Verstrickung - Lösung - Leben

Ein Traum und das Nachdenken über diesen Traum am frühen Morgen führte mich zu der in der Überschrift genannten Triade. Diese wiederum lenkte meine Gedanken, da ich eh an der April-Ausgabe der PASTORALBLÄTTER arbeitete, in die Mitte des Monats mit Passion und Auferstehung Jesu, damit auch zur „Mitte“ unseres Glaubens, Hoffens und Fragens. Spontan fielen mir dazu Bilder ein von den mehrmals besuchten Kalvarienbergen der Bretagne. (Die Fotos können als Datei unter www.pastoralblaetter.de/archiv/downloadarchiv.html für den kirchlichen Gebrauch unentgeltlich heruntergeladen oder mit einer Mail beim Schriftleiter angefragt werden.)

Seit mir etwas klareres Denken oder Nach-Denken gegeben ist, arbeite ich an Lösungen aus Verstrickungen, die ich selbst oder andere verschuldet haben. In der Kindheit und Jugend geschah die „Lösung“ eher durch Verstecken, Verharmlosen, manchmal Leugnen. Später wurden die Lösungsversuche nicht nur schwieriger, sondern auch differenzierter. So wird das wohl den meisten gehen bzw. gegangen sein.

Ich versuche den gewagten Schritt zur Passion Jesu. Nehmen wir das mehrmalige „für uns“ in Römer 5,8;8,31–34 u. ö. ernst („dass Christus für uns gestorben ist, als wir noch Sünder waren“, „hat ihn für uns alle dahingegeben“, „der auch auferweckt ist, der zur Rechten Gottes ist und für uns eintritt“), dann spiegeln sich in den Kalvarienbergszenen aus St. Thégonnec, Guimiliau, Plougastel oder der Kathedrale von Tréguier unsere Verstrickun-gen wieder.

Reden wir über unsere Verstrickungen.

Der Hunger der Welt, die Klimakatastrophe, die Pandemie, die weltweite Kinderarbeit, das Geschäft mit Blutdiamanten und Stoßzähnen von Elefanten, die Produktionsmaschinerie von Geflügel oder Schweinen, das Wald-sterben hier und die Regenwaldabholzung in Brasilien … – in der Regel alles Verstrickungen, in die wir nicht verwickelt zu sein meinen. Doch wir kaufen Billigprodukte, suchen Schnäppchen, besitzen und fahren mehr oder weniger dicke Autos, heizen mit Öl oder Gas. Wir können nicht anders. Jedenfalls nicht mit unserem Einkommen, sagen viele.

Man spricht in der Kirche gelegentlich von „struktureller Sünde“ oder „struktureller Schuld“. „Individuelle Unschuld“ ist nicht erst in der globalisierten Welt, sondern schon immer in der Menschheitsgeschichte angesichts des Lebensgeflechts jenseits von Eden unmöglich. Eben das meine ich mit „Verstrickung“.

Die Stricke in den Passionsszenen der bretonischen Kalvarienberge bin-den Täter und Opfer zusammen. Jesus ist „verstrickt“ in das Elend von Tätern und Opfern, in die Geschichte von Jüngern und Jüngerinnen, Kranken und Gesunden, Mächtigen und Ohnmächtigen, zwischen Galiläa und Rom, Tempelhierarchie und Täufer-Anhängern, zwischen Menschen am Rand und Menschen auf dem Thron. Diese Verstrickung „erdet“ ihn, fesselt ihn, auch wenn er selten genug ausweicht in die einsame Stille.

Je näher er auf seinem Weg als Heiler, Prediger und Beter – mit offenen Händen und ausgebreiteten Armen – der Hauptstadt kommt, umso fester verstrickt ist er in Erwartungen, Furcht vor Machtverlust und sich widersprechende Interessen.

Es kommt zum „Verhängnis“, denn „ein Aufgehängter ist verflucht bei Gott“ (5. Mose 21,22f ). Die offenen Arme, die offenen Hände Jesu werden erst gebunden, dann mit Nägeln noch härter, aus eigener Kraft unlösbar, fixiert. Die Verstrickung ist nicht mehr zu lösen. So stirbt er.

Gott, der Vater erst ruft ihn ins Leben des ersten Auferstandenen. Er ist der „Erstling“, dem diese Lösung aus jeder Verstrickung geschieht. Christus ist frei. Er trägt aber doch noch die Wunden der Vergangenheit an den Händen und an der Seite (Joh 20,26), Zeichen der Verstrickungen, Zeichen des Verhängnisses. So bleibt er bis zum 40. Tag seiner Auferweckung unter den Jüngerinnen und Jüngern, löst sich dann von ihnen und wird „versammelt zu seinem Vater“, eben nicht zu seiner „Grablege“, sondern zum Leben.

So gilt auch uns die Verheißung, dass Gott uns löst aus unseren Verstrickungen. Jürgen Moltmann schreibt: „Die Seele, das Leben, entschwindet wie die Kör­perwärme aus dem Körper und lässt einen Leichnam zurück, weil sie zum ewigen Leben erwacht. Das Sterben geht über in ein Erwachen, das Erstarren hier verwan­delt sich in die ewige Lebendigkeit dort. Der Tod ist für den Sterbenden kein Abschied von seinem Leben. Er nimmt ja sein ganzes, gelebtes Leben mit in die Aufer­stehung zum ewigen Leben.“ (Auferstanden in das ewige Leben, Gütersloh 2019, S. 86)

Ich hoffe, mit meinen Gedanken um „Verstrickung, Lösung und Leben“ Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, einen kleinen gedanklichen Anstoß für Ihr eigenes Nach-Denken und Predigen im Übergang von der Passions- in die Osterzeit gegeben zu haben. Die Fülle der Gedanken in den Gottesdienstvorschlägen, Kurzpredigten und anderen Beiträgen der April-Ausgabe der PAS-TORALBLÄTTER möge Ihnen eine Hilfe sein bei Ihrem so wichtigen Dienst.

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