Der Monatsspruch im Oktober 2012

Der Herr ist freundlich dem, der auf ihn harrt, und dem Menschen, der nach ihm fragt.
Klagelieder 3,25

Über diesen Text (und noch ein paar Verse dazu) wird normalerweise alle sechs Jahre am 16. Sonntag nach Trinitatis gepredigt. Dieser Sonntag im Herbst ist noch mal ein „kleines Ostern“, lässt die Auferstehungsmelodie aus der Ferne erneut erklingen, greift aufs Neue das Thema „neues Leben, das aus dem Tod erwächst“ auf.

Diese auf den ersten Blick so schlichten und zuversichtlichen Worte des Vertrauens auf Gott sind im zerstörten Jerusalem im 6. Jh. v. Chr. verfasst worden, während fast das gesamte Volk Israel im babylonischen Exil war. Ein Krieg war verloren, das Land eingenommen und besetzt, die Hauptstadt ein rauchender Trümmerhaufen, selbst der Tempel war zerstört. Keine Gottesdienste, keine Lieder, keine Opfer, keine Gebete. Den Verschleppten musste es so vorkommen, als ob Gott sie verlassen hat. Ihnen blieb nur Klage, die Perspektive fehlte, sie mussten sich fühlen wie im Grab, ohne Hoffnung auf ein hereinbrechendes Licht.

In diese Situation hinein kann Jeremia (oder der sich für ihn ausgibt) Sätze sagen wie: „Die Güte des Herrn ist’s, dass wir nicht gar aus sind, seine Barmherzigkeit hat noch kein Ende“ (V. 22) oder „Denn der Herr verstößt nicht ewig; sondern er betrübt wohl und erbarmt sich wieder nach seiner großen Güte“ (V. 31), oder eben unseren Vers.

Jeremia ist von der Einsicht geleitet, dass das Verhalten des Volkes Israel zum Krieg mit all seinen fürchterlichen Konsequenzen geführt hatte - und dass dieses Tun von Grund auf falsch war. Vor allem aber hat er auch die Erkenntnis, dass Gott sich trotz allem nicht abgewendet hat, sondern weiterhin seine schützende Hand über die Seinen hält. Warum? Weil Gott schon vor Ostern ein Gott des Lebens und der Liebe war. Barmherzigkeit ist sein Grundzug, Vergebung sein Tagesgeschäft. Nichts muss so bleiben, wie es ist! Diesem Gott soll sein Volk auch nach der Katastrophe des babylonischen Exils wieder dienen. Gottesdienst, wie ihn Jeremia hier versteht, ist jedoch etwas anderes als Lieder singen und Opfer darbringen. Gottes-Dienst bedeutet, Gott diese Welt als die seine wieder nahezubringen, ihm gegenüber den Zustand dieser Welt zu beklagen und sie ihm damit ans Herz zu legen. Jeremia will das leidende Volk und seinen Gott wieder in ein Verhältnis zueinander setzen - eine aktive Aufgabe. Und auch umgekehrt sind die Menschen aufgefordert, nach Gott zu fragen, was sie zuvor aufgrund angeblich politisch-militärischer Sachzwänge unterlassen hatten - mit katastrophalen Konsequenzen.

Aber Jeremia weiß: Gott versteckt sich im Schicksal der Geschlagenen. Er wird bei uns sein bis zum Ende der Tage. Er ist bei uns als Trost und als Versprechen. Er ist bei uns in allen Gestalten des Elends. Daher ist es spätestens seit Jesus (Mt. 25,40) eine stimmige Weise, Gott zu betrachten, die Armen und Elenden dieser Welt zu betrachten mit den aufmerksamen und empfindsamen Augen unserer Herzen.

An Gott glauben, das wussten bereits die Verschleppten, heißt auch an Gott leiden; leiden an seiner Dunkelheit und an seiner Unverstehbarkeit. Gott zu vermissen, das gehört bis heute zu unserem erwachsenen Gottesglauben. Dennoch bleibt die Hoffnung auf seine Barmherzigkeit und Freundlichkeit.

Das Versprechen Gottes, weiterhin den Seinen treu zu bleiben, ist für mich kein Blankoscheck für unsere Existenz. Der Bund zwischen ihm und uns gibt uns etwas zu tun, und er gibt uns auf, manches zu lassen. Er gibt uns nicht nur etwas zu glauben. Der Glaube und die Hoffnung auf Gottes Güte und Treue verdorren, wo sie lediglich behauptete Sachverhalte unserer Innerlichkeit sind und wo sie nicht zu unserer Praxis werden.

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