Ansprache zur Goldenen Hochzeit

Heute vor 50 Jahren ... was ist geblieben vom Anfang? Der Segen. Die Liebe. Das Vertrauen. Nicht nur geblieben sind sie, sondern gewachsen. Genauso wie jenes Hochzeitsgeschenk, das Sie durch die Zeit begleitet hat. Heute vor 50 Jahren stand vor der Haustür ein stattlicher Blumentopf. Darin ein Kastanienbaum, knapp einen halben Meter hoch. Von ihrer Mutter selbst gezogen aus einer Frucht. Diese war in der Jackentasche auf entsetzlichen Irrwegen von Ostpreußen bis nach Sachsen gelangt. Was sollte die Mutter damals schenken? Geld und Angebote waren knapp im Osten Deutschlands. Dennoch bedachte sie ihre Kinder mit etwas sehr Persönlichem und Kostbaren.
Doch an jenem Novembertag der Trauung sah das Bäumchen kahl und kümmerlich aus. Selbst die rote Schleife vermochte es kaum attraktiver zu machen. Darum gab es Anlass zu allgemeiner Heiterkeit. Doch aus dem Reis wurde mit den Jahren ein Baum. Er fand seinen Bestimmungsort im Garten. Dort steht heute ein ausladender Riese mit gewaltiger Krone. Im Frühling trägt er tausend Kerzen. Im Sommer schützt sein dichtes Blätterdach die Rastenden auf der Gartenbank vor sengender Hitze. Im Herbst schließlich platzen die gelb-braunen Stachelhüllen auf und geben Ihren glänzenden Inhalt frei. Das ist der Lauf des Lebens. Alles zu seiner Zeit. Sie kennen das. Der Baum ist mit Ihnen gemeinsam gewachsen. Er hatte die Möglichkeit dazu. Gott hat's gegeben. Das scheint die erste Gemeinsamkeit zwischen diesem Baum und Ihrer Ehe. Aber es gibt noch mehr Vergleichspunkte.
Eine Ehe führen heißt, wie ein Baum wachsen, Früchte bringen und aufrecht stehen zu dürfen. Welch ein Geschenk! Am Anfang galt es, Wurzeln zu schlagen. Die Verbindung von Mann und Frau braucht einen tragenden Grund. Gleichwie sich der Baum nur halten und entwickeln kann, wenn die Erde gut ist und das Wasser nicht ausbleibt und genügend Licht vom Himmel flutet, ergeht es zwei Menschen, die sich vor Gott versprechen, eins zu sein.
Die gute Erde, das ist das Glück, einander zu haben. Der Boden der Liebe. Unendlich weit und tief. Und jede einzelne Krume steckt voller Sehnsucht und Leidenschaft. Die Ehe wurzelt in der Liebe. Sie hält alles fest. Es ist bis heute so geblieben. Gott sei Dank!

Das Wasser vergleiche ich mit dem Vertrauen. Denn nur das Vertrauen, das in das Herz einsickern muss, um sich hingeben zu können, und das aus dem Herzen strömen muss, um den anderen zu gewinnen, ja wie das Wasser ist das Vertrauen. Da gab es auch Perioden der Trockenheit, sogar der Dürre. Da mussten die Wurzeln sich ganz tief ausstrecken. Dort findet der Baum Grundwasser. Sie beiden wissen vom Grundvertrauen, das immer auch Gottvertrauen war und Durststrecken überbrücken konnte.

Nun noch das Licht. Die Sonne lässt alles gedeihen. Ohne Licht kein Leben. Das Licht in der Ehe fällt von Gott her in die Herzen. Von dort durchzieht es Mann und Frau. Das Licht leuchtet im Segen auf, der sich vom Trauspruch her entfaltet. Der darüber hinaus eine Art Lebensversicherung darstellt. Denn Gott hat Sie als Gesegnete zusammen eingetopft. In der Ehe durften Sie zusammenwachsen. Im Licht, sprich, mit seinem Segen, blieb es letztlich niemals dunkel.
Und aus dem Reis wurde mit den Jahren ein Baum.
Wie er, fest verwurzelt, manchen Stürmen standhielt, erging es auch Ihnen. Als sich der Orkan erhob und Sie, Herr N. N., erfuhren, dass Sie entlassen sind, und viele Bewerbungen scheiterten. Als Sie, Frau N. N., gewahr wurden, wie sich Ihr lieber Mann verschloss und keine Kraft fand, seine berufliche Situation in der Familie zu bereden. Es brachte nicht jeder Tag gutes Wetter. Es gab auch Windbruch. Schmerzhaft. Auf der Seele sind die Stümpfe zu sehen. Und dennoch kam es wieder zur neuen Blüte. Die Ehe wie der Baum im Garten. Der Trauspruch fordert auf zum Wachsen und Reichwerden in der Liebe. Reich durch die Früchte. Wenn man die vielen braunen Perlen hernimmt, die der Kastanienbaum im Herbst abwirft, dann fällt es nicht schwer, an die reiche Eheernte im Verlaufe der Jahrzehnte zu denken. Die Kinder gehen jetzt ihre eigenen Wege. Inzwischen erfüllen die Enkel das Haus mit Lachen. Und die Freude ist groß, wenn im Herbst die ersten Kastanien ins Gras purzeln und der Wettbewerb neu ausgerufen wird, wer die meisten und wer die schönsten einsammeln wird.

Doch die Zahl der Früchte vom Ehebaum ist ja nicht allein die Zahl der Kinder oder Enkel. Früchte der Liebe sind die einander gewidmeten ehrlichen Worte, die kleinen und großen Aufmerksamkeiten, es ist das vorgelebte und übernommene Vertrauen, es sind die Gebete und schließlich die Lichtstrahlen eines jeden Momentes der Freude. Daran zurückdenken zu dürfen, das bedeutet jetzt, ein goldenes Erntedankfest im Segen feiern zu können.

Der Blick hinaus auf den Baum im Garten gleicht dem Blick in die Zukunft. Keiner weiß, was morgen sein wird. Aber zuversichtlich dürfen Sie sein. Niemand geht davon aus, den Baum morgen früh umgestürzt und entwurzelt zu finden. Gott schenkt ihm seine Zeit, und Gottes Erde erhält ihn aufrecht. Darauf wollen Sie im Blick auf die Zukunft Ihrer Ehe vertrauen. Das Licht und die Liebe des Herrn mögen Sie erhalten. Ihre Enkel aber haben heute, am Festtag, ein besonderes Geschenk mitgebracht. In diesem Topf wächst ein junger Baum heran. Selbst gezogen aus der Frucht. Zeichen des Lebens, der Hoffnung sowie einer gesegneten Zukunft.

Gebet: Barmherziger Gott, wir durften gemeinsam wachsen in deiner Liebe. Vieles ist im Laufe der Zeit reif geworden. Manche Frucht verdarb auch. Du hast uns niemals verloren gegeben, sondern in jedem Augenblick der Besinnung das Vertrauen finden lassen. Von Herzen danken wir dir und bitten dich: Erhalte uns am Leben und erneuere unsere Liebe. Durch deine unermessliche Güte!

Liedvorschläge:
503,13-15 (Geh aus, mein Herz, und suche Freud)
268,1-3 (Strahlen brechen viele aus einem Licht)

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