler, der die natürliche, von Gott geschaffene Ordnung, zu der auch die Monarchie gehört, beseitigen will.
„Ignatius His Conclave“ führt uns in den innersten Kreis der Hölle, wo Luzifer dem Gründer des Jesuitenordens die Aufnahmeprüfung für eine heterogene Reihe von „innovators“ überlässt: Nikolaus Kopernikus, Paracelsus, Machiavelli, Pietro Aretino, Christoph Kolumbus, Philipp Neri. Natürlich kann keiner der Probanden Ignatius das Wasser reichen – nur der Schurke Machiavelli ist ihm fast ebenbürtig. Am Ende fürchtet Luzifer, Ignatius könne ihn vom Thron stoßen. Deshalb schickt er ihn auf den Mond, der dank Galileo Galileis Fernrohr der Erde näher gerückt ist. Dort sollen die Jesuiten die „Lunatic Church“ (doppelsinnig: Mondkirche oder Wahnsinns-Kirche) und die „Roman Church“ zusammenführen und zugleich eine Mondhölle entstehen lassen.
Timothy S. Healy SJ schreibt im Vorwort zu der von ihm besorgten lateinischenglischen Ausgabe von „Ignatius His Conclave“, sogar die eifrigsten Donne-Leser hätten keine Lust, sich ausgiebig mit Donnes polemischer Prosa zu beschäftigen.

Diese Texte könnten „von ernsthaftem Interesse nur in ihrer Beziehung zu Donnes Lyrik und seinen Predigten sein. Es gibt indes eine grundlegende Verbindung zwischen Werken wie ‚Ignatius His Conclave‘ und Donnes bedeutenderen Lyrik- und Prosa-Werken. Das erste gemeinsame Element, das einem auffällt, ist ihre halsbrecherische Gedankenakrobatik. Von der ersten Zeile an sollen wir alle Erwartungen an Erzählfluss und sogar logische Stringenz aufgeben; wir werden in den Strudel eines wilden Universums mit unwahrscheinlichen Leuten und noch unwahrscheinlicherer Rhetorik hineingezogen.“18

John Donne selbst hat dieses Prinzip seiner Poetik in der IV. Meditation der „Devotions upon Emergent Occasions“ so zusammengefasst:

Unsere Geschöpfe sind unsere Gedanken: Geschöpfe, die als Riesen geboren werden; die von Ost nach West reichen, von der Erde zum Himmel; die sich nicht bloß über alles Meer und Land erstrecken, sondern Sonne und Firmament insgesamt umspannen. Meine Gedanken erreichen alles, erfassen alles. Unerklärliches Geheimnis: Ich, ihr Schöpfer, bin in einem verschlossenen Gefängnis, auf einem Krankenlager, irgendwo sonst, und jedes einzelne meiner Geschöpfe, jeder Gedanke von mir, ist bei der Sonne und jenseits der Sonne, holt die Sonne ein und übersteigt die Sonne – in einem Moment, in einem Schritt, überall.“

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