Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Willkommen beim Podcast von Kleinstkinder in Kita und Tagespflege.
Claudia Uihlein: Herzlich willkommen beim Podcast unserer Fachzeitschrift Kleinstkinder in Kita um Tagespflege, indem wir mit unseren Autoren über ihre Fachartikel im Heft sprechen. Mein Name ist Claudia Uihlein, ich bin Redakteurin bei Kleinstkinder und ich freue mich sehr, dass wir für unseren Kleinstkinder Podcast Frau Professor Dr. Wilken gewinnen konnten. Mit ihr möchte ich heute über die von ihr entwickelte Methode der Gebärdenunterstützten Kommunikation sprechen, die auch kurz GuK genannt wird. Ganz herzlich willkommen, Frau Professor Wilken und vielen Dank, dass Sie sich Zeit für einen kurzen Austausch mit mir nehmen.
Prof. Dr. Etta Wilken: Gerne.
Claudia Uihlein: Zu Beginn möchte ich Sie noch kurz vorstellen. Sie waren Lehrerin an einer Grund-, Haupt- imd Realschule, Leiterin einer Sonderschule für körperbehinderte und geistig behinderte Kinder und außerdem waren sie Professorin an der Leibnitzuniversität Hannover.
Prof. Dr. Etta Wilken: Ja.
Claudia Uihlein: Sie haben nicht nur die geben unterstützte Kommunikation entwickelt, sondern sie haben auch zu vielen weiteren Themen geforscht, unter anderem zur Sprachförderung beeinträchtigter Kinder, der Förderung von Kindern mit Downsyndrom, der Frühförderung behinderter Kinder und auch zur Elternarbeit. Aktuell geben Sie Seminare für Eltern von Kindern mit Downsyndrom bei der Bundesvereinigung Lebenshilfe und Kurse zur Gebärdenunterstützten Kommunikation für Eltern, pädagogische Fachkräfte sowie Logopädinnen und Logopäden.
Prof. Dr. Etta Wilken: Ja.
Claudia Uihlein: Das Verfahren der Gebärdenunterstützten Kommunikation haben Sie ja selbst entwickelt, Frau Professor Wilken. Vielleicht können Sie uns zu Beginn erst einmal kurz erläutern. Was versteht man denn genau unter der Gebärdenunterstützten Kommunikation?
Prof. Dr. Etta Wilken: Ja, gerne. So wie der Begriff schon sagt, die Kommunikation wird damit unterstützt. Und im Unterschied zu der Gebärdensprache, wie wir sie von Gehörlosen kennen, die ja eine alternative vollwertige Sprache ist, ist die Gebärdenunterstützte Kommunikation dazu gedacht, die Kommunikation zu erleichtern bei Kindern, die nicht oder noch nicht sprechen. Und hier werden nur Schlüsselwörter betont und dadurch sind die Kinder besser in der Lage, Abfolgen zu verstehen und sich mitzuteilen, wenn sie dann so weit sind, dass sie auch selbst Gebärden machen können. Das ist also der wesentliche Unterschied. Hier wird die Kommunikation unterstützt. Wir reden wie immer. Wir unterstützen nur einzelne Wörter mit der Gebärde. Das ist ein ganz großer Unterschied. Das ist an der Lautsprache orientiert. Und die visuelle Unterstützung mit einer Gebärde, die erleichtert das Verstehen. Das heißt, die gebärdenunterstützte Kommunikation findet vorwiegend oder unter anderem auch Anwendung bei Kindern, die hören können und die noch nicht sprechen bzw. das Sprechen gerade erst erlernen.
Claudia Uihlein: Ab welchem Alter empfehlen Sie denn frühstens Kindern erste Gebärden anzubieten?
Prof. Dr. Etta Wilken: Ich würde nicht sagen frühstens, aber so erfahrungsgemäß mit etwa sechs Monaten kann man Kindern erste Gebärden anbieten. Aber im Kontext, das ist ganz wichtig, nicht als Training, mach mal, sondern im Kontext lernt das Kind jetzt, dass es sich besser orientieren kann. Warum passiert das jetzt? Ich nehme gern ein Beispiel. Wenn ich dem Kind, das liegt vielleicht da und spielt mit irgendeiner Rassel, ist gerade eigentlich zufrieden und beschäftigt und ich merke, es braucht eine neue Windel. Jetzt kann ich die Windel nehmen, dem Kind zeigen und dazu die Gebärde für Windel wechseln machen. Und dann nehme ich das Kind hoch und lege es auf die Wickelkommode. Dann lernt das Kind dadurch, dass ich das ja mehrmals am Tag mache, ah, das passiert jetzt. Und dann lernt es eben nicht nur die Gebärde, sondern es versteht Abläufe besser. Und dann weiß es: Ah , das ist jetzt dran und dann kommt jetzt das und das und dadurch wird also auch das sich erinnern angeregt. Das habe ich ja vorhin gesehen, das ist da passiert und das weiß ich jetzt sozusagen. Das beginnt damit und das unterstützen wir und hier geht's wirklich nicht um einen Ersatz der Lautsprache, sondern um eine visuelle Unterstützung der Lautsprache.
Claudia Uihlein: Das heißt, es unterstützt die Kinder darin zu verstehen. Sie schreiben ja auch, dass die Gebärdenunterstützte Kommunikation zusätzlich dann im nächsten Schritt auch den Spracherwerb der Kinder unterstützt. Welche positiven Auswirkungen sehen Sie konkret dadurch, dass ein Kind diese Unterstützung beim Spracherwerb erhält?
Prof. Dr. Etta Wilken: Na ja, erstmal ist es dieses Verstehen. Das geht in der Sprachentwicklung immer dem Gebärden voraus. Das ist klar. Aber jetzt zum nächsten Schritt. Ich kann anders als in der Lautsprache dem Kind auch ganz konkret helfen, eine Gebärde zu machen. Nehmen wir mal so ein Beispiel, wie wir es alle machen. Wir bieten dem Kind an, zu winken. Und jetzt kann es lernen: mit dieser Gebärde verabschieden wir eine Person oder wir verabschieden uns. Und dann kann es sein, dass irgendwann also die Erkenntnis kommt, dass jetzt jemand weggeht oder wir gehen weg und wenn es jetzt zur Mitteilung wird, da hat das Kind wieder einen kognitiven Schritt gemacht. Es setzt jetzt die Gebärde winke winke ein, wenn es weggehen will als Mitteilung. Dann hat es einen entscheidenden Schritt zur Mitteilung gemacht und so beginnt es auch mit anderen Gebärden.
Ich kann das bestimmen, ich kann mit Handführung dem Kind vermitteln: Wir sind fertig. Und wir betonen bei der Gebärde ganz intensiv, welche Bedeutung sie hat, zusätzlich zu dem Wort. Wir müssen uns nicht nur am Wort orientieren, sondern auch wie wir sprechen. Das gehört dazu. Also sage ich, jetzt sind wir fertig. Das ist eine angenehme Sache. Aber das Kind macht etwas, was nicht in Ordnung ist. Und dann sage ich: "Hör auf", mache die gleiche Gebärde, die Gebärde unterstützt wieder, was ich meine. Ganz eindeutig, da geht was zu Ende. Aber es führt auch dazu, dass durch die Betonung unterstützt wird, auf die Sprache zu achten und Lautsprache zu verstehen. Und dann kann das Kind anfangen, sich mit der Gebärde fertig mitzuteilen. Das will ich ganz und gar nicht. Ich will jetzt aufhören. Dann kommt der nächste Schritt. Das heißt, die Gebärde kann unterstützen, dass das Kind sich mitteilen. Also, wir trainieren nicht primär die Wörter, sondern erstmal wird im Kontext so etwas vermittelt, was für das Kind wichtig ist, wie fertig, aber dann auch die Dinge, die das Kind gerne haben möchte, die kann es jetzt benennen. Es kann das zeigen. Und was mir ganz wichtig ist, es führt eben auch dazu, dass die Kinder weniger Frustration erleben. Sie wollen was, sie können das auch schon denken, aber sie können es noch nicht sprechen. Und dann können sie jetzt mitteilen, was es ist, was sie wollen. Und das ist sehr viel leichter für alle Beteiligen. Und von daher hilft es eben jungen Kindern wirklich, sich mitzuteilen und in die Sprache zu kommen. Ich werde nie die Gebärde für Hund machen, ohne dazu auch wau wau zu sagen. Und das Kind, das in die Sprache hineinwächst, macht mit der Gebärde für Hund vielleicht so, was es gerade schon kann. Ja. Und so wächst es hinein.
Claudia Uihlein: Also die Mitteilungsfähigkeit der Jüngsten zu unterstützen ist ein ganz zentraler Aspekt, ja?
Prof. Dr. Etta Wilken: Ja.
Claudia Uihlein: Sie schreiben ja auch in in Ihrem Artikel in unserer Fachzeitschrift, dass die Fachkräfte die Mitteilungsfähigkeit der Jüngsten auch noch zusätzlich unterstützen können durch das sogenannte kommunikative Warten. Können Sie uns kurz erklären, was ist damit gemeint?
Prof. Dr. Etta Wilken: Muss ganz das kurz noch ein bisschen erweitern. Es geht darum, dass man in der Kommunikation nicht nur direktiv arbeitet. Sag mal, zeig mal, was ist das? Sag mal das und so weiter. Das ist Direktivität, das ist weniger förderlich als Responsivität. Ich beobachte, wo das Kind hinschaut. Ach, das möchtest du mir zeigen? Ja, was ist denn da? Und wenn das Kind nicht sofort reagiert, dass man nicht den gleichen Impuls noch mal gibt. Ja, zeig mir. Ja, ich muss schon ein bisschen Pause machen, dass das Kind das verarbeitet und überlegen kann und dann darauf zeigen kann. Wenn ich z.B. ein Bilderbuch angucke, dann kann ich durchaus warten, was interessiert das Kind und dann kann ich das beobachten. Wo guckt das Kind denn hin? Und dann kann ich sagen, aha, und was ist da so, dass das Kind jetzt da noch mal drauf klopft und mir vielleicht deutlich macht, ja, darüber möchte ich reden. Also abwarten, was will das Kind mir mitteilen und z.B. nicht eine Seite nach der anderen vorlesen. Wenn das Kind zurückblättert, dann sagt man nicht, das hatten wir doch schon. Nee, das interessiert das Kind offenbar noch mal. Das ist Responsivität und abwarten, was möchte es denn jetzt und wohin guckt das Kind? Aufmerksam sein, das ist wichtig für die Kommunikation und das meine ich mit diesem Warten. Dialogisches Bilderbuchlesen. Hatten Sie dazu nicht auch einen Fachartikel in der Zeitung? Es geht eben nicht darum, nur ein Bilderbuch vorzulesen, sondern mit dem Kind in Kommunikation zu treten. Und wenn das Kind jetzt einzelne Gebärden anbietet, ja, dann weiß ich, ach, das interessiert das Kind, obwohl das Kind noch nicht sprechend ist. Und das ist in all diesen Situationen sehr hilfreich und förderlich. Und was wir immer wieder betonen müssen, nicht nur für die Sprache im engeren Sinne ist es hilfreich, sondern mit Sprache lerne ich auch zu denken. Es gibt viele kognitive Leistungen, die sprachgebunden sind, aber nicht sprechgebunden. Das heißt, auch Gebärden können solche Denkprozesse erleichtern. Z.B. was sind Relationen? Wann ist ein Apfel groß und wann ist ein Ball groß? So etwas kann ich nur im Kontext lernen, aber ich muss ein Zeichen dafür haben, damit ich das fragen kann und ich brauche eine Person, die bestätigt, du hast das richtig überlegt. Das stimmt so. Das ist Kommunikation.
Claudia Uihlein: Wunderbar. Vielen Dank. Zum Abschluss würde mich noch interessieren, was hat für Sie denn den Ausschlag gegeben, diese Methode zu entwickeln, die Gebärdenunterstützte Kommunikation. Was hat sie dazu motiviert?
Prof. Dr. Etta Wilken: Einmal, dass ich gesehen habe, dass Kinder, gerade Kinder mit Down-Syndrom, für dich habe ich das ursprünglich ja nur entwickelt, das war die Idee dahinter, dass diese Kinder sich sehr viel mitteilen wollen, als sie konnten. Und das führte zu Frustrationen, und manchmal auch zur Aggression seitens der Kinder. Und da dachte ich, die Kinder brauchen etwas, womit sie sich mitteilen können, und hier muss ich sie unterstützen und anders als eben mit der Lautsprache kann ich die Gebärden auch mit Handführung machen. Wenn wir uns die Hände geben und gemeinsam diese Gebärde machen, wir jetzt sind wir fertig, dann kann ich mit Handführung das unterstützen, dass das Kind das lernt und dann kann es sich mitteilen und muss nicht mit schreien mitteilen, ich mag nicht mehr. Also habe ich mich gefragt, welche Möglichkeiten es gibt. Und dann habe ich angefangen und festgestellt, wie viel sich dann da drumherum entwickelt. Eine Mutter hat gesagt, ich habe damit einen Schlüssel zum Denken meines Kindes. Ich habe von dem Kind jetzt Dinge erfahren, von denen ich jetzt ganz erstaunt bin. Ich hätte nie gedacht, dass mein Kind das schon denken kann, sich solche Dinge überlegt. Also, all diese Erfahrungen, die waren so motivierend, dass wir gesagt haben, oh ja, toll.
Und diese Geschichten, die dann einzelne Eltern erzählen, wie sie eben dadurch doch ihr Kind verstehen konnten und ihr Kind begleiten können, gerade wenn die Spracheentwicklung sehr mühsam und sehr verzögert ist. Das ist schon toll. Das muss ich sagen, wenn ich solche Geschichten höre, freue ich mich noch immer.
Claudia Uihlein: Also eine Bereicherung für die Kinder, für die Eltern, für die Fachkräfte, für alle.
Prof. Dr. Etta Wilken: Ja, so sehe ich das auch. Es ist einfach schön, dass so etwas gelingt und dass man etwas erfährt und dass also auch für die Kinder dieses kommunikative Loch eben nicht sich in dieser Weise zeigt. Und das gilt übrigens auch für mehrsprachig aufwachsende Kinder. Sie haben damit eine Brücke zwischen den Sprachen.
Claudia Uihlein: Ja, wunderbar. Vielen Dank, Frau Professor Wilken, für diesen Einblick in die Gebärdenunterstützte Kommunikation. Vielleicht haben wir mit diesem Beitrag bei einigen Fachkräften ja Interesse wecken können, die Arbeit mit Gebärden in der eigenen Einrichtung auch mal auszuprobieren. Das würde uns natürlich sehr freuen.
Prof. Dr. Etta Wilken: Ja, mich auch.
Claudia Uihlein: Wer sich näher mit dem Thema beschäftigen möchte, der findet in unserer Kleinstkinderausgabe 1/25 einen ausführlichen Beitrag von Frau Professor Wilken und viele weitere Hintergrundinfos und konkrete Praxistipps. Ganz herzlichen Dank liebe Frau Professor Wilken für ihre Zeit und ihre aufschlussreichen Ausführungen. Ich freue mich sehr, dass ich zu diesem Thema mit Ihnen sprechen konnte.
Prof. Dr. Etta Wilken: Gerne.
Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Schön, dass ihr zugehört habt. Bis bald. Umfangreiches Fachwissen für die Betreuung der Jüngsten findet ihr auf www.kleinskinder.de.