Den Menschen verbessern?Enhancement aus theologisch-ethischer Sicht

Versuche, die Leistungsfähigkeit des Menschen zu verbessern, haben derzeit Konjunktur. Stephan Ernst, Professor für Moraltheologie an der Universität Würzburg, unternimmt eine Analyse und theologisch-ethische Bewertung der Optimierungsversuche im Bereich von Anti-Aging, Doping und Neuro-Enhancement.

Der Wunsch des Menschen, sich selbst und seine ihm von der Natur gegebenen Fähigkeiten zu entfalten und zu verbessern, ist vermutlich so alt wie der Mensch selbst. Für Arnold Gehlen hat er in der Grundverfassung des Menschen seine Wurzel. Als biologisches "Mängelwesen" sei der Mensch dabei auf Technik angewiesen. Nur so könne er sich der Natur gegenüber behaupten1. Technik sichere gegen die unberechenbaren und ängstigenden Gewalten der Natur, sie entlaste von harter Arbeit, sie schaffe Wohlstand und Bequemlichkeit. Mit Hilfe der Technik lassen sich enorme Effektivitätssteigerungen erzielen, die es dem Menschen erlauben, seine Kräfte zu anderem, selbstbestimmtem und selbstverwirklichendem Tun einzusetzen, etwa zu Aktivitäten der Kunst, des Spiels oder der Philosophie.

Es wundert daher nicht, dass die fortschreitende und vor allem seit dem 19. Jahrhundert sich beschleunigende Technisierung der menschlichen Lebenswelt einen Fortschrittsoptimismus hervorgebracht hat, in dem man sich von der Technik eine unaufhörliche Verbesserung der Lebensbedingungen und die Verwirklichung des größten Glücks der größten Zahl versprach. Die Technik weckte immer höhere Erwartungen und ließ dabei die quasi religiöse Hoffnung wachsen, dass sie letztlich alles Leid und alle Not der Menschen bewältigen und beseitigen könne. Eine Moralisierung des technischen Fortschritts war die Folge, die sich im sogenannten technologischen Imperativ zusammenfassen lässt, wonach alles, was gemacht werden kann, auch gemacht werden soll2.

In der Gegenwart spielen ähnliche Vorstellungen in der Diskussion um das sogenannte "Enhancement" eine Rolle. Gemeint sind damit alle - therapeutisch nicht indizierten - Bemühungen, den Menschen selbst zu verbessern, das heißt seine gegebenen körperlichen, geistigen und emotionalen Fähigkeiten, sein Aussehen und seine Intelligenz, seinen Charakter und - als Vision - sogar seine Moralität durch medizinisch-technische, biotechnologische oder pharmakologische Eingriffe zu optimieren. Das Spektrum der Wege, auf denen dies geschehen soll, reicht dabei vom Anti-Aging durch die Verwendung hautstraffender Präparate oder schönheitschirurgischer Eingriffe bis hin zur Idee, Verbindungen von menschlichem Gehirn und digitalen Maschinen bzw. Cyborgs zu schaffen. Es umfasst Maßnahmen des Dopings im Sport, aber auch die Verbesserung des Erkenntnis-, Denk- und Konzentrationsvermögens durch Substanzen wie Donepezil oder Ritalin sowie die Verbesserung unseres Gefühlslebens durch Antidepressiva, durch Serotonin und Prozak sowie durch das "Kuschelhormon" Oxytocin. Und sie umfasst schließlich auch die Vorstellung, die menschlichen Fähigkeiten bereits durch Eingriffe in die Genstruktur der Keimbahnzellen zu optimieren, so dass damit nicht nur das jeweilige Individuum selbst, sondern zugleich all seine Nachfahren von dieser Behandlung profitieren würden.

In der ethischen Bewertung solcher Maßnahmen reicht das Spektrum von grundsätzlicher Ablehnung als unnatürlich über die skeptische Position von Jürgen Habermas3 und die eher befürwortende Position Peter Sloterdijks4 bis hin zu umfassenden Zukunftsvisionen des Trans- bzw. des Post- oder Metahumanismus5, in denen es um eine die biologische Evolution fortführende technisch bewerkstelligte Weiterentwicklung des Menschen über die Grenzen der eigenen Art hinaus geht.

Nicht nur angesichts solcher eher als science fiction anmutender Visionen, sondern auch im Hinblick auf faktisch bereits bestehende Möglichkeiten des Enhancements sollen im Folgenden aus theologisch-ethischer Sicht Überlegungen zur Frage nach möglichen Grenzen des Verantwortbaren und deren Begründung angestellt werden. In einem ersten Schritt sollen zunächst einige Argumente genannt werden, die sich für eine ethische Grenzziehung nicht als geeignet erweisen. Es folgen - in einem zweiten Schritt - grundsätzliche Überlegungen zu einem angemessenen Kriterium ethischer Bewertungen, auf dessen Grundlage dann - in einem dritten Schritt - Hinweise auf ethisch problematische Aspekte des Enhancements in verschiedenen Anwendungsfeldern gegeben werden. Dabei kann es sich nicht um mehr als um bloße "Hinweise" handeln, weil eine ausgearbeitete Durchführung der ethischen Bewertung nur in Zusammenarbeit mit den jeweiligen Experten in Medizin, Recht, Psychologie und Gesellschaftswissenschaft möglich ist. Der ethische Begründungsansatz kann jedoch deutlich werden. Eine kurze theologische Bemerkung zur Bedeutung des christlichen Glaubens für dieses Problemfeld soll den Gedankengang abschließen.

Unzureichende Argumente für eine Ablehnung

Gegen die tatsächlich unternommenen oder auch nur für die Zukunft geplanten Versuche, den Menschen auch ohne medizinische Indikation und ohne therapeutisches Ziel zu verbessern, ist zunächst eine Reihe von Einwänden denkbar, die sich jedoch bei näherer Betrachtung als problematisch und unhaltbar erweisen.

So könnte - gerade von Seiten einer theologischen Ethik - ein erstes Argument lauten, der Mensch sei doch, wie die Wirklichkeit der Welt im Ganzen, von Gott geschaffen und deshalb gut. So werde bereits in der ersten Schöpfungserzählung der Bibel davon gesprochen, dass Gott selbst nach jedem einzelnen Schöpfungstag sein Werk gutheißt. Zwar sei es richtig, dass das Schöpfungswerk des sechsten Tages, nämlich der Mensch, nicht ausdrücklich als gut bewertet wird. Dennoch werde abschließend die Schöpfung im Ganzen - und damit auch der Mensch - als "sehr gut" gepriesen. Ausgehend von einer solchen Deutung der Welt als Schöpfung Gottes, die sich in der Aussage der theologischen Tradition fortsetzt, alles Geschaffene sei als von Gott Geschaffenes gut, wird dann argumentiert, dass Versuche, den Menschen verbessern zu wollen, gegen die Schöpfungsordnung und damit gegen den Plan und gegen den Willen des Schöpfers verstoßen. Das Vorhaben, nicht nur Krankheiten und Gebrechen des Menschen zu heilen und zu lindern, im Übrigen aber die Endlichkeit und Unvollkommenheit anzunehmen, sondern darüber hinaus den Menschen auch verbessern und ihn sogar über sein ihm vorgegebenes Wesen hinaus weiterentwickeln zu wollen, zeige eine Unzufriedenheit mit dem Schöpfer und entspringe dem hybriden Wunsch, sich selbst als Schöpfer des Menschen zu verstehen und zu betätigen.

Gegen eine solche Position lässt sich jedoch zunächst geltend machen, dass - gerade auch biblisch gesehen - der Mensch als Ebenbild Gottes geschaffen ist und ihm damit die Verantwortung für die Gestaltung der Welt aufgegeben ist. Warum aber sollte es dann - und dies in grundsätzlicher Weise - unverantwortlich sein, dass der Mensch auch sich selbst durch künstliche bzw. technische Mittel weiterentwickelt? Der Sinn der Technik besteht doch generell darin, dass wir Menschen unsere begrenzten Fähigkeiten erweitern. Durch Mikroskope und Teleskope haben wir unsere Sehfähigkeit um ein Vielfaches gesteigert, durch Baumaschinen und Kräne unsere Körperkraft gewaltig erhöht, durch Computer unser Gedächtnis und unser Vermögen zur Verarbeitung von Informationen ins Unvorstellbare erweitert. All dies hat unbestreitbar zu einer umfassenden Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen geführt und ist bisher auch von christlicher Seite nie ernsthaft kritisiert worden. Kritisiert wurden lediglich - und dies zunächst vor allem von nichtchristlicher Seite - solche Ausprägungen der Technik, die sich gegen den Menschen selbst, gegen seine Umwelt und seinen Lebensraum zu kehren beginnen. Ob dies aber bei den Projekten des Enhancements ebenso der Fall ist, müsste erst noch aufgewiesen werden.

Ein zweites, ähnliches Argument gegen alle Bemühungen um eine Verbesserung des Menschen lautet, Enhancement sei unnatürlich. Der Mensch sei aufgrund der Evolution und ihren Selektionsmechanismen seiner Umwelt bereits optimal angepasst. Er müsse deshalb, ja er könne nicht einmal verbessert werden. So sei etwa die natürliche Sehfähigkeit des menschlichen Auges den Erfordernissen seiner Lebensvollzüge und seines Überlebens vollkommen angepasst. Das Vorhaben, die Schärfe des Auges auf das Maß eines Adlers zu steigern, mag deshalb zwar ein schöner Traum sein, tatsächlich aber sei es von vornherein für den Menschen nicht lebensdienlich, sondern hinderlich.

Auf dieses Argument lässt sich erwidern, dass technische Eingriffe - wie die Entwicklung der menschlichen Kultur überhaupt - stets unnatürlich sind. Aus der Tatsache aber, dass etwas unnatürlich ist, folgt noch nicht, dass es auch ethisch unerlaubt und unverantwortlich ist. Dies wäre ein naturalistischer Fehlschluss. Außerdem kann darauf verwiesen werden, dass beim Menschen zur biologischen Evolution auch eine kulturelle Evolution hinzukomme, deren rasanter Entwicklung und deren Anforderungen der Mensch aber noch nicht durch Selektion optimal angepasst sei. Genau dieser kulturellen Weiterentwicklung des Menschen aber könnte Enhancement dienen.

Ein dritter Einwand gegen die Visionen des Enhancements besteht darin, dass solche geplanten Verbesserungen des Menschen gegen die Menschenwürde verstoßen. Der Mensch werde damit nach bestimmten Idealvorstellungen einzelner Menschen gestaltet oder für die Zwecke anderer instrumentalisiert. Mit diesem Argument wird etwa das Projekt der Keimbahntherapie bzw. des Keimbahn-Enhancements abgelehnt. Insbesondere Jürgen Habermas6, aber auch Hans Jonas7 haben im Blick auf solche Vorhaben - und dies nicht nur im Blick auf medizinisch nicht-indizierte, "verbessernde" Maßnahmen, sondern auch im Blick auf solche Projekte, die ausdrücklich therapeutische Ziele verfolgen, also etwa eine vererbbare monogenetisch bedingte Krankheit in der "Wurzel" beseitigen sollen - geltend gemacht, dass durch derartige eugenische Eingriffe eine einseitig dominierende, nicht-reziproke Beziehung zwischen manipulierenden und manipulierten Personen geschaffen werde, von der sich der genetisch veränderte Heranwachsende - im Unterschied zu Auswirkungen der Nicht-Reziprozität im Erziehungsprozess - nicht emanzipieren könne. Habermas betont, dass die Realisierung der eigenen Freiheit und der eigenen Identität des Menschen wesentlich auch an seine naturalen Vorgaben und an seine "Naturwüchsigkeit" gebunden sei und von der Unverfügbarkeit des vorausgegangenen Naturschicksals abhänge8.

Abgesehen davon, dass sich auch bei eklatant schwerwiegenden Krankheiten fragen lässt, ob ihre Behebung auf genetischer Ebene - natürlich nur, sofern die Technik risikolos beherrscht wird - nicht doch zu rechtfertigen ist, auch wenn die Nachfahren des Behandelten von diesem Eingriff mit betroffen sind, lässt sich gegen das Menschenwürde-Argument vorbringen, dass es bei den allermeisten Enhancement-Projekten um solche Vorhaben geht, die nicht gegen die Selbstbestimmung des Behandelten, sondern gerade auf ihrer Grundlage vorgenommen werden sollen. Da die Achtung der Menschenwürde aber wesentlich darin besteht, die Freiheit und Selbstbestimmung des anderen zu respektieren und sie nicht willkürlich und nach eigenen Interessen einzuschränken, stellen diese Projekte der Verbesserung des Menschen keinen Verstoß gegen die Menschenwürde dar. Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt jedoch dann vor, wenn etwa Kinder mittels Enhancement zu Hochleistungen im Sport gebracht werden, um die Ehre des Staates zu fördern oder die Ambitionen der Eltern zu befriedigen.

Grundsätzliche Überlegungen zur ethischen Bewertung

Aus den bisherigen Überlegungen lässt sich das Fazit ziehen, dass sich Argumente, die eine grundsätzliche und generelle ethische Unerlaubtheit jeder Form der Verbesserung des Menschen begründen wollen, deontologische Argumente also, als problematisch und als nicht tragfähig erweisen. Als alternative Methode in der Begründung ethischer Bewertungen bietet es sich daher an, auf eine teleologische, an den Folgen des jeweiligen Handelns orientierte Güter- und Übelabwägung bei einzelnen Enhancement-Projekten zurückzugreifen. Dabei stellt sich freilich die Frage nach einem geeigneten ethischen Kriterium, nach dem die Abwägung von Gütern und Übeln, Nutzen und Schaden, Chancen und Risiken allgemein nachvollziehbar erfolgen kann.

Vorausgeschickt sei zunächst noch eine Bemerkung zur Sprache der Ethik im Blick auf das hier diskutierte Problemfeld des Enhancements. Durch die Sprache und die Wortwahl nämlich lassen sich bereits ethische Bewertungen suggerieren, weil bestimmte Ausdrücke von vornherein ethisch konnotiert sind. Wenn etwa in der Diskussion von "Verbesserung" des Menschen gesprochen wird, ist es kaum möglich, etwas dagegen einzuwenden. Wer kann schon etwas gegen eine "Verbesserung" haben? Eine Verbesserung ist immer gut. Ähnliches gilt für die Rede von einer "Optimierung" des Menschen (Peter Sloterdijk). Aber auch, wenn von Kritikern angeführt wird, durch Neuro-Enhancement werde die "Authentizität" eingeschränkt oder zerstört, ist mit der Verwendung dieses Ausdrucks bereits eine positive Wertung verbunden, so dass damit auch das ethische Urteil über die geplanten Maßnahmen bereits gesprochen ist. Dasselbe gilt, wenn von Enhancement-Projekten als einer "Manipulation" des Menschen gesprochen wird. Demgegenüber wäre es geboten, zunächst ethisch neutral von einer "Veränderung" des Menschen oder von "Steigerung" bzw. "Erweiterung einzelner Fähigkeiten des Menschen" zu sprechen. Ausgehend von einer solchen deskriptiven Bezeichnung lässt sich dann fragen, ob diese Veränderungen oder Erweiterungen ethisch verantwortet werden können oder nicht. Damit stellt sich erneut die Frage nach dem Kriterium für die Beurteilung der gegebenen oder mangelnden Verantwortbarkeit.

Um zu einem solchen ethischen Kriterium der Güter- und Übelabwägung zu finden, kann man zunächst grundlegend von der Erfahrung ausgehen, dass in jeder Handlung immer etwas Gutes (ein Wert) erstrebt - und meist auch realisiert - wird, dass zugleich aber dabei immer auch Übel (negative Nebenwirkungen) entstehen. Ausgehend von dieser Erfahrung lässt sich dann weiter fragen, ob die mit entstehenden Übel und Schäden durch den in der Handlung erstrebten Wert gerechtfertigt werden können oder ob dies nicht der Fall ist.

Nicht der Fall ist dies etwa, wenn die bei einer Handlung mitverursachten oder zugelassenen Übel unverhältnismäßig sind, das heißt, wenn sie höher ausfallen als es eigentlich nötig wäre. Die Handlung wäre dann unverantwortlich. Für verantwortliches Handeln ergibt sich daraus das Postulat, die negativen Nebenwirkungen einer Handlung so gering wie möglich zu halten. Unverantwortlich ist eine Handlung aber vor allem dann, wenn die mit der Handlung mitverursachten oder zugelassenen Übel das in der Handlung selbst erstrebte und verfolgte Gut untergraben, zerstören oder doch mindern, wenn also die Handlung kontraproduktiv ist und damit eine in sich widersprüchliche Struktur hat9. Bei dieser Art der ethischen Argumentation - dies sei deutlich unterstrichen - geht es also nicht darum, den in einer Handlung erstrebten Wert gegen irgendwelche anderen Güter oder Übel abzuwägen, sondern den einer Handlung zugrunde liegenden und in ihr erstrebten Wert gegen die durch diese Handlung selbst verursachten oder zugelassenen Übel und Schäden abzuwägen.

Zu einem ethischen Kriterium der Bewertung wird dieses Prinzip der zu wahrenden Verhältnismäßigkeit bzw. Nicht-Kontraproduktivität allerdings erst, wenn diese Verhältnismäßigkeit bzw. Nicht-Kontraproduktivität auch langfristig und universal gesehen gewahrt wird. So kann es sein, dass bestimmte Nebenwirkungen einer Handlung zunächst unproblematisch oder tolerierbar sind, ihre unverhältnismäßigen oder kontraproduktiven Auswirkungen aber nach einiger Zeit durchschlagen. Auch können Handlungen, die in geringem Maß in ihren Nebenwirkungen verhältnismäßig bleiben, bei Ausweitung der Anwendung unverhältnismäßig werden. Es ist also wichtig, in seinem Handeln die Verhältnismäßigkeit auch nachhaltig zu wahren. Darüber hinaus ist es von entscheidender Bedeutung, dass man den Wert, den man in seinem Handeln erstrebt und verwirklichen will, nicht nur für sich oder für eine bestimmte Gruppe anstrebt und dies möglicherweise sogar dauerhaft erreicht, sondern dass es einem darum geht, den Wert überhaupt, in universaler Sicht also, zu verwirklichen, so also, dass nicht nur einzelne oder bestimmte Gruppen davon profitieren, sondern dass grundsätzlich alle - auch kommende Generationen - daran teilhaben können.

Wie sich diese Argumentationsfigur gerade auch im Blick auf Versuche der Verbesserung des Menschen anwenden lässt, soll - bevor wir auf gegenwärtige Formen des Enhancements eingehen - an einem Beispiel aus der Geschichte verdeutlicht werden. Robert Schumann (1810-1856) begann erst im Alter von 20 Jahren seine Ausbildung zum Pianisten. Sein Lehrer, Friedrich Wieck, wollte ihn in drei Jahren zum Virtuosen machen. Schumann versuchte in dieser Zeit, die Beweglichkeit seines rechten Mittelfingers zu erhöhen, und wollte dies nicht nur durch Etüden, sondern auch durch die Belastung des Mittelfingers mit Gegengewichten erreichen. Am 13. Mai 1832 schrieb Schumann in sein Tagebuch: "Der dritte Finger etwas stärker." Am 22. Mai heißt es: "Der dritte Finger scheint wirklich uncorrigible." Und am 14. Juni notiert er: "Der dritte Finger ist vollkommen steif." Wahrscheinlich konnte Schumann diese Folgen nicht voraussehen, so dass man ihm kaum vorwerfen kann, er habe unverantwortlich gehandelt. Wenn jedoch ein Klavierlehrer im Wissen um die möglichen Risiken solche Praktiken empfehlen würde, müsste man schon von Unverantwortlichkeit sprechen.

Hinweise zur ethischen Bewertung konkreter Enhancement-Projekte: Doping

Innerhalb der gegenwärtigen Debatte um die ethische Bewertung einzelner Enhancement-Projekte stehen freilich andere Fragen im Mittelpunkt. Eine der bekanntesten Diskussionen betrifft das Doping im Sport. Gedopt wird dabei nicht nur im professionellen Hochleistungssport, in dem es um viel Geld, Medaillen, (Welt-)Meistertitel und die Ehre der Sportler, ihrer Vereine und ihrer Heimatländer geht, sondern auch in bestimmten Bereichen des Freizeitsports, etwa in Fitness-Studios, bei Marathonläufen oder bei Amateurradrennen.

Aus ethischer Sicht ist die Bewertung solcher Praktiken eindeutig. Es handelt sich um "unlauteren Wettbewerb" und "Betrug". Die Begründung dieser Bewertung besteht - ausgehend von dem gerade entwickelten ethischen Kriterium - darin, dass man durch Doping zwar die Chancen auf einen Sieg für sich selbst erhöhen kann, dabei zugleich aber im Ganzen, also für alle Teilnehmer, die Chancen auf einen Sieg mindert. Man untergräbt die Grundlagen des Wettbewerbs - nämlich "gleiche Bedingungen für alle" - und damit auch den Wert des eigenen Sieges.

Zu dieser grundsätzlichen negativen Beurteilung des Doping kommt hinzu, dass es, trotz der Verbote, die von Sportverbänden vereinbart und erlassen wurden, an einer ausreichenden Doping-Kontrollpraxis mangelt. Ausgehend von der inzwischen realistischen Annahme bzw. offenkundigen Tatsache, dass in bestimmten Sportarten entsprechende Leistungen gar nicht mehr ohne leistungssteigernde Substanzen erbracht werden können, trägt die Praxis einer bloß punktuellen Kontrolle, in der dann auch nur ein Bruchteil der Doping-Fälle aufgedeckt wird, zur Entstehung des Eindrucks bei, dass die Doping-Problematik heruntergespielt, mit Stillschweigen belegt oder toleriert wird. Gerade solche Doppelmoral führt aber dazu, die Glaubwürdigkeit des professionellen Leistungssports insgesamt zu untergraben.

Darüber hinaus besteht für den einzelnen Sportler das Problem, dass er sich dem System des Hochleistungssports und der damit zusammenhängenden Dopingpraxis kaum entziehen kann. Wer in seiner Kindheit und Jugend viel Zeit in den Sport investiert und sich vieles andere versagt hat, wird sich, wenn die Aussicht auf eine Medaille in erreichbare Nähe rückt und zu vermuten ist, dass auch konkurrierende Sportler dopen, nur schwer dem verführerischen Angebot medikamentöser Leistungssteigerung entziehen können10.

Angesichts dessen zu fordern, Doping für alle zu erlauben, mag zunächst als eleganter Ausweg erscheinen. Allerdings ist zu erwarten, dass damit der Wettbewerb und der Versuch, die eigenen Chancen auf einen Sieg mit Dopingmitteln zu erhöhen, keineswegs entschärft und beendet sind. Vielmehr dürfte sich die Gefahr einer Überdosierung und damit der nachhaltigen Schädigung der Gesundheit bzw. der Gefährdung des Lebens der einzelnen Sportler, für die es jetzt schon immer wieder Beispiele gibt, noch erhöhen.

Aber darf der einzelne nicht Raubbau an sich treiben, wenn er will? Darf man nicht, um das Ziel eines Weltmeistertitels zu erreichen, auch Gesundheitsschäden bewusst in Kauf nehmen? Sicher ist es schwierig, hier ein ethisches Verbot zu begründen oder gar ein rechtliches Verbot einzuführen. Allerdings kann zum einen die Frage gestellt werden, ob hier wirkliche Selbstbestimmung im Spiel ist oder der Betreffende dabei einem gesellschaftlichen oder einem dem System des Leistungssports innewohnenden Druck nachgibt. Zum anderen lässt sich - selbst wenn man von einer selbstbestimmten Entscheidung ausgehen kann - , immer noch in aller Deutlichkeit die Mahnung formulieren, dass man auch mögliche spätere Lebensziele im Blick haben und darum so mit sich umgehen sollte, dass man sich diese anderen Ziele nicht unerreichbar macht.

Weitere Bereiche der Verbesserung: Anti-Aging und Neuro-Enhancement

Lassen sich nun auch im Blick auf andere Projekte des Enhancements in ähnlicher Weise unverhältnismäßige oder gar kontraproduktive Folgen festmachen? Ein weiterer repräsentativer Bereich der "Verbesserung" des Menschen stellt das Feld der Anti-Aging-Maßnahmen dar. Dieses reicht von relativ harmlosen Mitteln der Kosmetik-Industrie über die Anwendung von Botox bis hin zu schönheitschirurgischen Korrekturen.

Aus ethischer Sicht lässt sich hierzu keine grundsätzliche und generelle Ablehnung begründen. Im Gegenteil können insbesondere Maßnahmen der ästhetischen und plastischen Chirurgie helfen, die Folgen von Unfällen, aber auch angeborene Merkmale, die sonst mit hoher Wahrscheinlichkeit zu Identitätskrisen führen, zu korrigieren und zu beseitigen. Hierbei handelt es sich um Maßnahmen, die medizinisch oder psychologisch indiziert sind. Doch auch gegen das Bemühen vieler Menschen, die Zeichen und Auswirkungen des Alterns so lang wie möglich hinauszuzögern, lässt sich aus ethischer Sicht kaum etwas einwenden. Der Wunsch und der Versuch, die Schönheit und Jugend des eigenen Körpers zu erhalten, sind durchaus nachvollziehbar und - wenn man an den Traum vom Jungbrunnen denkt - vermutlich so alt wie die Menschheit selbst.

Problematische Folgen können jedoch dann entstehen, wenn Anti-Aging-Maßnahmen ein solches Maß erreichen, dass die Versuche, die körperliche Schönheit zu erhalten (zum Beispiel durch Lifting), die Betreffenden langfristig gerade entstellen, oder wenn der Alterungsprozess, wenn er dann doch nicht mehr aufzuhalten ist, als unerträglich erfahren wird und zu Verzweiflung führt. Bedenklich wird diese Entwicklung schließlich auch, wenn sie zu einer Art "Morbiditäts-Kompression" führt, dazu also, Gesundheit, Vitalität und Fitness so lange es irgendwie geht, zu erhalten, dann aber den Zeitpunkt des Todes selbst bestimmen zu wollen.

Ähnlich wie bei Sport ist auch in diesem Bereich des Anti-Aging meist nicht der Einzelne allein derjenige, der in freier Selbstbestimmung entscheidet; vielmehr werden gesellschaftlich durch entsprechende medial vermittelte Bilder vom Menschen in der Blüte seiner Jugend und Schönheit faktisch Normen und Ideale vorgegeben und ein Druck erzeugt, diesen zu entsprechen.

Eine solche differenzierte ethische Bewertung kann auch auf weitere Formen der Veränderung des Menschen oder der Steigerung seiner Fähigkeiten, nämlich auf Formen des Neuro-Enhancements, angewendet werden11. Unterscheiden lassen sich hier Möglichkeiten der Verbesserung der Stimmung, der kognitiven Fähigkeiten und des moralischen Verhaltens durch pharmakologische, chirurgische und neurotechnologische Maßnahmen. Auch diese Möglichkeiten können dem einzelnen Menschen durchaus zuträglich sein und zu seinem Glück beitragen. Sie können aber auch, vor allem ab einem bestimmten Maß ihrer Anwendung, unverhältnismäßig oder gar kontraproduktiv und damit ihre Anwendung unverantwortlich werden, und dies selbst unter Ausklammerung der möglichen negativen Nebenwirkungen, die jene Substanzen bzw. Maßnahmen für den davon betroffenen Organismus haben.

Hinsichtlich der Stimmungsverbesserung lässt sich zunächst auf verschiedene Antidepressiva verweisen, die eigentlich zur Behandlung von Depressionen gedacht sind, nun aber auch zum Beispiel durch Hebung des Serotonin-Spiegels zur Aufhellung der allgemeinen Befindlichkeit eingesetzt werden. Durch das Mittel Prozac können Schüchternheit und mangelndes Selbstbewusstsein überwunden und Kontaktfreudigkeit und Attraktivität erhöht werden. Durch die Einnahme von Oxytocin kann die Vertrauen weckende Wirkung der eigenen Person verstärkt werden. Beruhigungsmittel können helfen, Ängste bei schwierigen Situationen wie Examen oder Vorstellungsgesprächen zu beseitigen. Methylphenidat (Ritalin) kann dazu eingesetzt werden, sogenannte Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitäts-Störungen (ADHS) zu behandeln und damit Probleme im Erziehungsprozess und in der Schule zu überwinden. Auch im Blick auf diese und ähnliche Mittel lässt sich keine generelle Ablehnung begründen, ihre positiven Auswirkungen sind in vielen Fällen unübersehbar. Andererseits bleibt die Gefahr, dass derjenige, der durch die Einnahme von Neuro-Enhancern nicht lernt, seine Probleme auch ohne solche Mittel zu lösen und sich zum Beispiel in eine Gruppe einzupassen, auf lange Sicht Schwierigkeiten im Berufsleben und in Beziehungen zu anderen haben wird. Wer Stress und Ängste nicht auf andere Weise aushalten oder bewältigen kann, sondern diese stets mit Beruhigungsmitteln zu dämpfen und zu beseitigen versucht, wird langfristig kaum den Anforderungen von Beruf und Alltag gerecht werden können.

Im Blick auf die Steigerung kognitiver Fähigkeiten - etwa durch Verbesserung der Aufmerksamkeit, der Konzentrationsfähigkeit, der Wachheit oder der Gedächtnisleistung mittels Psychopharmaka oder künftig möglicherweise durch Neuroimplantate oder Verbindungen von Mensch und Computer - lässt sich sagen: Wenn es, was bisher jedoch zweifelhaft zu sein scheint, bei gesunden Menschen durch entsprechende pharmakologische Substanzen überhaupt zu wirkungsvollen Verbesserungen der kognitiven Fähigkeiten kommt12, ist insgesamt zu erwarten, dass eine Steigerung der Leistungsfähigkeit des Menschen im Ganzen und langfristig gesehen nicht zu mehr Glück und Befriedigung oder gar Freiheit führen wird, sondern lediglich dazu, dass sich die Leistungserwartung weiter erhöht und damit das Problem eines unangemessenen Leistungsdrucks gerade nicht beseitigt. Neue Möglichkeiten der Leistungserbringung steigern die Leistungserwartung und führen so in einen Teufelskreis.

Veränderungen des moralischen Verhaltens durch psychoaktive Substanzen könnten etwa darin bestehen, die Gewissensfunktion oder die ethische Urteils- und Einsichtsfähigkeit zu erhöhen, Empathie und soziale Gefühle zu steigern oder Aggressivität und Gewaltbereitschaft zu senken. Allerdings ist dabei zu bedenken, dass wirkliche Moralität die eigene freie Entscheidung voraussetzt. Dies wird möglicherweise durch Maßnahmen der Verhaltenssteuerung und der Herbeiführung moralanalogen Verhaltens gerade untergraben. Außerdem stellt sich die Frage, wer entscheidet, was moralisches oder - besser - sozialverträgliches Verhalten ist. Weiterhin können Psychopharmaka zwar Aggressivität dämpfende Funktion und damit in Einzelfällen unterstützende und hilfreiche Bedeutung für den einzelnen im Kampf gegen die eigene Gewaltbereitschaft haben. Andererseits ist zu bedenken, dass Aggressivität auch eine wichtige Funktion für den Menschen hat.

Schließlich ist im Blick auf die Verwendung von pharmakologischen, aber auch technischen Mitteln des Neuro-Enhancements, deren langfristige - möglicherweise auch persönlichkeitsverändernde - Folgen nicht abzusehen bzw. vor allem auch nicht rückgängig zu machen sind, besondere Vorsicht anzumahnen13.

Selbstannahme - Ein Ansatzpunkt des christlichen Glaubens

Nachdem zu Beginn deutlich gemacht wurde, dass sich aus dem christlichen Glauben oder aus dem Menschenbild der Bibel nichts Normatives im Blick auf Maßnahmen der Verbesserung des Menschen entnehmen lässt, kann nun - nach einem skizzenhaften Überblick über die ethische Bewertung und das ihr zugrunde liegende Prinzip - die Frage nach der Bedeutung des christlichen Glaubens neu gestellt werden.

Dabei ist zunächst - gerade nach der Einsicht in die Notwendigkeit einer differenzierten und fallweisen Bewertung - zu betonen, dass nicht vorschnell und undifferenziert davon gesprochen werden sollte, dass sich der Mensch in seiner Endlichkeit und Begrenztheit annehmen müsse. Erst dann, wenn sich eine gewünschte "Verbesserung" des Menschen tatsächlich als unverantwortlich erweist, wenn sie also unverhältnismäßige oder kontraproduktive Folgen zeitigt, stellt sich die Aufgabe, auf solche Mittel zu verzichten und den empfundenen Mangel anzunehmen, die Situation eigener Unvollkommenheit und Fehlerhaftigkeit und schließlich auch die Situation des Alterns und Sterbens menschlich zu bestehen.

Erst an dieser Stelle liegt auch der Ansatzpunkt, an dem die christliche Botschaft anknüpfen und ihre eigentliche Bedeutung für das menschliche Handeln entfalten kann. Die christliche Botschaft kann bei dieser Aufgabe, sich selbst anzunehmen und das Leben zu bestehen, helfen, indem sie dem Menschen zusagt, dass er so, wie er ist, mit allen Unvollkommenheiten und Gebrechen, unbedingt von Gott angenommen ist. Sie vermag damit auch dazu beizutragen, dass der Einzelne seinen Mitmenschen bei ihrer Selbstannahme beisteht, wenn sich die verantwortbaren Möglichkeiten technischer Veränderung und Steigerung erschöpft haben.

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