Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Willkommen beim Podcast von Kleinstkinder in Kita und Tagespflege.
Claudia Uihlein: Hallo und herzlich willkommen beim Podcast unserer Fachzeitschrift Kleinstkinder in Kita und Tagespflege, in dem wir mit unseren Autoren über ihre Fachartikel im Heft sprechen. Mein Name ist Claudia Uihlein. Ich bin Redakteurin bei Kleinstkinder in Kita und und Tagespflege und ich freue mich sehr, dass wir für unseren Podcast die Autorin Helia Schneider gewinnen konnten. Mit ihr möchte ich heute über ein sehr wichtiges Thema im U3-Bereich sprechen, und zwar das Thema Ausscheidungsautonomie. Ganz herzlich willkommen, liebe Helia. Schön, dass du Zeit für einen Austausch mit mir hast.
Helia Schneider: Hallo Claudia, danke, dass ich hier sein darf.
Claudia Uihlein: Gerne würde ich dich noch kurz vorstellen, liebe Helia. Du hast bereits eine Kita geleitet und nebenbei eine Weiterbildung zur Freinet-Pädagogin gemacht. Berufsbegleitend hast du Bildungsmanagement studiert. Du bist Psychodramapraktikerin und arbeitest seit 10 Jahren als Selbständige, hauptsächlich als Sportbildnerin für Kleinkind und Elementarpädagogik. Außerdem bist du Supervisorin und freiberufliche Redakteurin bei Kindergarten heute das Leitungsheft und zudem Autorin von Fachbüchern und Fachartikeln. Kindergarten heute erscheint wie Kleinstkinder auch im Herder Verlag. Deshalb bist du ab und zu bei uns vor Ort und ich habe das große Glück mit dir heute hier persönlich sprechen zu können. In der neuesten Kleinstkinderausgabe schreibst du ja über eines der großen Themen in der U3-Betreuung und gleichzeitig einen sehr bedeutsamen Entwicklungsschritt der Kinder, die Ausscheidungsautonomie. Kannst du uns gleich zu Anfang vielleicht noch mal kurz umreißen, was dieser etwas sperrige Begriff genau beinhaltet?
Helia Schneider: Ja, Claudia, der Begriff ist tatsächlich etwas abstrakt. Ich musste mich da auch erstmal dran gewöhnen. Und als ich dann aber ein bisschen drüber nachgedacht habe, habe ich gedacht, ja, irgendwie beschreibt er treffend, was passiert. Ja, man hat ja lange gesagt Sauberkeitsentwicklung oder sauber werden, trocken werden und das war so 2016, da hat die Verhaltensbiologin Gabriele Haug Schnabel diesen neuen Begriff eingeführt und zumindest im fachlichen Diskurs löst er diese anderen Bezeichnungen ab. Und worum geht's da? Also, es beschreibt diesen wichtigen Meilenstein in der kindlichen Entwicklung, nämlich, dass das Kind nach und nach autonom selbstbestimmt im eigenen Tempo die Kontrolle über Blase und Darm gewinnt. Und das steckt in diesem Ausscheidungsautonomie drin, die Selbstständigkeit, die Selbstbestimmung. Und es wird aber auch jetzt so im Sprachgebrauch im Alltag, ich mache das auch in meinen Fortbildungen, benutze ich auch manchmal so Sachen wie Abschied von der Windel oder Windelfrei oder Toilettenfit. Das höre ich auch immer öfters von pädagogischen Fachkräften. Bei Eltern ist es noch ganz oft weit verbreitet, dass Sauberkeitsentwicklung oder so gesagt wird oder trocken werden. Aber bei den Fachkräften höre ich schon immer häufiger auch die neuen Formulierungen. Warum betone ich auch, dass es sinnvoll ist, das zu machen, weil wenn ich mir überlege, was bedeutet, sauber werden, das Gegenteil davon könnte ja sein, ah, das Kind ist dreckig und ich möchte dem Kind nicht zu Botschaft vermitteln. Ich mache dich sauber oder du wirst sauber und dahinter steckt eigentlich du bist dreckig. So, das steckt auch noch dahinter.
Claudia Uihlein: Ja, du hast ein wichtiges Stichwort genannt, nämlich dass der Abschied von der Windel selbständig und selbstbestimmt erfolgt und dass jedes Kind es in seinem eigenen individuellen Tempo tun kann. Ab welchem Alter beginnt denn dieser Prozess, dass die Kinder die Kontrolle über ihre Ausscheidungen erlangen?
Helia Schneider: Das passiert in mehreren Schritten und ist auch schön hinlänglich beschrieben und erforscht worden. Da ist mir ganz wichtig, Remo Largo zu nennen, Kinderarzt aus der Schweiz, leider schon verstorben, der über viele Jahre weg viele Kinder beobachtet hat und auch zu dem Schluss gekommen ist, dass ein Toilettentraining z.B. nicht Kinder dazu bringt, dass sie früher Windelfrei werden, aber man kann jetzt so Zeitfenster beobachten, in denen Kinder bestimmte Dinge anzeigen. Also es fängt damit an, dass sie z.B. zwischen dem 15. bis 18. Lebensmonat anzeigen, wenn sie Stuhl oder Urin abgegeben haben und dann kurz drauf so ungefähr zwischen 18 und 36 Monaten sind die meisten Kinder in der Lage, dass sie dann auch signalisieren können, also verbal zum Ausdruck bringen oder auch drauf zeigen, dass sie gleich, ich setze es jetzt mal hier imaginär in Anführungsstrichen Pipi oder Kaka machen.
Das sind so die Termine, also die Wörter, die am häufigsten benutzt werden. Also ja, wenn wir uns jetzt diese Wörter Urin, Harn, Kot, Stuhl, wenn wir uns die mal anschauen, sind die natürlich etwas medizinisch. Also insofern mit Kindern spricht man ja dann doch meistens von Pipi oder Kacka. Und es ist auch so, dass manche Mädchen, wird beschrieben, das schon davor können, also schon um den ersten Geburtstag herum. Meistens Mädchen, aber nicht viele. Dann geht's weiter, dass zwischen dem ungefähr 16. und 24. Lebensmonat ein Kind seine Darmtätigkeit immer besser spüren kann, was natürlich dann auch wiederum eine wichtige Voraussetzung für die Kontrolle von Darm ist, also auch vom Schließmuskel. Und ungefähr ab der Hälfte des zweiten Lebensjahres können die Kinder dann den Stuhl oder Harn meistens ungefähr so lange anhalten, dass es dann zumindest noch ausreicht, dass sie sich ausziehen können. Ja, das ist ja auch eine Voraussetzung
Und mit zweieinhalb bis drei Jahren können die Kinder dann tatsächlich auch den Umgang mit der Kleidung immer besser. Das erfordert ja auch viel Feinmotorik und Koordination von bestimmten Bewegungen, was eben diese Selbständigkeit bei der Ausscheidung begünstigt. Die allermeisten Kinder werden dann im Verlauf des dritten und vierten Lebensjahres tagsüber, zumindest erstmal windelfrei oder ausscheidungsautonom, wenn man so nennen will. Und in der Nacht dauert es ja meistens ein bisschen länger. Da ist die Hälfte der Kinder im Verlauf des vierten Lebensjahres dann auch ausscheidungsautonom. Und beschrieben wird ebenfalls, dass die Signale des Körpers bei der Darmentleerung von den Kindern deutlicher wahrgenommen werden, weswegen sie das am Anfang besser schaffen. Also den Stuhl zurückzuhalten. Bei dem Urin dauert's dann noch ein bisschen länger. Und dann ist wichtig für die Erwachsenen, die das begleiten, das als Lernaufgabe zu sehen und den Kindern die Zeit zu geben, die sie dafür eben brauchen. Genauso das Wissen zu haben, dass es für die Kinder sehr herausfordernd sein kann, den Harn anzuhalten, also hinauszuzögern, wenn gerade keine Toilette in der Nähe sein sollte. Das gelingt den Kindern tatsächlich erst so mit ungefähr 4 Jahren. Und dann noch zum Abschluss vielleicht am sechsten Geburtstag wird beschrieben, nässt jedes zehnte Kind, also jedes zehnte Mädchen, jeder vierte Junge noch gelegentlich ein und in der Regel steckt da aber nichts Krankhaftes dahinter, sondern es kann gut sein, dass meistens Vater oder Mutter auch eher später ausscheidungsautonom wurden.
Claudia Uihlein: Okay, alles klar. Ich würde gerne noch mal ein bisschen zurückgehen. Du hast gesagt, im Alter zwischen anderthalb und 3 Jahren beginnen die Kinder zu signalisieren, dass sie Harn oder Stuhldrang empfinden und der zeitliche Rahmen ist ja relativ groß. Da frage ich mich auch, auf welche Signale können denn die pädagogischen Fachkräfte bei den Kindern im Verlauf dieser Entwicklung achten? Also, welche Signale können darauf hindeuten, dass sich das Kind möglicherweise schon dafür interessiert, auf die Toilette zu gehen.
Helia Schneider: Mit Signal meinst du ja wahrscheinlich auch das Verhalten oder eben die Sprache bzw. Körpersprache?
Claudia Uihlein: Ja, genau, woran merkt man es?
Helia Schneider: Was beobachtet wird in der Praxis ist, dass Kinder, die der Sprache schon mächtig sind, das natürlich sprachlich zum Ausdruck bringen. Und es kann aber natürlich sehr gut auch sein, dass ein Kind mit Blicken anzeigt, dass es einmal etwas auszuprobieren möchte. Also, ich stelle mir die Situation vor, eine Fachkraft wechselt gerade einem Kind die Windel und das Kind guckt zum Klo oder guckt zu einem Kind, was aufs Klo geht, und dann gilt es für die Fachkraft, das zu übersetzen und ein Angebot zu machen. Ja, der Florian geht aufs Klo, möchtest du es auch mal probieren? Soll ich dir die Windel später angeben? Das kann dann auch ein Mikrozeichen eines Kindes sein, was es für die Fachkraft gilt, aufzugreifen. Es kann aber auch sein, dass das Kind mit den erwachsenen Bezugspersonen auf Toilette gehen möchte. Kann auch sein, dass die Eltern es schildern, dass das zu Hause passiert oder mit älteren Geschwisterkindern oder natürlich auch mit anderen Kindern aus der Kita, mit befreundeten Kindern oder dass es im Spiel beginnt, Puppen oder Tieren Windeln anzulegen oder sie aufs Puppentöpfchen zu setzen, also dass sie das Thema anfangen in ihrem Spiel zu bespielen und dafür braucht man natürlich auch entsprechendes Spielmaterial in Kita.
Hilfreich sind auch Puppen mit erkennbaren Geschlechtsmerkmalen. Aber auch sowas wie die Windel ist über längere Zeit trocken geblieben oder das Kind braucht zu Hause keine mehr. Dann könnte das auch ein Zeichen dafür sein, dass Fachkräfte das in der Kita weiterverfolgen.
Claudia Uihlein: Apropos zu Hause, in deinem Artikel nennst du ja auch das Beispiel eines Jungen, der zu Hause nachmittags schon ganz gut ohne Windel klarkommt und die Mutter spricht das in der Kita an und möchte gerne, dass er dort auch auf Toilette geht. Da ist doch ein guter Austausch zwischen den Eltern und den pädagogischen Fachkräften besonders wichtig in so einer Situation, könnte ich mir vorstellen, oder?
Helia Schneider: Auf jeden Fall, wir als Fortbildnerinnen sagen natürlich, bei jedem Thema ist ein guter Austausch mit den Eltern und Erziehungsperson wichtig, aber da tatsächlich sehr. Es kommt dem eine große Bedeutung zu, denn man kann auch bestimmte Dinge versäumen und es braucht einfach sehr viel Abstimmungsgespräche. Ich find es immer ganz hilfreich, das beschreibe ich auch in meinem Artikel, um sich die Perspektive von Eltern vor Augen zu führen. Ich nenne jetzt mal so zwei, drei mögliche Punkte aus der Perspektive von Eltern, die wir uns als Fachkräfte vielleicht nicht so bewusst machen. Was könnten so ihre Sichtweisen, ihre Ängste, ihre Sorgen sein? Ja, also z.B. könnte mein Kind krank sein oder wieso dauert es bei unserem Kind so lang? Weil man das auch vielleicht mit anderen vergleicht oder auch weil ich will, dass mein Kind jetzt endlich windelfrei wird, weil dieser Windelmüll, der nimmt überhand, etc.
Und da vielleicht auch die Eltern zu fragen, was haben sie so für Gefühle, für Gedanken zu diesem Thema? Also jetzt mal vorab als Idee und dann ist natürlich klar, dass wir uns fachlich gut aufstellen, was wir fachlich gut begründen können, warum wir so vorgehen, wie wir vorgehen. Wir werden das hier gemeinsam begleiten, diesen wichtigen Entwicklungsschritt und wir kommen dann auf Sie zu, wenn wir was beobachten oder kommen Sie gerne auf uns zu, wenn Sie was zu Hause beobachten. Also es gilt, ein gegeneinander arbeiten zu vermeiden. Aus Elternsicht haben die eine gute Perspektive, ein guten Grund, wenn sie möchten, dass ihr Kind windelfrei wird. Den gilt es für uns zu erfragen. Aber trotzdem, wenn wir in der Kita noch keinerlei Verhalten sehen, dass das Kind bereit ist, diesen nächsten Schritt zu gehen, dass wir uns fachlich positionieren und sagen, mag sein, dass es bei Ihnen zu Hause schon so ist. Es kann sein, dass es mal verschieden ist. Bei uns ist es noch nicht so. Ihr Kind zeigt uns noch keinerlei Zeichen.
Claudia Uihlein: Auch das Wickeln ist ja in diesem Zusammenhang ein großes Thema und im Praxisteil deines Beitrags sprichst du sehr ausführlich über die Mikrotransition zum Wickeln. Kannst du uns kurz erläutern, wie ein beziehungsvoller Übergang zum Wickeln aussehen kann?
Helia Schneider: Ja, zunächst mal würde ich mir wünschen, dass grundsätzlich in den Kitas die Regel gilt, dass Kinder bedürfnisorientiert, also nach Bedarf gewickelt werden und nicht so dieses Durchwickeln um Punkt 11 Uhr stattfindet. Da gehören natürlich auch Kinderschutzaspekte mit rein. Also, wir wollen Zwang vermeiden. Dazu gehört aber auch z.B., Kindern nicht im Gruppenraum vor allen anderen hinten in die Windel zu schauen oder so Sätze zu sagen wie Puh, du stinkst. Und es geht natürlich darum, das Kind einzuladen mit solchen Sätzen wie ich möchte dir eine frische Windel anlegen. Magst du mit mir ins Bad kommen, vielleicht willst du wieder aufs Klo sitzen? Gleichzeitig können die Hände sprechen mit einer einladenden Geste und dann gucke ich auf die Reaktion des Kindes. Natürlich hocke ich mich runter auf die Blickachse des Kindes und schaue: Wie antwortet es mir? Sieht es mich an, antwortet es mit einem Nicken? Kommt es mit? Nimmt es meine Hand? Wendet es sich ab, guckt es gar nicht hoch, sagt es etwas, drückt es Akzeptanz und Bereitschaft aus oder eher Ablehnung und Abneigung? Und entsprechend ist meine Reaktion, denn es kann ja sein, dass das Kind gute Gründe dafür hat, dass es ablehnend reagiert. Vielleicht ist es sein Spiel vertieft und möchte da nicht rausgeholt werden. Dann gilt es mögliche Lösungen dafür zu finden.
Was Kinder auch gut spüren, ist, wenn ich gestresst bin. Also es kann auch sein, dass ein Kind nein signalisiert, denn es spürt eben, ich muss jetzt noch schnell alle Kinder wickeln, bevor das nächste dran ist und dass sie sich deswegen schlechter auf diesen Übergang in die nächste Pflegesituation einlassen können. Zum Glück wird es in vielen Kitas schon so praktiziert, was ich sehr schön finde. Also dieses Abfertigen im Wickelraum schnell, schnell, schnell, sollte eigentlich aus den meisten Kitas verschwunden sein. Wobei ich mir im Moment Sorgen mache, dass es vielleicht wieder ein bisschen Einzug hält durch den Fachkräftemangel. Mit den veränderten Rahmenbedingungen. Deswegen weiß ich sehr gerne in Fortbildungen darauf hin, dass das so eine einmalige Chance für Beziehungspflege ist, diese Situation, dass man die auch nutzen kann, auch selber für sich, um ein bisschen aufzutanken in der Ruhe und in dieser Eins-zu-eins-Interaktion mit dem Kind.
Claudia Uihlein: Oh, das klingt gut. Und wie kann denn diese Eins-zu-eins- Situation dann aussehen? Also vielleicht kannst du mal beschreiben, wie die Pflegesituation mit einem zweieinhalbjährigen gestaltet werden kann.
Helia Schneider: Da steht für mich ganz klar an alleroberster Stelle die Partizipation, die Selbstbestimmung, die Mitbestimmung, dass sich beteiligen können und das Kind kann sich an allem beteiligen, was es selber kann, und wir haben die Aufgabe zu ermutigen. Ich sage immer, wenn wir Kindern was abnehmen, was sie selber können, verhindern wir Entwicklung. Das ist in Ausnahmefällen auch mal nötig, aber in der Regel darf es von uns aus so gestaltet sein, muss es sogar, dass das Kind alles alleine machen kann, was es alleine kann. Es kann sich z.B. die Windel selbst holen, den Wickeltisch hoffentlich alleine hochgehen. Es findet hoffentlich eine entsprechende Treppe vor, wo das geht, wo sich es auch festhalten kann. Es kann Windelkleber aufmachen, Druckknöpfe öffnen, die Windel in den Mülleimer bringen. Wir bieten ihm an, die Toilette aufzusuchen und begleiten das alles responsiv. Wir benennen Körperteile, wir benennen unser Tun, unser Handeln sprachlich. Bei den Körperteilen ist übrigens auch wichtig, dass ich nicht aus Versehen z.B. das Knie anfasse und sage, gib mir mal dein Bein, sondern wenn ich das Knie anfasse, sage ich auch Knie, und ich benenne es auch differenziert, also Wade, Knie, Oberschenkel, Ferse, nicht einfach nur Bein. Dann lernt das Kind die Welt kennen. Es lernt seinen Körper kennen, es lernt Worte für Dinge kennen. Und wenn es sich beteiligen kann, erlebt es sich natürlich als selbstwirksam und baut ja auch Selbstfürsorge auf. Und dann kann ich Dinge benennen, wenn die Windel sehr schwer ist und viel Urin drin ist, kann ich sagen, ja, ich habe gesehen, du hast vorher ganz viel getrunken, denn du bist gerannt und hast auch geschwitzt. Das ist jetzt ganz viel Pipi in deiner Windel. Guck mal, wie schwer die ist. Dann kann das Kind da Zusammenhänge herstellen. Und ich spreche natürlich auch mit meinem Körper, mit meinen Gesten, mit meinen Händen. Versuche nicht hektisch zu sein. Versuche meine Bewegung auf das Tempo des Kindes abzustimmen.
Claudia Uihlein: Aber jetzt nehmen wir mal an, das Kind hat eine volle Windel und ich merke das und spreche das Kind drauf an und das Kind möchte nicht gewickelt werden. Also, denn vielleicht ist an dem Tag die Lieblingsfachkraft nicht da oder irgendwas anderes. Wie siehst du denn in diesem Zusammenhang den Konflikt in der Sorge um das Kindeswohl? Also, denn zum Kindeswohl gehört ja auch gleichzeitig die Gesundheit und die Fürsorge. Und wenn das Kind jetzt einen wunden Po hat, möchte man das Kind möglichst schnell von seinen Ausscheidungen befreien. Um ganz konkret zu fragen, welche Handlungsmöglichkeiten siehst du in so einer Situation für die pädagogischen Fachkräfte?
Helia Schneider: Ja, das werde ich tatsächlich sehr oft gefragt in Fortbildungen und ich habe da eine ziemlich klare Position. Für mich steht das Kindeswohl an oberster Stelle. Das muss zu jederzeit gewahrt werden und da ist jegliche Form von körperlicher oder verbaler Ausübung von Zwang, Erpressung oder Bestrafung verboten, also nicht zulässig. Also, was können die Fachkräfte tun? Sie können in einem ersten Schritt mal überlegen, was für mögliche Gründe gibt es für die Weigerung des Kindes? Da gibt's ja jede Menge. Vielleicht war der Zeitpunkt ungünstig. Das Kind hat sich in seinem Tun vielleicht gestört gefühlt oder unterbrochen und konnte deswegen nicht in die Kooperation gehen, konnte sich nicht einlassen auf die Einladung oder es wollte mit dieser bestimmten Person nicht mitgehen. Also da kann ich mich auch mal reflektieren, wenn ich jetzt diese Fachkraft wäre, gibt's irgendwas, was in meiner Person begründet ist? Sind vielleicht meine Hände zu kalt gewesen beim letzten Mal? Oder war ich vielleicht zu grob und zu gestresst? Oder was weiß ich, habe ich kalten kratzigen Schmuck an? Sind meine Fingernägel irgendwie unangenehm oder rieche ich irgendwie vielleicht nach Schweiß, nach Rauch? Oder vielleicht ist der Wickelraum fürs Kind unangenehm oder negativ besetzt? Ist es da sehr laut oder hat das Kind dort was Unangenehmes erlebt? Wurde es vielleicht auch mal nicht beteiligt am Wickelvorgang und hat sich abgefertigt gefühlt?
Oder hat das Kind Angst, dass sein Spielzeug fehlt, wenn es jetzt den Raum verlässt und mit zum Wickeln kommt? War die Einladung zum Wickeln unpassend formuliert von der Fachkraft? War sie irgendwie nicht freundlich genug oder war der Übergang so gestaltet, dass das Kind sich gestresst gefühlt hat? Also, wenn sich Fachkräfte zusammensetzen und überlegen, was könnten gute Gründe aus Sicht des Kindes sein, nicht mitzukommen und da kommen sie vielleicht schon auf mögliche Lösung. Und eben um ein paar zu nennen, weil du ja auch nach Handlungsmöglichkeiten gefragt hast, was könnten so Möglichkeiten sein? Also z.B. könnte eine andere Fachkraft das Kind einladen, mitzukommen. Ja, und je nach Alter kann ich dem Kind auch erklären: Ich möchte dir eine frische Windel anlegen. Deine ist voll. Okay, ich sehe, du bist gerade noch im Spiel vertieft. Ich komme gleich noch mal. Ich gehe erstmal die Lara wickeln, dann komme ich noch mal zu dir. Oder wenn ich die Hypothese habe, dass das Kind ein individuelles Ritual braucht, also eine andere Ansprache, dass ich vielleicht das Wickeln ein bisschen vorher schon ankündige. Du kannst noch weiterspielen, ich komme gleich noch mal oder du kannst das Spielzeug mitnehmen, dann können wir es da und dahinstellen. Wenn meine Hypothese ist, das Kind hat Angst, dass es dann gleich weg sein könnte. Blickkontakt finde ich wichtig und auf Augenhöhe mit dem Kind sein, also nicht von oben herab. Das kann auch manchmal eine Brücke sein. Ich nenne es gern Brücken bauen. Wie kann ich einem Kind eine Brücke bauen? Wenn z. B. ein anderes Kind in den Wickelraum geht, dass ich das Kind einlade, mit diesem mitzugehen. Und trotzdem zu respektieren, wenn das Kind eben nicht möchte und sich mit Händen und Füßen wehrt, dass ich das dann nicht tue. Oder dass man tatsächlich als letzte Option die Eltern anruft und den Eltern die Situation schildert. Und dass Eltern dann Verständnis hatten und dann auch gesagt haben, ja, okay, dann kommen wir oder sie haben gesagt, okay, versuchen Sie später noch mal, aber bitte nicht gegen den Willen unter Zwang wickeln.
Claudia Uihlein: Ja, jedenfalls keine einfache Situation, wenn sich das Kind trotz aller Unterstützung und Bemühungen nicht wickeln lassen möchte und die aktuellen personellen Engpässe in den Kitas tun da ja leider ihr Übriges dazu. Wer an weiteren Hintergrundinfos und konkreten Praxistipps zu den Themen Wickeln ohne Zwang und wie Kinder selbstbestimmt Windelfrei werden interessiert ist, findet diese in unserer aktuellen Kleinstkinderausgabe 3/24. Ganz herzlichen Dank, liebe Helia, für deine Zeit und die sehr interessanten und wichtigen Ausführungen und ich würde mich natürlich sehr freuen, wenn wir uns bald mal wieder zu einem spannenden Thema aus dem U3-Bereich unterhalten können. Vielen Dank dir.
Helia Schneider: Gerne, Claudia. Danke dir. Hat mir Spaß gemacht.
Jingle: Gemeinsam wachsen, gemeinsam lernen. Schön, dass ihr reingehört habt. Bis bald. Umfangreiches Fachwissen für die Betreuung der Jüngsten findet ihr auf www.kleinstkinder.de.