Es ist ein Kreuz mit der Versöhnung

Was haben sich Jakob und Laban nicht alles angetan. Zwanzig gemeinsame Jahre, mit Herzlichkeit und Küssen hat alles begonnen. Doch die Jahre des Zusammenlebens werfen mehr und mehr Schatten auf die Beziehung. Sie versuchen es mit „Gütertrennung“. Als alles nichts nützt, zieht Jakob über Nacht aus und nimmt einfach mit, was ihm lieb und wichtig ist. Keiner ist dem anderen einen Fußtritt, eine Hinterlist, eine Lüge oder eine andere Bösartigkeit schuldig geblieben. Dann sind sie am Ende mit ihrem Latein. Bevor sie sich gegenseitig totschlagen, kommen sie zur Besinnung. Sie sorgen dafür, dass Land zwischen sie kommt. Sie spüren, wir schlagen uns in einem endlosen Krieg gegenseitig Wunden. Sie werfen sich gegenseitig alles noch einmal vor. Nennen die Lumperei beim Namen, die Täuschung, die Lüge, die Angst.
Sie bauen einen Steinhaufen als Mahnmal. Aus den Scherben ihrer kaputten Beziehung bauen sie an der Grenze zwischen „mir“ und „dir“ ein Zeichen auf. Sie gehen auseinander. Der eine dahin, der andere dorthin. Getrennte Wege. Sie sind geschiedene Leute. Und zwischen ihnen – ein Steinhaufe, ein Scherbenhaufen; doch nicht nur dies: zwischen ihnen Gott selbst:
„Es ist hier – auf diesem Todesstreifen – kein Mensch bei uns; siehe aber, Gott ist Zeuge zwischen mir und dir ...“ (1. Mose 31)
Sie haben abgeladen, Stein für Stein, Hass auf Hass, Todeswunsch auf Todeswunsch. Und nun richten sie sich auf. Sehen sich als Getrennte in die Augen. Gehen auseinander – und leben. Und Gott ist Zeuge. Zeuge heißt im Griechischen Märtyrer. Gott, Jesus Christus allein steht es zu, zwischen uns Zeuge zu sein. Keiner braucht Gottes Rolle zu übernehmen: Kein Opfer mehr! Am Anfang unser Hass, in der Mitte sein Martyrium, am Ende unser Leben.
Es gibt kein überzeugenderes Bild der Versöhnung, als dass sich der, um den zwei streiten, heilend zwischen beide stellt.
Gott hat nicht unversehrt die Passion überlebt. Wie immer wir dies innergöttliche Geheimnis deuten – hier stirbt ein Mensch. Das ist eigentlich schlimm genug. Dieses Kreuz macht die ganze menschliche Hilflosigkeit, unser Elend deutlich. Aber hier stirbt auch Gott. Das Herz Gottes blutet. Die Zeit steht still. Keiner, an den der Mensch sich noch wenden könnte.
Das ist die Zumutung des göttlichen „Stellenwechsels“. Die Tradition spricht noch etwas missverständlich in der Sprache der Händler von „Tausch“. Dieser Stellenwechsel, an Heiligabend noch so einladend gefeiert, wird schlagartig zum Skandal, führt zu Enttäuschung und Verrat. Gott fällt „dauernd“ aus dem Rahmen.

Auf der Suche nach einfachen Bildern für den Begriff „Versöhnung“ bleibe ich bei der Schaukel hängen, bei einer Wippe. Gott macht sich schwer, geht zu Boden, zieht sich selbst in den Schmutz, während auf der anderen Seite der Mensch – aus dem Dreck befreit – sich plötzlich „oben“ wiederfindet. Verkehrte Welt. Kein Schnupperkurs für Angehörige des Götterhimmels auf der Erde, keine Stippvisite jenseits von Eden. Er bleibt.

Der Stellenwechsel Gottes steckt an.
Wenn einer frei ist, dann ist es Gott. So gewaltig ist seine Liebe, so ernst meint er es mit der Freiheit, so radikal ist sein Ja zu den Menschen, dass er den Ertrinkenden, Verelendenden rettet und dabei selbst umkommt. Eine tiefe Wahrheit, vielleicht einsichtig noch Johannes vom Kreuz, Teresa von Avila, Martin Luther, Paulus aus Tarsus oder Dag Hammarskjöld. Die Welt der Händler hat dafür nur ein Lachen.
Vor Jahren habe ich den Zynismus der Welt der Händler so beschrieben:

Sie werden aus ihren
Vorstandsetagen
heruntersteigen
in die Bretterbuden
acht Tage dort hausen
und sagen
wir
haben uns das schlimmer
vorgestellt

Ja, eben das ist die größte aller Zumutungen: Die Rechnung ist, bilanziert nach den Regeln der Händler, nicht aufgegangen. Der Krieg, nicht der Frieden wurde gewaltiger. Schändung, nicht Zärtlichkeit bestimmt den Alltag von Millionen. Vom scheinbar – aus der Sicht der Händler – sicheren Platz auf der Empore beobachten wir das Massenelend, tauschen gutes Geld gegen begehrte Produkte, sind aber um keinen Preis bereit, die Empore zu verlassen. Wer wird sich schon diesem „elenden Gott“ anschließen, „heruntersteigen“ von der Empore, anderen den Platz freimachen und selbst ... Und selbst? Eine ganzheitliche Sicht wird plausibel machen müssen, in existenziell nachvollziehbare Akte übersetzen müssen, dass eine Welt, in der einer Opfer bringt für das Glück des anderen, eine glücklichere Welt ist als die, in der einer das Elend des anderen organisiert.

Selig eine Kirche, die tut, was ihr gesagt ist.
Selig eine Welt, die die Händler von ihren Bilanzen befreit.
Selig eine Welt, von Gott „heimgesucht“.
Selig eine Welt, die Gott nicht in ein anderes Asyl komplimentiert.
Selig eine Welt, die den „Stellenwechsel“ nicht propagiert“, sondern vollzieht.
Selig die Welt, die Gott – wenn auch auf verlorenem Posten – als die entscheidende Hilfe feiert, auch wenn er sein Kommen nicht unversehrt überstanden hat.
Selig die Kirche, die sich von der Empore verabschiedet und ihren Gott dort sucht, wo man sich bücken muss, wenn man finden will.

Ich bin selbst weit davon entfernt, das einhalten zu können, was mir zugesprochen ist. Dadurch wird der Zuspruch, die „Zumutung“ des Stellenwechsels nicht weniger wertvoll. Im Gegenteil. Dieses Kleinod lasse ich mir nicht nehmen. Auch nicht auf dem „Dienstweg“. Gott ist „in der Welt“ und ich bin „in ihm“.

Gerhard Engelsberger

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