"Befiehl dem Herrn deine Wege" – Bestattungsansprache

Natürlich saßen wir am Küchentisch. Da, wo sie immer saß. Dort am Küchentisch war das Zentrum der Wohnung. Wenn es nichts im Haushalt zu tun gab, saß sie dort und lud Sie ein: „Komm setz dich. Ich hab Kaffee gemacht. Erzähl.“ Und dann haben Sie erzählt: von ungerechten Lehrern und von sensationellen Siegen beim Fußball.
Als Sie erwachsen wurden, gab es dann andere Themen: Sie erzählten von Liebeskummer, Berufsstress und finanziellen Sorgen. Und mit Ihren Kindern ging das dann so weiter. Auch die Enkel saßen bei einem Glas Kaba in Omas Küche und erzählten.

Mit M. konnte man über alles sprechen. Sie konnte zuhören. Bei ihr konnten Sie Ihre Sorgen abladen.
Sie war ein besonderer Mensch.
Von außen betrachtet, war es eher ein ganz normales Leben, völlig unspektakulär.
Geboren und aufgewachsen hier in W. Bis auf ein paar Urlaubsfahrten spielte sich ihr Leben eigentlich immer hier in der Stadt und im Umfeld des kleinen Häuschens in der B-Straße ab. Da war sie für Sie zu finden: nach der Schule, nach der Arbeit, am Sonntag zum Kaffee, nachdem Sie aus dem Urlaub zurück waren. Da trafen Sie sich am Küchentisch und erzählten.
M. war da und hörte zu. Sie gab vorsichtig Rat, nie vorschnell und nur, wenn man sie um Rat fragte.
Sie war da, hatte Verständnis und half, wann immer sie konnte.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl machen.“
Das war ihr Konfirmationsspruch aus dem 37. Psalm. Den hat sie hochgehalten in all den Jahren. Und wohl immer wieder selbst in Händen gehalten. Das zeigen die Spuren auf der Urkunde deutlich.
Sie hat sich gewünscht, dass wir ihn heute bedenken, hier an ihrem Sarg.

„Befiehl dem Herrn deine Wege …“
Mit dem Befehlen hat sie's ja eigentlich nicht so gehabt, haben Sie erzählt. Sie hatte früh die Eltern verloren, lebte drei Jahre lang als Jugendliche in einem Heim. Da ging alles nur mit Befehl und Gehorsam. Und wehe, wenn der Befehl nicht gleich und völlig korrekt ausgeführt wurde. Da gab es dann gleich Schläge.
Nein, so ist das mit dem Befehlen in diesem Psalm nicht gemeint. Da geht es nicht um Befehl und Gehorsam. Da geht es darum, dass ich mich Gott mit allem, was mich beschäftigt und was auf mir lastet, anvertrauen, eben anbefehlen kann.
Eigentlich heißt das hebräische Wort, das da ursprünglich steht, „wälzen“. So wie man große Steine, die man nicht mehr tragen, sondern nur noch rollen kann, eben wälzt.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn …“ - Komm zu Gott, vertrau ihm deine Sorgen an. Lad' bei ihm ab, was dich beschäftigt und bedrückt. All das, was du nicht allein tragen kannst, das wälze auf ihn ab.
Wie so was ganz praktisch gehen kann, das haben Sie an Ihrer Mutter, der Oma, erlebt. Wie man mit all seinen Sorgen, mit den kleinen Sorgen und mit denen, die wie ein unerträglich schwerer Felsbrocken auf einem lasten, zu jemandem kommen kann. Und dass da einer da ist und zuhört und Verständnis hat.
Dass da einer da ist, der mir beim Nachdenken hilft und manchmal auch ganz praktisch zupackt.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn …“
M. hat das, glaube ich, immer wieder selber getan. Die abgegriffene Konfirmationsurkunde mit dem Sinnspruch ist für mich ein Hinweis darauf.
Ich denke, sie ist öfter, als wir uns das vorstellen, mit den Sorgen - mit ihren eigenen und mit denen von Ihnen, den Kindern und Enkeln - zu Gott gegangen und hat für Sie gebetet.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn …“
Vielleicht ist das ja auch so etwas wie ein letzter Gruß von ihr. „Kinder, ich kann jetzt nicht mehr für euch da sein. Aber Gott ist für euch da. Zu dem könnt ihr immer kommen mit euren Sorgen, Ängsten, Nöten. Bei dem könnt ihr abladen, was euch das Leben schwer macht.“

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl machen.“
Das ist ein Satz voller Vertrauen. Vertrauen, das auf einem langen Lebensweg gewachsen ist. Vertrauen, das aus der Erfahrung gewachsen ist, dass Gott mich nicht im Stich lässt. Er geht mit. Er hört sich meine Sorgen an. Er hilft mir, sie zu tragen.

„Befiehl dem Herrn deine Wege und hoffe auf ihn, er wird's wohl machen.“
Mit diesem Vertrauenssatz hat M. gelebt. In diesem Vertrauen nehmen wir heute Abschied von ihr.
Wir sind traurig, dass wir sie nicht mehr bei uns haben. Und wir fragen uns auch immer wieder: Wo ist sie jetzt? Wie geht es ihr? Auch diese Trauer und diese Fragen bringen wir heute hierher zu Gott und wälzen sie auf ihn. Und wir bringen ihm M. und vertrauen sie ihm an.
So viele Wege ist Gott im Leben mit ihr gegangen. Ihr letzter Weg ist jetzt bei Gott angekommen. Er wird es gut mit ihr machen. Bei ihm ist sie nun geborgen.

Gebet:
Hier sind wir, Gott, mit unserer Trauer. M. fehlt uns sehr.
Hier sind wir, Gott, mir unseren Fragen. Wie ist das mit dem Tod? Geht es ihr gut?
Hier sind wir, Gott, mit unseren Sorgen. Wie wird es weitergehen?
Aber da ist nicht nur Trauer. Da ist auch Dankbarkeit.
Danke, dass wir sie so lange haben durften.
Da ist auch Trost. Auch im Tod weichst du nicht von unserer Seite.
Da ist auch Hoffnung. In deinen Händen ist sie gut aufgehoben.

Liedvorschläge: 361 (Befiehl du deine Wege)
533 (Du kannst nicht tiefer fallen)

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