Der Souverän am Kreuz - und die Liebe

Der jüdische Schriftsteller Yoram Kaniuk erzählt von verschiedenen Menschen, die durch allerschwerstes Leid gegangen waren:
,,Aber dann sah ich Leute, die in Auschwitz aufgewachsen sind ... Diese Überlebenden wurden für mich die wich­tigsten Menschen auf der Erde, die schönsten und stärksten Menschen. Und doch sahen sie wie Verlierer aus. Hager und abgehärmt.“ (Frankfurter Rundschau vom 27.4.1996, S. 3).

Man muss gut sehen können, um den Sieg im Leiden wahrzu­nehmen.
Jesus hat gebetet: „Vater, die Stunde ist da: Verherrliche deinen Sohn, damit der Sohn dich verherrliche; denn du hast ihm Macht gegeben über alle Menschen, damit er das ewige Leben gebe allen, die du ihm gegeben hast.“
(Joh 17,1b.2)
Jesus, im Johannesevangelium der Souverän am Kreuz. Jesus, am Kreuz verherrlicht. Ein fremdes Bild. Näher ist uns das „Haupt voll Blut und Wunden“, das Opfer, der Märtyrer, der Geknechtete, der mit allen Geknechteten und Opfern das Schicksal teilt.
Jesus, der Souverän am Kreuz. Es ist vollbracht.

Furchtbar, wenn es in den Nachrichten wieder einmal heißt: Unsere Soldaten haben einen guten Job gemacht.
Unerträglich, eine solche Wortwahl. Unerträglich bei Jesus. Unerträglich angesichts all der Toten und Verletzten der heutigen Kriege.
Unerträglich, wenn der Job Menschenleben kostet.
Jesus, der Souverän am Kreuz.
Kein Wort davon, dass er Blut schwitzt im Garten Gethsemane.
Kein Wort davon, dass er mit seinem Vater um den richtigen Weg ringt.
Souverän stellt er sich denen gegenüber, die ihn festnehmen wollen. Sie weichen zurück und fallen zu Boden.
Kein Wort davon, dass er auf dem Kreuzweg zusammenbricht.
Kein Wort davon, dass ein anderer sein Kreuz trägt.
Jesus geht beim Evangelisten Johannes ans Kreuz, als besteige er seinen Thron. Das ist Ostern, das ist Himmelfahrt, das ist Weltgericht, das ist Herrschaft.
Diese Souveränität begleitet Jesus auf dem Kreuzweg. Es ist sein eigener Wille.
Jesus, der Souverän am Kreuz.
Pilatus lässt den Königstitel auf das Kreuz setzen: Jesus von Nazareth, König der Juden. Und lässt es – so der Evangelist Johannes – in drei Sprachen schreiben: Hebräisch, Griechisch, Lateinisch. Für alle Welt soll gelten, dass dieser ein König ist.

Schließlich, als unter dem Kreuz die ihm Nahen stehen, da regelt er – als ob er auf dem Thron säße – das Wichtigste. Seiner Mutter gibt er einen Sohn, seinem Lieblingsjünger Johannes gibt er eine Mutter.
Er ist der Herrscher, der König, der sich eins weiß mit seinem Vater, der von Anfang der Welt deren Geschicke lenkt.
Jesus, der Souverän am Kreuz, schreit nicht laut wie bei Markus, er klagt nicht den Sterbepsalm wie bei Matthäus: Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen? Der Karfreitag der Johannespassion ist kein Totensonntag, er ist der endgültige Sieg. Die Aufrichtung des Kreuzes wird zur Errichtung eines Siegeszeichens. Nun kann er auch die Nächsten allein lassen. Er hat sie vorbereitet, in einem langen Gebet seinem Vater anvertraut. Nun ist alles getan.
Selbst noch im letzten Augenblick des Sterbens bleibt er der Herrscher. So haben wir es zu verstehen, wenn da steht: „Er neigte sein Haupt und er verschied.“ Er ist kein Opfer, wird nicht umgebracht. Er neigt – nachdem alles getan ist – sein Haupt und er scheidet. Ein Wort im „Aktiv“, nicht im „Passiv“.

Was muss das für eine Kraft sein!
Eine überirdische Kraft, die keine Grenzen kennt, keine Rücksicht, keine Vorsicht.
Liebe ist die größte Kraft, die größte Energie, zu der Menschen fähig sind.
Glaube, Hoffnung, Liebe – am Ende bleibt die Liebe.
Da ist eine Energie zwischen Klage und Sterben.
Da bleibt Liebe. Da siegt Liebe.
Liebe ist stärker als der Tod.
Die Herrlichkeit der Liebe, das Elend des Todes und der Sieg der Liebe.
Weil die Liebe Gottes, aus der unser aller Liebe sich nährt, nicht tot zu machen ist.
Der Kreuzweg ist der Liebensweg Gottes, nach unserem Glauben ein Triumphzug Gottes über die Finsternis.

Am Ende ist wichtig, ob Gott auch meinen und deinen Tod besiegt.
Am Ende ist wichtig, ob Gott auch deinem und meinem Leben einen Sinn über den Augenblick hinaus gibt.

Am Ende ist wichtig, ob dieser angeschlagene Planet sich noch tiefer verirrt im unendlichen Angebot der tödlichen Jobs, oder – ob uns nichts trennen kann von der Liebe Gottes, die in Jesus Christus ist.

Das muss für das Staubkorn gelten,
für den Taumelkäfer,
für die Narzisse,
für den Übeltäter und den Wohltäter,
für den Soldaten,
für die Mutter,
für Freund und Feind,
für die Verstorbenen und für die Lebenden:
Liebe.
Die Liebe – sagt trotzig unser Glaube – die Liebe gilt auch noch außerhalb der Milchstraße.
Sie kennt keine Grenzen.
Sie ist stärker als der Tod.

Gerhard Engelsberger

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